Leitsatz (amtlich)
Der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus, der nach schuldrechtlicher Überlassung der Wohnung an eine unterhaltsberechtigte Person vom Eigentümer zu versteuern ist (BFH-Urteil vom 11. April 1978 VIII R 164/77, BFHE 125, 155, BStBl II 1978, 493), ist nach der Einfamilienhaus-Verordnung zu ermitteln (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG 1971 § 21 Abs. 2, § 12 Nr. 2; EinfHaus-VO §§ 1-2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger hat eine ihm gehörige Eigentumswohnung aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung unentgeltlich seinem Vater zur Nutzung überlassen.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 1973 gaben die Kläger den nach der Einfamilienhaus-Verordnung (EinfHaus-VO) errechneten Nutzungswert dieser Eigentumswohnung mit 318 DM (3,5 v. H. des Einheitswerts von 9 100 DM) an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Anwendung der Einfamilienhaus-Verordnung ab, weil der Kläger als Eigentümer die Wohnung nicht selbst bewohne. Dementsprechend setzte das FA einen durch den Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelten Nutzungswert von 2 152 DM an.
Die mit Zustimmung des FA gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 erhobene Sprungklage hatte Erfolg, da das Finanzgericht (FG) die Anwendbarkeit der Einfamilienhaus -Verordnung bejahte.
Mit der wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 8 Abs. 2, § 12 Nr. 2, § 21 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Zur Begründung stützt es sich auf das BFH-Urteil vom 14. November 1969 VI R 72/68 (BFHE 97, 537, BStBl II 1970, 207). Weiterhin vertritt es die Ansicht, daß zur Auslegung des § 21 Abs. 2, § 29 Abs. 3 EStG auch § 21 a EStG heranzuziehen sei, der mit Wirkung ab 1. Januar 1974 an die Stelle der bisherigen Einfamilienhaus-Verordnung getreten sei. Der darin verwendete Begriff der Selbstnutzung weise darauf hin, daß der Eigentümer die Wohnung selbst bewohnen müsse.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie sind der Ansicht, daß der Begriff der Selbstnutzung im Sinne des § 21 a EStG die unentgeltliche Nutzung der Wohnung durch Unterhaltsberechtigte einschließe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gehört nach der ersten Alternative des § 21 Abs. 2 EStG auch der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus. Dieser ist nach ständiger Rechtsprechung auch dann beim Eigentümer zu erfassen, wenn dieser die Wohnung durch schuldrechtlichen Vertrag ganz oder teilweise unentgeltlich an eine gegenüber ihm oder seinem Ehegatten unterhaltsberechtigte Person überlassen hat (vgl. BFH-Urteile vom 20. November 1973 VIII R 256/72, BFHE 110, 561, BStBl II 1974, 163, und vom 30. Januar 1974 I R 16/72, BFHE 111, 336, sowie zuletzt das Urteil vom 11. April 1978 VIII R 164/77, BFHE 125, 155, BStBl II 1978, 493). Das FG hat deshalb den Mietwert der dem Vater überlassenen Wohnung zutreffend dem Kläger zugerechnet.
2. Der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus ist nach den Vorschriften der Einfamilienhaus -Verordnung zu ermitteln (vgl. §§ 1, 2). Einfamilienhaus in diesem Sinne ist auch eine für Wohnzwecke genutzte Eigentumswohnung (§ 93, § 75 Abs. 5 des Bewertungsgesetzes - BewG -).
Im Urteil VI R 72/68 hat der BFH abweichend von der früheren Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis die Auffassung vertreten, daß die Einfamilienhaus-Verordnung nur anwendbar sei, wenn der Eigentümer die Wohnung selbst bewohne. Im Falle der unentgeltlichen Überlassung an eine unterhaltsberechtigte Person sei der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus demzufolge durch den Überschuß der in Anlehnung an § 8 Abs. 2 EStG zu schätzenden Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln. Nach erneuter Überprüfung hält der erkennende Senat die im Urteil VI R 72/68 zum Ausdruck gekommene Ansicht für nicht zutreffend.
Wortlaut wie Sinn und Zweck des Gesetzes Gebieten, die Einfamilienhaus-Verordnung anzuwenden. Die Einfamilienhaus -Verordnung enthält nicht das Merkmal, der Eigentümer müsse das Haus oder - bei entsprechender Anwendung ihrer Vorschriften auf Eigentumswohnungen - die Wohnung selbst bewohnen, sondern nur die Aussage, dem Eigentümer sei der Nutzungswert des Einfamilienhauses - bzw. der Eigentumswohnung - zuzurechnen.
Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Verordnung, dem Eigentümer, der keine tatsächlichen Mieteinnahmen hat, eine Ermittlung des Nutzungswerts zu ersparen und ihm eine pauschale Berechnung zuzubilligen, der das Prinzip der angemessenen Verzinsung des in dem Haus angelegten Kapitals zugrunde liegt. Insoweit macht es keinen Unterschied, ob der Eigentümer die Wohnung selbst bewohnt oder ob er sie in einer als Einkommensverwendung zu betrachtenden Weise einem Unterhaltsberechtigten überlassen hat. Es ist deshalb geboten, den Nutzungswert in beiden Fällen nach der Einfamilienhaus- Verordnung zu ermitteln (ebenso Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 23 b zu § 21 EStG; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., Anm. 20 a zu § 21 EStG; Nissen, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1971 S. 266; Vangerow, Steuer und Wirtschaft 1970 S. 527; Speich, Finanz-Rundschau 1970 S. 506; Beker, Zur Anwendung der Einfamilienhaus-Verordnung, Deutsches Steuerrecht 1970 S. 625). Die Gleichstellung beider Fälle entspricht auch dem Grundgedanken des § 12 Nr. 2 EStG. Nach dieser Vorschrift sind beim Zuwendenden die Einkünfte zu erfassen, die ohne Berücksichtigung der Zuwendung zu besteuern sind. Das ist aber der nach der Einfamilienhaus-Verordnung zu bemessende Nutzungswert, nicht dagegen der dem Empfänger tatsächlich zugewandte Wert (Nissen, a. a. O., S. 266; Speich, a. a. O., S. 506).
Der Anwendung der Einfamilienhaus-Verordnung steht nicht der durch das Vermögensteuerreformgesetz vom 17. April 1974 (BGBl I, 949) eingefügte und an die Stelle der Einfamilienhaus-Verordnung getretene § 21 a EStG entgegen. Der Senat kann dabei offenlassen, wie diese Vorschrift nach ihrem Wortsinn zu verstehen ist und ob und in welchem Umfang zu ihrer Auslegung auf die Vorstellungen des Gesetzgebers zurückzugreifen ist. Denn sie ist erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 1974 in Kraft getreten und enthält keine Regelung für die zurückliegenden Veranlagungszeiträume. Der Senat ist deshalb auch nicht gehindert, eine für die Vergangenheit als unzutreffend erkannte Gesetzesauslegung aufzugeben und zur früheren Rechtsprechung zurückzukehren.
Eine Anrufung des Großen Senats des BFH wegen beabsichtigter Abweichung von der Rechtsprechung des VI. Senats bedurfte es nicht, weil die Zuständigkeit zur Entscheidung der vorliegenden Rechtsfrage auf den erkennenden Senat geschäftsplanmäßig übergegangen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 72942 |
BStBl II 1979, 17 |
BFHE 1979, 13 |