Leitsatz (amtlich)
Die Übertragung einer stillen Rücklage auf ein Ersatzwirtschaftsgut ist dann nicht zulässig, wenn der Steuerpflichtige bereits beim Erwerb oder der Bebauung eines Grundstücks mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen mußte, daß ihn ein behördlicher Eingriff dazu zwingen werde, das Grundstück wieder zu veräußern oder zu räumen.
Normenkette
EStG §§ 4-6; EStR Abschn. 35
Tatbestand
Berichtigung: Im Urteil I R 133/66 vom 14. Mai 1969 (BStBl II 1969, 488) ist auf Seite 489, linke Spalte, in der 14. Zeile das Wort "begründet" durch das Wort "unbegründet" zu ersetzen.
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) betrieb bis zum Streitjahr 1958 auf einem Grundstück in H. die Herstellung von Straßenbaumaschinen. Das Grundstück lag in einem Bereich, der nach der Stadtplanung als Kleingartengebiet ausgewiesen war und für den seit 1930 ein Bebauungsverbot bestand. Der Steuerpflichtige hatte das Grundstück, das während des Krieges als Militärgelände benutzt wurde und mit zwei massiven Steinbaracken bebaut war, seit 1945 vom Fiskus gepachtet und darauf während der Pachtzeit ohne Baugenehmigung sechs Wellblechbaracken errichtet. Die Baubehörde duldete die Bauten und erteilte nachträglich widerrufliche, kurz befristete Baugenehmigungen. Im Jahr 1954 kaufte der Steuerpflichtige das Grundstück. Die Stadt wies den Steuerpflichtigen darauf hin, daß er aus der von ihr erteilten Genehmigung des Kaufvertrags keinen Anspruch auf Erteilung einer Dauerbaugenehmigung herleiten könne. Am 3. September 1957 erhielt der Steuerpflichtige auf seinen Antrag die auf vier Jahre befristete, widerrufliche Genehmigung für alle bis dahin auf dem Grundstück errichteten Bauten. Bei dieser Gelegenheit wurde er nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Grundstück nach dem rechtskräftigen Benutzungsplan zum Außengebiet der Stadt gehöre, in dem eine Dauerbaugenehmigung für den Gewerbebetrieb des Steuerpflichtigen nicht erteilt werden könne, weil die erforderliche Heranführung von Abwasserkanälen nicht möglich sei und der Betrieb einer geordneten Entwicklung des Stadtgebiets zuwiderlaufe.
Am 28. August 1958 veräußerte der Steuerpflichtige das Grundstück in H. samt Gebäuden an eine GmbH und verlegte seinen Betrieb nach L. auf ein Grundstück, das er im Jahr 1956 erworben hatte. Den Veräußerungsgewinn von 77 592 DM übertrug er als stille Rücklage auf die Betriebsgebäude, die er in den Jahren 1957 und 1958 in L. errichtet hatte.
Der Revisionsbeklagte (das FA) erkannte die Übertragung der stillen Rücklage nicht an.
Die Klage blieb ohne Erfolg.
Das FG hat ausgeführt, der Steuerpflichtige habe das Grundstück in H. in Kenntnis des bestehenden Bauverbots erworben und sei daher das Risiko, eines Tages von diesem Grundstück weichen zu müssen, bewußt eingegangen. Daher habe ein späterer behördlicher Eingriff für ihn kein "unvorhersehbares" Ereignis sein können. Die Verhältnisse hätten sich insoweit auch nie geändert. Die Baubehörde habe auf ein gerichtliches Auskunftersuchen bestätigt, daß der Steuerpflichtige zu keiner Zeit mit einer unbefristeten Baugenehmigung habe rechnen können. Diese Auskunft entspreche dem Inhalt der Bauakten, die das Gericht beigezogen habe. Ohne Bedeutung sei, ob der Steuerpflichtige während der Pachtzeit oder später darauf vertraut habe, er werde doch noch eine Dauerbaugenehmigung erhalten. Ohne Belang sei auch, daß der Gesellschaft, die das Grundstück in H. von dem Steuerpflichtigen erworben habe, Dauerbaugenehmigungen erteilt worden seien; denn sie unterhalte - im Gegensatz zum Steuerpflichtigen - einen reinen Lagerbetrieb, der nicht mit Lärmbelästigungen verbunden sei und für den die Anlage von Abwasserkanälen offenbar nicht erforderlich sei, so daß er einer geordneten städtischen Entwicklung nicht zuwiderlaufe.
Auf die weitere Frage, ob die alten und die neuen Betriebsgebäude des Steuerpflichtigen bei dem bestehenden erheblichen Art- und Wertunterschied noch als funktionsgleich anzusehen seien, brauche bei dieser Sachlage nicht eingegangen zu werden.
Mit der Revision rügt der Steuerpflichtige unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er führt aus, für den Entschluß, das Grundstück zu veräußern, seien allein die Weigerung der Baubehörde, eine Dauerbaugenehmigung zu erteilen, und die ernstzunehmende Drohung, daß nach Ablauf der befristeten Baugenehmigung die Betriebsgebäude und Hallen notfalls zwangsweise beseitigt werden würden, ursächlich gewesen. Die Auffassung des FG, der zu erwartende behördliche Eingriff sei kein "unvorhersehbares" Ereignis gewesen, berücksichtige in keiner Weise die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse. Die Baubehörde habe entgegen dem Vorkriegs-Wirtschaftsplan und dem Flächennutzungsplan von 1951 eine Benutzung des Geländes, zu dem auch das Grundstück in H. gehöre, zu wohn- und gewerblichen Zwecken zugelassen. Er, der Steuerpflichtige, habe daher damit rechnen können, daß ihm eine Dauerbaugenehmigung erteilt werden würde. Ein weiteres Beweisanzeichen dafür sei die Tatsache, daß die Baubehörde zunächst seit 1945 keinerlei Maßnahmen ergriffen habe, um den Betrieb zu entfernen. Eine andere Entwicklung sei erst eingetreten, als die Anwohner sich wegen dauernder Lärmbelästigungen durch den Betrieb des Steuerpflichtigen bei der Baubehörde wiederholt beschwert hätten. Erst seit dieser Zeit sei die Baubehörde gegenüber ihm, dem Steuerpflichtigen, ernsthaft tätig geworden, insbesondere durch Androhung der zwangsweisen Beseitigung der Betriebsgebäude nach Ablauf der befristeten Baugenehmigung. Der Inhalt der Bauakten, auf den sich das FG allein gestützt habe, gebe den tatsächlichen Ablauf des Geschehens nicht wieder.
Der Steuerpflichtige beantragt, das Urteil des FG aufzuheben, in der Sache zu erkennen und die Bildung einer steuerfreien Rücklage - gemeint ist: die Übertragung der stillen Rücklage - zuzulassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Verwaltung und Rechtsprechung lassen es zu, daß ein steuerpflichtiger Gewinn, der beim Abgang eines Wirtschaftsguts durch Auflösung stiller Rücklagen entstehen würde, durch Übertragung der stillen Rücklage auf ein Ersatzwirtschaftsgut oder durch Bildung einer steuerfreien Rücklage für Ersatzbeschaffung vermieden wird, wenn das Wirtschaftsgut infolge höherer Gewalt oder infolge eines behördlichen Eingriffs gegen Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und im selben Wirtschaftsjahr ein Ersatzwirtschaftsgut angeschafft oder hergestellt wird oder wenn an dem auf das Ausscheiden des Wirtschaftsguts folgenden Bilanzstichtag eine Ersatzbeschaffung ernstlich geplant ist (Abschn. 35 EStR 1958; Urteil des BFH I 97/65 vom 12. März 1969, BFH 95, 178, BStBl II 1969, 381). Das gleiche gilt, wenn ein Wirtschaftsgut zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs veräußert wird (BFH-Urteil I 18/65 vom 15. Januar 1969, BFH 95, 92, BStBl II 1969, 310). Der behördliche Eingriff muß nicht gerade in einer Enteignung, sondern kann auch in einem Bauverbot bestehen (BFH-Urteil I 51/59 U vom 22. September 1959, BFH 72, 1, BStBl III 1961, 1). Unter besonderen Umständen, z. B. wenn der Steuerpflichtige einen behördlichen Eingriff als unmittelbar bevorstehend erkennt, kann die Ersatzbeschaffung auch der Aufdeckung der stillen Reserven vorangehen, denn wesentlich ist nur, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem behördlichen Eingriff und der Ersatzbeschaffung besteht (BFH-Urteil I 51/59 U, a. a. O.).
Im Streitfall sprechen manche Umstände dafür, daß der Steuerpflichtige das Grundstück in H. veräußert und das Grundstück in L. bebaut hat, weil er mit der Erteilung einer Dauerbaugenehmigung nicht mehr rechnen konnte und nach Ablauf der befristeten Baugenehmigung der behördliche Zwang zur Beseitigung seiner Betriebsgebäude oder jedenfalls zur Einstellung seines Betriebs drohte. Gleichwohl hat das FG im Ergebnis zutreffend die Übertragung der stillen Rücklage abgelehnt. Es erscheint zweifelhaft, ob die Übertragung einer stillen Rücklage bereits grundsätzlich daran scheitert, daß der behördliche Eingriff "vorhersehbar" war. Der Senat legt seiner Entscheidung auch nicht die allgemeinen Ausführungen in dem nicht veröffentlichten BFH-Urteil VI 156/63 vom 28. August 1964 zugrunde, wonach dem Unternehmer bekannte und bei Erwerb des Grundstücks bereits bestehende Risiken - im damaligen Streitfall das Risiko einer Stadtplanungsänderung - dann, wenn sie einträten, nicht zu den Ereignissen gehörten, die zur Anwendung der Grundsätze über die steuerfreie Übertragung stiller Rücklagen auf ein Ersatzwirtschaftsgut oder die Bildung steuerfreier Rücklagen für Ersatzbeschaffung führten. Wenn aber ein Steuerpflichtiger bei der Bebauung oder beim Erwerb eines Grundstücks mit einer hohen Wahrscheinlichkeit damit rechnen muß, daß ihn ein behördlicher Eingriff dazu zwingen werde, das Grundstück wieder zu räumen oder zu veräußern, erscheint es nicht gerechtfertigt, dem Steuerpflichtigen den Rechtsvorteil der Übertragung der stillen Rücklage auf ein Ersatzwirtschaftsgut zu gewähren. Denn in diesem Fall ist die Räumung oder Veräußerung des Grundstücks bei wirtschaftlicher Betrachtung weniger eine Folge des behördlichen Eingriffs als eine Folge eines eigenen geschäftlichen Verhaltens.
So lag die Sache im Streitfall. Das FG hat ohne Rechtsfehler und damit für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß der Steuerpflichtige zu keiner Zeit damit habe rechnen können, eine unbefristete Baugenehmigung zu erhalten. Das bedeutet im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen des FG, daß der Steuerpflichtige bereits zur Zeit der Bebauung und zur Zeit des Erwerbs des Grundstücks in H. mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen mußte, früher oder später das Grundstück räumen zu müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 68569 |
BStBl II 1969, 488 |
BFHE 1969, 440 |