Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine angemessene Gewinnverteilungsabrede in einer Familien-Personengesellschaft in einer Weise geändert, wie dies zwischen fremden Gesellschaftern nicht geschehen wäre, so ist diese Änderung einkommensteuerrechtlich nicht zu berücksichtigen. Hätten aber auch fremde Gesellschafter die bisherige Gewinnverteilungsabrede nicht beibehalten, so ist die einkommensteuerrechtliche Gewinnzurechnung nach einer weniger weitreichenden Änderung der Gewinnverteilungsabrede vorzunehmen, sofern anzunehmen ist, daß der Wille der Gesellschafter diese mitumfaßt.
2. Eine erfolgsneutrale Übertragung der im Buchansatz eines Wirtschaftsguts enthaltenen stillen Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut nach Maßgabe der in Abschn. 35 EStR dargestellten Rechtsgrundsätze ist nicht zulässig, wenn ein Wirtschaftsgut infolge eines Material- oder Konstruktionsfehlers oder eines Bedienungsfehlers aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und der Steuerpflichtige eine Entschädigung aus einer Maschinenversicherung erhält.
Normenkette
EStG § 15 Nr. 2, § 4 Abs. 1, §§ 5-6
Tatbestand
Streitig ist im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung 1960 und 1961 für die OHG F
a) für 1960 und 1961, ob die Änderung der Vereinbarung über die Verteilung des Gewinns einer OHG, deren Gesellschafter Familienangehörige sind, auf privaten Erwägungen beruht und deshalb steuerrechtlich nicht anzuerkennen ist und
b) für 1960, ob stille Reserven in der Höhe der Differenz zwischen der von einer Versicherungsgesellschaft gezahlten Entschädigung und dem Buchwert einer Maschine, die infolge einer Beschädigung aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden ist, nach den Grundsätzen des Abschn. 35 EStR auf die Anschaffungskosten einer ersatzweise erworbenen neuen Maschine übertragen werden können.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Söhne und alleinigen Erben des am ... 1974 verstorbenen Fabrikanten F.
F und seine während des finanzgerichtlichen Verfahrens verstorbene Mutter waren in den Streitjahren 1960 bis 1961 die beiden Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft.
a) Gewinnverteilung (1960 bis 1961)
Bis 1953 waren Gesellschafter der OHG F und dessen Vater (VF) gewesen. VF war 1953 verstorben. Sein Gesellschaftsanteil ging auf seine Ehefrau, die im Jahre 1883 geborene Mutter des F (im folgenden Witwe F) über. Diese war jedoch von der Vertretung der OHG ausgeschlossen.
Bis 1958 verteilten F und die Witwe F die Gewinne der OHG in der Weise, daß F, dem die alleinige Geschäftsführung und Vertretung der OHG oblag, vorab ein "Gehalt" von jährlich 24 000 DM erhielt und der Restgewinn jedem der Gesellschafter zur Hälfte zufiel.
Ab 1959 einigten sich F und die Witwe F dahin, daß die Gewinne der OHG bis zur Höhe von 40 000 DM jedem Gesellschafter zur Hälfte zufallen, F eine Tätigkeitsvergütung bis zur Höhe von jährlich 24 000 DM nur erhält, soweit die Gewinne der OHG 40 000 DM übersteigen, und etwaige über 64 000 DM hinausgehende Gewinne (40 000 + 24 000 DM) wiederum jedem Gesellschafter zur Hälfte zufallen. Die OHG wies in der Gewinnfeststellungserklärung für 1960 einen Gewinn von 21 121 DM und in der Gewinnfeststellungserklärung für 1961 einen Gewinn von 17 765 DM aus. Diesen Gewinn rechnete die OHG jeweils den beiden Gesellschaftern F und Witwe F zur Hälfte zu.
b) Erfolgsneutrale Übertragungstiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut (1960)
Am 12. September 1960 wurde im Betrieb der OHG eine hydraulische Presse durch Bruch eines massiven Ständers so stark beschädigt, daß sich nach Auffassung des F eine Reparatur nicht mehr lohnte. Die Maschine wurde verschrottet. Ob der Schaden durch einen Materialfehler oder durch unsachgemäße Behandlung der Maschine verursacht worden war, konnte nicht festgestellt werden. Die OHG erhielt von einer Versicherungsgesellschaft, bei der sie eine Maschinenversicherung abgeschlossen hatte, eine Entschädigung von 21 796,50 DM. Der Buchwert der Maschine betrug im Zeitpunkt ihrer Beschädigung 6 391 DM. Für den Buchgewinn in Höhe von 15 405,50 DM, den die OHG ursprünglich bei der Ermittlung ihres Steuerbilanzgewinns erfaßt hatte, beantragte die OHG im Rahmen einer 1965 durchgeführten Betriebsprüfung gemäß Abschn. 35 EStR eine erfolgsneutrale Übertragung auf die Anschaffungskosten einer neuen Presse, die die OHG am 15. Dezember 1960 als Ersatz für die ausgeschiedene Maschine zum Preise von 26 811,70 DM erworben hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) vertrat die Auffassung, daß die Änderung der Gewinnverteilungsabrede ab 1959 auf familiären Erwägungen beruhe und deshalb steuerlich nicht berücksichtigt werden könne, und daß die Voraussetzungen für die Anwendung des Abschn. 35 EStR nicht erfüllt seien, weil der Schaden nicht durch höhere Gewalt entstanden sei. Auf dieser Grundlage erließ das FA am 31. Januar 1966 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigte Gewinnfeststellungsbescheide für 1960 und 1961.
Einspruch und Klage, mit denen F die steuerliche Anerkennung der geänderten Gewinnverteilungsabrede und die Übertragung der durch die Versicherungsleistung aufgedeckten stillen Reserven auf die ersatzweise erworbene Maschine durchsetzen wollte, waren erfolglos. Das FG war der Auffassung, daß das FA dem F zu Recht entgegen der geänderten Gewinnverteilungsabrede vorab eine Tätigkeitsvergütung von monatlich 2 000 DM zugerechnet habe, weil nach der Lebenserfahrung ein fremder Gesellschafter-Geschäftsführer die Last der umfangreichen Geschäftsführung nicht ohne Entgelt getragen hätte und weil die Vergütung angesichts der Größe des Betriebs eher zu niedrig als zu hoch bemessen sei. Auch die Übertragung der stillen Reserve auf die neu angeschaffte Maschine habe das FA zu Recht nicht anerkannt, weil eine derartige Übertragung nicht zulässig sei, wenn ein Wirtschaftsgut nicht infolge höherer Gewalt oder einer gegen den Betrieb gerichteten Aktivität eines Dritten, sondern durch Ereignisse, die im normalen Betriebsablauf ihre Ursache haben (Materialfehler, unsachgemäße Behandlung), aus dem Betriebsvermögen ausscheidet.
Mit der Revision beantragen die Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und "die ... für 1960 beantragte Rücklage für Ersatzbeschaffung zuzulassen" und den Gewinn der OHG "nach dem von den Gesellschaftern vereinbarten Gewinnverteilungsschlüssel zu verteilen". Die Revision rügt Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensverstöße.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zum Teil begründet.
1. Gewinnverteilung
Die Revision führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
a) Zutreffend ist die Vorentscheidung davon ausgegangen, daß eine Vereinbarung, mit der die Gesellschafter einer Familienpersonengesellschaft die im Gesellschaftsvertrag enthaltene Abrede über die Gewinnverteilung ändern, einkommensteuerrechtlich nur insoweit berücksichtigt werden kann, als sie nicht auf privaten, sondern auf betrieblichen Erwägungen beruht, und daß Maßstab für die Beantwortung der Frage, ob private oder betriebliche Überlegungen die Änderung bestimmten, in erster Linie sein muß, ob zwischen fremden Gesellschaftern eine gleichartige Vereinbarung getroffen worden wäre. Ergibt sich danach, daß die Änderung der bisherigen Gewinnverteilungsabrede auf privaten Erwägungen beruht, folgt daraus aber noch nicht, daß es für die steuerliche Gewinnzurechnung unter allen Umständen und in vollem Umfange bei der bisherigen Gewinnverteilungsabrede verbleiben muß. Es ist denkbar, daß fremde Gesellschafter die bisher maßgebliche Gewinnverteilungsabrede zwar nicht in der Weise geändert hätten, wie dies die Gesellschafter der Familiengesellschaft tatsächlich getan haben, daß sie aber auch die bisherige Gewinnverteilungsabrede nicht beibehalten, sondern zugunsten eines Gesellschafters geändert hätten, nur eben in weniger weitreichendem Umfange als dies in der Familienpersonengesellschaft tatsächlich geschehen ist. In einem derartigen Fall ist die einkommensteuerrechtliche Gewinnzurechnung nach dieser präsumtiven, weniger weitreichenden Änderung der bisherigen Gewinnverteilungsabrede vorzunehmen, sofern anzunehmen ist, daß der Wille der Gesellschafter diese weniger weitreichende Änderung der bisherigen Gewinnverteilungsabrede mitumfaßt:
b) Die Anwendung der zu a) dargestellten Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ergibt:
Der Senat pflichtet zwar der Vorentscheidung darin bei, daß in einer Gesellschaft zwischen Fremden der Gesellschafter-Geschäftsführer für seine Tätigkeit im Verhältnis zu den übrigen nicht tätigen Gesellschaftern im Rahmen der Gewinnverteilung einen zusätzlichen Vorteil erhalten hätte. Soweit im Streitfall die Änderung der Gewinnverteilungsabrede somit die beiden Gesellschafter gleichstellt und die zusätzliche Geschäftsführertätigkeit des F bei der Gewinnverteilung nicht berücksichtigt, erweist sie sich in der Tat als von außerbetrieblichen Erwägungen beeinflußt. Der Senat kann der Vorentscheidung aber nicht darin folgen, daß es stets und in jedem Falle üblich sei, die Geschäftsführertätigkeit eines Gesellschafters unabhängig von der Höhe des Gewinnes vorab mit einem festen Betrag zu vergüten. Da das Betriebsergebnis regelmäßig sowohl aus dem Kapitaleinsatz als auch aus der unternehmerischen Tätigkeit resultiert, liegt es nahe, auch die unternehmerische Tätigkeit insoweit mit einem echten Risiko zu belasten. Bei einer Unsicherheit in der Beurteilung der Ertragslage eines Unternehmens ist es deshalb auch bei einer Gesellschaft zwischen Fremden denkbar, daß die geschäftsführende Tätigkeit eines Gesellschafters vorab nicht mit einem festen gewinnunabhängigen Betrag, sondern lediglich mit einem Gewinn vorab in der Form eines bestimmten Prozentsatzes (z. B. 20 v. H.) des jeweiligen Gewinnes (eventuell bis zu einem bestimmten Höchstbetrag) honoriert wird, und daß eine bestehende Gewinnverteilungsabrede entsprechend geändert wird, sofern hierzu besondere Umstände Anlaß geben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der geschäftsführende Gesellschafter auch im wesentlichen Umfange kapitalmäßig beteiligt und deshalb notfalls in der Lage ist, von der Substanz zu leben.
Im Streitfall sieht der Senat in der Tatsache, daß die Ertragsaussichten des Unternehmens offensichtlich unsicher waren, und daß die Gesellschafterin Witwe F gegenüber ihrem Mitgesellschafter F insofern ein gewisses Druckmittel hatte, als sie das Gesellschaftsverhältnis kündigen und damit die Gesellschaft zur Liquidation bringen konnte, Umstände, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch zwischen fremden Gesellschaftern zu einer Änderung der bisherigen Gewinnverteilungsabrede geführt hätten, und zwar mit dem Inhalt, daß der geschäftsführende Gesellschafter anstelle der festen gewinnunabhängigen Vergütung nur eine gewinnabhängige Vorabvergütung erhält. Der Senat ist weiterhin der Meinung, daß der auf eine weitergehende Änderung der Gewinnverteilungsabrede, nämlich eine hälftige Teilung ohne Vorabvergütung für die Geschäftsführung gerichtete Wille der Beteiligten eine derartige weniger weitreichende Änderung mitumfaßt. Demnach kann die vom FG gebilligte Gewinnzurechnung des FA für die Streitjahre keinen Bestand haben. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, da die Bestimmung des Prozentsatzes der gewinnabhängigen Vorabvergütung auf tatsächlichem Gebiet liegt. Das FG wird diesen Prozentsatz bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Streitsache unter Würdigung eines die neue Beurteilung der Rechtslage beachtenden Willens der Gesellschafter und unter Berücksichtigung der Bedeutung, die einerseits der Geschäftsführertätigkeit und andererseits dem Kapitaleinsatz in der fraglichen Zeit für das Unternehmen zukam, schätzen müssen.
c) Der Einwand der Revision, das FA müsse die geänderte Gewinnverteilungsabrede nach Treu und Glauben steuerrechtlich anerkennen, kann nicht überzeugen. Der Hinweis in Tz. 37 des Berichts der Betriebsprüfung für die Jahre 1955 bis 1959 stellt keine verbindliche Zusage dar, die geänderte Gewinnverteilungsabrede in den folgenden Veranlagungszeiträumen ungeachtet ihrer zutreffend rechtlichen Beurteilung der Besteuerung zugrunde zu legen. Eine solche Zusage wäre jedoch Voraussetzung für eine rechtliche Bindung des FA.
2. Übertragung stiller Reserven
Die Revision ist insoweit nicht begründet.
a) Zutreffend ist die Vorentscheidung davon ausgegangen, daß nach dem geltenden System der einkommensteuerrechtlichen Gewinnermittlung für buchführende Gewerbetreibende eine Gewinnverwirklichung eintritt, wenn ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, der Steuerpflichtige dafür eine Entschädigung (Entschädigungsanspruch) erhält, die höher ist als der Buchwert des Wirtschaftsguts im Zeitpunkt seines Ausscheidens, und er mit Hilfe dieser Entschädigung ersatzweise ein neues Wirtschaftsgut anschafft. Die Gewinnrealisierung ergibt sich notwendig daraus, daß der Entschädigungsanspruch ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens ist, das mit dem Nennbetrag des Anspruchs den Wert des Betriebsvermögens erhöht (bzw. die Erfüllung des Entschädigungsanspruchs zu einer entsprechenden Betriebseinnahme führt), das Ausscheiden des Wirtschaftsguts nur eine Verminderung des Werts des Betriebsvermögens in Höhe des Buchwerts im Zeitpunkt des Ausscheidens eintreten läßt und das Ersatzwirtschaftsgut mit den tatsächlichen Anschaffungskosten anzusetzen ist (§ 5 i. V. m. § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 EStG; vgl. auch Urteil des BFH vom 6. Mai 1971 IV R 59/69, BFHE 102, 493/499, BStBl II 1971, 664).
Der RFH hat jedoch unter Berufung auf den Sinn und Zweck der einkommensteuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften und auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise ausgehend vom Fall der Brandentschädigung den Grundsatz entwickelt, daß die Rechtsfolgen der Gewinnrealisierung nicht eintreten müssen, wenn ein Wirtschaftsgut infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs (z. B. Enteignung) gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheiden und alsbald ein Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird. In diesem Falle kann die Gewinnrealisierung in der Weise vermieden werden, daß die Anschaffungskosten eines Ersatzwirtschaftsgutes um einen Betrag in Höhe des beim Ausscheiden des Wirtschaftsguts entstandenen Buchgewinns gekürzt werden (vgl. z. B. RFH-Urteile vom 2. April 1930 VI A 514/30, RStBl 1930, 313; vom 3. August 1938 VI 281/38, RStBl 1938, 964).
Dieser Rechtsprechung ist der BFH gefolgt (vgl. z. B. die BFH-Urteile vom 17. Oktober 1961 I 283/60 S. BFHE 73, 823, BStBl III 1961, 566; vom 24. Mai 1973 IV R 2324/68, BFHE 109, 230, BStBl II 1973, 582). Die Finanzverwaltung hat sie in Abschn. 35 EStR übernommen.
b) Die Frage, was unter höherer Gewalt i. S. dieser Rechtsgrundsätze zu verstehen ist, insbesondere, ob diese Rechtsgrundsätze nur für Buchgewinne gelten, die ihre Ursache in Elementarereignissen (z. B. Brand, Sturm, Überschwemmung) haben, oder auch für Buchgewinne, die durch sogenannte Zufallsschäden mehr oder weniger alltäglicher Art (vom Steuerpflichtigen nicht gewollte und nicht verschuldete Beschädigungen eines Wirtschaftsgutes, die zu dessen Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen führen) bedingt sind, ist offen. Der RFH hat sich mit dieser Frage nicht befaßt. Auch eine Entscheidung des BFH liegt bisher nicht vor. Im Schrifttum und in der Rechtsprechung der FG sind die Meinungen geteilt.
Einige Autoren und ein FG sind der Auffassung, daß eine erfolgsneutrale Übertragung stiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut allgemein und stets zulässig sei, wenn ein Wirtschaftsgut gegen oder ohne den Willen des Steuerpflichtigen und ohne sein Verschulden aus seinem Betriebsvermögen gegen Entschädigung ausscheidet, wobei das Verschulden eines Arbeitnehmers des Steuerpflichtigen dessen eigenem Verschulden nicht gleichstehen soll (Burkert, Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter, S. 36-38; Henninger, Die Rücklage für Ersatzbeschaffung, Steuer-Lexikon 3, 5-6, 71 ff./73-74; Krollmann, DB 1960, 1474; in DB 1960, 935; Küsters, Steuer und Wirtschaft I 1940 S. 501 ff./511-512; FG Hamburg, Urteil vom 8. Mai 1957 I 285/55, Deutsche Steuer-Rundschau 1957 S. 325). Die Vertreter dieser Ansicht stützen sich insbesondere auf die Überlegung, für Zufallsschäden gelte in gleicher Weise wie für Elementarschäden, daß die Ersatzbeschaffung erschwert oder unmöglich gemacht werde, wenn die Entschädigungsleistung besteuert werde.
Andere Autoren und ein FG schränken diese Ansicht dahin ein, daß es sich bei dem Vorgang, der den Schaden verursacht, um ein außergewöhnliches Ereignis handeln müsse (Schwarz, Rücklagen für Ersatzbeschaffung, Neues Steuerrecht von A-Z, Darstellung 1 S. 5-6; FG Düsseldorf, Senate in Köln, Urteil vom 24. Februar 1967 VII 13/65 K, EFG 497). Dabei sind wiederum die Meinungen darüber geteilt, was außerordentliche Ereignisse sind, insbesondere ob zu diesen auch Material- und Konstruktionsmängel einer Maschine und Fehler bei der Bedienung einer Maschine gehören. Einige rechnen weder Material- und Konstruktionsmängel einer Maschine noch Fehler bei der Bedienung einer Maschine zu den außergewöhnlichen Ereignissen (Entscheidung des FG Düsseldorf, a. a. O. S. 498 rechte Spalte; Schwarz, a. a. O., Meyer/Richter, Die steuerliche Betriebsprüfung 1968, S. 169/170; wohl auch Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 6 Anm. 29 zu c; nicht eindeutig Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 6 Tz. 564). Andere meinen demgegenüber, daß zwar Fehler bei der Bedienung einer Maschine außergewöhnliche Ereignisse im erwähnten Sinne seien, nicht aber Material- und Konstruktionsmängel (so offenbar Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., § 4 EStG Anm. 68 d).
c) Der Senat ist mit der Vorentscheidung der Auffassung, daß eine erfolgsneutrale Übertragung von im Buchansatz eines Wirtschaftsguts enthaltenen stillen Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut nach Maßgabe der in Abschn. 35 EStR dargestellten und von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze jedenfalls dann nicht zulässig ist, wenn ein Wirtschaftsgut, insbesondere eine Maschine, infolge eines Material- oder Konstruktionsmangels oder eines Fehlers bei der Bedienung gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet. Der Senat stützt seine Ansicht auf folgende Erwägungen:
aa) Wie der Senat in seinem Urteil IV R 23-24/68 ausgesprochen hat, ist der Grundsatz, daß keine Gewinnrealisierung eintreten muß, wenn ein Wirtschaftsgut infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen gegen eine Entschädigung ausscheidet und alsbald ein Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird, gewohnheitsrechtlicher Natur (vgl. auch Herrmann/Heuer, a. a. O., § 4 EStG Anm. 68 a S. E 422). Es ist jedoch kein Rechtssatz des Gewohnheitsrechts erkennbar, daß eine erfolgsneutrale Übertragung stiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut allgemein und stets zulässig sei, wenn ein Wirtschaftsgut gegen oder ohne den Willen des Steuerpflichtigen und ohne sein Verschulden, insbesondere also infolge von Zufallsschäden mehr oder weniger alltäglicher Art aus dem Betriebsvermögen ausscheidet. Zur gewohnheitsrechtlichen Bildung eines derartigen Rechtssatzes wäre erforderlich gewesen, daß sich eine praktische Übung dieser Art entwickelt und daß sich die oberstgerichtliche Rechtsprechung mit einschlägigen Fällen beschäftigt und sie im Sinne eines derartigen Rechtssatzes entschieden hätte (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 1969 I 18/65, BFHE 95, 92, BStBl II 1969, 310). Dies alles trifft hier nicht zu. Sowohl der RFH als auch der BFH haben die erfolgsneutrale Übertragung stiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut nur beim Ausscheiden des Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen durch Elementarereignisse oder infolge oder zur Vermeidung behördlicher Eingriffe zugelassen.
In dem von der Revision erwähnten BFH-Urteil vom 17. Mai 1952 I 4/52 U (BFHE 56, 536, BStBl III 1952, 208) findet sich allerdings unter Hinweis auf die Rechtsprechung des RFH zur Brandentschädigung die allgemein gehaltene Aussage, die Frage der Gewinnrealisierung sei stets nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Danach sei eine Gewinnrealisierung nicht nur dann zu verneinen, wenn ein Wirtschaftsgut gegen den Willen des Kaufmanns und deshalb ohne Gewinnrealisierungsabsicht des Kaufmanns aus dem Betriebsvermögen ausscheide; sie könne auch dann fehlen, wenn ein Wirtschaftsgut mit dem Willen des Kaufmanns, aber ohne Absicht der gewinnbringenden Veräußerung aus dem Betrieb ausscheide. Auf dieser theoretischen Grundlage hat der BFH dann eine Gewinnrealisierung im sogenannten Umlaufmetallstock eines Halbzeugwerks beim Umarbeitungsgeschäft verneint (vgl. auch Gutachten des BFH vom 26. August 1960 I D 1/59 U, BFHE 72, 78, BStBl III 1961, 31).
Ein allgemeiner Grundsatz, daß eine Gewinnrealisierung stets eine Gewinnrealisierungsabsicht des Steuerpflichtigen voraussetze, oder daß eine Gewinnrealisierung jedenfalls dann allgemein nicht einträte, wenn ein Wirtschaftsgut gegen den Willen des Steuerpflichtigen, also unter Zwang aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, besteht jedoch nach der Rechtsprechung des BFH nicht; seine Annahme wäre mit den oben zu a) erwähnten gesetzlichen Vorschriften nicht vereinbar (vgl. auch Herrmann/Heuer, a. a. O., § 4 EStG, Anm. 68 a S. E 422). Demgemäß hat die Rechtsprechung z. B. beim Tausch von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens nur in Ausnahmefällon, nämlich bei einer Wert-, Art- und Funktionsgleichheit von getauschten Anteilen an Kapitalgesellschaften eine Gewinnrealisierung verneint, obwohl auch in anderen Fällen des Tausches von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens vielfach eine Gewinnrealisierungsabsicht des Steuerpflichtigen fehlen wird. Des weiteren hat die Rechtsprechung die erfolgsneutrale Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter in Fällen, in denen ein Wirtschaftsgut infolge eines zwar nicht behördlichen, aber wirtschaftlichen Zwanges aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, nicht zugestanden, obwohl auch hier ein Wirtschaftsgut wirtschaftlich gesehen gegen den Willen des Steuerpflichtigen das Betriebsvermögen verläßt (BFH-Urteile vom 6. Mai 1971 IV R 59/69, BFHE 102, 493/499, BStBl II 1971, 664; vom 20. August 1964 IV 40/62 U, BFHE 80, 83, BStBl III 1964, 504). Berücksichtigt man, daß dann, wenn eine Maschine infolge eines Material- oder Konstruktionsfehlers oder eines Fehlers bei der Bedienung so beschädigt wird, daß sich eine Reparatur nicht mehr lohnt, die Maschine formal durch die Anordnung der Verschrottung mit Willen des Steuerpflichtigen und nur wirtschaftlich gesehen gegen den Willen des Steuerpflichtigen aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, so erweist sich, daß diese Fälle durchaus mit der Veräußerung eines noch brauchbaren Wirtschaftsguts infolge eines wirtschaftlichen Zwangs vergleichbar sind.
bb) Einen Beleg dafür, daß der gewohnheitsrechtliche Rechtssatz, dessen Anwendung in Frage steht, nur dahin lautet, die erfolgsneutrale Übertragung stiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut sei zulässig, wenn ein Wirtschaftsgut "infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheide", sieht der Senat auch im Entwurf des Dritten Steuerreformgesetzes (Bundestags-Drucksache 7/1470), der insoweit allerdings nicht Gesetz geworden ist. Der Entwurf sah die Einfügung eines § 19 in das Einkommensteuergesetz vor, demzufolge die "Übertragung stiller Reserven beim Ausscheiden von Wirtschaftsgütern in außergewöhnlichen Fällen", und zwar beim Ausscheiden eines Wirtschaftsguts "durch höhere Gewalt oder durch behördlichen Eingriff oder durch Veräußerung zur Vermeidung eines solchen Eingriffs" zulässig sein sollte.
cc) Wenn aber davon auszugehen ist, daß der gewohnheitsrechtliche Satz, dessen Anwendung in Frage steht, ein Ausscheiden des Wirtschaftsguts infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs verlangt, so kann nicht außer Betracht bleiben, daß mit dem Wortsinn des Ausdrucks "höhere Gewalt" nicht vereinbar ist, darunter Material- oder Konstruktionsfehler einer Maschine oder Fehler in der Bedienung einer Maschine zu fassen. Dies gilt auch dann, wenn man mit einem Teil des Schrifttums annimmt, die Rechtsprechung des RFH und des BFH und die Finanzverwaltung hätten diesen Ausdruck stets in einem umfassenderen Sinne verstanden als er im Zivilrecht (z. B. in § 203 Abs. 2 BGB oder § 1 des Reichshaftpflichtgesetzes) verwendet wird. Das Unbrauchbarwerden einer Maschine infolge von Material- oder Konstruktionsfehlern oder infolge eines Fehlers bei der Bedienung der Maschine sind mehr oder weniger alltägliche, für das Betriebsrisiko typische Schadensfälle; sie haben nichts "außergewöhnliches" an sich, auch wenn sie nicht "normal" in dem Sinne sind, daß sie den Regelfall für das Ausscheiden eines Wirtschaftsgutes aus dem Betriebsvermögen bilden.
dd) Auch die Motive, die zur Entwicklung des gewohnheitsrechtlichen Satzes geführt haben, dessen Anwendung in Frage steht, zwingen nicht dazu, eine Gewinnrealisierung auch in Fällen zu verneinen, in denen eine Maschine infolge eines Material- oder Konstruktions- oder Bedienungsfehlers unbrauchbar wird und deshalb aus dem Betriebsvermögen ausscheidet.
Die Rechtsprechung hat speziell im Falle der Brandentschädigung die Übertragung stiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut in erster Linie deshalb zugelassen, weil sie einen Zwang zur Gewinnrealisierung in derartigen Fällen als unbillig empfunden hat (vgl. Herrmann/Heuer, a. a. O., § 4 EStG Anm. 68 a S. E 420). Diese Wertung ist offensichtlich von der Empfindung mitbestimmt, daß ein Steuerpflichtiger, der von einem ohnehin schon harten Schicksalsschlag (Brand) heimgesucht wird, wenigstens von den damit an sich verbundenen steuerlichen Belastungen verschont bleiben soll. Einer gleichartigen emotionellen Wertung sind aber nur andere Elementarereignisse (Sturm, Überschwemmung usw.) und allenfalls noch ein Diebstahl zugänglich, nicht hingegen ein Unbrauchbarwerden eines Wirtschaftsguts infolge eines Material-, Konstruktions- oder Bedienungsfehlers.
Die weitere Erwägung, daß die Besteuerung der Versicherungsentschädigung oder einer Schadensersatzleistung eine Ersatzbeschaffung erschwere oder unmöglich mache, ist jedenfalls dann, wenn, wie im Streitfall, eine Maschine mit einer weit niedrigeren Nutzungsdauer als ein Gebäude in Frage steht, zur Rechtfertigung einer Durchbrechung der sich aus dem einkommensteuerrechtlichen System der Gewinnermittlung ergebenden Rechtsfolgen kaum verwertbar; denn die Ersatzbeschaffung von Maschinen wird im allgemeinen - wenn man vom allgemeinen Problem der Preissteigerung absieht - aus den durch entsprechende Erlöse gedeckten planmäßigen und eventuell auch außerplanmäßigen Abschreibungen und nicht aus zufälligen Entschädigungsleistungen von dritter Seite finanziert. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unbeachtet bleiben, daß die Versicherungsprämien für die Maschinenversicherung in der Regel als Betriebsausgaben bereits gewinnmindernd berücksichtigt wurden.
d) Die Verfahrensrüge der Revision erweist sich unter diesen Umständen als gegenstandslos.
Fundstellen
Haufe-Index 71475 |
BStBl II 1975, 692 |
BFHE 1976, 122 |