Leitsatz (amtlich)
Zur Erhebung des Beweises durch Sachverständige genügt die Anordnung schriftlicher Begutachtung. Will jedoch ein Beteiligter dem Sachverständigen Fragen stellen lassen und verlangt er zu diesem Zweck dessen Ladung zur mündlichen Verhandlung, so muß das FG diesem Antrag entsprechen.
Normenkette
FGO § 82; ZPO § 411 Abs. 1, §§ 402, 397
Tatbestand
Nach den Feststellungen des FG genoß der im Jahre 1928 geborene Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger) eine Ausbildung als graphischer Zeichner, Retuscheur, Schriftgraphiker, Maler und Graphiker. In den Jahren 1947 bis 1957 war er bei mehreren Kunstanstalten, in einer Spezialdruckerei und in einem Betrieb für medizinische Ausrüstung als Graphiker beschäftigt. Von 1957 bis 1963 betätigte er sich in seinem Fach freiberuflich.
In den Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1958 bis 1960 berechnete der Steuerpflichtige die Umsatzsteuer je unter Abzug eines Freibetrags von 18 000 DM gemäß § 4 Nr. 17 UStG 1951 mit der Begründung, daß es sich um Umsätze aus einer Tätigkeit als Künstler gehandelt habe. Da der Steuerpflichtige den angeforderten Nachweis seiner Künstlereigenschaft nicht erbrachte, veranlagte ihn das FA durch Bescheid vom 18. Juli 1962 mit seinen vollen Umsätzen lediglich unter Berücksichtigung des Freibetrags nach § 7a UStG 1951 zur Umsatzsteuer,...
Der Einspruch und die Klage gegen diese Bescheide blieben ohne Erfolg. Das FG hat zur Begründung des nach mündlicher Verhandlung ergangenen klageabweisenden Urteils im wesentlichen folgendes ausgeführt: Nach den in den Entscheidungen des BFH V 96/59 S vom 11. Juli 1960 (BFH 71, 549, BStBl III 1960, 453) und V 162/63 vom 29. Juli 1965 (HFR 1966, 34) aufgestellten Beurteilungsmaßstäben könne die Tätigkeit, auf der die strittigen Umsätze beruhten, nicht als solche eines Künstlers beurteilt werden. Diese Auffassung stütze sich auf die gutachtlichen Äußerungen des Sachverständigen B. Dieser als Lehrer an der Werkkunstschule H tätige Experte habe zunächst an Hand von 45 Arbeiten des Steuerpflichtigen aus den Veranlagungszeiträumen unter Darlegung einzelner Beurteilungsmerkmale von bestimmt bezeichneten Arbeiten diesen Erzeugnissen in ihrer Gesamtheit den Charakter eigenschöpferischer, künstlerischer Qualität eindeutig abgesprochen. Nach Vorlage weiterer 66 Arbeiten des Steuerpflichtigen habe er allerdings in einem Ergänzungsgutachten eingeräumt, diese Arbeiten seien "auf der Basis eigenschöpferischer Anordnung von Gestaltungselementen" entstanden, entsprächen "ganz allgemein einem viel höheren Anspruchsniveau" und seien geeignet, "das erste Gutachten vom 16. September 1965 über die Künstlereigenschaft des Klägers in entscheidender Weise zu beeinflussen". Mit dem Ergänzungsgutachten habe der Sachverständige das erste Gutachten nicht widerrufen; er sei auch nirgends zur Anerkennung einer gewissen künstlerischen Gestaltungshöhe gelangt. Schließlich seien von den 66 später vorgelegten Arbeiten mindestens 33 nicht Gegenstand von Umsätzen oder jedenfalls nicht solcher in den betreffenden Veranlagungszeiträumen gewesen. Von der anderen Hälfte seien nur sieben im zweiten Gutachten besonders erwähnt. Unter allen diesen Gesichtspunkten gelange das FG aufgrund der gutachtlichen Äußerungen und in Anbetracht der vom BFH (V 96/59, a. a. O.) aufgestellten Forderung eines strengen Maßstabs zu der Überzeugung, daß der Steuerpflichtige im ganzen gesehen nicht eigenschöpferisch und nicht auf der Ebene einer gewissen künstlerischen Gestaltungshöhe gearbeitet habe und deshalb nicht als "Künstler" im Sinne des § 4 Nr. 17 UStG 1951 beurteilt werden könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Steuerpflichtigen. Das Rechtsmittel ist vor allem auf die Verfahrensrüge gestützt, das Gericht habe dem ausdrücklichen Antrag des Steuerpflichtigen vom 14. Juli 1966 zuwider den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 1960 nicht gehört. Zur Begründung dieser Rüge führt der Steuerpflichtige sinngemäß aus: Das FG sei verpflichtet gewesen, dem Antrag auf Ladung des Sachverständigen zu folgen, wenn es das Ergänzungsgutachten nicht habe anerkennen wollen. Das Ergänzungsgutachten lasse deutlich einen Meinungsumschwung des Gutachters erkennen und spreche - im Gegensatz zum Hauptgutachten - den Arbeiten des Steuerpflichtigen im ganzen die künstlerische Qualität zu. Wenn das FG trotzdem geglaubt habe, dem Hauptgutachten das entscheidende Gewicht einräumen zu müssen, so habe dies nicht ohne weitere Aufklärung durch die persönliche Anhörung des Sachverständigen geschehen dürfen. Dazu hat der Prozeßbevollmächtigte des Steuerpflichtigen versichert, er habe in der mündlichen Verhandlung das Versäumnis des Gerichts ausdrücklich bemängelt und einen Verzicht auf die Anhörung nicht ausgesprochen. Im übrigen rügt der Steuerpflichtige die Verletzung von Denkgesetzen bei der Verwertung der gutachtlichen Äußerungen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Verfahrensrüge greift durch; die Revision ist deshalb begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach § 82 FGO hat das FG eine Beweisaufnahme unter sinngemäßer Anwendung der in dieser Vorschrift angeführten Bestimmungen der ZPO durchzuführen. Die Regelung des Beweises durch Sachverständige in den §§ 402 bis 414 ZPO ist danach ohne Einschränkung heranzuziehen. Nach § 411 Abs. 1 ZPO ist es zwar zulässig, den Sachverständigenbeweis durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens ohne Anhörung des Sachverständigen zu erheben. Beantragt aber ein Beteiligter - wie hier der Steuerpflichtige durch Schriftsatz vom 14. Juli 1966 - vor der mündlichen Verhandlung ausdrücklich, den Sachverständigen zu laden und ergibt sich aus dem Antrag, daß die Anwesenheit des Sachverständigen im Termin der Befragung dienen soll, so muß das Gericht dem Antrag stattgeben (Entscheidungen des BGHZ Bd. 6 S. 398; Bd. 24 S. 14; Bd. 35 S. 370). Diese Pflicht des Gerichts beruht auf der nach § 82 FGO, §§ 402, 397 ZPO den Beteiligten zustehenden prozessualen Befugnis, dem Sachverständigen Fragen vorlegen zu lassen. Daß eine solche Befragung das mit dem Antrag auf Ladung des Sachverständigen verbundene Anliegen des Steuerpflichtigen war, konnte das FG deutlich aus der Begründung des Antrags vom 14. Juli 1960 ersehen. Der Steuerpflichtige hat nämlich gebeten, dem Gutachter die Einlassung des Beklagten (FA) vom 13. Juli 1966 auf die gutachtlichen Äußerungen zuzuleiten, damit sich der Sachverständige auf die Auseinandersetzung in der mündlichen Verhandlung vorbereiten könne.
Eine Verwirkung der Verfahrensrüge gemäß § 155 FGO, § 295 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor. Nach den Grundsätzen des Urteils des BVerwG vom 12. Februar 1959 III C 133.57 (Entscheidungen des BVerwG 8, 149) kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Bestimmung, auf deren Befolgung verzichtet werden kann, im Verwaltungs-(Finanz-)Prozeß unter anderem dann nicht mehr revisionsrechtlich gerügt werden, wenn es der Revisionskläger unterlassen hat, vor Abschluß der Instanz des FG dort um Abhilfe nachzusuchen. Der Senat ist nach den Darlegungen des Prozeßbevollmächtigten aber überzeugt, daß der Steuerpflichtige in der mündlichen Verhandlung vor dem FG auf die Anhörung des Sachverständigen Wert gelegt hat.
Da das Urteil des FG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 68991 |
BStBl II 1970, 460 |
BFHE 1970, 467 |