Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißbräuchliche Vermietung einer Arztpraxis unter Ehegatten
Leitsatz (NV)
1. Erwirbt die Ehefrau eines Arztes ein Haus, läßt sie darin eine Arztpraxis einrichten und vermietet sie diese ihrem Ehemann, steht ihr wegen Mißbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten auch bei Verzicht auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze kein Vorsteuerabzug zu, wenn sie die laufenden Aufwendungen für das Grundstück und den Kapitaldienst nicht aus der Miete und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und deshalb auf zusätzliche Zuwendungen ihres Ehemannes in nicht unerheblichem Umfang angewiesen ist. Maßgebend sind die Verhältnisse in einem überschaubaren Zeitraum.
2. Zu den Aufwendungen zählen auch Beiträge zu Lebensversicherungen, die zur Darlehenstilgung verwendet werden sollen, soweit der Vermieter-Ehegatte Versicherungsnehmer ist.
3. Arbeitslohn ist mit dem Nettobetrag anzusetzen.
4. Kindergeld ist bei dem Ehegatten als Einnahme zu werten, der Berechtigter i.S. des Bundeskindergeldgesetzes ist.
5. Änderungen der Einnahmen in dem überschaubaren Zeitraum sind zu berücksichtigen.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 9, § 4 Nr. 14 S. 1, § 10 Abs. 4-5, §§ 14, 15 Abs. 1-2; BKGG § 3 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist mit einem Arzt verheiratet, in dessen Praxis sie im Streitjahr 1987 als Angestellte beschäftigt war.
Sie erwarb im Jahre 1987 ein Grundstück mit aufstehenden Gebäuden für . . . DM. In dem Gebäude ließ sie für über . . . DM eine Arztpraxis einrichten, die sie ihrem Ehemann ab . . .1987 für monatlich . . . DM zuzüglich Umsatzsteuer und Nebenkosten vermietete. Mit den übrigen Umbau- und Renovierungskosten ergab sich ein Gesamtaufwand von ca. . . . DM. Die Klägerin vermietete eine in dem Haus belegene Wohnung ebenfalls ab . . .1987 zu einer Monatsmiete von . . . DM einschließlich Nebenkosten. Im übrigen wird das Haus von der Klägerin und ihrer Familie zu Wohnzwecken genutzt.
Zur Finanzierung dienten neben Beträgen, die die Klägerin von ihrer Schwiegermutter und ihrer Tochter schenk- bzw. darlehensweise erhalten hatte, ein Bausparvertrag der Klägerin über . . . DM und Bankdarlehen über insgesamt . . . DM. Aus den Bankdarlehen ergibt sich eine monatliche Belastung von . . . DM. Die Darlehen sind durch Grundschulden, die Abtretung einer Lebensversicherung auf das Leben des Ehemannes, die Sicherungsübereignung von dessen Praxisgegenständen und eine Bürgschaft von diesem über . . . DM gesichert.
Die Klägerin verzichtete auf die Umsatzsteuerbefreiung der Vermietungsumsätze und erklärte für 1987 steuerpflichtige Umsätze in Höhe von . . . DM und Vorsteuerbeträge von . . . DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte eine Umsatzsteuerveranlagung mit der Begründung ab, es liege ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage brachte die Klägerin u.a. vor, die Darlehen von Schwiegermutter und Tochter seien zinslos. Für den Schuldendienst stünden ihr neben den Mieteinkünften von monatlich . . . DM ihr Gehalt von . . . DM und Kindergeld von . . . DM zur Verfügung. Seit . . .1988 erhalte sie von ihrem Ehemann ein monatliches Nettogehalt von . . . DM. Zum Zeitpunkt der Anschaffung des Grundstücks seien sowohl sie als auch ihr Ehemann nahezu mittellos gewesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es verpflichtete das FA, eine Umsatzsteuerveranlagung unter Berücksichtigung der Umsatzsteuererklärung der Klägerin und der Rechtsauffassung des Gerichts durchzuführen. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Klägerin sei Unternehmerin. Der Mietvertrag sei tatsächlich durchgeführt worden. Ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts liege nicht vor. Daß die Klägerin das Grundstück erworben habe, beruhe auf vernünftigen wirtschaftlichen Erwägungen. Die Klägerin habe die Aufwendungen für das Haus einschließlich der vermieteten Praxisräume im wesentlichen aus eigenen Mitteln tragen können. Die Zurechnung des Kindergeldes zu den eigenen Einkünften sei berechtigt. Bei der Durchführung der Veranlagung werde das FA zu prüfen haben, ob die mit der Umsatzsteuererklärung geltend gemachten Vorsteuerbeträge in dem erklärten Umfang dem Ausbau der Praxisräume oder der sonstigen Räume zuzurechnen seien. Soweit Vorsteuerbeträge den Praxisräumen zuzurechnen seien, seien sie zum Abzug zuzulassen. Das FA werde im Rahmen des § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 prüfen müssen, ob die zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann vereinbarte Miete der Marktmiete entspreche. Ggf. seien die Umsätze der Klägerin mit einer über der vereinbarten Miete liegenden Bemessungsgrundlage anzusetzen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Nach seiner Auffassung liegt ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Feststellungen des FG ermöglichen keine abschließende Entscheidung, ob der Klägerin der begehrte Vorsteuerabzug zusteht.
a) Ein Unternehmer kann die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980).
Die Klägerin war Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 UStG 1980). Sie erbrachte durch die Vermietung der Praxis und der Wohnung sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG 1980). Nach dem Willen der Vertragsparteien vollzog sich die Nutzungsüberlassung der Praxis nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Die Parteien hoben vielmehr diesen Lebenssachverhalt aus den familienrechtlichen Beziehungen heraus und stellten ihn durch Abschluß eines (entgeltlichen) Mietvertrags auf eine schuldrechtliche Grundlage.
b) Zur Prüfung, ob dem Vorsteuerabzug § 42 AO 1977 entgegensteht, bedarf es weiterer Aufklärung des Sachverhaltes.
aa) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Zur Frage, ob ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten eine Umgehungsabsicht des Steuerpflichtigen voraussetzt, verweist der Senat auf sein Urteil vom 10. September 1992 V R 104/91 (BFHE 169, 258, BStBl II 1993, 253).
bb) Wie der Senat im Urteil vom 16. Januar 1992 V R 1/91 (BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541) näher dargelegt hat, ist es als unangemessene Gestaltung zu beurteilen, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die hierzu erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, der mit diesen den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen ,,vorgeschaltet", um unter Vermeidung eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis einer solchen zu erzielen, indem der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen. Eine derartige ,,Vorschaltung" liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß.
Zu den Aufwendungen zählen auch Beiträge zu Lebensversicherungen, die zur Darlehenstilgung verwendet werden sollen, soweit der Vermieter-Ehegatte Versicherungsnehmer und damit zur Zahlung der Beiträge verpflichtet ist. Diese Lebensversicherungsbeiträge stehen einer laufenden Schuldentilgung gleich. Arbeitslohn ist nur mit dem Nettobetrag anzusetzen. Die von der Klägerin vorgebrachte Erhöhung des Lohnes ab . . . 1988 liegt noch in dem maßgebenden überschaubaren Zeitraum und muß daher ggf. berücksichtigt werden. Kindergeld ist in die Berechnung als Einnahme einzubeziehen, soweit der Vermieter-Ehegatte Berechtigter i.S. des § 3 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes ist.
Die Aufwendungen sind nur insoweit anzusetzen, als sie wirtschaftlich den vermieteten Räumen zuzuordnen sind. Die Finanzierung der von den Ehegatten und ihren Kindern zu Wohnzwecken genutzten Räume betrifft die eheliche Lebensgemeinschaft und steht in keinem Zusammenhang mit der Frage, ob die Vermietung der Praxis angemessen ist.
cc) Kann die Klägerin in dem maßgebenden überschaubaren Zeitraum die danach anzusetzenden Aufwendungen nicht aus der Miete und ihrem Nettolohn tragen, ist es zwar nicht unangemessen, daß sie das Grundstück erworben und das Gebäude umgebaut hat, aber unangemessen, daß sie die Nutzungsüberlassung der Praxis rechtlich als entgeltlichen Leistungsaustausch gestaltet hat. Eine verständige Partei hätte angesichts der zugrunde liegenden Verhältnisse vom Abschluß eines Mietvertrages über die Praxisräume und dessen formaler Durchführung abgesehen und es dem Arzt-Ehegatten überlassen, entsprechend seiner wirtschaftlichen Stellung die entstehenden Aufwendungen für Grundstück und Gebäude als solche zu tragen, anstatt entsprechende Mittel aus Mietzins bzw. in Form von Zuschüssen dem Eigentümer-Ehegatten verdeckt zuzuwenden.
dd) War die Gestaltung danach unangemessen, widerspricht sie den Zwecken des Vorsteuerabzugs und der Vorschriften, die diesen ausschließen, weil der Ehemann der Klägerin selbst als Arzt nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980; vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).
2. Für den Fall, daß die vom FG zu treffenden Feststellungen ergeben sollten, daß die umsatzsteuerrechtliche Berücksichtigung des Mietverhältnisses nicht ausgeschlossen ist, wird auf folgendes hingewiesen:
Entgelt für die Vermietungsleistungen ist nicht nur die Kaltmiete, sondern alles, was der Mieter aufwendet, um die Vermietungsleistungen zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980). Hierzu gehören auch die Nebenkosten zur Miete (Senatsurteil vom 24. Juni 1992 V R 47/89 m.w.N., nicht veröffentlicht). Es handelt sich hierbei beim Vermieter nicht um durchlaufende Posten i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG 1980. Der Vermieter vereinnahmt und verausgabt die entsprechenden Beträge nicht im Namen und für Rechnung eines anderen, sondern hat selbst Anspruch auf Zahlung aus dem Mietvertrag. Anders verhält es sich bei Kosten, die der Mieter selbst unmittelbar dem Kostengläubiger schuldet.
Hinsichtlich der vom FG angesprochenen Frage der Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1980 wird auf die Vorlage des Senats an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juni 1992 V R 151/84 (BFHE 168, 477) hingewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 418711 |
BFH/NV 1993, 447 |