Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Vorliegen von Dienstreisen bei einem Kraftfahrer eines Omnibusunternehmens
Leitsatz (NV)
Die regelmäßige Arbeitsstätte eines Berufskraftfahrers befindet sich nur dann am Betriebssitz des Arbeitgebers, wenn sich aus der Häufigkeit des Aufenthalts am Betriebssitz und dem Umfang der dortigen Verrichtungen ergibt, daß dieser Platz der berufliche Mittelpunkt des Fahrers ist. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn der Fahrer zu weniger als 30 v. H. seiner Gesamtarbeitszeit am Betriebssitz eingesetzt wird.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob dem bei einem Omnibusbetrieb als Kraftfahrer angestellten Kläger und Revisionskläger (Kläger) der Abzug von Mehrverpflegungsaufwand nach Dienstreisegrundsätzen zusteht oder ob er nur die sog. Berufskraftfahrerpauschbeträge des Abschn. 22 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) vor 1990 geltend machen kann.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat den Klägern für das Streitjahr 1982 den Ansatz der Dienstreisepauschbeträge verwehrt, weil - wie in der Einspruchsentscheidung ausgeführt ist - aufgrund der täglichen Fahrtätigkeiten der Betriebssitz nicht die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers gewesen sei.
Bei der dem Kläger obliegenden Wartung, Pflege und Instandsetzung seines Omnibusses habe es sich nicht um eine umfangreiche fahreruntypische Tätigkeit gehandelt, welche den beruflichen Mittelpunkt des Klägers am Betriebssitz habe begründen können.
Im Klageverfahren (Schriftsatz vom 13. September 1984) hat der Kläger erstmals, allerdings vom FA bestritten, vorgetragen, er habe am Betriebssitz Arbeiten durchführen müssen, die ca. 30 v. H. der gesamten Arbeitszeit ausgemacht hätten. So habe er sein Fahrzeug reinigen, pflegen und reparieren müssen; ebenso habe er die Waschanlage, die Hauswaschanlage, Werkzeuge, Maschinen, den Hof und das Betriebsgebäude reinigen und instandzuhalten gehabt. In einem weiteren Schriftsatz vom 30. Juli 1986 hat er weiter vorgetragen, in den Jahren 1985 und 1986 habe er auch bei Reparaturen an anderen Bussen als dem von ihm gefahrenen, mitgeholfen. Er sei für die Montage der Sommer- und Winterreifen an sämtlichen Omnibussen im Betrieb des Arbeitgebers zuständig gewesen; neben weiteren Arbeiten am Hof habe er auch den Rasen mähen und die Hecke am Betriebsgrundstück schneiden müssen. Im Streitjahr seien die Verhältnisse ähnlich gewesen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage durch nach § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgekürztes Urteil aus den in der Einspruchsentscheidung dargelegten Gründen abgewiesen.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Er ist der Meinung, der Betriebssitz sei seine regelmäßige Arbeitsstätte. Dazu führt er im wesentlichen aus:
Das FG habe nicht seinen Vortrag beachtet, wonach die Arbeiten am Betriebssitz auf ca. 30 v. H. der Gesamtarbeitszeit zu schätzen seien. Soweit das FG sein Urteil auch auf die vom FA beim Arbeitgeber eingeholte Auskunft gestützt habe, sei nicht beachtet worden, daß es sich eher um eine Wertung des Arbeitgebers als um eine Auskunft über Art und Umfang der Tätigkeiten am Betriebssitz gehandelt habe.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könne sich die regelmäßige Arbeitsstätte eines Berufskraftfahrers am Betriebssitz des Arbeitgebers befinden, wenn sich aus der Häufigkeit des Aufenthaltes am Betriebssitz und dem Umfang der dortigen Verrichtungen ergebe, daß der Betriebssitz trotz der ausgedehnten Reisetätigkeit beruflicher Mittelpunkt des Fahrers sei, z. B., wenn der Fahrer dort Lade- und Lagerarbeiten, Reparaturarbeiten, Verpackungsarbeiten, Abrechnungs- und sonstige Büroarbeiten regelmäßig verrichte oder während einer Einsatzbereitschaft am Betriebssitz Wartezeiten verbringe. Allein aus der Tatsache, daß der Kläger im Streitjahr an 249 Tagen als Kraftfahrer im Einsatz gewesen sei, lasse sich schon ableiten, daß er außer fahrertypischen Wartungs- und Reinigungsarbeiten am jeweiligen Omnibus keine weiteren fahreruntypischen grundstücksbezogenen Arbeiten ausgeführt haben könne, weil dazu die erforderliche Zeit gefehlt habe. Auch aus der Bescheinigung des Arbeitgebers vom 26. September 1983 lasse sich entnehmen, daß der Kläger nur fahrertypische Arbeiten am Betriebssitz verrichtet habe. Hieran könne die erstmals im Klageverfahren vom Kläger vorgetragene und nicht bewiesene Behauptung, für Arbeiten am Betriebssitz ca. 30 v. H. seiner Arbeitszeit benötigt zu haben, nichts ändern. Auch die Aufzeichnungen der Jahre 1985 und 1986 ließen keine Rückschlüsse auf die Verhältnisse des Streitjahres 1982 zu.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Annahme einer Dienstreise setzt voraus, daß ein Arbeitnehmer vorübergehend den Ort seiner regelmäßigen Arbeitsstätte verläßt, um aus dienstlichen Gründen auswärts tätig zu sein. In seinen Urteilen vom 24. November 1978 VI R 171-172/76 (BFHE 126, 454, BStBl II 1979, 148) und vom 11. Mai 1979 VI R 129/77 (BFHE 127, 546, BStBl II 1979, 474) hat der Senat entschieden, daß sich bei einem Berufskraftfahrer die regelmäßige Arbeitsstätte nur dann am Betriebssitz des Arbeitgebers befindet, wenn sich aus der Häufigkeit des Aufenthaltes am Betriebssitz und dem Umfang der dortigen Verrichtungen ergibt, daß dieser Platz beruflicher Mittelpunkt des Fahrers ist. Ist dies nicht der Fall, dann ist die ständige Arbeitsstätte des Berufskraftfahrers das von ihm genutzte Fahrzeug mit der Folge, daß er keine Dienstreisen oder Dienstgänge durchführt. Diese Rechtsprechung hat der Senat in seinem Urteil vom 8. August 1986 VI R 195/82 (BFHE 147, 247, BStBl II 1986, 824) erneut bestätigt.
Der Vorentscheidung fehlen einwandfreie tatrichterliche Feststellungen, die eine abschließende Beurteilung der streitigen Rechtsfrage erlauben. Das FG hat seine nach § 105 Abs. 5 FGO abgekürzte Entscheidung im wesentlichen auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und eine vom FA beim Arbeitgeber eingeholte Auskunft gestützt. Es hat versäumt, der erstmals im Klageverfahren vom Kläger vorgetragenen Behauptung nachzugehen, daß dessen am Betriebssitz zu verrichtenden Arbeiten ca. 30 v. H. der Gesamtarbeitszeit ausgemacht hätten. Dies stellt sich als Verfahrensmangel dar, der zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz führt. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG auch zu würdigen haben, ob die Verhältnisse der Jahre 1985 und 1986 Rückschlüsse auf das Streitjahr 1982 zulassen. Sollte sich die Behauptung des Klägers bestätigen, daß er im Verlauf des Streitjahres ca. 30 v. H. seiner Arbeitszeit mit Arbeiten am Betriebssitz beschäftigt war, so bestehen gegen die Annahme von Dienstreisen keine Bedenken. Aber auch bei einem stets wiederkehrenden Einsatz am Betriebssitz von weniger als 30 v. H. der Gesamtarbeitszeit kann der Betriebssitz unter Umständen als regelmäßige Arbeitsstätte zu beurteilen sein. Diese Beurteilung hat das FG unter Beachtung der zitierten BFH-Rechtsprechung nach tatrichterlicher Einzelfallwürdigung zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 417225 |
BFH/NV 1991, 88 |