Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Auf Gehaltsnachzahlungen kommt die Vergünstigungsvorschrift des § 34 Abs. 3 EStG 1955 zur Anwendung, wenn die Gehaltsnachzahlung mehrere Kalenderjahre (Veranlagungszeiträume) betrifft. Es kommt nicht darauf an, ob die Tätigkeit, für die eine nachträgliche Vergütung gezahlt wird, sich über einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten erstreckt hat. Soweit der Reichsfinanzhof im Urteil VI A 1961/30 vom 25. März 1931 (RStBl 1931 S. 318) eine andere Auffassung vertreten hat, tritt der Senat ihr nicht bei.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 3, § 46/1/5/a, § 46/2/8/a
Tatbestand
Der Bf. ist Richter. Am 4. April 1955 trat er in den Staatsdienst ein. Nach einem Streit über sein Vergütungsdienstalter (Anrechnung von Kriegsdienstzeiten) wurde dieses im Januar 1956 gegenüber dem bisher festgesetzten um rund sieben Jahre verbessert. Das hatte zur Folge, daß der Bf. im Februar 1956 eine Gehaltsnachzahlung von 2.195,13 DM erhielt, wovon 1.966,47 DM auf die Zeit vom 4. April bis 31. Dezember 1955 entfielen. Der auf 1955 entfallende Betrag wurde gemäß Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 1 LStR 1955 unter Verteilung auf das ganze Kalenderjahr der Lohnsteuer unterworfen.
Den Antrag des Bf., gemäß Abschn. 52 Abs. 5 LStR 1955 eine Verteilung der Nachzahlung auf mehrere Jahre entsprechend der Vorschrift des § 34 Abs. 3 EStG 1955 vorzunehmen, lehnte das Finanzamt (Lohnsteuerstelle) ab und teilte dem Bf. mit Schreiben vom 26. November 1956 mit, daß eine Aufteilung der Gehaltsnachzahlung auf die Jahre 1955 und 1956 nur im Wege der Einkommensteuer-Veranlagung gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 5 a EStG 1955 möglich sei; die Veranlagung werde der Veranlagungsbezirk Anfang 1957 vornehmen. Nachdem der Bf. eine Einkommensteuer-Erklärung für 1956 abgegeben hatte, mit der er auch bisher noch nicht berücksichtigte Sonderausgaben geltend machte, lehnte das Finanzamt die Veranlagung ab; die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 EStG 1955 seien nicht erfüllt, weil die Nachzahlung für einen Zeitraum von nicht mehr als zwölf Monaten gewährt worden sei.
Der Einspruch und die Berufung hatten keinen Erfolg. Wie das Finanzamt ging auch das Finanzgericht davon aus, daß der Bf. sich nicht darauf berufen könne, es sei ihm die Gewährung einer Steuerermäßigung nach § 34 EStG im Wege der Veranlagung zugesagt worden. Eine solche Zusage sei im Schreiben vom 26. November 1956 nicht enthalten. Es könne auch nicht angenommen werden, daß, wie der Bf. behaupte, die Zusage von dem Beamten der Lohnsteuerstelle gegeben worden sei. Selbst wenn dies jedoch der Fall sei, so sei die Zusage nicht verbindlich. Die Veranlagung des Bf. mit dem Ziel, ihm die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG 1955 zuzubilligen, komme daher nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben seien. Das sei jedoch zu verneinen, da, wie auch der Reichsfinanzhof im Urteil VI A 1961/30 vom 25. März 1931 (RStBl 1931 S. 318) ausgesprochen habe, eine Tätigkeit sich nur dann über mehrere Jahre erstrecke, wenn sie länger als 12 Monate gedauert habe. § 34 Abs. 3 EStG 1955 diene nicht dazu, die progressive Auswirkung auch der kleinsten Nachzahlung auszugleichen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Steuerpflichtigen ist begründet.
Der Bf. begehrt gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 5 a EStG 1955 die Einkommensteuer-Veranlagung zur Anwendung des § 34 EStG. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Veranlagung nicht durchzuführen ist, wenn die Voraussetzungen des § 34 EStG nicht vorliegen. Im Streitfall war die Veranlagung bei Fehlen dieser Voraussetzungen auch nicht etwa im Hinblick auf die schriftliche äußerung der Lohnsteuerstelle des Finanzamts vom 26. November 1956 entgegen dem Gesetz durchzuführen. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beamte der Lohnsteuerstelle im Beisein des Sachbearbeiters der Veranlagungsstelle dem Bf. die Durchführung der Veranlagung und die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG 1955 zugesagt hat oder ob er nicht doch, wie das Finanzamt ausführt, lediglich zum Ausdruck bringen wollte, daß die ganze Streitfrage nicht im Lohnsteuerverfahren, sondern im Veranlagungsverfahren zu prüfen sei. Jedenfalls liegt eine das Finanzamt bindende Zusage nicht vor (vgl. hierzu im einzelnen die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 62/59 S vom 25. Oktober 1960, BStBl 1961 III S. 69 und VI 157/60 U vom 18. November 1960, BStBl 1961 III S. 141).
Im Streitfall ist der Bf. jedoch zu veranlagen, weil die Voraussetzungen des § 34 und des § 46 Abs. 1 Ziff. 5 a EStG 1955 gegeben sind. § 34 Abs. 3 EStG ab 1955 (vorher § 34 Abs. 4) begünstigt Einkünfte aus einer Tätigkeit, "die sich über mehrere Jahre erstreckt". Es fragt sich, ob eine Tätigkeit, "die sich über mehrere Jahre erstreckt", gleichbedeutend ist mit einer Tätigkeit, die länger als 12 Monate gedauert hat. Der Reichsfinanzhof hat dies im genannten Urteil VI A 1961/30, a. a. O., angenommen. Der Senat hat bereits in der Entscheidung VI 32/56 U vom 8. März 1957 (BStBl 1957 III S. 185, Slg. Bd. 64 S. 496) dargelegt, daß die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zu § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1934 (1939) nicht ohne weiteres auf § 34 Abs. 3 EStG 1955 (vor 1955 Abs. 4) übertragen werden kann, weil die Vergünstigung in § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1934 für die Einkünfte aus einer Tätigkeit, die sich über mehrere Jahre erstreckt, einen Sondertarif vorsah, während die jetzige Regelung lediglich eine Verteilung der Einkünfte auf die Jahre vorsieht, in die sie wirtschaftlich gehören. Der Wortlaut des Gesetzes mag eine Auslegung sowohl im Sinne der Vorinstanz als auch im Sinne des Bf. zulassen. Zu einem vernünftigeren und gerechteren Ergebnis gelangt man jedoch, wenn man mit dem Bf. davon ausgeht, daß die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 EStG 1955 gegeben sind, wenn die Nachzahlung mehrere Jahre im Sinne von Veranlagungszeiträumen betrifft, mag auch der Zeitraum von 12 Monaten nicht überschritten sein (Herrmann-Heuer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz, EStG § 34 Anm. 24; Lademann-Lenski-Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 34 S. 33; Kapp-Brockhoff, Besteuerung außerordentlicher Einkünfte nach § 34 EStG, S. 76; Krumsiek, Der Betriebs-Berater 1958 S. 222; anderer Ansicht Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., § 34 Anm. 9 b am Ende). Es handelt sich um zusammengedrängte Bezüge, die nicht auf Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruhen, sondern die der Bf. zwangsläufig hat hinnehmen müssen. Da die Nachzahlung mehrere Kalenderjahre betrifft, kann sich - gleichviel, ob die Nachzahlung sich auf einen Zeitraum von mehr oder weniger als 12 Monaten bezieht - eine Steuermehrbelastung ergeben, die bei von vornherein richtiger Gehaltsberechnung nicht entstanden wäre. Dem Bf., der den in der verspäteten Zahlung liegenden Nachteil hat in Kauf nehmen müssen, dazu noch eine höhere Steuerbelastung aufzubürden, wäre unbillig. In den EStR ist seit Jahren als ein Anwendungsfall des § 34 Abs. 3 (vor 1955 Abs. 4) EStG angeführt die Lohnnachzahlung "für eine Zeit, die vor dem Veranlagungszeitraum liegt" (vgl. zum Beispiel Abschn. 221 Abs. 2 Ziff. 2 a EStR 1951, Abschn. 161 Abs. 2 Ziff. 2 a EStR 1953, Abschn. 200 Abs. 2 Ziff. 2 a EStR 1955). Das aber ist beim Bf. der Fall. Auch in der Rechtsprechung wird zum Beispiel im Urteil VI 32/56 U (drittletzter Absatz), a. a. O., ausgesprochen, daß, wenn der Arbeitnehmer nicht das Gegenteil dartut, angenommen werden muß, "daß der Bezug mit dem Jahr zusammenhängt, in dem er ihm zufließt".
Im Streitfall ist dargetan, daß der Nachzahlungsbetrag mit dem Zuflußjahr nicht zusammenhängt. Der Bf. kann darum für die Gehaltsnachzahlungen die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG 1955 in Anspruch nehmen. Auch wenn sie sich auf einen Zeitraum von weniger als 12 Monaten beziehen, so sind sie doch Entgelt für eine Tätigkeit nicht nur des laufenden, sondern auch des Vorjahres, also für mehrere Jahre (Steuerabschnitte). Bei anderer Auslegung würde es von Zufälligkeiten abhängig sein, ob eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Besteuerung stattfindet.
Fundstellen
Haufe-Index 410101 |
BStBl III 1961, 399 |
BFHE 1962, 364 |
BFHE 73, 364 |