Leitsatz (amtlich)
1. Beauftragt der allgemein mit der Wahrnehmung der steuerrechtlichen Interessen des Steuerpflichtigen betraute Steuerberater einen anderen (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt) mit der Einlegung eines Rechtsmittels, so muß er innerhalb der Rechtsmittelfrist überwachen, ob das Auftragsschreiben bei dem Beauftragten eingegangen ist und dieser die Prozeßvertretung übernimmt.
2. Eine derartige Kontrollpflicht besteht grundsätzlich nicht hinsichtlich solcher Schreiben, die dem Prozeßbevollmächtigten übersandt werden, nachdem er das Mandat bereits übernommen hat.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Tatbestand
I. Dem Steuerberater des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ist die Einspruchsentscheidung wegen Umsatzsteuer 1979 bis 1981 vom 18.September 1984 mit Postzustellungsurkunde (PZU) am 11.Oktober 1984 zugestellt worden. Die durch Rechtsanwalt E erhobene Klage wegen Umsatzsteuer 1979 bis 1981 ist am 28.Dezember 1984 beim Finanzgericht (FG) eingegangen. Mit ihr hat der Kläger beantragt, ihm gegen die Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Diesen Antrag hat er wie folgt begründet:
Steuerberater D habe mit einem Schreiben vom 15.Oktober 1984, das am gleichen Tage zur Post gegeben worden sei, den Einspruchsbescheid mit Anlagen an Rechtsanwalt E, den jetzigen Prozeßbevollmächtigten, übersandt. Der Brief sei auf dem Postweg verlorengegangen. Der Verlust sei bemerkt worden, als sich Steuerberater D am 18.Dezember 1984 bei Rechtsanwalt E nach dem Sachstand erkundigt habe. Die Versäumung der Klagefrist sei nicht schuldhaft, weil nicht vorauszusehen gewesen sei, daß der Brief des Steuerberaters D den Rechtsanwalt E nicht erreichen werde.
Zur Glaubhaftmachung dafür, daß das Schreiben am 15.Oktober 1984 an Rechtsanwalt E abgesandt worden sei, verwies der Kläger auf das Postausgangsbuch des Steuerberaters D und auf das Zeugnis des Steuerberaters und dessen Mitarbeiterin M.
Das FG hat die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Der Steuerberater des Klägers habe die Versäumung der Klagefrist verschuldet, weil er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen sei, zu überwachen, ob die Sendung bei Rechtsanwalt E angekommen sei. Da eine Auftragsbestätigung ausgeblieben sei, sei er verpflichtet gewesen, innerhalb der Klagefrist rechtzeitig nachzufragen. Das Verschulden seines Beraters habe sich der Kläger zurechnen zu lassen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG überspanne die Anforderungen, die es an die Sorgfaltspflichten des Steuerberaters D stelle, wenn es fordere, er habe den Eingang seines Schreibens vom 15.Oktober 1984 bei dem Rechtsanwalt E überwachen und innerhalb der Klagefrist nachfragen müssen, ob sein Brief auch angekommen sei. Eine derart allgemeine Kontrollpflicht bestehe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht einmal im Verhältnis von einem Rechtsanwalt zum Rechtsanwalt des Rechtsmittelgerichts. Noch viel weniger könne sie einem Steuerberater auferlegt werden, zu dessen Alltag es nicht gehöre, Prozesse beim FG zu führen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Sache an das Niedersächsische FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 18.April 1968 VII ZR 150/66, BGHZ 50, 82; Beschluß vom 17.April 1985 IVb ZB 136/84, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1985, 1709, Anwaltsblatt --AnwBl-- 1985, 519) erschöpft sich bei der Erteilung von Berufungsaufträgen die Sorgfaltspflicht des beauftragenden Rechtsanwalts nicht im rechtzeitigen Absenden des Auftragsschreibens. Vielmehr muß der Rechtsanwalt, der einen solchen Auftrag erteilt, auch dafür Sorge tragen, daß der beauftragte Rechtsanwalt den Auftrag innerhalb der Rechtsmittelfrist bestätigt. Der Zweck dieser Kontrollpflicht des beauftragenden Rechtsanwalts bestehe darin, daß er sich Gewißheit verschaffen muß, ob der beauftragte Rechtsanwalt tatsächlich und rechtlich nicht verhindert und im übrigen bereit ist, das Mandat zu übernehmen.
Diese Grundsätze hat der Bundesfinanzhof (BFH) für die Fälle übernommen, in denen die Prozeßführung vor dem FG nicht von dem allgemein mit der Wahrnehmung der steuerrechtlichen Interessen des Steuerpflichtigen beauftragten Steuerberater, sondern von einem anderen Berufsvertreter wahrgenommen wird (Urteile vom 19.September 1985 V R 29/80, BFH/NV 1986, 472, und vom 27.Februar 1986 IV R 72/85, BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547, m.w.N. zur Rechtsprechung des BGH). Danach muß der Steuerberater, der einen anderen (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt) mit der Einlegung eines Rechtsmittels beauftragt, innerhalb der Rechtsmittelfrist überwachen, ob das Auftragsschreiben bei dem Beauftragten eingegangen ist und dieser bereit ist, die Prozeßvertretung zu übernehmen.
Eine derartige Kontrollpflicht besteht allerdings grundsätzlich nicht hinsichtlich solcher Schreiben, die dem Prozeßbevollmächtigten übersandt werden, nachdem er das Mandat bereits übernommen hat, auch wenn diese Schreiben für die Klageerhebung notwendige Informationen (z.B. das Zustellungsdatum der Einspruchsentscheidung) enthalten. In diesem Fall genügt es, daß der Steuerberater das Schreiben rechtzeitig zur Post gibt; eine Nachfragepflicht in bezug auf den Postzugang beim beauftragten Prozeßbevollmächtigten besteht nicht (Urteil in BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547, unter 3 c der Urteilsgründe; siehe auch BGH-Beschluß vom 29.März 1982 II ZB 2/82, Versicherungsrecht --VersR-- 1982, 655; zur Sorgfaltspflicht bei der Ermittlung und Weitergabe der Angaben über das Zustellungsdatum vgl. im übrigen BGH-Beschluß in NJW 1985, 1709, AnwBl 1985, 519).
Für die Anwendung dieser Grundsätze kommt es nicht darauf an, ob die Beauftragung des Prozeßbevollmächtigten im Auftrag des Steuerpflichtigen oder --ohne einen solchen ausdrücklichen Auftrag-- durch den Steuerberater selbst erfolgt. Der IV. Senat des BFH hat im Urteil in BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547 zwar dahinstehen lassen, welche Pflichten dem in einem Beratungsverhältnis stehenden Steuerberater obliegen, der selbst einem Anwalt den Auftrag zur Prozeßvertretung in einem finanzgerichtlichen Verfahren überträgt. Der erkennende Senat sieht jedoch keine Grundlage für eine Differenzierung, denn in beiden Fällen muß sichergestellt werden, daß der beauftragte Rechtsanwalt insbesondere bereit ist, das Mandat zu übernehmen.
2. Für den Streitfall folgt hieraus, daß das FG dem Kläger zu Recht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat, weil Steuerberater D es schuldhaft versäumt hat, den Eingang seines Schreibens vom 15.Oktober 1984 bei Rechtsanwalt E zu kontrollieren.
Der Senat entnimmt den Ausführungen des FG, daß Rechtsanwalt E im Zeitpunkt der Absendung des Schreibens vom 15.Oktober 1984 noch nicht mit der Wahrnehmung der Prozeßvertretung des Klägers in der Sache wegen Umsatzsteuer 1979 bis 1981 betraut war. Eine entsprechende Sachverhaltsrüge hat der Kläger nicht erhoben. Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel ist dagegen nicht entscheidungserheblich. Er geht dahin, daß das FG außer Betracht gelassen habe, Steuerberater D habe im vorliegenden Verfahren davon ausgehen können, daß sein Schreiben von der Post ordnungsgemäß befördert und zugestellt würde, weil er Rechtsanwalt E in zwei anderen Streitsachen des Klägers bereits früher Auftrag zur Klageerhebung erteilt habe und jener auch rechtzeitig Klage erhoben habe. Selbst wenn das FG dies festgestellt hätte, ergäbe sich daraus nicht, daß den Steuerberater D keine Kontrollpflicht getroffen hätte und daß Rechtsanwalt E den Auftrag angenommen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 62310 |
BStBl II 1988, 546 |
BFHE 152, 423 |
BFHE 1988, 423 |
BB 1988, 1594-1594 (L1-2) |
DStR 1988, 509 (ST1-2) |
HFR 1988, 457 (LT1-2) |