Entscheidungsstichwort (Thema)
Nacherhebung von Zoll aufgrund des Widerrufs von Ursprungszeugnissen; Irrtum; höhere Gewalt; Verhältnismäßigkeit; Vertauensschutz; Eigentumsschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Werden Ursprungszeugnisse, die zur Erlangung einer Zollpräferenz für Textilwaren im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems vorgelegt wurden, von der Organisation, die sie ausgestellt hat, widerrufen, so können sie, selbst wenn ihr Widerruf nicht begründet wurde, nicht mehr als Nachweis der Ursprungseigenschaft der betreffenden Waren anerkannt werden.
2. Es liegt kein aktiver Irrtum der Zollbehörde vor, die das Ursprungszeugnis ohne jede Prüfung auf dessen Richtigkeit zur Gewährung einer Zollpräferenz entgegengenommen hat.
3. Allein der Umstand, daß in großem Umfang unrichtige Ursprungszeugnisse ausgestellt wurden, läßt nicht darauf schließen, daß sich die mit der Ausstellung der Ursprungszeugnisse betraute Stelle über die Auslegung der Ursprungsregeln im konkreten Fall geirrt hat.
4. "Höhere Gewalt", die einer Nacherhebung des Zolls entgegenstehen könnte, liegt nicht vor, wenn es die das Ursprungszeugnis ausstellende Organisation unterlassen hat, die Angaben des Antragstellers auf ihre tatsächliche Richtigkeit hin zu überprüfen.
5. Die Regelung über ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung ist im Hinblick auf Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauens- oder des Eigentumsschutzes abschließend.
6. Die Prüfung der Frage, ob ein Erlaß des Zolls wegen besonderer Umstände in Betracht kommt, setzt einen entsprechenden Erlaßantrag voraus.
Normenkette
ZK Art. 220 Abs. 2 Buchst. b, Art. 221, 239; ZKDV Art. 67-68, 77 Abs. 1, Art. 94; EGV 3254/94 Art. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (ZfZ 1999, 167) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte von Dezember 1994 bis zum Juli 1996 Textilwaren der Unterpositionen 6109 10 00, 6205 20 00 und 6203 42 90 der Kombinierten Nomenklatur aus Bangladesch ein und ließ sie in den zollrechtlich freien Verkehr überführen. Dabei legte sie jeweils Ursprungszeugnisse nach Formblatt A (Ursprungszeugnisse) des Export Promotion Bureaus, Dhaka, Bangladesch (EPB) vor. Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Ursprungszeugnisse sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) von der Erhebung des Zolls ab.
Nachdem wegen der starken Zunahme der Textileinfuhren aus Bangladesch der Verdacht entstanden war, daß für aus diesem Land eingeführte Textilwaren in großem Umfang unrichtige Ursprungszeugnisse vorgelegt worden waren, führte die Gemeinschaft Ende 1996 erneut eine Gemeinschaftsmission nach Bangladesch mit dem Ziel durch, zu untersuchen, ob die in den Jahren 1994 bis 1996 vorgelegten Ursprungszeugnisse zu Unrecht ausgestellt oder gefälscht waren. Mit einem an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gerichteten Schreiben vom 1. Oktober 1997 widerrief das EPB rund 6 000 Ursprungszeugnisse, darunter auch die von der Klägerin für die in Rede stehenden Einfuhren vorgelegten. Das HZA stellte sich deshalb auf den Standpunkt, daß die vorgelegten Ursprungszeugnisse nicht anerkannt werden könnten und erhob von der Klägerin mit Steueränderungsbescheid insgesamt ... DM Zoll nach. Einspruch und Klage gegen den Steueränderungsbescheid blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte in seinem auszugsweise in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern (ZfZ) 1999, 167 veröffentlichten Urteil im einzelnen aus, daß der Steueränderungsbescheid des HZA die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze, weil das HZA den Zoll von der Klägerin zu Recht gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1, 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) mit dem angefochtenen Steueränderungsbescheid nacherhoben habe.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß die Nachbelastung einen unerträglichen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit bedeute. Nicht sie, sondern allein die Europäische Union (EU) und Bangladesch seien für die Unfähigkeit des für die Ausstellung des Ursprungszeugnisses in Bangladesch zuständigen EPB verantwortlich.
Die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zum Vertrauensschutz passe auf diesen Fall nicht, weil sie sich nur auf Einzelfälle beziehe. Dann aber, wenn ein ganzes Präferenzsystem auf einem von der EU und dem begünstigten Entwicklungsland gemeinsam eingerichteten Kontrollverfahren beruhe, welches grob fehlerhaft arbeite, nämlich bei der Ausstellung der Ursprungszeugnisse zu einer Fehlerquote von mehr als 90 % führe, passe diese Rechtsprechung nicht. Außerdem wäre das in diesem Rechtsstreit zu beurteilende Zusammenwirken zwischen der EU als zollbegünstigender Institution und der Regierung von Bangladesch als für die begünstigte dortige Textilwirtschaft handelnde Institution, wenn es als solches von dem Gericht nicht beanstandet, sondern anerkannt werden sollte, ein unserer zivilisierten Rechtsordnung absolut fremder Vertrag zu Lasten Dritter. Außerdem habe das EPB die im Dezember 1996 an diese Behörde gerichtete Aufforderung der EU, Ursprungszeugnisse zu widerrufen, offensichtlich wieder genauso oberflächlich wie bei der Ausstellung und außerdem im Hinblick auf den Wunsch der Regierung von Bangladesch bearbeitet, eine für die Zukunft verbesserte Regelung der Zollpräferenz zu erhalten. Hierfür spreche, daß nachträglich 546 Ursprungszeugnisse doch noch als gültig bezeichnet worden seien.
Vorsorglich beruft sich die Klägerin weiterhin darauf, daß das EPB bei der Ausstellung der Ursprungszeugnisse hinsichtlich der vorgeschriebenen Fertigungsstufen einem aktiven Irrtum unterlegen sei. Hinsichtlich der Bedeutung und Positionierung der Fertigungsstufen seien im EPB ganz offensichtlich Mißverständnisse entstanden. Es seien nämlich für die Befugnis, Ursprungszeugnisse auszustellen, irrtümlich falsche Fertigungsstufen zugrunde gelegt worden. Der Exporteur in Bangladesch habe durchaus darauf vertraut, daß das EPB alle für die Anwendung der einschlägigen Zollbestimmungen erheblichen Tatsachen und Vorschriften kannte und daß es trotz dieser Kenntnis gegen die den Ursprung betreffenden Angaben der Ausführer keine Einwände erhob. Die Klägerin habe nicht gewußt, daß ihr bei den hier zu beurteilenden Textilimporten aus Bangladesch von dem Exporteur unrichtige Ursprungszeugnisse übersandt worden waren.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Steueränderungsbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es hält die Einwände der Klägerin gegen die Vorentscheidung nicht für durchgreifend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Einwände der Klägerin gegen die Vorentscheidung greifen nicht durch.
Das FG hat überzeugend begründet, daß der Zoll von der Klägerin nachzuerheben ist. Die Voraussetzungen für die Präferenzgewährung sind nicht erfüllt, weil die notwendigen Ursprungszeugnisse widerrufen worden sind. Außerdem besteht kein Grund, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des Einfuhrzolls aus Gründen des Vertrauensschutzes (Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK) abzusehen. Andere Gründe, die einer Nacherhebung des Zolls entgegenstehen könnten, sind nicht vorhanden.
1. a) Richtig ist, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Präferenz in bezug auf die in Rede stehenden Waren nicht erfüllt sind, weil die vorgelegten Ursprungszeugnisse von dem EPB, das sie ausgestellt hat, widerrufen worden sind. Die für die Gewährung der Präferenzen maßgebenden Vorschriften über den Ursprung der Waren sind während des im Streitfall maßgebenden Zeitraums geändert worden. Bis zum 6. Januar 1995 gelten sie in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1), danach, ab 7. Januar 1995, in der durch Art. 1 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom 19. Dezember 1994 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 346/1) geänderten Fassung. Soweit die Bestimmungen inhaltlich nicht wesentlich geändert wurden, werden die maßgebenden Vorschriften im folgenden in der geänderten Fassung zitiert, wobei die ursprüngliche Fassung in ( ) angegeben wird. Gemäß Art. 77 Abs. 1 (Art. 78 Abs. 1) ZKDVO ist die Vorlage eines Ursprungszeugnisses Voraussetzung für die Gewährung der Präferenz im Rahmen der vom FG genannten Verordnungen für die Einfuhr von Textilwaren, die Ursprungserzeugnisse aus Bangladesch sind. Die Klägerin hat zwar jeweils das erforderliche Ursprungszeugnis vorgelegt. Da aber die vorgelegten Ursprungszeugnisse vom EPB, das sie ausgestellt hat, widerrufen wurden, können sie nicht mehr als Nachweis der Ursprungseigenschaft der Waren, den die Klägerin zu erbringen hat (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juli 1997 Rs. C-97/95, EuGHE 1997, I-4209, 4251 Randnr. 30), anerkannt werden.
Es ist unerheblich, daß das EPB die Ursprungszeugnisse jeweils ohne Begründung widerrufen hat. Der EuGH hat dies zwar bisher so nur in Auslegung der in bestimmten Abkommen über die Gewährung von Präferenzen enthaltenen Regelungen über die Zusammenarbeit der Verwaltungen (vgl. EuGH, Urteil in EuGHE 1997, I-4209, 4252 Randnr. 34), nicht aber in bezug auf die für einseitig gewährte Präferenzen in Art. 92 (Art. 93) ff. ZKDVO festgelegten Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen entschieden. Da es sich jedoch insoweit um im wesentlichen gleichlautende Bestimmungen handelt, sind die in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH aufgestellten Rechtssätze auch auf den Streitfall übertragbar.
Unbeachtlich ist insoweit auch der Vorwurf, das EPB habe die Ursprungszeugnisse nur nach oberflächlicher Prüfung bzw. pauschal widerrufen. Denn, wie bereits ausgeführt, kommt es auf die Gründe, die das EPB zum Widerruf der Ursprungszeugnisse veranlaßt haben, nicht an. Da die Klägerin keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, daß die Textilerzeugnisse abgesehen von dem fehlenden, weil widerrufenen, Ursprungszeugnis tatsächlich die nach Art. 67, 68 (Art. 66, 67) ZKDVO geforderten Ursprungskriterien erfüllten, besteht auch kein Anlaß, zu entscheiden, ob im Streitfall ein anderer Ursprungsnachweis als der durch das vorgeschriebene Ursprungszeugnis in Betracht käme (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 7. Dezember 1993 Rs. C-12/92, EuGHE 1993, I-6381).
b) Da die Voraussetzungen für die Gewährung der Präferenzen in bezug auf die eingeführten Textilien nicht erfüllt sind, hat das HZA den gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 3 ZK in der Person der Klägerin entstandenen Zoll mit Recht gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1, Art. 221 Abs. 1 ZK nachgefordert, wie das FG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat.
2. Rechtsfehlerfrei hat das FG auch erkannt, daß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK der nachträglichen Erfassung des Zolls im Streitfall nicht entgegensteht, weil die in dieser Vorschrift abschließend festgelegten Voraussetzungen für die Gewährung von Vertrauensschutz nicht erfüllt sind. Das Vertrauen des Abgabenschuldners ist nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK nur dann schutzwürdig, wenn die zuständige Behörde die Grundlage für das Vertrauen des Abgabenschuldners geschaffen hat. Daher begründen lediglich solche Irrtümer, die auf ein Handeln der zuständigen Behörde zurückzuführen sind (aktiver Irrtum) und von einem verständigen Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnten, einen Anspruch darauf, daß von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Abgaben abgesehen wird (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Juni 1991 Rs. C-348/89, EuGHE 1991, I-3277, 3307 Randnr. 23).
Ein aktiver Irrtum der Behörde liegt nicht vor, wenn die zuständige Behörde durch unrichtige Erklärungen des Abgabenschuldners zum Warenursprung, deren Gültigkeit sie nicht festzustellen oder zu überprüfen haben, irregeführt worden ist. In einem solchen Fall muß der Abgabenschuldner das Risiko tragen, daß sich das Ursprungszeugnis bei einer späteren Prüfung als falsch erweist (EuGH, Urteile in EuGHE 1991, I-3277, 3307 Randnr. 24, und vom 14. Mai 1996 Rs. C-153/94 und C-204/94, EuGHE 1996, I-2465, 2541 Randnr. 92).
Da das HZA die Ursprungszeugnisse ohne jede Prüfung auf ihre Richtigkeit, zu der es nicht verpflichtet war, entgegengenommen hat, liegt insoweit jedenfalls ein aktiver Irrtum der zuständigen Behörde nicht vor.
Der Senat teilt auch die Auffassung des FG, daß sich aus den Darlegungen der Klägerin keine Anhaltspunkte für einen aktiven Irrtum des EPB und für einen daraus herzuleitenden Vertrauensschutz der Klägerin entnehmen lassen. Auch das EPB ist zwar eine Behörde i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK. Die Klägerin hat aber, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nicht substantiiert dargelegt, daß die Unrichtigkeit der in Rede stehenden Ursprungszeugnisse darauf beruht, daß sie das EPB aufgrund richtiger und vollständiger Angaben der Ausführer, jedoch in Verkennung der Ursprungsregeln ausgestellt hat. Nur in diesem Fall läge aber ein im Rahmen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK beachtlicher Rechtsirrtum des EPB vor (vgl. EuGH, Urteil in EuGHE 1996, I-2465, 2542 Randnr. 95). Allein der Umstand, daß in großem Umfang unrichtige Ursprungszeugnisse ausgestellt wurden, läßt nicht darauf schließen, daß sich das EPB über die Auslegung der Ursprungsregeln im konkreten Fall geirrt hat. Ein solcher Irrtum läßt sich auch nicht mit der bloßen Behauptung belegen, daß die maßgebenden Ursprungsregeln kompliziert seien. Die Unrichtigkeit der Ursprungszeugnisse könnte vielmehr auch darauf zurückzuführen sein, daß die Ausführer in zahlreichen Fällen falsche Angaben gemacht und das EPB über die wahren Produktionsverhältnisse getäuscht haben. Es ist aber nicht Sache des HZA oder gemäß § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) des FG, von sich aus aufzuklären, wie es zu der unrichtigen Ausstellung der Ursprungszeugnisse gekommen ist.
Vielmehr hätte es der Klägerin als derjenigen, die sich auf einen Irrtum des EPB beruft, oblegen, den behaupteten (aktiven) Irrtum des EPB im einzelnen darzulegen und Tatsachen vorzubringen, aus denen ein Irrtum des EPB bei der Ausstellung des Ursprungszeugnisses im konkreten Einzelfall folgt. Zudem hätte sie erklären müssen, weshalb ein etwaiger Irrtum des EPB weder vom Ausführer noch von ihr hätte erkannt werden können. Dazu hat die Klägerin aber überhaupt nichts vorgetragen.
Auch aus dem Umstand, daß das Europäische Parlament vorgeschlagen hat, dem Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK einen weiteren Unterabsatz mit folgendem Wortlaut anzufügen
"Besteht der präferentielle Status von Waren aufgrund einer administrativen Zusammenarbeit mit den Behörden eines Drittlandes, so gilt die Übermittlung des Zertifikats durch diese Behörden, wenn es sich als inkorrekt erweist, als Irrtum im Sinne des vorstehenden Unterabsatzes, der normalerweise nicht festgestellt werden konnte, sofern die tatsächliche Situation den besagten Behörden vom Exporteur nicht inkorrekt dargestellt wurde.",
kann die Klägerin nichts zu ihren Gunsten herleiten.
Denn weil die Klägerin noch nicht einmal behauptet hat, daß die Ausführer dem EPB die der Ausstellung der in Rede stehenden Ursprungszeugnisse zugrundegelegten Tatsachen richtig dargestellt haben, besteht kein Anlaß zu prüfen, ob es schon die jetzige Regelung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK zuläßt, einen Irrtum zu unterstellen, wie es der Vorschlag des Europäischen Parlaments für eine Ergänzung des Art. 220 Abs. 2 ZK (ABlEG 1999 Nr. C 175/422) ausdrücklich und --wie die Klägerin meint-- nur klarstellend vorsieht.
Der angeblich große Umfang, in dem Ursprungszeugnisse vom EPB zu Unrecht ausgestellt worden sind, gibt --anders als die Klägerin meint-- keine Veranlassung, die Rechtsprechung des EuGH in einem anderen Lichte zu sehen, wonach von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Abgaben nur dann abgesehen werden kann, wenn im konkreten Einzelfall ein aktiver Irrtum der zuständigen Behörde vorliegt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorliegen höherer Gewalt die Nacherhebung des Zolls ausschließen würde (vgl. EuGH in EuGHE 1997, I-4209), jedenfalls reicht der Vortrag der Klägerin dafür, daß ein solcher Fall vorliegt, nicht aus. Unter dem Begriff der höheren Gewalt sind ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluß hatte und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. In diesem Sinn kann zwar auch das Verhalten von Behörden einen Fall höherer Gewalt darstellen (vgl. EuGH, Urteile in EuGHE 1993, I-6381, und in EuGHE 1997, I-4209, 4258 Randnr. 62 ff.). Im Streitfall war das EPB jedoch nach Art. 77 Abs. 6 (Art. 78 Abs. 6) ZKDVO nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, ihr vom Ausführer unterbreitete schlüssige Angaben zum Nachweis der Ursprungseigenschaft der betreffenden Ware zu überprüfen. Es läge deshalb kein Fall höherer Gewalt vor, wenn das EPB bei Ausstellung der Ursprungszeugnisse auf eine nähere Überprüfung dieser Angaben verzichtet hätte, weil dies weder ungewöhnlich noch unvorhersehbar ist (vgl. EuGH, Urteil in EuGHE 1997, I-4209, 4259 Randnr. 66).
3. Liegen die Voraussetzungen für ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK nicht vor, so können übergeordnete Gesichtspunkte wie der der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauens- oder des Eigentumsschutzes, die gegen die nachträgliche buchmäßige Erfassung des Zolls geltend gemacht werden, nicht berücksichtigt werden. Denn die genannte Vorschrift hat diese Gesichtspunkte in bezug auf die Erhebung der Einfuhrabgaben zusammengefaßt und abschließend geregelt (vgl. EuGH, Urteile in EuGHE 1996, I-2465, 2548 Randnr. 114, und in EuGHE 1997, I-4209, 4256 Randnr. 51 ff.; Bundesfinanzhof, Urteile vom 22. Oktober 1991 VII R 44/90, BFH/NV 1992, 428; vom 5. April 1990 VII R 50/88, BFH/NV 1991, 204, und vom 20. August 1991 VII R 123/89, BFH/NV 1992, 285).
Lediglich unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit (Art. 239 ZK) ließe sich noch erwägen, ob ein Erlaß des Zolls im Streitfall in Betracht kommen könnte. Das FG hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Tatbestand des Art. 239 nicht mit dem des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK deckungsgleich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 1999 Rs. C-61/98 Randnr. 42 zur Veröffentlichung in EuGHE bestimmt). Ob im Streitfall ein Erlaß der Abgaben nach Art. 239 ZK in Betracht gekommen wäre, hat das FG mit Recht nicht geprüft, weil ein solcher Antrag (Art. 239 Abs. 2 ZK) nicht Gegenstand des Verfahrens war.
4. Darüber hinaus kommt es auf ein etwaiges --vom FG allerdings verneintes-- Verschulden der Kommission und anderer Organe der Gemeinschaft oder auch nationaler Behörden nicht an, weil außerhalb der genannten Vorschriften des ZK und der ZKDVO keine Möglichkeit besteht, ein solches im Zusammenhang mit der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des Zolls bzw. dessen Erlaß zu berücksichtigen.
5. Ein von der Klägerin behaupteter und nach ihrer Meinung "einer zivilisierten Rechtsordnung absolut fremder Vertrag zu Lasten Dritter" zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Bangladesch liegt schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin in keiner Weise verpflichtet war, von der Möglichkeit präferenzbegünstigter Einfuhren, die mit dem Risiko einer eventuellen späteren Nachprüfung der Ursprungszeugnisse gemäß Art. 94 (Art. 95) ZKDVO belastet sind, Gebrauch zu machen.
6. Der Senat hält es nicht für erforderlich, in dieser Sache eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABlEG Nr. C 340/1; 1999 Nr. L 114/56) einzuholen, weil sich keine vernünftigen Zweifel hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Gemeinschaftsvorschriften in dem Sinne ergeben, daß mehrere Auslegungsmöglichkeiten denkbar wären (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415-3442, und Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266).
Fundstellen
Haufe-Index 422680 |
BFH/NV 2000, 294 |
BFHE 2000, 507 |
BB 1999, 2601 |
DStRE 1999, 964 |
HFR 2000, 124 |
StE 1999, 772 |