Leitsatz (amtlich)
Die Lieferung von Lehrmaterial durch private Schulen oder andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtungen ist steuerfrei, wenn der Unternehmer davon nicht absehen kann, ohne den Schul- und Bildungszweck zu beeinträchtigen.
Normenkette
UStG 1967 § 4 Nr. 21 Buchst. b
Tatbestand
Die Klägerin betreibt eine "Inlingua-Sprachschule", die nach einer Bescheinigung des Regierungspräsidenten in ... vom ... die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1967 (UStG 1967) für die Steuerfreiheit ihrer unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen erfüllt. Die Schule unterrichtet nach der "inlingua"-Methode und verwendet dabei Lehrbücher, die auf die besondere Art der Vermittlung des Lehrstoffes ausgerichtet sind.
Die Bücher werden von einer im Ausland ansässigen Gesellschaft herausgegeben und nur über Schulen vertrieben, denen die Gesellschaft das Recht eingeräumt hat, den Namen "inlingua" zu führen. Im Handel ist das Buch nicht erhältlich. Die Klägerin verkauft es ihren Schülern mit einem Aufschlag von ... v. H. Sie ist der Ansicht, auch die Lieferungen der Bücher seien nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1967 steuerbefreit; das Finanzamt (Beklagter) zog jedoch die Klägerin als Kleinunternehmerin gemäß § 19 UStG 1967 auch mit den Entgelten aus dem Verkauf der Lehrbücher zur Umsatzsteuer heran ...
Mit der Klage hat die Klägerin weiterhin die Steuerbefreiung ihrer Schulbuchumsätze geltend gemacht. Das Finanzgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Verkauf der Bücher diene nur mittelbar dem Schul- und Bildungszweck. Für diese Rechtsauffassung spreche besonders die Entstehungsgeschichte des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1967. Unselbständige Nebenleistungen zur eigentlichen Unterrichtstätigkeit lägen nicht vor.
Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit der vom Finanzgericht zugelassenen Revision: Da der Unterricht ohne Lehrbücher nicht möglich sei, müsse die Abgabe der Bücher notwendigerweise gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1967 unmittelbar dem begünstigten Zweck dienen. Die Klägerin beantragt, das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Umsatzsteuer für 1971 auf ... DM und für 1972 auf ... DM herabzusetzen.
Das Finanzamt beantragt, die Revision zurückzuweisen. weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1967 sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen einer privaten Schule umsatzsteuerfrei, wenn die Schule durch eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nachweist, daß sie auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Diesen Nachweis hat die Klägerin erbracht. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb allein von der Frage ab, ob zu den begünstigten Leistungen einer dem gesetzlichen Tatbestand entsprechenden Schule auch die Lieferungen von Lehrmaterialien an die Schüler zu rechnen sind. Diese Frage ist für die Schulbuchlieferungen der Klägerin zu bejahen:
Das gesetzliche Merkmal, nach welchem die Leistung dem Schul- und Bildungszweck "unmittelbar" dienen muß, beschränkt - im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Finanzgerichts - die Steuerfreiheit nicht auf Unterrichts- und Erziehungsleistungen. Für eine derart restriktive Auslegung kann nicht auf § 3 Abs. 1 Nr. 4 UStG 1926 i. V. m. § 36 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz 1926 (UStDB 1926) zurückgegriffen werden. Nach diesen Regelungen waren allerdings nur "Schulen und Erziehungsanstalten" bestimmter Art mit ihren "Unterrichts- und Erziehungsleistungen", also lediglich mit den schulischen und erzieherischen Tätigkeiten ihrer Lehrer, von der Umsatzsteuer befreit, und waren "Einnahmen für Umsätze anderer Art" von der Befreiung ausdrücklich ausgeschlossen. Es spricht aber nichts für die Annahme des Finanzgerichts, daß die - insbesondere seit dem Jahre 1961 in Kraft getretenen - einschlägigen umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften und Bestimmungen trotz des wesentlich geänderten Wortlauts den sachlichen Umfang der ehemaligen Befreiungsregelung beibehalten hätten. Es ist vielmehr zu bedenken, daß das Elfte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1330, BStBl I 1961, 609) und die dazu erlassene Zwölfte Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 8. September 1961 (BGBl I 1961, 1660, BStBl I 1961, 624) den durch neue Unterrichtsmethoden veränderten Verhältnissen im Bildungswesen Rechnung getragen und - in Erweiterung des Begünstigungsrahmens auf schulische "Einrichtungen" - auch diejenigen Unternehmer in die Steuerfreiheit einbezogen haben, welche, wie die Fernlehrinstitute (vgl. Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht vom 24. August 1976, BGBl I 1976, 2525), den Lehrstoff nicht oder nicht ausschließlich nach Art herkömmlicher Schulen durch mündlichen Vortrag eines Lehrers in räumlicher Verbindung mit seinen Schülern, sondern durch Lieferung des schriftlichen und sonstigen Unterrichtsmaterials vermitteln. Die Lieferungen an die Teilnehmer sind bei diesen Einrichtungen ein notwendiges Hilfsmittel der Bildungsarbeit und als solches ein dem Schul- und Bildungszweck unmittelbar dienendes Element.
Wenn für solche Einrichtungen Lieferungen der bezeichneten Art steuerfrei sind, so kann für Schulen kein anderer Maßstab gelten. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes ist Prüfstein für die Unmittelbarkeit des "Dienens" einer Leistung - gleichermaßen für die "Einrichtungen" wie für die "Schulen" - der Schul- und Bildungszweck, nicht aber die Art und Weise der Bildungsvermittlung. Es muß deshalb auch für Schulen herkömmlicher Art die Lieferung des Lehrmaterials (wie z. B. Bücher, mechanische Vervielfältigungen von Manuskripten und anderen Texten, Tonträger, ferner Werkmaterialien, Übungsgeräte) dann als steuerfrei beurteilt werden, wenn gerade die Abgabe des Lehrmaterials durch die Schule "dem Schul- oder Bildungszweck dient", im besonderen die Schule davon nicht absehen kann, ohne ihre Ziele zu beeinträchtigen.
Diese enge Verbindung des Lieferns mit dem Schulzweck kann sich aus der Unterrichtsmethode, dem Gegenstand des Unterrichts oder aus dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit ergeben. Beruhen Lehrbuch und Unterricht derart auf derselben Methode, daß die Gestaltung des Unterrichts durch das Lehrbuch in spezifischer Weise vorgegeben ist, und ist das Lehrbuch nicht beliebig austauschbar, dann dient auch die Lieferung des Buchs unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck. Eine ähnlich enge Verbindung liegt vor, wenn der Unterricht Lehrmaterial erfordert, das im freien Handel nicht oder nicht in den benötigten geringen Mengen erhältlich ist (z. B. Abgabe von Chemikalien für Übungszwecke im Rahmen des Unterrichts von Schulen). Auch Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit können zu der geforderten engen Verknüpfung führen. So ist es für einen geordneten Unterricht mitunter unumgänglich, daß die Schule das Lehrmaterial besorgt, weil andernfalls die gleichzeitige und zeitgerechte Versorgung der Schüler nicht gewährleistet wäre.
Im vorliegenden Falle baut der Sprachunterricht auf einer durch das Lehrbuch vorgegebenen besonderen Methode auf. Lehrbuch und Unterricht sind in der dargelegten Weise verknüpft. Die Lieferungen der Schulbücher sind daher steuerfrei.
Fundstellen
BStBl II 1979, 720 |
BFHE 1979, 418 |