Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufteilung der Einkommensteuerschuld nach Zusammenveranlagung
Leitsatz (NV)
Ein Antrag auf Aufteilung der gegen zusammenveranlagte Ehegatten festgesetzten Einkommensteuer kann auch dann gestellt werden, wenn die Vollziehung des Einkommenssteuerbescheids nach vollständiger Tilgung des geschuldeten Steuerbetrags ganz oder teilweise wieder aufgehoben wurde.
Normenkette
AO 1977 §§ 44, 155 Abs. 3 n. F, Abs. 2 a. F, §§ 254, 268-269, 327; EStG § 26b; FGO § 69; GG Art. 6 Abs. 1; AO § 210 Abs. 2, § 326 Abs. 3 Nr. 2, § 381; StAnpG § 7; AufteilV § 1 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine von ihm in 1975 geschiedene Ehefrau wurden für die Streitjahre 1966 und 1967 im Jahre 1968 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Einkommensteuerschulden daraus sind (zum Teil durch Vollstreckung) bis August 1969 getilgt worden.
Im Rahmen von Auseinandersetzungen mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) über die Gewinnfeststellung einer Kommanditgesellschaft, deren persönlich haftende Gesellschafterin die (in 1975 geschiedene) Ehefrau des Klägers war, wurde die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1966 und 1967 am 12. Mai 1971 gegen Sicherheitsleistung zum Teil wieder aufgehoben, wobei das FA am 9. Juni 1971 an den Kläger und seine Ehefrau für 1966 1 334 DM und für 1967 15 326 DM auf ein Bankkonto überwies, das mit einem Sperrvermerk zugunsten des FA versehen war.
Am 6. August 1973 beantragte der Kläger die Aufteilung der Einkommensteuerschulden 1966 und 1967 gemäß § 7 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Das FA wies diesen Antrag am 27. Mai 1974 als unzulässig zurück, weil die rückständigen Steuerschulden schon vollständig getilgt seien.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Ablehnungsbescheids vom 27. Mai 1974 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 1981 das FA zu verpflichten, einen Bescheid über die Aufteilung der Einkommensteuerschulden 1966 und 1967 zu erteilen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Verpflichtung des FA, die begehrte Aufteilung vorzunehmen.
I. Es kann dahingestellt bleiben, ob oder wie sich die Klage erledigt hat, soweit sie ursprünglich durch die Prozeßbevollmächtigten zugleich im Namen der geschiedenen Ehefrau des Klägers erhoben wurde. Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist allein das angefochtene, den Kläger betreffende Urteil des Finanzgerichts (FG).
Jedenfalls stellt die unterlassene Beiladung der geschiedenen Ehefrau des Klägers keinen Verfahrensverstoß gegen § 60 Abs. 3 FGO dar, und zwar ungeachtet der Frage ihrer Klägereigenschaft. Gegen die Bescheide über die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer kann jeder Ehegatte unabhängig vom anderen vorgehen; selbst bei einer Klage beider Ehegatten wäre nur eine subjektive Klagehäufung ohne Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung gegeben (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Oktober 1986 IX R 125/86, BFH/NV 1987, 784, m. w. N.).
II. Zu Unrecht haben FG und FA den Antrag des Klägers auf Aufteilung der gegen ihn und seine (geschiedene) Ehefrau aufgrund der Zusammenveranlagung (§ 26 b des Einkommensteuergesetzes - EStG -) als Gesamtschuldner (§§ 44, 155 Abs. 3 n. F., Abs. 2 a. F. der Abgabenordnung - AO 1977 -, § 7 StAnpG, § 210 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -) festgesetzten Einkommensteuern 1966 und 1967 als unzulässig angesehen.
Die Aufteilung kann nur begehrt werden in Form eines Antrags auf Beschränkung der Vollstreckung jeweils auf den Steuerbetrag, der sich bei einer Aufteilung der Steuern ergibt (§ 268 AO 1977, § 7 Abs. 3 Satz 3 StAnpG). Nach vollständiger Tilgung der rückständigen Steuer ist der Antrag nicht mehr zulässig (§ 269 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, § 1 Abs. 2 Satz 2 der Aufteilungsverordnung - AufteilV -).
1. Zwar waren im Streitfall die rückständigen Steuern 1966 und 1967 bis 1969 bereits vollständig getilgt worden. Jedoch wurde die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide in 1971 gemäß § 69 FGO teilweise wieder aufgehoben.
Vollziehung im Sinne dieser Vorschrift ist jedes Gebrauchmachen von den Wirkungen eines Verwaltungsakts; dazu gehört auch das Leistungsgebot (§ 254 AO 1977, § 326 Abs. 3 Nr. 2 AO) im Steuerbescheid. Entsprechend bedeutet ,,die Vollziehung aussetzen", daß die Wirkungen des Bescheids aufgehoben werden (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 69 FGO Tz. 13). Die Aufhebung der Vollziehung verpflichtet die Behörde, den Zustand wiederherzustellen, der vor der Vollziehung bestand; insbesondere ist die bereits gezahlte Steuer zurückzuerstatten. Daraus ergibt sich, daß nach Aufhebung der Vollziehung im Jahre 1971 die Tilgung der Einkommensteuer 1966 und 1967 teilweise rückgängig gemacht wurde. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Aufhebung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung angeordnet wurde; denn die bei späterem Unterliegen des Steuerpflichtigen zu erwartende Verwertung der Sicherheit ist Teil des Vollstreckungsverfahrens (vgl. § 327 AO 1977, § 381 AO; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 327 AO 1977 Anm. 2).
2. Der Kläger hat sein Antragsrecht nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwirkt.
a) Das Antragsrecht des § 269 AO 1977 (§ 7 StAnpG) ist nicht befristet. Es wird zwar zweckmäßigerweise alsbald nach dem Zugang des Leistungsgebots ausgeübt. Der Antrag kann aber auch noch zu einem späteren Zeitpunkt bis zur vollständigen Tilgung der Steuerschuld gestellt werden, d. h. hier, bis zur Verwertung der Sicherheit nach vorheriger Bekanntgabe der Verwertungsabsicht (§ 327 Satz 3 AO 1977, § 381 Satz 3 AO).
b) Häufig wird sich die Notwendigkeit einer Aufteilung der Steuerschuld erst später ergeben, vor allem dann, wenn sich vor der Tilgung der Steuerschuld die Vermögensverhältnisse eines Ehegatten erheblich verschlechtern oder wenn - wie im Streitfall - die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft durch Scheidung oder Getrenntleben aufgehoben wird. Dem Steuerpflichtigen, der erst bei einer derartigen Änderung der Verhältnisse einen Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld stellt, kann nicht vorgeworfen werden, er handele treuwidrig.
c) Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Vorschriften über die Aufteilung der Steuerschuld von zusammenveranlagten Ehegatten dem verfassungsrechtlichen Verbot einer Benachteiligung von Ehegatten (Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) Rechnung tragen und Härten vermeiden sollen, denen sich ein nicht unter die Zusammenveranlagung fallender Steuerpflichtiger nicht ausgesetzt sieht (Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Februar 1961 1 BvL 29/57, 20/60, BVerfGE 12, 151, 173 ff., BStBl I 1961, 55, 61 f., unter D II. 5; Hübschmann / Hepp / Spitaler, a. a. O., Vorbem. 2 zu §§ 268-280 AO 1977). Diese Härten entstehen aber vor allem dann, wenn der zu vollstreckende Steuerbetrag den Steuerbetrag, der dem Anteil des steuerpflichtigen Ehegatten am zusammenveranlagten Einkommen entspricht, übersteigt und wenn dieser den ihm gegen den anderen Ehegatten zustehenden Ausgleichsanspruch nach § 426 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) - wie möglicherweise im Streitfall nach Konkurs der Ehefrau - nicht oder kaum verwirklichen kann (Hübschmann / Hepp / Spitaler, a. a. O., Koch in Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1963, 357, 358).
3. Im vorliegenden Verfahren ist nicht darüber zu befinden, inwieweit die Sicherheit von dem einen oder dem anderen Ehegatten geleistet worden ist. Ebenso kann hier offenbleiben, ob das FA sie zur Absicherung der Steuerschulden beider Ehegatten erlangt hat oder ob insoweit eine andere Sicherungsabrede getroffen wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 416376 |
BFH/NV 1989, 755 |