Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Unterzeichnet der Arbeitgeber die ihm gemäß § 46 Abs. 4 LStDV vorgelegte Anerkennungserklärung, so liegt darin die Erteilung eines formlosen Haftungsbescheids durch das Finanzamt.
Normenkette
LStDV § 46 Abs. 4; EStG § 38/3; AO § 212
Tatbestand
Die Bgin., eine OHG, betreibt ein Bauunternehmen und eine Dampfziegelei. Nach den Feststellungen einer im Jahre 1960 durchgeführten Lohnsteuerprüfung zahlte sie in den Jahren 1957 bis 1959 an mehrere Arbeitnehmer monatlich Pauschvergütungen für die betriebliche Benutzung der den Arbeitnehmern gehörenden Kraftfahrzeuge, ohne diese Vergütungen der Lohnsteuer zu unterwerfen. Namens der Bgin. unterzeichnete der Geschäftsführer am 26. September 1960 eine vom Prüfer vorbereitete Erklärung, daß er die festgestellte Lohnsteuer anerkenne, auf die Erteilung eines besonderen Bescheides verzichte und die Beträge ohne nochmalige besondere Aufforderung binnen einer Woche an die Finanzkasse zahlen werden.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 1960 bat die Bgin. um Erlaß der Lohnsteuer aus Billigkeitsgründen. Auf die Mitteilung des Finanzamts, daß rechtliche Bedenken gegen die Anforderung im Wege des Einspruchs gegen die Anerkennung geltend gemacht werden könnten, legte die Bgin. am 20. Oktober 1960 Einspruch ein, der vom Finanzamt als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Auf die Berufung der Bgin. hob das Finanzgericht, dessen Urteil in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1963 S. 527 veröffentlicht ist, die Einspruchsentscheidung ersatzlos auf. Es führte aus, das Finanzamt habe eine Einspruchsentscheidung nicht erlassen dürfen, weil es an einem Steuerbescheid, gegen den sich der Einspruch hätte richten können, fehle. Die Lohnsteuer hätte das Finanzamt, wie es in § 46 Abs. 3 LStDV ausdrücklich vorgeschrieben sei, durch einen schriftlichen Haftungsbescheid nachfordern müssen. Durch die Anerkennung, die der Geschäftsführer unterschrieben habe, werde der Haftungsbescheid nicht ersetzt. Wenn § 46 Abs. 4 LStDV unter den dort bezeichneten Voraussetzungen zulasse, von einem besonderen Bescheid abzusehen, so werde doch, wenn dieses Verfahren gewählt werde, kein Bescheid erteilt. Fühle sich der Steuerpflichtige an die "Anerkennung" nicht gebunden, dann müsse der in § 46 Abs. 3 LStDV vorgesehene schriftliche Bescheid nachgeholt werden. Der gegenteiligen Auffassung des Bundesfinanzhofs, auf die sich das Finanzamt stütze, sei nicht zu folgen; denn sie verstoße gegen den Wortlaut des § 46 Abs. 4 LStDV. Folgte man der Auslegung des Bundesfinanzhofs, dann stehe § 46 Abs. 4 LStDV nicht im Einklang mit den im Gesetz selbst vorgesehenen Erfordernissen. Für eine Abweichung der LStDV vom Gesetz fehle aber insoweit eine Ermächtigung.
Mit seiner Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Nach seiner Auffassung liegt in der Anerkennung des Geschäftsführers der Bgin. eine nachträgliche Lohnsteueranmeldung und in deren Entgegennahme durch das Finanzamt ein formloser Haftungsbescheid. Die Lohnsteuer könne nicht nur durch einen förmlichen Bescheid nachgefordert werden, wie das Finanzgericht meine. Die Rechtsgültigkeit des § 46 Abs. 4 LStDV sei von dem Bundesfinanzhof in den Entscheidungen VI 43/60 U vom 13. Mai 1960 (BStBl 1960 III S. 297, Slg. Bd. 71 S. 131); VI 299/61 U vom 6. Juli 1962 (BStBl 1962 III S. 355, Slg. Bd. 75 S. 551) und VI 203/62 vom 8. Februar 1963 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963 S. 305) bestätigt worden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Dem Finanzgericht ist darin beizustimmen, daß eine Einspruchsentscheidung nur ergehen durfte, wenn die streitige Lohnsteuernachforderung auf einem Haftungsbescheid beruhte und über dessen Rechtmäßigkeit zu entscheiden war. Im Gegensatz zu der Auffassung des Finanzgerichts ist ein derartiger Haftungsbescheid aber hier ergangen. § 46 Abs. 4 LStDV bestimmt, daß es eines Bescheides und eines Leistungsgebots nicht bedarf, wenn der Arbeitgeber vor dem mit der Nachprüfung eines Steuerabzugs Beauftragten des Finanzamts "seine Verpflichtung zur Zahlung der Lohnsteuer schriftlich anerkannt" hat. Zu Unrecht folgert das Finanzgericht hieraus, daß, wenn dieser Fall vorliege, überhaupt kein Bescheid ergangen sei und, wenn der Arbeitgeber seiner anerkannten Verpflichtung nicht nachkomme, ein schriftlicher Haftungsbescheid erlassen werden müsse. In aller Regel wird die Lohnsteuer in der Weise erhoben, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer einbehält und an das Finanzamt abführt (§ 41 LStDV) und über die einbehaltene Lohnsteuer eine Lohnsteueranmeldung abgibt (§ 44 LStDV). Die Pflicht zur Abgabe dieser Anmeldung besteht unabhängig davon, ob die einbehaltene Lohnsteuer auch tatsächlich an das Finanzamt abgeführt wird. Die Lohnsteueranmeldung ist eine Steuererklärung, die vom Finanzamt geprüft wird. Ergeben sich dabei keine Bedenken, so wird der Betrag zum Soll gestellt. Führt indessen die Prüfung zu der Feststellung, daß die einbehaltene Lohnsteuer zu niedrig erklärt ist, so fordert das Finanzamt die richtige Lohnsteuer durch Haftungsbescheid an (vgl. § 45 letzter Satz LStDV). Für diesen Bescheid ist die Schriftform vorgeschrieben (vgl. § 46 Abs. 3 LStDV).
Führt eine Lohnsteueraußenprüfung zu dem Ergebnis, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer zu niedrig einbehalten und abgeführt hat, so ist die richtige Lohnsteuer grundsätzlich durch einen schriftlichen Bescheid nachzufordern, wie sich aus § 46 Abs. 3 LStDV ergibt. Ein solcher Bescheid braucht aber nach § 46 Abs. 4 LStDV nicht erteilt zu werden, wenn der Arbeitgeber die Nachforderung anerkennt oder eine entsprechende Lohnsteueranmeldung nachreicht.
In den letztgenannten Fällen erhebt sich allerdings die Frage, was zu geschehen hat, wenn das Finanzamt die vom Arbeitgeber eingereichte Lohnsteueranmeldung als richtig anerkennt, der Arbeitgeber aber die angemeldete Lohnsteuer nicht abführt, weil er die Anmeldung für unrichtig hält. Wenn die Lohnsteuer abgeführt ist, hat der Reichsfinanzhof in der Entgegennahme der Lohnsteuer die Erteilung eines formlosen Steuerbescheids gegen den Arbeitgeber gesehen (Urteile I A 54/27 vom 6. Dezember 1927, Slg. Bd. 22 S. 231; IV 189/40 vom 6. Februar 1941, RStBl 1941 S. 164). Ob die dagegen erhobenen Bedenken von Becker-Riewald-Koch (Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Bd. 1, Anm. 4 b zu § 151, S. 533) begründet sind, kann für den Streitfall dahingestellt bleiben, weil hier die Lohnsteuer nicht nachträglich abgeführt worden ist, vielmehr die Bgin. nur die Nachforderung anerkannt hat, ohne auch die anerkannte Schuld zu begleichen.
In dem Urteil VI 43/60 U (a. a. O.) ist der Senat zu dem Ergebnis gekommen, daß das Finanzamt, wenn der Arbeitgeber die auf Grund einer Lohnsteueraußenprüfung festgestellte Lohnsteuernachforderung anerkannt, die Nachforderung formlos dadurch geltend gemacht habe, daß sein Prüfer dem Arbeitgeber "die formulierte Anerkennungserklärung zur Unterzeichnung vorlegte". Der Senat hat also in der Vorlage der Anerkennungserklärung die Erteilung eines formlosen Haftungsbescheids gesehen. Dieselbe Auffassung liegt dem Urteil des Senats VI 299/61 U (a. a. O.) zugrunde.
Der Senat sieht auch nach erneuter Prüfung auf Grund der vom Finanzgericht angeführten Gründe keinen Anlaß, von dieser Auffassung abzugehen. Wie bereits im Urteil VI 43/60 U (a. a. O.) ausgeführt ist, fällt die Anforderung von Lohnsteuer nicht unter § 210 b AO. Wenn die Lohnsteuer auch nur die in besonderer Form erhobene Einkommensteuer der Arbeitnehmer ist, so ist mit der in § 210 b Abs. 1 AO genannten Steuer "vom Einkommen" doch nur die zu veranlagende Einkommensteuer gemeint, nicht ist etwa dadurch auch der Steuerabzug vom Arbeitslohn betroffen oder gar in Frage gestellt. § 210 b Abs. 1 AO steht danach der Annahme, daß eine Lohnsteuernachforderung durch einen formlosen Bescheid geltend gemacht werden kann, nicht entgegen. Daß die Nachforderung von Lohnsteuer der Erteilung eines schriftlichen Bescheids bedürfe, ließe sich deshalb nur aus § 46 Abs. 3 LStDV herleiten. In § 46 Abs. 4 LStDV ist aber zugleich gesagt, daß es eines solchen Bescheids nicht bedürfe, wenn der Arbeitgeber die durch die Prüfung festgestellte Lohnsteuernachforderung schriftlich anerkennt. Wenn man aber annimmt, daß der Verordnungsgeber in § 46 Abs. 3 LStDV die Erteilung eines schriftlichen Bescheids anordnen konnte, dann muß man ihm auch das Recht zuerkennen, für bestimmte Fälle Ausnahmen zuzulassen. Mit anderen Worten: Wenn, wie im Streitfall, der Arbeitgeber die "Verpflichtung zur Zahlung der Lohnsteuer schriftlich anerkannt hat", dann ist die Erteilung eines schriftlichen Haftungsbescheids nicht erforderlich. Man kann also § 46 Abs. 4 nur im Zusammenhang mit § 46 Abs. 3 LStDV lesen. Dabei ergibt sich aber ohne jeden Zwang die Folgerung, daß es in den Fällen des § 46 Abs. 4 LStDV nicht der Erteilung eines schriftlichen Bescheids bedarf.
Nach der Ansicht des Senats entspricht auch die Auffassung, daß in Fällen der vorliegenden Art ein formloser Haftungsbescheid erteilt ist, dem Zweck des Lohnsteuerabzugsverfahrens, das im Interesse aller Beteiligten auf Vereinfachung bedacht ist. Folgte man der Auffassung des Finanzgerichts, so hätte die Anerkennung überhaupt keinen Sinn und das Finanzamt müßte, um Verzögerungen vorzubeugen, immer gleich einen schriftlichen Haftungsbescheid erlassen.
Die Auffassung des Senats führt zwar dazu, daß die Unterzeichnung der Anerkennungserklärung zu einer Bindung des Arbeitgebers führt. Aber dabei ist zu beachten, daß erstens der Arbeitgeber zu einer solchen Unterzeichnung nicht verpflichtet ist, und zweitens, daß er den formlosen Bescheid, der mit der Anerkennung erteilt ist, innerhalb der Rechtsmittelfrist noch angreifen kann. Erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist tritt also eine endgültige Bindung des Arbeitgebers ein.
Da hier die Bgin. denn in der Anerkennung liegenden Haftungsbescheid fristgerecht angefochten hat, muß das Finanzgericht bei der erneuten Entscheidung auf die sachlichen Einwendungen der Bgin. eingehen.
Fundstellen
Haufe-Index 411441 |
BStBl III 1965, 181 |
BFHE 1965, 502 |
BFHE 81, 502 |