Entgeltlicher Erwerb eines Erbteils führt zu keinen Anschaffungskosten
Gesetzliche Regelung
Sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften sind nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z. B. Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als 10 Jahre beträgt.
Älteres BFH-Urteil
In einer älteren Entscheidung hat der BFH den Standpunkt vertreten, dass die Veräußerung eines Grundstücks, welches im Rahmen des entgeltlichen Erwerbs des Erbteils eines anderen Miterben erworben wurde und innerhalb der Veräußerungsfrist seit Erwerb des Erbteils veräußert wird, zu Einkünften aus einem privaten Veräußerungsgeschäft führen kann (BFH, Urteil v. 20.4.2004, IX R 5/02, BStBl 2004 II S. 987). Dieser Auffassung hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen (BMF, Schreiben v. 14.3.2006, BStBl 2006 I S. 253 Rn. 43).
Beispiel:
Mit dem Tod des V am 1.2.2023 ging sein Nachlass, der im Wesentlichen aus einem unbebauten – im Jahr 2010 erworbenen – 5.000 qm großen unbebauten Grundstück bestand, ungeteilt auf seine beiden Kinder S und T in Erbengemeinschaft zu je ½ über (§ 2032 Abs. 1 BGB). S und T wurden im Grundbuch als Eigentümer in Erbengemeinschaft eingetragen. Durch notariellen Vertrag vom 18.10.2023 übertrug T ihren Erbteil entgeltlich für 500.000 EUR auf ihren Bruder S (§ 2033 Abs. 1 BGB), der danach als Alleineigentümer im Grundbuch eingetragen wurde. S hat das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 10.6.2024 an D, einen fremden Dritten, für 1,2 Mio. EUR veräußert.
Nach dem genannten älteren BFH-Urteil entstehen S aufgrund des Grundstücksverkaufs Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 EStG. S hat danach das zur Hälfte (nämlich in Höhe des Erbteils seiner Schwester T) im Jahr 2023 für 500.000 EUR entgeltlich erworbene Grundstück 2024 wieder für 600.000 EUR (½ von 1,2 Mio. EUR) veräußert und daraus einen Gewinn erzielt. Nach dieser Rechtsprechung führte der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer Erbengemeinschaft zur anteiligen Anschaffung eines zum Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft gehörenden Grundstücks.
Tipp: Änderung der Rechtsprechung
Unter Änderung der Rechtsprechung und entgegen der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung hat der BFH jüngst entschieden, dass der entgeltliche Erwerb eines Anteils an einer gesamthänderischen Beteiligung an einer Erbengemeinschaft nicht zur (anteiligen) Anschaffung der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens führt (BFH, Urteil v. 26.9.2023, IX R 13/22, BFH/NV 2024 S. 306 Nr. 3). Der Erwerb eines Miterbenanteils ist bei zivilrechtlicher Betrachtung kein anteiliger Erwerb eines Grundstücks, auch wenn die Erbmasse nur aus einem Grundstück besteht. Daher fehlt es bei einer späteren Veräußerung des aus dem Nachlass stammenden Grundstücks innerhalb der 10-Jahresfrist an der für § 23 Abs. 1 EStG notwendigen Nämlichkeit von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut.
Eine gesamthänderische Beteiligung vermittelt keinen sachenrechtlich fassbaren Anteil und infolgedessen auch kein Verfügungsrecht des einzelnen an den Gegenständen des Gesamthandsvermögens. Sie kann deshalb einem Grundstück oder einem grundstücksgleichen Recht nicht gleichgestellt werden.
Praxis-Tipp: Kein privates Veräußerungsgeschäft
Die Voraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG liegen im oben genannten Beispielsfall daher nicht vor. Es besteht keine Nämlichkeit zwischen dem angeschafften und dem veräußerten Wirtschaftsgut. S erwarb 2023 den Erbanteil seiner Schwester T, mithin die quotenmäßig bestimmte Teilhaberschaft an der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft. 2024 veräußerte er hingegen das aus dem Nachlass stammende Grundstück.
Etwas anderes ergibt sich nach Ansicht des BFH auch nicht aus § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO. Nach dieser Vorschrift werden Wirtschaftsgüter, die mehreren zur gesamten Hand zustehen, den Beteiligten anteilig zugerechnet, soweit eine getrennte Zurechnung für die Besteuerung erforderlich ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH wird eine anteilige Zurechnung im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG hier nicht erforderlich, weil nicht die Gesamthand (Erbengemeinschaft) selbst den Besteuerungstatbestand erfüllt, sondern allenfalls ein Miterbe. Bei Anschaffungs- oder Veräußerungsvorgängen, die - wie hier - von einzelnen Gesellschaftern oder Gemeinschaftern verwirklicht werden, ist eine Zurechnung nach Bruchteilen nicht erforderlich.
Sonderregelung für Beteiligungen an Personengesellschaften nicht anwendbar
Auch aus § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG ergibt sich laut BFH nichts anderes. Nach dieser Vorschrift gilt die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter. Die Vorschrift erfasst nach ihrem klaren und eindeutigen Wortlaut nur Beteiligungen an Personengesellschaften. Dies schließt eine Anwendung der Regelung auf Erbengemeinschaften aus, da diese nicht zu den Personengesellschaften zählen (Rn. 24 des neuen BFH-Urteils).
Praxis-Tipp: Anwendung der neuen Rechtsprechung auf weitere Fälle
Die neue Rechtsprechung dürfte auch in dem Fall anwendbar sein, in dem der Miterbe in Erbengemeinschaft eine Immobilie erbt, für die noch die 10-Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG läuft und er dann innerhalb der 10-Jahresfrist seinen Miterbenanteil (an einen anderen Miterben oder einen Dritten) im Wege des Erbschaftskaufs veräußert (Trossen, DStR 2024 S. 22 in einer Urteilsanmerkung).
Hinweis: Rechtsprechungsbrechende Gesetzesänderung erwartbar?
Das neue BFH-Urteil ist bislang noch nicht im BStBl veröffentlicht worden. Eine Äußerung des BMF liegt noch nicht vor. Es bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung das neue Urteil nicht zum Anlass nimmt, die für Personengesellschaften geltende Sonderregelung auf Erbengemeinschaften auszuweiten.
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