Leitsatz (amtlich)
1. Erwerben mehrere Personen in rechtlich verbundenen Verträgen sämtliche Erbanteile an einem Nachlaß, der nur aus einem Grundstück besteht, können die Vereinbarungen bereits zivilrechtlich als Kauf der Miteigentumsanteile am Grundstück bei gleichzeitiger Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu qualifizieren sein.
2. Nach § 6 StAnpG bzw. § 42 AO 1977 unterliegt ein Rechtsgeschäft, das auf die Übertragung von Miteigentumsanteilen an einem Grundstück gerichtet ist, selbst dann gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG der Grunderwerbsteuer, wenn es zivilrechtlich noch als Erbteilskauf qualifiziert werden könnte.
Orientierungssatz
1. Ausführungen zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Steuerumgehung (BFH) sowie zur Korrektur der vertraglichen Eigenqualifikation der Parteien eines Rechtsgeschäfts im Hinblick auf das wirklich Gewollte im Zivilrecht (BGH, Lit.).
2. Die Entscheidung über einen Erlaß aus Billigkeitsgründen (§ 227 AO 1977) ist eine Ermessensentscheidung (vgl. GmSOGB-Beschluß vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70). Bei der Nachprüfung von Ermessensentscheidungen der Verwaltung (§ 102 FGO) ist dem Gericht, wenn es die Ermessensentscheidung für fehlerhaft hält, eine eigene ersetzende Entscheidung nur dann eröffnet, wenn im Einzelfall die Ermessensgrenzen ausnahmsweise so eingeengt sind, daß nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist, während jede andere notwendig zu einem Ermessensfehler führen müßte (vgl. BFH-Urteil vom 26.9.1968 IV R 53/68).
Normenkette
StAnpG § 6; AO 1977 § 42; GrEStG NW § 1 Abs. 1 Nr. 1; BGB §§ 133, 157; AO 1977 §§ 5, 227; FGO § 102
Tatbestand
Die beiden Kläger haben mit notariellem Vertrag vom 4.Juli 1972 von den einzelnen Mitgliedern zweier ungeteilter Erbengemeinschaften deren sämtliche Erbanteile aus dem Nachlaß der Eheleute S erworben. Der Nachlaß der Eheleute bestand im Zeitpunkt des Erwerbs lediglich jeweils aus dem hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück. Die Veräußerer traten ihre Erbanteile mit dinglicher Wirkung ab. Das Grundbuch wurde dahingehend berichtigt, daß die Kläger als Eigentümer zu je 1/2 in Erbengemeinschaft eingetragen wurden. In dem Vertrag wurde ausdrücklich festgestellt, daß zum Nachlaß der Eheleute nur noch jeweils der hälftige Anteil an dem Grundstück gehört. Weiter leisteten die Veräußerer Gewähr dafür, daß die Nachlässe frei werden von allen Verbindlichkeiten und versicherten, daß zu den Nachlässen keine weiteren Verbindlichkeiten gehören. Gleichzeitig erklärten die Veräußerer, die Käufer von etwa sich herausstellenden Verbindlichkeiten freizustellen. Die Fälligkeit des Kaufpreises hing von der Räumung des Hauses ab. Ausdrücklich wurde festgestellt, daß alle Erbteilskaufverträge eine Einheit darstellen mit der Folge, daß die Unwirksamkeit eines Vertrages auch die Unwirksamkeit der anderen nach sich zieht.
Durch Steuerbescheide vom 16.November 1972 erhob das beklagte Finanzamt (FA) gegenüber jedem Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von je 7 698 DM. Zur Steuerfestsetzung erläuterte das FA, nach dem Inhalt der Verträge handle es sich nicht um Erbteilskäufe, sondern um Kaufverträge. Der Einspruch der Kläger blieb ohne Erfolg. Die dagegen erhobene Klage nahmen die Kläger zurück.
Die Kläger beantragten nunmehr unter Hinweis auf den Erlaß des Finanzministers Nordrhein-Westfalen vom 14.Juni 1976 S 4500-10-V A 2, die Steuer zu erlassen.
Das FA lehnte den Antrag ab, weil die von den Klägern gewählte bürgerlich-rechtliche Gestaltung des Kaufvertrages auch schon vor Änderung der Rechtsprechung als Steuerumgehung angesehen worden und damit steuerpflichtig gewesen sei. Auch die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung führte es aus, im Streitfall sei nur eine bestimmte ermessensfehlerfreie Entscheidung möglich gewesen, nämlich die Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen nicht zu erheben; denn die von den Klägern vorgenommene Rechtsgestaltung sei nicht mißbräuchlich i.S. des § 6 Abs.1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG).
Mit seiner Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das FG hat zu Unrecht die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlaß bejaht.
1. Gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) können Steuern erlassen werden, wenn die Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über einen Erlaß aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Ermessensentscheidungen sind im finanzgerichtlichen Verfahren dahin zu prüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 121 i.V.m. § 102 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dabei ist dem Gericht, wenn es die Ermessensentscheidung der Verwaltung für fehlerhaft hält, eine eigene ersetzende Entscheidung nur eröffnet, wenn im Einzelfall die Ermessensgrenzen ausnahmsweise so eingeengt sind, daß nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist, während jede andere notwendig zu einem Ermessensfehler führen müßte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.September 1968 IV R 53/68, BFHE 94, 110, BStBl II 1969, 77).
Im Streitfall hat das FG zu Unrecht unter Hinweis auf den Erlaß des Finanzministers Nordrhein-Westfalen vom 14.Juni 1976 S 4500-10-V A 2 angenommen, die Ablehnung des Erlasses sei ermessensfehlerhaft und die Voraussetzungen für eine eigene Entscheidung seien gegeben.
Offenbleiben kann, ob der zur Vermeidung von Unbilligkeiten aufgrund der Änderung der Rechtsprechung zum Erbteilskauf ergangene Erlaß sich im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraums hält, denn der Vertrag vom 4.Juli 1972 unterlag als Rechtsgeschäft, das auf die Übereignung eines Grundstücks gerichtet war, auch vor der Änderung der Rechtsprechung zum Erbteilskauf gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der Grunderwerbsteuer, da die Voraussetzungen des § 6 StAnpG bzw. § 42 AO 1977 erfüllt waren.
§ 42 AO 1977 bestimmt, daß durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden kann. Das FG hat die Tragweite des Rechtsmißbrauchs nicht zutreffend erkannt.
Steuerumgehung ist ein Unterfall der Gesetzesumgehung. Sie besteht in einem Verhalten, auf das die durch Auslegung ermittelte Regelung des Gesetzes nicht anwendbar ist, obwohl dieses Verhalten dem Zweck der Gesetzesvorschrift entspricht (z.B. BFH-Urteile vom 19.März 1980 II R 23/77, BFHE 130, 422, BStBl II 1980, 598; vom 19.Juni 1985 I R 115/82, BFHE 144, 264, BStBl II 1985, 680, mit zahlreichen Nachweisen). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bestimmt sich zunächst danach, in welcher Weise das jeweilige Steuergesetz die typischen wirtschaftlichen Sachverhalte beschreibt, die besteuert werden sollen. Der Steuergesetzgeber benennt den wirtschaftlichen Inhalt, den er meint, mit den typischen zivilrechtlichen Formen, wenn er z.B. § 1 Abs.1 GrEStG an den Kauf oder andere Rechtsgeschäfte anknüpft, die auf die Übertragung von Grundstücken gerichtet sind. Auf der Grundlage der Privatautonomie kann der Gestalter zivilrechtlicher Verträge Form und Inhalt weitgehend trennen. Ergibt die Analyse rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, die formal nicht der im Gesetz bezeichneten typischen zivilrechtlichen Form entsprechen, daß der rechtsgeschäftliche Wille, wie er in der Vereinbarung zum Ausdruck gekommen ist, der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Form entspricht, so versagt § 42 AO 1977 die Berufung darauf, daß die gewählte Form nicht der vom Gesetzestatbestand zur Kennzeichnung des wirtschaftlichen Sachverhalts genannten Form entspricht.
Auch zivilrechtlich ist die vertragliche Eigenqualifikation der Parteien eines Rechtsgeschäfts nicht zwingend. Wenn die Auslegung des im Rechtsgeschäft zum Ausdruck gekommenen Parteiwillens (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) ergibt, daß Ziel des Rechtsgeschäfts ein bestimmter Erfolg ist, das wirklich Gewollte aber von den Parteien --aus welchen Gründen auch immer-- fehlerhaft einem anderen Rechtsgeschäftstyp zugeordnet wird, wird auch zivilrechtlich die vertragliche Eigenqualifikation der Parteien im Hinblick auf das wirklich Gewollte korrigiert (vgl. dazu Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd.I, 6.Aufl., 1984, 182 ff., 148; Walz, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht --ZHR-- 147 (1983), 281, 287, 303; Pawlowski, Allgemeiner Teil BGB, 2.Aufl., 1983, 181; s. auch z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 24.Mai 1976 II ZR 16/75, Der Betrieb --DB-- 1976, 2057, 2058). § 42 AO 1977 geht darüber hinaus, denn er setzt voraus, daß die vertragliche Eigenqualifikation des Rechtsgeschäfts zivilrechtlich zwar zutreffend ist, gleichwohl aber die im Steuertatbestand mit einem anderen Rechtsgeschäftstyp beschriebenen wirtschaftlichen Zwecke erfüllt sind.
2. Zu Unrecht hat das FG das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Streitfall verneint. Die Grunderwerbsteuer erfaßt den Grundstückswechsel zwischen verschiedenen Rechtsträgern und beschreibt den wirtschaftlichen Sachverhalt in § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG als "Kaufvertrag oder andere Rechtsgeschäfte, die den Anspruch auf Übereignung begründen". Im Streitfall haben die Kläger formal verschiedene Erbteile erworben. Zivilrechtlich ist der Erwerb eines Erbanteils allerdings auch dann, wenn der Nachlaß nur noch aus einem Grundstück besteht, grundsätzlich kein Rechtsgeschäft, das auf die Übereignung eines Grundstücks gerichtet ist, weil der Erbteilskäufer lediglich das aus dem Gesamthandseigentum fließende Recht des Miterben erwirbt (z.B. BGH-Urteil vom 14.Oktober 1968 III ZR 73/66, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1969, 92). Die Auslegung der durch die Kläger ausdrücklich zu einer rechtlichen Einheit zusammengefaßten verschiedenen Erbteilskäufe ergibt jedoch, daß nach dem Inhalt die zusammengefaßten Verträge auf den Erwerb der Miteigentumsanteile des Grundstücks gerichtet waren.
Ausdrücklich wird unter V der Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien festgestellt, daß zu dem Nachlaß jeweils nur noch 1/2 Miteigentumsanteil an dem Grundstück gehört. Unter III des Vertrages ist vereinbart, daß die Erbteile ohne Gewähr für Güte und Beschaffenheit des zum Nachlaß gehörenden Vermögens verkauft werden. Gleichzeitig wird aber Gewähr dafür geleistet, daß die --jeweils aus dem 1/2 Miteigentumsanteil an dem Grundstück bestehenden-- Nachlässe frei von allen Verbindlichkeiten übertragen werden. Damit ist bereits konkretisiert, daß ausschließlich der Erwerb des unbelasteten Grundstücks wirtschaftlich Inhalt des Vertrages sein sollte. Verstärkt wird die Grundstücksbezogenheit der Verträge durch die Vereinbarung, daß der Kaufpreis nur dann am 1.September 1972 fällig wird, wenn das Grundstück geräumt ist, andernfalls innerhalb von acht Tagen nach Räumung des Hauses. Daß nicht der Erwerb von Erbteilen Gegenstand der Vereinbarung war, zeigt sich in der Bestimmung, alle Erbteilskaufverträge sollen dergestalt eine Einheit darstellen, daß die schon urkundlich zusammengefaßten Verträge auch rechtlich eine Einheit darstellen sollen, ein Erbteilskauf für sich allein also rechtlich nicht verbindlich sein soll.
Da die Miterben sich --wegen der rechtlichen Verknüpfung der einzelnen Erbteilsverkäufe-- gemeinschaftlich verpflichtet haben, ihre gegenständlich nur noch auf das Grundstück begrenzten Erbteile zu veräußern, stellt die Vereinbarung auf ihrer Seite gleichzeitig auch die volle Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft dar (vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 2042 Anm.15); denn zwischen den Miterben bestand, wie sich aus dem Vertrag ergibt, Einigkeit, daß der Nachlaß jeweils nur noch aus dem halben Miteigentumsanteil an dem Grundstück bestand und daß der einzelne "Erbteilskauf" nur Bestand haben sollte, wenn auch die anderen "Erbteilsverkäufe" rechtswirksam waren. Da das Rechtsgeschäft daher von beiden Seiten auf die Übertragung der Miteigentumsanteile an dem Grundstück gerichtet war, ist schon zivilrechtlich zweifelhaft, ob der Eigenqualifikation der Vertragsbeteiligten als Erbteilskauf gefolgt werden kann. In jedem Fall lagen aber die Voraussetzungen des § 42 AO 1977 vor, weil es sich um ein Rechtsgeschäft handelt, das auf die Übertragung eines Grundstücks gerichtet ist und das damit dem Zweck der Vorschrift des § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG entspricht. Danach hätte der "Erbteilskauf" auch vor der Änderung der Rechtsprechung der Grunderwerbsteuer unterlegen.
Die Ablehnung des Antrags auf Erlaß der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen war danach nicht ermessensfehlerhaft.
Fundstellen
Haufe-Index 61385 |
BStBl II 1986, 620 |
BFHE 146, 480 |
BFHE 1986, 480 |
DB 1986, 2215-2216 (ST) |
DStR 1986, 695-695 (ST) |
HFR 1986, 528-529 (ST) |