Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Irrtum über das Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid
Leitsatz (NV)
1. Legt ein Steuerpflichtiger innerhalb der Einspruchsfrist keinen Rechtsbehelf gegen den Grundlagenbescheid ein, weil er meint, bereits mit dem Einspruch gegen den Folgebescheid das Erforderliche veranlaßt zu haben, so rechtfertigt dieser Irrtum nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
2. Wiedereinsetzung kann auch nicht wegen Unerfahrenheit des persönlich haftenden Gesellschafters in steuerlichen Dingen gewährt werden, wenn er über den Rechtsbehelf zutreffend belehrt wurde und er den Rat seines steuerlichen Beraters hätte einholen können.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 355 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Gegenüber der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung Gewinnfeststellungs-Änderungsbescheide u. a. für 1971 bis 1975, die am 28. Oktober 1982 an die Adresse der Klägerin zur Post gingen und eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielten.
Zuvor hatte das FA aufgrund der Prüfungsfeststellungen bei der Klägerin und aufgrund einer gesonderten Prüfung der persönlichen Einkommensverhältnisse des persönlich haftenden Gesellschafters und seiner Ehefrau die Einkommensteuerbescheide der Eheleute mit Bescheiden vom Dezember 1980 und Februar 1981 geändert. Hiergegen hatten die Eheleute durch ihren Steuerberater Einspruch eingelegt.
Gegen die Feststellungsänderungsbescheide vom 28. Oktober 1982 legte die Klägerin durch den Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 12. Januar 1983 Einspruch ein, verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug der Prozeßbevollmächtigte vor: Am 7. Januar 1983 habe er aufgrund ihm übergebener Änderungs-Gewerbesteuermeßbescheide bei der Klägerin nachgefragt, ob noch keine geänderten Feststellungsbescheide eingegangen seien. Letzteres habe sich daraufhin herausgestellt. Ursächlich für die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist sei die Annahme der Eheleute gewesen, daß mit den gegen die endgültigen Einkommensteuer-Änderungsbescheide eingereichten Einsprüchen alles Nötige veranlaßt worden sei. Insoweit habe die falsche Reihenfolge der Bescheide zu einer Täuschung geführt. Außerdem sei in der Zeit von Anfang Oktober bis Mitte November 1982 mit dem FA mehrfach in der Steuerfahndungssache korrespondiert worden, so daß zu diesem Zeitpunkt auch von seiner (des Prozeßbevollmächtigten) Seite nicht habe erwartet werden können, daß das FA Maßnahmen wie den Erlaß der Feststellungsbescheide ergreifen würde.
Das FA wies den Einspruch mit Bescheid vom 7. November 1983 als unzulässig zurück, weil der Einspruch verspätet und die Versäumung der Einspruchsfrist nicht entschuldbar sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 110 der Abgabenordnung (AO 1977).
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung vom 7. November 1983 die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Zu Recht hat das FG die Klage - gegen die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig - abgewiesen.
Im Hinblick auf die verspätete Einspruchseinlegung der Klägerin gegen die Gewinnfeststellungs-Änderungsbescheide konnte ihr keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) einzuhalten (§ 110 Abs. 1 AO 1977).
Insbesondere war die Klägerin an der rechtzeitigen Einspruchseinlegung nicht durch einen entschuldbaren Verfahrensirrtum gehindert. Irrt der Steuerpflichtige über das Verhältnis der beiden Verfahrensarten - hier Veranlagung und Gewinnfeststellung - sowie über den Eintritt der Unanfechtbarkeit des zuletzt ergangenen Bescheids bei Einspruchseinlegung nur gegen den zuvor im anderen Verfahren ergangenen Bescheid, so rechtfertigt sich hieraus keine Nachsicht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Januar 1965 I 419/62, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 153).
Die behauptete Unerfahrenheit des persönlich haftenden Gesellschafters der Klägerin in steuerlichen Dingen führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung, weil er über den Rechtsbehelf zutreffend belehrt wurde und er - z. B. durch Weiterleitung der Bescheide - den Rat seines steuerlichen Beraters hätte einholen können (vgl. BFH-Urteile vom 3. Juli 1986 IV R 133/84, BFH/NV 1986, 717, 718 unter 1. a; vom 18. Dezember 1985 I R 30/85, BFH/NV 1986, 675, 676 unter 2.; vom 5. Dezember 1963 III 158/61, StRK, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 118).
In Anbetracht des Verschuldens seitens des persönlich haftenden Gesellschafters der Klägerin kommt es nicht auf das fehlende Verschulden des steuerlichen Beraters an, der aus seiner mit dem FA - im Hinblick auf die Prüfungsfeststellungen - geführten Korrespondenz keine Kenntnis von den Feststellungsbescheiden erlangt hatte.
Im übrigen bestehen keine Anhaltspunkte für eine Auslegung von Teilen dieser Korrespondenz als Einspruch gegen die Gewinnfeststellungs-Änderungsbescheide
vom 28. Oktober 1982.
Fundstellen
Haufe-Index 416345 |
BFH/NV 1989, 754 |