Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer im Konkurs der Organgesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft kann auch dann vorliegen, wenn der Organschaftsvertrag nicht im Handelsregister eingetragen ist.
2. Der Vorsteuerrückforderungsanspruch gegen den Organträger, der auf der Uneinbringlichkeit der Entgelte infolge einer Konkurseröffnung bei der Organgesellschaft beruht, entsteht erst nach Eröffnung des Konkurses. Dasselbe gilt für den korrespondierenden Haftungsanspruch gegen die Organgesellschaft. Er ist deshalb keine betagte Forderung i. S. des § 65 KO und nicht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO bevorrechtigt.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 17; KO §§ 3, 61 Abs. 1 Nr. 2, § 65
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der Z-GmbH (Gemeinschuldnerin). Das Konkursverfahren ist am 22. Dezember 1982 eröffnet worden.
Die Gesamtschuldnerin war seit 1977 in die . . . Holding-GmbH (im folgenden: Holding-GmbH) eingegliedert. Über das Vermögen der Holding-GmbH war am 10. Januar 1983 der Konkurs eröffnet worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ging davon aus, daß zwischen der Gemeinschuldnerin und der Holding-GmbH eine Organschaft bestanden habe und daß die Gemeinschuldnerin für die durch ihren Betrieb veranlaßte Umsatzsteuer nach § 73 der Abgabenordnung (AO 1977) hafte.
Die bei Konkurseröffnung noch offenstehenden Umsatzsteuerschulden der Holding-GmbH ermittelte es in Abstimmung mit dieser wie folgt:
Umsatzsteuer Juli bis September 1982 … DM
Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 … DM
Diesen Schulden stand ein Umsatzsteuerguthaben der Holding-GmbH aus dem Jahre 1981 und eine Sondervorauszahlung für 1982 von . . . DM gegenüber.
Bei der Zurechnung der verbleibenden Umsatzsteuerschuld auf die einzelnen Organgesellschaften verteilte das FA die für 1982 geleistete Sondervorauszahlung und das Umsatzsteuerguthaben aus dem Jahre 1981 nach dem Verhältnis der Jahresumsätze, die die einzelnen Gesellschaften im Jahre 1982 getätigt hatten. Den Vorsteuerrückforderungsanspruch verteilte es auf die Gesellschaften nach den bei ihnen offenstehenden Verbindlichkeiten aus Warenlieferungen und Leistungen.
So errechnete das FA den Haftungsanspruch gegen die Gemeinschuldnerin wie folgt:
auf Gemeinschuldnerin entfallende Umsatzsteuer für Juli bis September 1982 … DM
+ auf Gemeinschuldnerin entfallende Vorsteuerberichtigung nach § 17 UStG … DM
./. anteiliges Guthaben aus der Umsatzsteuervorauszahlung … DM
./. anteiliges Umsatzsteuerguthaben 1981 … DM
auf Gemeinschuldnerin entfallender Betrag … DM
davon rückständig … DM
Haftungsschuld …. DM
Es meldete diese Haftungsforderung im Konkurs der Gemeinschulderin als bevorrechtigt an. Nachdem der Kläger im Prüfungstermin der angemeldeten Forderung auch hinsichtlich des Vorrechts widersprochen hatte, erließ das FA am 10. Januar 1985 einen Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977, in dem es eine Konkursforderung wegen Haftung für Umsatzsteuer 1982 in Höhe von . . . DM und dafür ein Konkursvorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 der Konkursordnung (KO) feststellte.
Einspruch und Klage gegen diesen Bescheid hatten keinen Erfolg.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, es liege überhaupt keine Organschaft vor. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1988 II ZB 7/88 (BGHZ 105, 324) neue Grundsätze für die Wirksamkeit von Organschaftsverträgen aufgestellt. Danach bedürfe es für die Wirksamkeit von Organschaftsverträgen der Eintragung im Handelsregister. Eine derartige Eintragung sei im Streitfall nicht erfolgt. Im übrigen sei zu prüfen, ob der Haftungsanspruch des FA gegenüber der Gemeinschuldnerin eine bevorrechtigte Konkursforderung sei, obwohl die ursprünglich bestehende Steuerschuld die Steuerschuld eines Dritten sei. Des weiteren stelle sich die Frage, ob die Steuerschuld der Holding-GmbH, die nach erfolgter Berichtigung nach § 17 Abs. 2 UStG 1980 entstanden sei, bei der haftenden Gemeinschuldnerin bevorrechtigte Konkursforderung sein könne. Der Haftungsgrund sei erst infolge des Konkurses der Holding-GmbH entstanden, da erst in diesem Zeitpunkt die Vorsteuerberichtigung nach § 17 UStG 1980 vorgenommen worden sei. Die Gemeinschuldnerin könne nicht zulassen, daß ihre eigenen Gläubiger diese zusätzliche Last trügen. Ihre Inanspruchnahme als Haftungsschulderin sei ermessenswidrig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Nach § 73 Satz 1 AO 1977 haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich (§ 73 Satz 2 AO 1977).
Die Gemeinschuldnerin war Organgesellschaft der Holding-GmbH, da die Tatbestandsmerkmale für eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 erfüllt sind. Die Gemeinschuldnerin war eine juristische Person. Das FG ist unwidersprochen davon ausgegangen, daß sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der Holding-GmbH eingegliedert war. An diese Sachverhaltsfeststellung des FG ist der Senat gebunden.
Die Grundsätze des Urteils des BGH vom 24. Oktober 1988 II ZB 7/88 (BGHZ 105, 324) stehen der Annahme einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nicht entgegen. Sie betreffen Unternehmensverträge i. S. der §§ 293 f. des Aktiengesetzes (AktG) und nicht die umsatzsteuerrechtliche Organschaft. Diese wird in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 selbständig definiert, ohne auf verwandte Institutionen in anderen Rechtsgebieten zu verweisen.
2. Da § 73 AO 1977 die Haftung der Organgesellschaft ausdrücklich vorsieht, ist es auch nicht ermessenswidrig, daß das FA von dieser Vorschrift Gebrauch gemacht hat und die Gemeinschuldnerin als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen hat. Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 UStG 1980 nicht infolge des Konkurses der Holding-GmbH, sondern infolge des Konkurses der Gemeinschuldnerin entstanden. Der Vorsteuerrückforderungsanspruch hat seinen Grund darin, daß das vereinbarte Entgelt für an die Gemeinschuldnerin erbrachte steuerpflichtige Lieferungen oder sonstige Leistungen uneinbringlich geworden ist. Es ist deshalb sachgerecht, wenn die Gemeinschuldnerin für den daraus resultierenden Vorsteuerrückforderungsanspruch haftet.
3. Der vom FA geltend gemachte Haftungsanspruch betrifft im wesentlichen diesen Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 UStG 1980. Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausführungen des FG waren die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Juli bis September 1982 vor dem Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 UStG 1980 fällig. Mangels abweichender Bestimmungen des FA sind sie deshalb auch durch die Verrechnung mit dem Umsatzsteuerguthaben 1981 und der Sondervorauszahlung 1982 zuerst getilgt worden (§ 225 Abs. 2 AO 1977). Somit verbleibt bei der Holding-GmbH eine Umsatzsteuer-Vorauszahlungsschuld für Juli bis September 1982 von . . . DM. Entsprechend mindert sich auch der Haftungsanspruch gegen die Gemeinschuldnerin für Umsatzsteuer Juli bis September 1982 auf . .. DM.
Hinzu kommt die Haftung für den Vorsteuerrückforderungsanspruch von . . . DM.
Da der Haftungsanspruch für beide Steuerschulden gleichzeitig fällig geworden ist, das FA aber insgesamt lediglich einen Haftungsanspruch von . . . DM geltend macht, hat das FA zu bestimmen, inwieweit der Haftungsanspruch auf die Umsatzsteuer für Juli bis September 1982 und den Vorsteuerrückforderungsanspruch entfallen soll. Da das FA für den gesamten Haftungsanspruch den Konkursvorrang nach § 61 Nr. 2 KO geltend gemacht hat, ist davon auszugehen, daß der Haftungsanspruch in erster Linie die Steuerforderungen betreffen soll, die den Konkursvorrang nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO begründen. Dieser Konkursvorrang ist nur für die Umsatzsteuervorauszahlungen Juli bis September 1982 - also für . . . DM - begründet (vgl. unten 6.).
4. Das FA hat den Haftungsanspruch zu Recht als Konkursforderung geltend gemacht und die Konkursforderung durch schriftlichen Verwaltungsakt festgestellt (§ 251 Abs. 3 AO 1977).
Der Haftungsanspruch war gemäß § 3 KO zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens begründet; er war deshalb auch Konkursforderung i. S. des § 251 Abs. 3 AO 1977.
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, war der Haftungsanspruch gleichzeitig mit dem Steueranspruch gegen den Organträger begründet, für den die Gemeinschuldnerin haftet. Bei Eröffnung des Konkursverfahrens (am 22. Dezember 1982) war nicht nur die Umsatzsteuer für die Umsätze aus den Monaten Juli bis September 1982, sondern auch der Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 UStG 1980 begründet. Zu dieser Zeit ist nämlich das vereinbarte Entgelt für die steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen, die zum Vorsteuerabzug führten, uneinbringlich geworden (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 UStG 1980, Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, m.w.N.).
5. Soweit die Gemeinschuldnerin für die Vorsteuerrückforderung nach § 17 UStG 1980 haftet, ist die Konkursforderung nicht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO bevorrechtigt. Wie der BFH mittlerweile entschieden hat (Urteil vom 16. Juli 1987 V R 80/82, BFHE 150, 211, BStBl II 1987, 691), ist der Anspruch des FA auf Rückforderung von vor Konkurseröffnung abgezogenen Vorsteuerbeträgen nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 UStG 1980, der auf der Uneinbringlichkeit der Entgelte infolge der Konkurseröffnung beruht, eine Konkursforderung, der das Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO nicht zukommt. Ihr kommt dieser Vorrang nicht zu, weil sie erst nach Eröffnung des Konkurses fällig geworden ist und auch keine betagte Forderung i. S. des § 65 KO ist. Sie ist keine betagte Forderung i. S. des § 65 KO, weil sie erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entstanden ist, in dem sich die Bemessungsgrundlage geändert hat.
Die Sachverhaltsfeststellungen des FG bieten keine Anhaltspunkte dafür, daß das Entgelt für die steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen bereits vor der Eröffnung des Konkurses der Gemeinschuldnerin i. S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980 uneinbringlich geworden ist. Insofern betreffen die im Schrifttum erwähnten Bedenken der Finanzverwaltung gegen das BFH-Urteil in BFHE 150, 211, BStBl II 1987, 691 den Streitfall so, wie er sich nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des FG für den BFH darstellt, nicht (vgl. zu diesen Bedenken Wilke, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1990, 264/330).
Da Vorsteuerrückforderungsanspruch und Haftungsanspruch korrespondieren, entsteht auch der Haftungsanspruch für die Vorsteuerrückforderung erst nach Eröffnung des Konkurses. Er ist deshalb keine betagte Forderung i. S. des § 65 KO und nicht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO bevorrechtigt.
6. Soweit der Gemeinschuldner für die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Juli bis September 1982 als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, liegen die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO vor. Insoweit ist der Haftungsanspruch eine betagte Forderung i. S. des § 65 KO. Er ist mit Ablauf der Voranmeldungszeiträume Juli bis September 1982 entstanden und mit Erlaß des angefochtenen Bescheids fällig geworden. Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 61 Nr. 2, § 65 KO erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 1989 VII R 152/85, BFHE 156, 73, BStBl II 1990, 363).
Fundstellen
Haufe-Index 417746 |
BFH/NV 1992, 140 |