Leitsatz (amtlich)
Ist ein Steuerbescheid, gegen den unzulässigerweise eine Klage nach § 46 FGO erhoben war, während des Revisionsverfahrens geändert worden und ist der Änderungsbescheid nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden, kann der BFH ohne Rücksicht darauf, ob gegen den Änderungsbescheid eine Klage nach § 46 FGO zulässig wäre, nach § 127 FGO die Vorentscheidung aufheben und die Sache an das FG zurückverweisen.
Normenkette
FGO § 46 Abs. 1, §§ 68, 123 Sätze 2, 127
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ am 19. November 1965 Sorghumhirse aus den USA aufgrund der Einfuhrgenehmigung der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt Getr) abschöpfungsfrei zum freien Verkehr abfertigen. Die EVSt Getr widerrief die gewährte Erstattung in Form der abschöpfungsfreien Einfuhr am 8. Dezember 1966. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage beim FG gegen den Widerrufsbescheid. Dieses setzte die Vollziehung des Widerrufsbescheids durch Beschluß vom 27. Oktober 1967 aus. Aufgrund des Widerrufs der Erstattung hatte das ZA Abschöpfung und Ausgleichsteuer mit Bescheid vom 14. Dezember 1966 nachgefordert. Dessen Vollziehung setzte das ZA auf den mit dem erhobenen Einspruch gestellten Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 6. Januar 1967 aus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (HZA) teilte der Klägerin auf deren Antrag mit, daß er die Entscheidung über den Einspruch aussetze, weil der Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens von dem Ergebnis des Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids der EVSt Getr abhängig sei. Am 14. November 1967 erhob die Klägerin Klage gemäß § 46 FGO, weil seit der Einspruchseinlegung mehr als sechs Monate vergangen seien, ohne daß das HZA über den Rechtsbehelf entschieden habe. Die Aussetzung nach § 244 AO sei kein zureichender Grund.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab.
Während des Verfahrens über die dagegen eingelegte Revision ermäßigte das HZA durch Steueränderungsbescheid vom 4. Januar 1973 die nachgeforderten Abgaben, nachdem die EVSt Getr dem Einspruch der Klägerin gegen den Widerrufsbescheid hinsichtlich des größten Teils der eingeführten Warenmenge stattgegeben hatte. Insoweit erklärten die Beteiligten die Hauptsache für erledigt. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 1973 beantragte die Klägerin gemäß § 68 FGO, den Steueränderungsbescheid zum Gegenstand des Finanzstreits zu machen. Mit einem weiteren Schriftsatz vom gleichen Tag legte die Klägerin vorsorglich Einspruch gegen den Steueränderungsbescheid ein.
Die Klägerin macht geltend, daß der Änderungsbescheid der EVSt Getr vom 18. August 1972 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Finanzstreits vor dem FG gemacht worden sei. Entsprechend dem Beschluß des BFH vom 20. April 1971 VII B 15/70 (BFHE 102, 1) wirke die Rücknahme des Erstattungswiderrufsbescheids der EVSt Getr auf den Zeitpunkt der Einfuhr zurück mit der Folge, daß auch der Abschöpfungs-Nacherhebungsbescheid, der auf den ursprünglichen, dann teilweise zurückgenommenen Erstattungswiderrufsbescheid gestützt gewesen sei, von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Die weitere Folge dieser rückwirkenden Kraft sei dann aber auch, daß kein zureichender Grund bestanden habe, die Entscheidung über den Einspruch auszusetzen. Auch dieser zureichende Grund sei rückwirkend fortgefallen. Daher sei hinsichtlich des erledigten Teils die Klage als von vornherein zulässig anzusehen. Dieselben Rechtsfolgen ergäben sich aus der rechtlichen Bedeutung, die dem Änderungsbescheid des HZA zukomme, der nunmehr aufgrund des § 68 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens sei. Im Beschluß vom 8. November 1971 Gr S 9/70 (BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219) habe der Große Senat des BFH die Erklärung nach § 68 FGO und die daran geknüpften Rechtswirkungen als Klageänderung qualifiziert. Eine wirksame Klageänderung setze nach herrschender Auffassung weder eine ursprünglich begründete noch eine ursprünglich zulässige Klage, sondern lediglich eine ordnungsgemäß anhängige Klage voraus. Zweck dieser Regelung sei, eine ursprünglich unzulässige oder unbegründete Klage durch Einführung eines neuen Streitgegenstands zulässig und begründet zu machen und ihr zum Erfolg zu verhelfen (BFHE 103, 554 oben). Unbeachtlich sei, daß die Entscheidung über den ursprünglichen Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid ausgesetzt gewesen sei. Denn der aufgrund des § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Änderungsbescheid des HZA vom 4. Januar 1973 sei an die Stelle des früheren Bescheids des ZA vom 14. Dezember 1966 getreten. Hinsichtlich dieses Änderungsbescheides sei aber weder ein Einspruch notwendig gewesen noch habe die Entscheidung über einen solchen Einspruch ausgesetzt werden können, da für die Einführung des Änderungsbescheides gemäß § 68 FGO in den Finanzstreit ein Vorverfahren nicht erforderlich sei. Der "Klageerhebung" gemäß § 68 FGO habe daher weder ein mitgeteilter zureichender Grund noch Treu und Glauben entgegengestanden.
Die Klägerin beantragt, dem HZA die Kosten des Verfahrens hinsichtlich des in der Hauptsache erledigten Teils des Rechtsstreits aufzuerlegen; im übrigen den Finanzstreit auszusetzen, hilfsweise, insoweit die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen; ferner der Klägerin die Kosten des Verfahrens insoweit aufzuerlegen, als der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
Das HZA führt aus: Der dem § 46 FGO innewohnende Rechtsschutzgedanke stelle nicht den Vorrang des Vorverfahrens in Frage. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift ergebe sich unmittelbar aus § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO, vor allem aber aus Sinn und Zweck des Vorverfahrens und seiner prozessualen Natur. Im Streitfalle habe das HZA der Klägerin einen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung des Einspruchs mitgeteilt. Für die Frage der Rechtmäßigkeit des Abschöpfungsbescheides sei der Ausgang des Verfahrens über den Widerrufsbescheid der EVSt Getr vorgreiflich.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Auf den Antrag der Klägerin ist der Steueränderungsbescheid des HZA vom 4. Januar 1973 kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens geworden (§ 123 Satz 2 in Verbindung mit § 68 FGO; vgl. BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 Gr S 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Allerdings war eine Klage aufgrund des § 46 Abs. 1 FGO gegen den ursprünglichen Abgabenbescheid nicht zulässig, weil das HZA der Klägerin einen zureichenden Grund für das Nichtergehen der Einspruchsentscheidung mitgeteilt hatte, nämlich, daß diese von der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids der EVSt Getr abhängig sei (siehe BFH-Beschluß vom 31. August 1971 VII R 36/70, BFHE 103, 38). Das steht jedoch einer Sachentscheidung über den Änderungsbescheid nicht im Wege. Sinn und Zweck der in § 68 FGO getroffenen Regelung ist es, einerseits dem HZA zu ermöglichen, den angefochtenen Verwaltungsakt auch nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt zu ändern oder zu ersetzen, und andererseits den Kläger dadurch verfahrensrechtlich nicht schlechter zu stellen. Deshalb entfällt hinsichtlich des zum Verfahrensgegenstand gewordenen Änderungsbescheids das nach § 44 FGO vorgeschriebene Vorverfahren und damit auch die Klagemöglichkeit nach § 46 FGO, wonach bei Verzögerung der Einspruchsentscheidung durch das HZA ohne zureichenden Grund die Klage ohne vorherigen Abschluß des Vorverfahrens zulässig ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. März 1969 V 171/65, BFHE 96, 28, BStBl II 1969, 524; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.-6. Aufl., Anm. 2 und 6a zu § 123 FGO). Es kommt daher zwar auf die im Streitfall nicht zweifelhafte Zulässigkeit der Revision an, nicht aber darauf, ob gegen den neuen Bescheid eine Klage nach § 46 FGO zulässig wäre. Ebenso ist es unerheblich, daß die Klägerin gegen diesen Bescheid gleichzeitig Einspruch eingelegt hat und ob das HZA über den Einspruch entscheiden kann oder auch dieser Entscheidung der hinsichtlich des ursprünglichen Bescheides mitgeteilte Grund entgegensteht. Nach alledem ist darüber zu befinden, ob der zum Gegenstand des Verfahrens gewordene Änderungsbescheid rechtmäßig ist. Ist während des Revisionsverfahrens ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden, kann der BFH nach § 127 FGO die Vorentscheidung aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen. Es war im Streitfall geboten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, da die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids von der Entscheidung über den Widerruf der Erstattung abhängt, so daß die Sache zur Zeit nicht spruchreif ist und das FG auch noch keine Gelegenheit hatte, über die streitige Abgabenforderung sachlich zu entscheiden.
Der Erklärung der Beteiligten, daß der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt sei, als die Abgabenforderung herabgesetzt worden sei, kann eine verfahrensrechtliche Bedeutung nicht zukommen. Durch den Antrag der Klägerin nach § 68 FGO ist allerdings an die Stelle des ursprünglichen Bescheides der denselben Abgabenfall betreffende Änderungsbescheid getreten, durch den sich zwar die Höhe der Abgabenfestsetzung geändert hat, ohne daß damit aber eine Erledigung des Rechtsstreits um die wegen des Einfuhrfalles erhobene Abgabenforderung eingetreten wäre. Die Einbeziehung des Änderungsbescheides in das Verfahren anstelle des ursprünglichen Bescheides wirkt sich daher zwar auf die Höhe des Streitgegenstandes aus, doch ist für eine gesonderte Entscheidung über die Kosten wegen einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 138 FGO) kein Raum. Dem FG war daher auch die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens zu übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO). Der Streitwert wurde gemäß § 140 Abs. 3 FGO festgesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 70729 |
BStBl II 1974, 111 |
BFHE 1974, 10 |