Leitsatz (amtlich)
Der aus einer KG ausgeschiedene Komplementär haftet für die nach seinem Ausscheiden entstandenen Steuerschulden der KG nicht allein deshalb, weil sein Ausscheiden im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschulden noch nicht im Handelsregister eingetragen war.
Normenkette
AO § 113; HGB § 15 Abs. 1, §§ 161, 128
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zu einem bestimmten Zeitpunkt als Komplementär aus einer Kommanditgesellschaft (KG) mit der Folge ausgeschieden war, daß er für die nach diesem Zeitpunkt entstandenen Steuerschulden der Gesellschaft nicht mehr haftet, oder ob der Kläger selbst für den Fall seines Ausscheidens deshalb haftet, weil er im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschulden noch als Komplementär im Handelsregister eingetragen war.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat den Kläger mit Haftungsbescheid gemäß § 113 der Reichsabgabenordnung (AO) für Umsatzsteuer 11/1970 bis 2/1971 sowie für Lohnsteuer 12/1970 und 1/1971 und Lohnsteuernachforderungen auf Grund einer Betriebsprüfung in Anspruch genommen. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne nicht geltend machen, er sei zum 30. September 1970 aus der KG ausgeschieden. Das FA könne sich auf § 15 Abs. 1 HGB berufen. In dieser Vorschrift werde die Fiktion aufgestellt, daß ein durch Vereinbarung aller Gesellschafter ausgeschiedener persönlich haftender Gesellschafter entgegen der dadurch veränderten Rechtslage weiterhin als Komplementär zu behandeln sei, solange sein Ausscheiden nicht eingetragen und bekanntgemacht sei. Zwar gelte § 15 HGB nach weitverbreiteter Ansicht nur im Geschäftsverkehr. Im zu entscheidenden Falle handele es sich aber um den Geschäftsverkehr, dem bei einem Handelsunternehmen auch das Steuerrechtsverhältnis zum Fiskus zugerechnet werden müsse. Die Tätigkeit des Unternehmens löse Steuern aus. Für das FA sei es daher von maßgebender Bedeutung, von welchem Rechtssubjekt diese Steuern geschuldet würden und wer für sie in Anspruch genommen werden könne. Die Eintragungen im Handelsregister seien daher für das FA und für seine Maßnahmen durchaus von Bedeutung. Im übrigen sei der Kläger aber auch noch nicht zum 30. September 1970 aus der KG ausgeschieden.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag, die Aufhebung des Haftungsbescheides, weiter.
Das FA ist der Revision entgegenetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach § 113 AO gelten, wo Gesellschaften als solche der Besteuerung unterliegen, für die persönliche Haftung der einzelnen Gesellschafter sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Die persönlich haftenden Gesellschafter einer KG haften für alle Verbindlichkeiten der KG unbeschränkt und persönlich (§ 161 i. V. m. § 128 HGB). Die Haftung bleibt auch nach dem Ausscheiden des persönlich haftenden Gesellschafters aus der KG bestehen (§ 159 HGB). Voraussetzung ist aber, daß die Ansprüche zu einer Zeit entstanden sind, zu der der Ausgeschiedene noch Komplementär der KG gewesen war.
1. Die Feststellungen des FG tragen nicht dessen Entscheidung, der Kläger sei bei Entstehung der Steueransprüche Komplementär der KG gewesen. Das FG hat lediglich vom Wortlaut der Vereinbarungen her geurteilt, ohne Feststellungen zum wirklichen Willen der Vertragschließenden zu treffen, was nur durch Vernehmung dieser Personen möglich gewesen wäre.
2. Die zur Frage des Ausscheidens des Klägers aus der KG noch zu treffenden Feststellungen sind entscheidungserheblich. Entgegen der Ansicht des FG kann sich das FA nicht auf § 15 HGB berufen. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift kann, solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, sie von demjenigen, in dessen Angelegenheit sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war. Nach zutreffender einhelliger Meinung gilt, wie aus dem Umkehrschluß aus § 15 Abs. 4 HGB folgt, die Vorschrift nur im Geschäftsverkehr, wobei überwiegend darunter nicht nur rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche, sondern auch sonstige rechtlich erhebliche Beziehungen zu fassen sind (Ballerstedt, Juristische Schulung 1965, S. 272, 274; Würdinger in Großkommentar Handelsgesetzbuch, § 15 Anm. 1 ff.; Baumbach/Duden, Handelsgesetzbuch, § 15 Anm. 2 H; sämtlich unter Bezugnahme auf das Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 8. Juli 1918 VI 94/18, RGZ 93, 238; Schlegelberger, Handelsgesetzbuch, 5. neubearbeitete Aufl., § 15 Anm. 13). Für die Anwendung des § 15 HGB kommt es zwar nicht auf das aktuelle Vertrauen des Dritten auf die Handelsregistereintragung an. Es ist aber erforderlich, daß das Vertrauen auf die Eintragung für das Verhalten des Dritten von Bedeutung sein konnte. Daher ist die Berufung auf § 15 HGB dann ausgeschlossen, wenn die Kenntnis des einzutragenden Tatsache für das Rechtsverhältnis keinerlei Bedeutung gehabt haben konnte, ein Zusammenhang zwischen der Entstehung des Anspruchs und dem Inhalt des Registers also undenkbar ist (RG-Urteil VI 94/18; Ballerstedt, a. a. O., S. 277 ff.).
Nach § 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) entsteht die Steuerschuld, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Steuer knüpft. Da die Steueransprüche und die gleichzeitig gegen den Komplementär entstehenden Haftungsansprüche (§§ 97, 113 AO, § 3 Abs. 3 StAnpG i. V. m. §§ 161, 128 HGB) ohne Mitwirkung des FA entstehen, ist ein Zusammenhang zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und des Haftungsanspruchs einerseits sowie der Handelsregistereintragung andererseits von vornherein undenkbar. Die Entstehung des Steueranspruchs ist damit ein Vorgang, der außerhalb des Geschäftsverkehrs liegt. Sie wird auch nicht dadurch zu einem Akt des Geschäftsverkehrs, daß das FA bei der weiteren Verfolgung des Steueranspruchs möglicherweise durch die Handelsregistereintragung beeinflußt werden könnte (z. B. bei Stundung oder Vollstreckungsmaßnahmen).
Der im Schrifttum verbreiteten, ohne nähere Begründung vertretenen Auffassung, ein Gesellschafter hafte für Steuerschulden, die nach seinem Ausscheiden aus einer KG oder OHG entstanden sind, dann, wenn sein Ausscheiden nicht im Handelsregister eingetragen worden ist (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, 1. bis 6. Aufl., § 113 AO Anm. 4; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 113 AO Anm. 2 a; Gericke, Finanz-Rundschau 1959 S. 467; ebenso FG München, Urteil vom 23. Mai 1958 I 87/58, Entscheidungen der Finanzgerichte 1959 S. 28), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Auch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 3. November 1959 I 2/59 U (BFHE 70, 261, BStbl III 1960, 96) auf das sich das FG berufen hat, betraf nicht den Fall der Begründung einer Haftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters über § 15 Abs. 1 HGB. Der Senat kann daher unerörtert lassen, ob dieser Entscheidung im übrigen zu folgen ist.
Da sich somit das FA nicht auf § 15 HGB berufen kann, ist es für die Frage der Haftung des Klägers entscheidungserheblich, wann er tatsächlich als Komplementär aus der KG ausgeschieden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 72798 |
BStBl II 1978, 490 |
BFHE 1979, 124 |