Leitsatz (amtlich)
Der Käufer eines Eigenheims, dem die erhöhten Absetzungen für Abnutzung nach § 7b EStG als wirtschaftlichem Ersterwerber gewährt wurden, verliert diese Steuerbegünstigung nicht rückwirkend, wenn er seine Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag zur Erlangung bürgerlich-rechtlichen Eigentums an andere überträgt (teilweise Abweichung vom BFH-Urteil vom 15. Oktober 1965 VI 192/65 U, BFHE 83, 576, BStBl III 1965, 709).
Normenkette
EStG 1958 § 7b; StAnpG § 4 Abs. 2, 3 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob die dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als Ersterwerber eines Eigenheims in den Veranlagungszeiträumen 1962 bis 1967 gewährte erhöhte AfA nach § 7b Abs. 3 EStG rückwirkend zu versagen ist, weil er die Rechte aus dem Kaufvertrag vor Erlangung bürgerlich-rechtlichen Grundstückseigentums an andere entgeltlich abgetreten hat.
Der Kläger schloß am 31. Mai 1962 mit einer gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft (Gesellschaft) einen notariell beurkundeten Kauf- und Reichsheimstättenvertrag über ein Eigenheim (Reihenhaus) zum Preise von 55 262 DM. Er bezog das Haus mit seiner Familie am 1. August 1962. Zu der nach Leistung des Kaufpreises fälligen Auflassung und Grundbucheintragung des Klägers kam es trotz dessen ständiger Bemühungen nicht. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) gewährte dem Kläger die erhöhten Absetzungen antragsgemäß für die Jahre 1962 bis 1967. Im Jahre 1969 zog der Kläger aus familiären Gründen in ein größeres Einfamilienhaus. Den Auflassungs- und Übereignungsanspruch hinsichtlich des bisher genutzten Eigenheims trat er mit Zustimmung der Gesellschaft am 17. Januar 1969 zum Preise von 85 262 DM an andere Interessenten, das Ehepaar B, ab.
Das FA änderte daraufhin die bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheide 1962 bis 1967 unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG, indem es die antragsgemäß gewährte Steuervergünstigung des § 7b EStG rückwirkend versagte. Während der Einspruch des Klägers erfolglos blieb, gab das FG seiner Klage statt. Die Vorinstanz hielt die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 und 3 Nr. 2 StAnpG für nicht erfüllt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG und § 7b Abs. 3 EStG.
Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Der Revision muß der Erfolg versagt bleiben.
Der erkennende Senat tritt der Vorentscheidung im wesentlichen bei.
Die Änderung der Einkommensteuerbescheide 1962 bis 1967 war unzulässig. Außer Frage steht, daß eine Berichtigung nach § 92, § 94, § 222 AO entfiel. Aber auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 und 3 Nr. 2 StAnpG liegen nicht vor.
Allerdings hat der BFH in der Entscheidung vom 15. Oktober 1965 VI 192/65 U (BFHE 83, 576, BStBl III 1965, 709) zur Gewährung der erhöhten AfA an den wirtschaftlichen Ersterwerber nach § 7b Abs. 3 EStG ausgesprochen, dies geschehe unter der Voraussetzung, daß der Kaufanwärter auch wirklich Eigentümer werde. Die Veranlagung sei nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG zu berichtigen, wenn diese Voraussetzung später nicht erfüllt werde. Dem vermag sich der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der Ansicht der Vorinstanz und den Urteilen des Schleswig-Holsteinischen FG vom 16. Dezember 1969 und 17. Dezember 1970 (EFG 1970, 273; 1971, 171) nicht anzuschließen.
Nach § 7b EStG ist nicht nur der bürgerlich-rechtliche Eigentümer - sei es als Bauherr, sei es als Ersterwerber - absetzungsbefugt. Es reicht vielmehr nach ständiger Rechtsprechung aus, wenn wirtschaftliches Eigentum nach § 11 Nr. 4 StAnpG vorliegt (vgl. zuletzt Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 17. Januar 1972 Gr. S. 10/70, BFHE 106, 84, BStBl II 1972, 700). Das hat auch für den Ersterwerber im Sinne des § 7b Abs. 3 EStG zu gelten. Aus der Regelung von § 10a Abs. 2 EStDV 1953 bis 1954 (§ 16 Abs. 2 EStDV 1961 bis 1963) ergibt sich nichts anderes. Denn dort ist lediglich vorgeschrieben, die Verpflichtung des Herstellers zur Eigentumsübertragung müsse sich auf die Übertragung bürgerlich-rechtlichen Eigentums beziehen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für die den wirtschaftlichen Ersterwerb einschließende Auslegung. Die erstmals durch das StÄndG vom 24. Juni 1953 (BGBl I 1953, 413, BStBl I 1953, 192) geregelte Begünstigung des Ersterwerbers sollte Abgrenzungsschwierigkeiten zum Bauherrnbegriff beheben (Lenski, DB 1953, 469, 471) und den Wohnungsbau (Sitzungsberichte des Bundesrats Nr. 108 vom 22. Mai 1953 S. 249 A Ziff. 2) sowie die Eigentumsbildung in privater Hand gerade wirtschaftlich schwacher Kreise fördern (Steinberg, DStZ A, 1954, 392; Längsfeld, BB 1954, 340). Diese Erwägungen greifen zumindest im wesentlichen auch beim wirtschaftlichen Ersterwerber durch.
Im Streitfall hat das FA ohne Rechtsfehler wirtschaftliches Eigentum der Kläger am Eigenheim angenommen. Bei Grundstückskäufen wird wirtschaftliches Eigentum nach ständiger BFH-Rechtsprechung im allgemeinen in dem Zeitpunkt erlangt, in dem Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf den Käufer übergehen (vgl. zuletzt die Entscheidung vom 13. Oktober 1972 I R 213/69, BFHE 107, 418, BStBl II 1973, 209, unter Hinweis auf Döllerer, BB 1971, 535). Daß dem wirtschaftlichen der bürgerlich-rechtliche Eigentumserwerb tatsächlich nachfolgt, ist kein Begriffsmerkmal, sondern nur eine Bestätigung des Vorliegens wirtschaftlichen Eigentums. Es genügt "Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs" (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.-5. Aufl., § 11 StAnpG, Anm. 8b - Ergänzungslieferung Dezember 1972 - sowie BFH-Urteil vom 17. April 1962 I 296/61, StRK, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 305, HFR 1962, 226).
Ob wirtschaftliches Eigentum gegeben ist oder nicht, ist nach dem für den jeweiligen Veranlagungszeitraum maßgeblichen Sachverhalt zu entscheiden (BFH-Urteil vom 30. September 1960 VI 240/58 U, BFHE 71, 577, BStBl III 1960, 465, zum wirtschaftlichen Bauherren).
Geht man von diesen Grundsätzen aus, so sind weder die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 noch des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG erfüllt. Die Anwendung des Abs. 2 der Vorschrift scheitert am Fehlen einer Bedingung, von der die Steuervergünstigung des § 7b EStG abhängig wäre. § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG greift nicht Platz, weil kein Merkmal, dessen Vorliegen das Gesetz für die Steuervergünstigung fordert, nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen ist. Ein Besteuerungsmerkmal in diesem Sinne fällt nachträglich weg, wenn sich der Sachverhalt, der bei Erlaß des Bescheides vorlag, durch eine nach Erlaß des Bescheides eingetretene Entwicklung ändert (Woerner, Die Zurücknahme und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 3. Aufl., S. 97, und BFH-Entscheidung vom 28. Oktober 1964 I 143/64 S, BFHE 81, 542, BStBl III 1965, 196). § 4 StAnpG betrifft jedoch grundsätzlich nicht die nachträgliche Änderung, Aufhebung oder Rückgängigmachung von Verträgen (v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, 5. Aufl., § 4 StAnpG, Anm. 7).
Wird wirtschaftliches Eigentum - wie im Streitfall - auf andere übertragen, so hat dies im allgemeinen nur für das Jahr des Übertragungszeitpunkts Bedeutung. Durch die von den Klägern mit den Eheleuten B. vereinbarte Vertragsübernahme hat sich nichts an der Stellung der Kläger in der Vergangenheit geändert. Es kamen denn auch die Leistungen der Kläger an die Gesellschaft den neuen Käufern voll zugute. Für diese Fallgestaltung hat der BFH bereits in der nicht veröffentlichten Entscheidung vom 30. Oktober 1959 VI 79/58 die Anwendbarkeit des § 4 StAnpG verneint (ebenso insoweit Grass in Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 7b - in der Fassung 1949/1962 - Anm. 16d - Ergänzungslieferung Juli 1970; Steinberg-Längsfeld, Erhöhte Absetzungen für Wohngebäude, 2. Aufl., S. 59).
Auf die Gründe für die Veräußerung kommt es im allgemeinen nicht an.
Einer Anrufung des Großen Senats des BFH wegen Abweichung von dem Urteil VI 192/65 U bedarf es nicht, da diese vor Inkraftreten der FGO ergangene Entscheidung nicht nach § 64 AO a. F. veröffentlicht wurde (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 70471 |
BStBl II 1973, 591 |
BFHE 1973, 254 |