Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbrechung der mündlichen Verhandlung durch konkludente Anordnung
Leitsatz (amtlich)
Eine kurzfristige Unterbrechung der mündlichen Verhandlung ist kein in das Sitzungsprotokoll aufzunehmender wesentlicher Vorgang. Die Unterbrechung ist konkludent angeordnet, wenn objektiv zu erkennen ist, dass zeitweilig nicht weiterverhandelt werden soll.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 1; ZPO §§ 160, 165
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der mit der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, betrieb in den Streitjahren 1985 bis 1993 eine Gaststätte in der Rechtsform eines Einzelunternehmens. Seinen Gewinn ermittelte er durch Bestandsvergleich.
Am 8. November 1993 fand bei ihm eine Steuerfahndungsprüfung statt, die mangels Ordnungsmäßigkeit der Buchführung bzw. der vom Kläger gemachten Aufzeichnungen zu einer Nachkalkulation anhand der verabreichten Speisen führte. Da der Kläger bei seiner Vernehmung erklärt hatte, aus unversteuerten Einnahmen etwa 1 000 bis 2 000 DM monatlich an seine Arbeitnehmer nicht lohnversteuert bezahlt und diese unentgeltlich verköstigt zu haben, ergingen diesen Angaben und der Sachbezugsverordnung entsprechende Lohnsteuerhaftungsbescheide für 1985 bis 1993.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage. Das Finanzgericht (FG) hat mehrmals Beweis erhoben und anschließend der Klage teilweise stattgegeben. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 116 Abs. 1 Nrn. 1 und 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F., § 119 Nrn. 1 und 6 FGO.
Das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil der Berichterstatter während der mündlichen Verhandlung um 14.51 Uhr gemeinsam mit dem Gerichtsprüfer den Gerichtssaal verlassen habe, um im Beratungszimmer über den dort befindlichen Computer ein Tabellenkalkulationsprogramm aufzurufen. Nachdem dies offenbar nicht gelungen sei, sei er um 14.53 Uhr in den Gerichtssaal zurückgekehrt und habe bis 15.02 Uhr versucht, an dem Computer der Protokollführerin das Programm zu starten. Das Sitzungsprotokoll enthalte keinen Vermerk über eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung in dieser Zeit. Während der Dauer der körperlichen und/oder geistigen Abwesenheit des Berichterstatters habe der Bevollmächtigte der Kläger mit dem Vorsitzenden des Senats intensiv die Verwiegung durch die Steuerfahndung sowie die Ergebnisse der Zeugenvernehmung vom gleichen Tag erörtert. Während des Bedienens des Computers und des Gesprächs mit dem Gerichtsprüfer habe der Berichterstatter dem Vortrag des Klägervertreters nicht folgen können.
Das Urteil sei auch nicht mit Gründen versehen, weil das am 21. April 1999 verkündete Urteil erst am 17. September 1999, also kurz vor Ablauf der Fünf-Monats-Frist der Geschäftsstelle übergeben worden sei. Auch zeige die Urteilsausfertigung, dass der Zusammenhang zwischen der mündlichen Verhandlung, der anschließenden Beratung und der schriftlichen Niederlegung der Gründe verloren gegangen sei. So habe das Gericht Ausführungen des Klägervertreters offensichtlich missverstanden. Außerdem habe es die Aussage des Steuerfahndungsprüfers U, der aus eigener Anschauung große Fleischportionen bestätigt habe, nicht gewürdigt. Im Übrigen sei die Zusammensetzung der Speisen durch das FG nicht nachvollziehbar.
Auf Anfrage hat der Vorsitzende des zuständigen Senats des FG mitgeteilt, dass er nach der Unterbrechung der mündlichen Verhandlung während der Mittagspause bestrebt gewesen sei, den Rechtsstreit einvernehmlich beizulegen. In diesem Zusammenhang sei der Vorschlag gemacht worden, auf die vom Berichterstatter erstellten Kalkulationstabellen, die dieser in seinen PC-Dateien gespeichert gehabt habe, zurückzugreifen. Dadurch sollten die rechnerischen und steuerlichen Auswirkungen einzelner Änderungsvorschläge sofort festgestellt werden können. Dieser Vorschlag habe die Zustimmung aller Beteiligten gefunden. Der Berichterstatter und der Gerichtsprüfer hätten sich das Kalkulationsprogramm vom PC im Beratungszimmer beschaffen wollen. Die Sitzung sei daher unterbrochen worden. Die Unterbrechung sei allerdings nicht protokolliert worden.
Unzutreffend sei, dass während dieser Zeit weiter verhandelt worden sei. Soweit überhaupt ein Gespräch in der Zeit der Unterbrechung stattgefunden haben sollte, könne es sich nur um ein informelles Gespräch gehandelt haben.
Dem haben die Kläger widersprochen: Die mündliche Verhandlung sei nicht unterbrochen worden und das Gespräch zwischen dem Vorsitzenden des Senats und ihrem Bevollmächtigten sei nicht lediglich "informell" gewesen. Hierfür werde Beweis angetreten. Eine Sitzungsunterbrechung müsse protokolliert werden. Das Protokoll erbringe Beweis, dass die mündliche Verhandlung in der Zeit von 14.51 Uhr bis 15.02 Uhr nicht unterbrochen gewesen sei. Diesen Beweis könnten die Ausführungen des Vorsitzenden nicht erschüttern.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision in Sachen Lohnsteuerhaftung als unzulässig zu verwerfen, im Übrigen als unbegründet zurückzuweisen.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung durch Zeugeneinvernahmen Beweis erhoben über den Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 21. April 1999. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II. 1. In Sachen Lohnsteuerhaftung ist die Revision unzulässig. Insoweit haben die Kläger keine Verfahrensfehler i.S. des § 116 FGO a.F. gerügt.
2. Im Übrigen ist die Revision ohne Zulassung (Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ―BFHEntlG―) zulässig, weil die Kläger die nicht ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts schlüssig gerügt haben. Die Richtigkeit ihres Vortrags unterstellt, ergibt sich aus diesem ein Verfahrensfehler i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. i.V.m. Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 17. Dezember 1996 IX R 1/95, BFH/NV 1997, 582; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 116 Rdnr. 3, m.w.N.).
Verlässt ein Mitglied des Spruchkörpers zeitweilig während der fortdauernden mündlichen Verhandlung den Sitzungssaal ―wie die Kläger behaupten―, so ist das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts ―BAG― vom 31. Januar 1958 1 AZR 477/57, BAGE 5, 170; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 27. April 1961 II CB 81/60, Die öffentliche Verwaltung ―DÖV― 1961, 558; BFH-Beschluss vom 14. Juli 1993 I B 108/92, BFH/NV 1994, 381, m.w.N.; Stein/ Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 551 Rdnr. 8).
3. Die Revision in Sachen Umsatzsteuer und Einkommensteuer ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts ist unbegründet, weil im Streitfall die mündliche Verhandlung mit der Entscheidung des Vorsitzenden, ein Kalkulationsprogramm im Computer aufzurufen, tatsächlich unterbrochen worden ist.
a) Der Vorsitzende eröffnet und leitet die mündliche Verhandlung (§ 92 Abs. 1 FGO). Zu den verfahrensleitenden Handlungen gehört auch die Anordnung einer Sitzungspause. Diese kann ausdrücklich, aber auch konkludent angeordnet werden (so z.B. zu § 93 Abs. 3 Satz 1 FGO: Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Rdnr. 6; zu § 136 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―: Zöller, Zivilprozeßordnung, 17. Aufl., § 136 Rdnr. 4; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 58. Aufl., § 136 Rdnr. 28). Allerdings muss die Absicht objektiv erkennbar sein, die mündliche Verhandlung für eine bestimmte Zeit zu unterbrechen (ebenso zur stillschweigenden Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung BFH-Beschluss vom 12. Januar 1994 VIII R 44/93, BFH/NV 1994, 495, m.w.N.). Ist danach die mündliche Verhandlung tatsächlich unterbrochen, sind hieran auch die Kläger bzw. ihr Prozessvertreter gebunden.
Nicht entscheidungserheblich ist, ob die Parteien subjektiv das Verhalten des Senatsvorsitzenden richtig gedeutet oder tatsächlich zur Kenntnis genommen haben. Nach § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), der auch für Handlungen des Gerichts gilt, ist maßgeblich der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungswert des Verhaltens des Vorsitzenden des Senats (vgl. z.B. Mayer-Maly, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch ―MünchKomm―, 3. Aufl., § 133 Rdnrn. 4, 34 a; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., § 133 Rdnr. 9).
b) Die Tatsache, dass in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung keine Sitzungspause für den fraglichen Zeitraum protokolliert worden ist, ist unerheblich. Insbesondere ist aus dem Schweigen des Protokolls nicht auf eine fehlende Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zu schließen.
Nach § 155 FGO i.V.m. § 165 ZPO kann zwar die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, wozu auch die Aufnahme der wesentlichen Vorgänge der Verhandlung gehört (§ 160 Abs. 2 ZPO), nur durch das Protokoll bewiesen werden; gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Die Anordnung einer kurzfristigen Sitzungspause ist jedoch kein wesentlicher Vorgang der Verhandlung (BAG in BAGE 5, 170, 173). Bei einem lückenhaften Protokoll ist der Ablauf der mündlichen Verhandlung durch freie Beweiswürdigung zu ermitteln (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 12. Februar 1958 V ZR 12/57, BGHZ 26, 340, Neue Juristischen Wochenschrift ―NJW― 1958, 711).
4. Der Ablauf der mündlichen Verhandlung am 21. April 1999 vor dem FG, insbesondere ab 14.35 Uhr, so wie er sich nach den Aussagen der Zeugen darstellt, lässt objektiv klar erkennen, dass die Sitzung zum Zweck des Aufrufs eines Kalkulationsprogramms auf dem Computer unterbrochen worden ist.
a) Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Richtigkeit der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung. Nahezu alle Zeugen haben ausgesagt, dass das Gericht und die Beteiligten um eine einvernehmliche Erledigung des Rechtsstreits und damit um eine einvernehmliche Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bemüht waren. Dabei ging es im Wesentlichen darum, die zum Teil erheblich gegensätzlichen Auffassungen zu den Verwiegungen durch die Steuerfahndung, zur Höhe der Schwarzeinkäufe und der Rohgewinnaufschlagsätze auf einen tragfähigen gemeinsamen Nenner zu bringen und die Auswirkungen der Änderung einzelner Kalkulationsgrundlagen auf die festzusetzenden Steuern zu ermitteln. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass ―wie die Zeugen B, S und P ausgesagt haben― zu diesem Zweck auf ein im Computer gespeichertes Kalkulationsprogramm zurückgegriffen werden sollte, um durch Eingabe geänderter Schätzwerte deren steuerliche Auswirkungen zu ermitteln.
Diesen Aussagen entspricht die Aussage des Zeugen M, der Klägervertreter habe auf den kurz nach der Mittagspause gemachten Vorschlag des Berichterstatters, einen Betrag in Höhe von 1,3 Mio. DM Mehrsteuern hinzuzuschätzen, nach den Berechnungsgrundlagen für diese Zuschätzung gefragt und eine Einigungsbereitschaft in Aussicht gestellt, wenn ihm die Kalkulationsgrundlagen bekannt gegeben würden. Da das Gericht an einer Einigung der Beteiligten interessiert war, ist der Senat davon überzeugt, dass es diesem Wunsch durch Rückgriff auf das im Gerichtscomputer gespeicherte Kalkulationsprogramm entsprechen wollte.
Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass die Diskussion um die Zuschätzung von 1,3 Mio. DM Mehrsteuern nicht sogleich ―und damit ohne Rückgriff auf das gespeicherte Programm― beendet wurde, weil das FA diesem Vorschlag sofort widersprach. Abgesehen davon, dass sich aus der Aussage des Zeugen P ergibt, dass er erst nach Aufruf des Kalkulationsprogramms erklärt hat, an einer Einigung nicht mehr interessiert zu sein, endete die mündliche Verhandlung vor dem FG offenkundig nicht kurz nach Unterbreitung des Vergleichsvorschlags. Wie der Klägervertreter bekundet hat, dauerte die mündliche Verhandlung "netto 4 1/2 Stunden". Da hiervon ausweislich des Protokolls auf den Vormittag rd. 3 Stunden entfielen (11 Uhr bis 13.55 Uhr), dauerte sie nach der Mittagspause (ab 14.35 Uhr), noch ca. 1 1/2 Stunden, also noch ca. 1 Stunde nach Unterbreitung des Vergleichsvorschlags.
Dem Grunde nach haben auch der von den Klägern gestellte Zeuge M und der Klägervertreter als Zeuge bestätigt, dass zumindest hinsichtlich eines streitigen Betrages in Höhe von 24 000 DM eine Nachkalkulation am Computer vorgenommen werden sollte. Sie haben allerdings ausgesagt, dass diese Nachkalkulation in der Mittagspause vom Gerichtsprüfer durchgeführt werden sollte. Dem stehen aber die Aussagen der Zeugen P und S entgegen, wonach nach ihrer Erinnerung der Gerichtsprüfer keinen entsprechenden Auftrag vom Gericht erhalten hat. Auch nach dem Vortrag des Klägervertreters war der Berichterstatter um ca. 15 Uhr mit dem Computer beschäftigt. Es ist insoweit nicht auszuschließen, dass die Zeugen R und M die ―von Zeugen bestätigte― Tatsache, dass die Kalkulationstabelle, auf die der Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung zurückzugreifen suchte, vom Gerichtsprüfer im (vernetzten) Gerichtscomputer gespeichert worden war, insoweit missverstanden haben.
b) Der Senat ist auch zu der Überzeugung gelangt, dass die Beteiligten den Vorschlag, auf eine Kalkulationstabelle im Computer zurückzugreifen, nicht nur objektiv wahrnehmen konnten, sondern ihm sogar stillschweigend zugestimmt haben. Aufgrund der Zeugenaussagen ist nämlich davon auszugehen, dass sich in der hier streitigen Zeit (zumindest) drei gesonderte Gesprächsgruppen gebildet hatten. Das ist für eine mündliche Verhandlung äußerst ungewöhnlich, erklärt sich aber ohne weiteres, wenn die mündliche Verhandlung für den streitigen Zeitraum faktisch und im Einvernehmen mit den Beteiligten unterbrochen war.
Der Zeuge P, der Sitzungsvertreter des FA, hat bekundet, dass der Berichterstatter mit Billigung des Vorsitzenden ein Kalkulationsprogramm aufrufen sollte und damit alle einverstanden waren. Er habe diese Zeit der Unterbrechung, in der der Berichterstatter zunächst im Nebenzimmer gewesen sei und sich anschließend am Computer der Protokollführerin betätigt habe, genutzt, um sich kurz mit dem neben ihm sitzenden Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle zu beraten. Der Klägervertreter hat bezeugt, dass er sich ―in der streitigen Zeit― "dem Vorsitzenden gegenüber", also nicht den im Sitzungssaal verbliebenen Richtern gegenüber, zu den Schätzmethoden geäußert habe. Er hat ferner vorgetragen, wie auch die Zeugen A und N ausgesagt haben, dass sich der Berichterstatter, nachdem er in den Sitzungssaal zurückgekehrt war, mit dem Gerichtsprüfer unterhalten habe. Die verschiedenen Gesprächsgruppen von maßgeblichen Prozessbeteiligten lassen nur den Schluss zu, dass objektiv erkennbar die Sitzung unterbrochen worden war.
c) Die Tatsache, dass sich die Zeugen M, A und N das Verlassen des Sitzungssaals durch den Berichterstatter bzw. das Herbeiwinken des im Zuschauerraum anwesenden Gerichtsprüfers nicht erklären konnten, spricht nicht gegen eine auch vom Klägervertreter aufgrund der Gesamtumstände zumindest wahrnehmbare konkludente Unterbrechung der mündlichen Verhandlung. Das Unverständnis der Zeugen für das Verhalten des Berichterstatters erklärt sich schon daraus, dass sie im Zuschauerraum saßen, also nicht in unmittelbarer Nähe zum Richtertisch, und dass der Vorsitzende den Berichterstatter nicht verbal mit dem Aufruf des Computergrogramms beauftragte. Hinzu kommt, dass, wie der Zeuge N ausgesagt hat, später eine Besprechung beim Klägervertreter zum Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG stattfand. Es ist nicht auszuschließen, dass aufgrund der gemeinsamen Beratung persönliche Erinnerungen und Eindrücke einzelner Zeugen in den Hintergrund gerückt sind.
d) Ungeklärt geblieben ist, ob der Berichterstatter die Kalkulationstabelle mit Erfolg im Computer aufgerufen, ausgedruckt und verteilt hat. Hierauf kommt es für die Beurteilung der Frage, ob zuvor die mündliche Verhandlung objektiv erkennbar unterbrochen worden ist, auch nicht an.
5. Die Rüge der Kläger, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F.), ist unzulässig. Ihr Vortrag ist insoweit nicht schlüssig (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschluss vom 18. Oktober 1999 IX R 28/99, BFH/NV 2000, 464; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rdnr. 38, m.w.N.).
a) Die Rüge, das am 21. April 1999 verkündete Urteil sei deswegen nicht mit Gründen versehen, weil Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden seien (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ―GmS-OGB― vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1993, 674), ist schon deswegen unschlüssig, weil nach dem eigenen Vortrag des Klägers das unterschriebene Urteil der Geschäftsstelle am 17. September 1999 und damit vier Tage vor Ablauf der Fünf-Monats-Frist übergeben wurde. Auch bei einer nur geringfügigen Unterschreitung dieser Frist ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Urteil mit Gründen versehen ist.
Zweck der Fünf-Monats-Frist ist es, den Begriff "alsbald" i.S. des § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO so zu konkretisieren, dass er einerseits der Rechtsprechung den aus der Natur eines unbestimmten Rechtsbegriffs folgenden Spielraum belässt, andererseits aber eine möglichst klare und für alle Beteiligten ohne weiteres erkennbare Grenzlinie markiert (Beschluss des GmS-OGB in HFR 1993, 674). Diesem Ziel würde es widersprechen, dem klägerischen Begehren entsprechend das Urteil auch dann als nicht mit Gründen versehen zu beurteilen, wenn die Fünf-Monats-Frist um wenige Tage unterschritten wurde (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 464; vom 13. August 1998 VII R 30/98, BFH/NV 1999, 208; vom 25. März 1998 XI R 41/97, BFH/NV 1998, 1238).
b) Auch im Übrigen ist die Rüge gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F. unzulässig.
Nach dieser Vorschrift fehlen Entscheidungsgründe auch dann, wenn das FG einen eigenständigen Klagegrund oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, mithin das Urteil bezüglich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. November 1999 VII R 40/99, BFH/NV 2000, 591; vom 16. August 1999 VIII R 9/99, BFH/NV 2000, 209, jeweils m.w.N.). Die Rüge, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen, ist jedoch nicht schlüssig erhoben, wenn nur vorgetragen wird, die Entscheidung des FG sei zu kurz, lücken- oder fehlerhaft (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 1994 VIII R 50/93, BFH/NV 1994, 646; vom 9. September 1999 VII R 87/98, BFH/NV 2000, 325). Mit ihren Rügen, das FG habe den Sinn ihrer in der mündlichen Verhandlung überreichten Kalkulation, die Ausführung ihres Klägervertreters zur Preisentwicklung bei Fleisch missverstanden und zu Unrecht die Aussage des Zeugen U nicht berücksichtigt und das FG sei zu Unrecht nicht mehr auf die Ausführungen ihres Klägervertreters zur Verwiegung besonders eingegangen, wenden sich die Kläger dem Grunde nach "nur" gegen die Richtigkeit der Schätzung der Bemessungsgrundlagen durch das Gericht, erheben aber keine Verfahrensrüge i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F.
6. Die Rüge, das Gericht habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, ist erst in der mündlichen Verhandlung erhoben worden und damit verspätet. Im Übrigen sind in diesem Verfahren grundsätzlich nur die in § 116 Abs. 1 FGO a.F. genannten Revisionsgründe zu prüfen (vgl. z.B. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Rdnr. 11).
7. Über die Richtigkeit der Schätzung ist trotz Zulässigkeit der Revision nicht zu entscheiden. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht die Entscheidung des FG von einer Entscheidung des BFH oder des Bundesverfassungsgerichts ab (§ 118 Abs. 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 624885 |
BFH/NV 2001, 1505 |
BStBl II 2001, 764 |
BFHE 195, 503 |
BFHE 2002, 503 |
BB 2001, 2043 |
DB 2001, 2180 |
DStRE 2001, 1254 |
DStZ 2001, 829 |
HFR 2001, 1165 |
StE 2001, 587 |