Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangslage bei Entschädigung
Leitsatz (NV)
An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige freiwillig eine Ursachenkette in Gang setzt, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34
Tatbestand
I. B war seit 1966 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, die ein …unternehmen betrieb. Im Jahr 1969 erteilte die Klägerin B eine Pensionszusage. Danach sollte B bei Eintritt in den Ruhestand nach Vollendung des 65. Lebensjahres (24. Oktober 1993) eine lebenslange Altersruherente in Höhe von 75 % des letzten Bruttogehaltes (ohne Tantieme) erhalten; zusätzlich wurden eine Invalidenrente und eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt. B kündigte den Anstellungsvertrag zum 30. April 1994 und verzichtete unter dem 30. November 1993 auf die Leistungen aus der Pensionszusage gegen Zahlung eines Betrags von 1,2 Mio. DM zum 30. April 1994. In der Verzichtsvereinbarung heißt es dazu, dass man einen neuen Geschäftsführer gefunden habe, der gleichzeitig die Gesellschaftsanteile übernehmen wolle, allerdings nur unter der Bedingung, dass die Pensionszusage abgelöst werde. Durch Vertrag vom 31. Mai 1994 veräußerte B seine Anteile für 200 000 DM an G, den jetzigen Geschäftsführer.
Bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung wurde festgestellt, dass der Abzug der Lohnsteuer für die Abfindung nach dem halben Steuersatz berechnet worden war. Durch Haftungsbescheid vom 7. Oktober 1994 forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) gemäß § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung 286 374,34 DM an Lohnsteuer. Die Klägerin erhob Einspruch mit der Begründung, dass B gezwungen gewesen sei, die Pensionsverpflichtung abzulösen, da anderenfalls der Betrieb nicht habe veräußert werden können. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Die Haftung beruhe auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, wonach der Arbeitgeber für zu Unrecht nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer hafte. Die Lohnversteuerung richte sich nach § 39b Abs. 3 EStG; für eine Entschädigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sei die Lohnsteuer gemäß § 39b Abs. 3 Satz 10 EStG nur zur Hälfte einzubehalten. Die Voraussetzungen der § 34 Abs. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG seien indes nicht erfüllt, da die geforderte Zwangslage nicht gegeben sei. Der Verkauf der Anteile beruhe auf einer Entscheidung aus freien Stücken.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.
Die Begründung des Finanzgerichts (FG) werde den Besonderheiten des Streitfalls nicht gerecht. In dem Urteil vom 9. Juli 1992 XI R 5/91 (BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27) habe der Bundesfinanzhof (BFH) die Sache an das FG zurückverwiesen, um feststellen zu lassen, ob der Betroffene bei der Abänderung des Versorgungsvertrags einem erheblichen Druck rechtlicher, wirtschaftlicher oder tatsächlicher Natur ausgesetzt gewesen sei. Verschiedene Versuche, die Anteile an der Klägerin zu veräußern, seien an dem Vorhandensein der Pensionsanwartschaft gescheitert. Die beabsichtigte Aufgabe der Unternehmensanteile sei nicht einer freien Entscheidung entsprungen. Der Entschluss habe letztlich auf der Einsicht beruht, dass B gesundheitlich mittelfristig nicht mehr in der Lage sein würde, den Betrieb in dem bisherigen Umfang weiterzuführen, derselbe somit latent in seinem Fortbestand gefährdet gewesen sei. Lediglich die Übertragung eines funktionierenden geschäftlichen Organismus zur Gänze sei geeignet gewesen, einen angemessenen Gegenwert für die nicht bilanzierten geschäftswertbildenden Faktoren zu erlösen. B habe sich daher aufgrund der Begleitumstände sehr wohl einem erheblichen Druck wirtschaftlicher und tatsächlicher Natur ausgesetzt gesehen. Im Zerschlagungsfall hätten sich Einbußen in Bezug auf die Pensionsleistungen wohl nicht vermeiden lassen.
Entscheidendes Kriterium sei, ob sich der Steuerpflichtige einer Zwangslage ausgesetzt sehe, in der er sich dem zusammengeballten Zufluss nicht habe entziehen können. Ein derartiger Zufluss wäre auch bei einem unentgeltlichen Pensionsverzicht anzunehmen gewesen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Eine die Tarifermäßigung rechtfertigende Zwangslage habe im Streitfall nicht bestanden. Als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer habe B Entscheidungsfreiheit gehabt. Anders wäre die Rechtslage nur dann zu beurteilen, wenn trotz des beherrschenden Einflusses B die berechtigte Sorge hätte haben müssen, ohne Anteilsverkauf in Zukunft seine Versorgungsansprüche nicht mehr realisieren zu können. Diese Gefahr habe nicht bestanden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Auf der Grundlage des vom FG festgestellten Sachverhalts lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob der auf § 42d EStG gestützte Haftungsbescheid rechtswidrig ist, weil die ermittelte Lohnsteuer gemäß § 39b Abs. 3 Satz 10 EStG ―i.V.m. § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG― nur zur Hälfte einbehalten werden musste.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand (vgl. BFH-Urteil vom 21. September 1993 IX R 32/90, BFH/NV 1994, 308); der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. BFH-Urteile vom 24. Oktober 1990 X R 161/88, BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337; in BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27; vom 28. Juli 1993 XI R 4/93, BFH/NV 1994, 165, und vom 7. März 1995 XI R 54/94, BFH/NV 1995, 961). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte und die für ihn außerhalb seiner Vorstellung lagen, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen.
Mit dem FG ist der Senat zwar der Auffassung, dass die Vollendung des 65. Lebensjahres für den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH keinen ―tatsächlichen― Druck im Sinne der dargelegten Rechtsgrundsätze bedeutet, seine Anteile zu veräußern. Damit kann aber ―entgegen der Auffassung des FG― die Zwangslage hinsichtlich des Verzichts auf die Pensionsansprüche gegen Abfindung nicht von vornherein verneint werden. Der Gesellschafter-Geschäftsführer, der sich aus Altersgründen zur Veräußerung seiner GmbH-Anteile entschließt, muss nicht damit rechnen, dass dies nur bei gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen Abfindung durch die GmbH möglich ist. Denn die Gesellschaft wird in ihrer Liquidität durch laufende Zahlungen weniger beeinträchtigt als durch eine einmalige Abfindung.
2. Im Streitfall lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilen, ob die Pensionszusage auf Druck des Vertragspartners abgelöst wurde; es ist fraglich; ob der Verkauf der Anteile nur unter Aufgabe der Versorgungsansprüche möglich war. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen zunächst aus freien Stücken aufgenommener Verhandlungen über die Veräußerung von Geschäftsanteilen eine von dritter Seite aus veranlasste unvorhergesehene Zwangslage entstehen kann. Im Streitfall ist allerdings nicht eindeutig, ob im Rahmen der Verkaufsverhandlungen eine solche Zwangslage entstanden ist; denn B veräußerte seine Geschäftsanteile erst mit Vertrag vom 31. Mai 1994 an G. Auf die Leistungen aus der Pensionszusage hatte er jedoch bereits unter dem 30. November 1993 verzichtet, so dass es fraglich erscheint, ob im Zuge der Anteilsveräußerung eine Zwangslage hinsichtlich der Aufgabe der Pensionszusage begründet worden sein kann. Es ist daher notwendig, den genauen Ablauf der Vertragsverhandlungen aufzuklären und zu ermitteln, welche Umstände im Einzelnen zur Aufgabe der Pensionszusage geführt haben.
Fundstellen
Haufe-Index 708455 |
BFH/NV 2002, 638 |
DStRE 2002, 497 |