Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit eines Grundurteils nach § 99 FGO
Leitsatz (NV)
1. Das Fehlen der Voraussetzungen für den Erlaß eines Zwischenurteils i. S. des § 99 FGO ist von Amts wegen zu berücksichtigen.
2. Anspruch i. S. des § 99 FGO ist nicht der prozessuale Anspruch des Anfechtungsklägers, sondern der materielle Steueranspruch selbst.
3. Die Frage der umsatzsteuerlichen Steuerbarkeit betrifft nicht den Betrag, sondern den Grund des Anspruchs.
Normenkette
FGO § 99
Tatbestand
Der Kl. ist ein Lohnsteuerhilfeverein. Er leistet seinen Mitgliedern satzungsgemäß Hilfe in Lohnsteuersachen. Die Mitglieder zahlen einen Mitgliedsbeitrag in gleicher Höhe (im Streitjahr - 1971 -: . . . DM). Das FA sah die vom Kl. erhobenen Beiträge als Entgelt für Leistungen des Kl. in Gestalt von Beratung und Hilfe gegenüber seinen Mitgliedern an und zog den Kl. hierwegen zur Umsatzsteuer heran. Der Einspruch des Kl. blieb erfolglos. Im Verlaufe des anschließenden Klageverfahrens hat der Kl. - unter Aufrechterhaltung seiner Auffassung - eine Umsatzsteuererklärung 1971 abgegeben. Das FA hat hierauf mit einem berichtigten Umsatzsteuerbescheid 1971, der nochmals geändert worden ist, die Umsatzsteuer auf . . . DM festgesetzt. Wegen der Berichtigung hat der Kl. einen Antrag nach § 68 FGO gestellt.
Das FG hat durch Grundurteil (§ 99 FGO) dahin erkannt, daß die Klage dem Grunde nach abgewiesen wird, wobei die Kostenentscheidung dem Endurteil vorbehalten wurde. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, die Mitgliedsbeiträge stellten bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelte für steuerpflichtige Leistungen des Kl. an seine Mitglieder dar. Dem BFH werde darin gefolgt, daß ein Lohnsteuerhilfeverein Sonderbelange der Mitglieder wahrnehme, soweit er für die Mitglieder Anträge im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren oder im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren stelle oder die Mitglieder vor Finanzämtern und Finanzgerichten vertrete (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 9. Mai 1974 V R 128/71, BFHE 112, 430, BStBl II 1974, 530). Soweit der Kl. außerdem etwa Gesamtbelange der Mitglieder wahrnehme, sei ein Teil der Mitgliedsbeiträge von der Besteuerung auszunehmen, worüber im Betragsverfahren befunden werde.
Mit der - vom FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassenen - Revision beantragt der Kl., die angefochtene Entscheidung aufzuheben, hilfsweise, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache zurückzuverweisen. Er macht geltend, er erbringe seinen Mitgliedern gegenüber keine Leistungen gegen Entgelt. Die gegenteilige Annahme aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise sei unzulässig.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Kl. ist zulässig und begründet. Der Erlaß des Zwischenurteils (§ 99 FGO) war nicht zulässig.
1. Die Revision ist statthaft und auch sonst zulässig. Zu den Urteilen i. S. des § 115 Abs. 1 FGO, gegen die den Beteiligten die Revision zusteht, gehören Zwischenurteile aufgrund des § 99 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1980 I R 135/77, BFHE 131, 194, BStBl II 1980, 695 m.w.N.). Nicht weiter eingegangen zu werden braucht auf die Frage, ob der Wert des Streitgegenstandes die gesetzlich festgesetzte Grenze übersteigt (vgl. § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG);denn das FG hat die Revision zugelassen.
2. Der Kl. hat nicht gerügt, daß die angefochtene Entscheidung aufgrund des § 99 FGO nicht hätte ergehen dürfen. Dies hindert den Senat nicht daran, die Frage der Zulässigkeit der Vorentscheidung aufzugreifen. Das Fehlen der Voraussetzungen für den Erlaß eines Zwischenurteils i. S. des § 99 FGO ist von Amts wegen zu berücksichtigen (BFH-Urteil I R 135/77, a.a.O.).
3. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Zwischenurteils i. S. des § 99 FGO liegen nicht vor.
a) Nach der zitierten Vorschrift kann das Gericht durch Zwischenurteil dann über den Grund vorab entscheiden, wenn bei einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt der in § 348 AO 1977 bezeichneten Art der Anspruch nach Grund und Betrag strittig ist. § 99 FGO ist dem § 304 ZPO nachgebildet. Er soll wie diese Vorschrift der Prozeßwirtschaftlichkeit dienen. In Fällen mit Streit über Grund und Betrag des Anspruchs soll das Gericht, sofern es den Anspruch dem Grunde nach für berechtigt hält - anderenfalls wäre sogleich der Klage durch Endurteil stattzugeben (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1982 II R 1/81, BFHE 136, 506, BStBl II 1983, 25) -, nicht gezwungen sein, vor dem Erlaß einer Entscheidung Entscheidungsreife auch hinsichtlich des Betrages herbeizuführen, wenn in Betracht gezogen wird, daß im Revisionsverfahren der BFH das Bestehen des Anspruchs schon dem Grunde nach verneinen könnte. Um die unter solchen Umständen prozeßökonomisch unerwünschte alsbaldige Feststellung der Anspruchshöhe vermeiden zu können, gestattet es § 99 FGO dem Gericht, durch den Erlaß eines - der Wirkung nach ein Feststellungsurteil darstellenden - Grundurteils (vgl. § 318 ZPO i. V. m. § 155 FGO) auszusprechen, daß der Anspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist, und die Klärung der Anspruchshöhe dem anschließenden Betragsverfahren vorzubehalten.
b) Im Hinblick auf die Bindungswirkung eines Grundurteils für das Gericht (§ 318 ZPO i. V. m. § 155 FGO) müssen sämtliche den Anspruchsgrund betreffenden Streitpunkte erledigt werden (vgl. BFH-Urteil II R 1/81, a.a.O.). Ferner muß gewährleistet sein, daß nicht etwa in dem anschließenden Betragsverfahren aus Gründen, die die Anspruchshöhe betreffen, das Bestehen des Anspruchs verneint werden muß. Deshalb darf ein Grundurteil nur ergehen, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, daß der Anspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 99 FGO Rdnr. 3 m.w.Nachw.).
Anspruch i. S. des § 99 FGO ist nicht der prozessuale Anspruch des Anfechtungsklägers, mit dem dieser sich gegen den von der Finanzbehörde geltend gemachten Steueranspruch zur Wehr setzt, sondern der materielle Steueranspruch selbst (vgl. BFH-Urteil II R 1/81, a.a.O., m. w. Nachw.). Demzufolge ist die Frage, was zum Anspruchsgrund einerseits und was zur Anspruchshöhe andererseits gehört, nach den entsprechenden Bestimmungen des materiellen Steuerrechts zu beantworten.
c) Der Kl. streitet mit dem FA darüber, ob das FA mit dem gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid vom . . . zu Recht geltend macht, daß der Kl. die festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von . . . DM schulde. Dieser Betrag ergibt sich gemäß § 18 Abs. 1 i. V. m. § 16 Abs. 1 und 2 UStG 1967 sowie gemäß § 13 BerlinFG als Saldo aus der Jahressteuer für die - nach Ansicht des FA - vom Kl. erbrachten Lieferungen und sonstigen Leistungen i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 sowie aus den steuermindernden Posten der abziehbaren Vorsteuer (§ 15 UStG 1967) und des besonderen Kürzungsbetrages i. S. des § 13 BerlinFG (umgekehrte, verfahrensrechtlich unselbständige Steueransprüche - BFH-Urteil vom 19. Oktober 1978 V R 39/75, BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345; vgl. auch BFH-Urteil vom 27. Mai 1971 V R 109/70, BFHE 102, 440, BStBl II 1971, 649). Jeder dieser drei Posten hängt von der Verwirklichung tatbestandsmäßiger Voraussetzungen ab, die sich auf der Grundlage der Differenzierung durch § 99 FGO teils dem Grunde und teils dem Betrag des Anspruchs zuordnen lasse (z. B. dem Betrag: die Regelung der Höhe von Bemessungsgrundlagen sowie von Steuersätzen bzw. von Vom-Hundert-Sätzen bei steuermindernden Beträgen).
Soweit es um die - nach Ansicht des FA - vom Kl. bewirkten Umsätze i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 geht, hat das FG keine den Streit um den Anspruchsgrund abschließende Entscheidung getroffen. Das FG hat zwar in Übereinstimmung mit dem Urteil des Senats V R 128/71 (a.a.O.; vgl. nunmehr auch zu den (Hilfs-)Begriffen ,,Sonderbelange, Gesamtbelange/Gemeinschaftszweck" BFH-Urteil vom 4. Juli 1985 V R 107/76, BFHE 145, 244, BStBl II 1986, 153) entschieden, der Kl. habe Leistungen i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 erbracht, soweit er für seine Mitglieder den Lohnsteuer-Jahresausgleich oder die Eintragung von Freibeträgen in die Lohnsteuerkarte beantragt und die Mitglieder vor den Finanzbehörden und vor dem FG vertreten habe. Das FG hat jedoch zugleich in Betracht gezogen, daß der Kl. darüber hinaus - nicht steuerbar - gegen einen Teil der Beiträge Gesamtbelange der Mitglieder wahrgenommen habe. Hierzu hat das FG keine Feststellungen und keine Entscheidung getroffen, sondern hat die diesbezügliche Klärung dem Betragsverfahren vorbehalten wollen.
Entgegen der Annahme des FG liegt insoweit nicht etwa bloß ein Streit vor, der i. S. des § 99 FGO den Betrag des Anspruchs betrifft. Das FG hat die betreffenden Betätigungen des Kl., für die es eine Zuordnung eines Teils der Mitgliedsbeiträge in Betracht gezogen hat, nicht andeutungsweise bezeichnet. Angesichts dessen läßt es sich nicht ausschließen, daß der Kl. auch insoweit Umsätze i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 erbracht und nicht etwa bloß eine nichtsteuerbare Tätigkeit entfaltet hat. Dies ist eine Frage des Anspruchsgrundes, nicht des Betrages des Anspruchs. Das FG hat mithin insoweit nicht beachtet, daß sämtliche den Anspruchsgrund betreffenden Streitpunkte in einem Zwischenurteil i. S. des § 99 FGO erledigt werden müssen.
Das FG hat sich in seiner Entscheidung ferner mit dem Vorsteuerabzug und mit dem besonderen Kürzungsanspruch nach dem BerlinFG nicht befaßt und hat dementsprechend insoweit keine Feststellungen zum Grund der beiden Posten getroffen. Derartige Feststellungen waren nicht etwa im Hinblick darauf entbehrlich, daß zwischen den Beteiligten hierüber nicht gestritten wird. Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 17. Juli 1967 Gr. S. 1/66 (BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) ist Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des den Steuerbetrag festsetzenden Steuerbescheides, so daß im Rahmen der Anträge der Prozeßbeteiligten die betragsmäßigen Auswirkungen von Fehlern des angefochtenen Bescheides gegebenenfalls durch gegenläufige Umstände kompensiert werden können. Für das vorliegende Verfahren bedeutet dies, daß wegen der Kompensationsmöglichkeit auch die zwischen den Beteiligten bisher nicht umstrittenen Umstände, soweit sie den Grund des Vorsteuerabzuges und den des besonderen Kürzungsanspruches betreffen, vom FG hätten festgestellt werden und daß das FG auch ihretwegen eine Entscheidung hätte treffen müssen.
4. Da mithin die Vorentscheidung nicht ergehen durfte, wird sie ersatzlos aufgehoben. Das Klageverfahren wird dadurch in den Zustand vor Erlaß des Zwischenurteils zurückversetzt (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 157/76, BFHE 129, 443, BStBl II 1980, 252).
Fundstellen