Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebäudeeigenschaft trotz Überschreitens der Lärmgrenzwerte nach der Arbeitsstättenverordnung
Leitsatz (NV)
Das Überschreiten der Lärmgrenzwerte nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ArbStättV steht der Gebäudeeigenschaft eines Bauwerks nicht entgegen, wenn mit Gehörschutz ein mehr als nur vorübergehender Aufenthalt von Menschen möglich ist.
Normenkette
BewG § 68 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2; ArbStättV § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) errichtete 1981 eine Steinmahlanlage zur Herstellung von Steinmehl. Zur Einhaltung vorgegebener maximaler Lärmemissionen wurde dazu ein 48 m hohes allseits geschlossenes Gebäude aus 40 cm dicken Stahlbetonwänden und mit einem Dach aus Schaumbetonplatten erstellt, in dem die für den Mahlvorgang erforderlichen Förderrinnen, Gurtförderer, Brecherwerke, Siebmaschinen, Prallmühlen, Umluftsichter, Förderschnecken und Entstaubungsanlagen mit Ventilatoren nach einem bestimmten Ablaufplan angeordnet sind. Für Wartungszwecke an der Mahlanlage ist das Bauwerk auf unterschiedlicher Höhe mit Arbeitsbühnen --teils aus Beton, teils aus Stahl-- ausgestaltet, die über Treppen und einen Aufzug erreichbar sind. Es hat keine Fenster. Wegen des von der Mahlanlage ausgehenden Lärms haben die Genehmigungsbehörden in dem Bauwerk --gestützt auf § 15 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV) vom 20. März 1975 (BGBl I, 729)-- die Einrichtung ständiger Arbeitsplätze untersagt. Die Steuerung der Anlage erfolgt von einem seitlich angebauten separaten Gebäude aus, in dem sich auch die erforderlichen Aufenthalts- und Sozialräume für das Personal befinden. Im Inneren des Bauwerks werden auf den Arbeitsbühnen Lärmpegel von 90 dB(A) bis 101 dB(A) erreicht. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV sind ständige Arbeitsplätze der mit der Anlage verbundenen Art bei einem Lärmpegel von mehr als 85 dB(A) unzulässig, wobei dieser Wert dann, wenn er nach der betrieblich möglichen Lärmminderung zumutbarerweise nicht einzuhalten ist, bis zu 5 dB(A) überschritten werden darf.
Während die Klägerin der Ansicht ist, bei dem die Mahlanlage umschließenden Bauwerk handele es sich um eine Betriebsvorrichtung, erfasste der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) es als Gebäude beim Grundvermögen und berücksichtigte es in den Einheitswertbescheiden auf den 1. Januar 1982, 1984 und 1985 vom 22. August, 23. Oktober bzw. 19. Dezember 1985 mit einem Gebäudewert von … DM.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 434 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Das FG war mit der Klägerin der Ansicht, bei dem Bauwerk handele es sich um eine Betriebsvorrichtung, weil in ihr der Lärmpegel während des Betriebes 90 und mehr dB(A) betrage und damit über der arbeitsschutzrechtlichen Höchstgrenze liege. Lediglich an vier Punkten innerhalb des Bauwerks --nämlich im geschlossenen Aufzug und an drei Punkten auf der 13. und 14. Ebene-- werde der Wert von 90 dB(A) unterschritten. Dies sei aber zu vernachlässigen. Zwar ließe sich mit Gehörschutzstöpseln und Kapselgehörschützern eine Schalldämmung für den einzelnen Menschen im Mittelwert von 18 bis 44 dB(A) erreichen; jedoch sei gleichwohl typisierend an dem arbeitsschutzrechtlich zulässigen Höchstwert für den Lärmpegel als geeignetem Abgrenzungsmerkmal der Gebäude von den Betriebsvorrichtungen festzuhalten, da es sich dabei um einen objektiv messbaren und einfach anzuwendenden Maßstab handele. Sollte dem nicht gefolgt werden können, wäre im Streitfall zu berücksichtigen, dass neben dem Lärm auch erhebliche Vibrationen auf die Menschen einwirken, die das Bauwerk während des Betriebes betreten. Dies habe das Gericht bei einer Ortsbesichtigung selber erfahren.
Mit der Revision rügt das FA eine fehlerhafte Anwendung des § 68 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Es beruft sich auf den Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder betreffend Abgrenzung des Grundvermögens von den Betriebsvorrichtungen vom 31. März 1992 (BStBl I 1992, 342) und wendet sich gegen die Heranziehung des § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV. Aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. Januar 1991 II R 48/88 (BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618) leitet es überdies ab, unter einem vorübergehenden Aufenthalt von Menschen im Sinne der gefestigten Rechtsprechung zum Gebäudebegriff sei ein Aufenthalt von nur wenigen Minuten zu verstehen. Soweit das FG im Sinne einer Hilfsbegründung auf die von der Steinmahlanlage ausgehenden Vibrationen hingewiesen hat, hält das FA dem entgegen, diese seien zwar unangenehm, jedoch sei unbekannt, ob sie Gesundheitsschäden hervorriefen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Bei dem die eigentliche Mahlanlage umschließenden Bauwerk handelt es sich um ein Gebäude. Dem steht nicht entgegen, dass der in ihm herrschende Schallpegel die nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV zulässige Obergrenze überschreitet.
1. Gemäß § 68 Abs. 1 BewG gehören zum Grundvermögen außer dem Grund und Boden auch die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör. Nicht in das Grundvermögen einzubeziehen sind nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile sind. Bei der Abgrenzung der Gebäude von den Betriebsvorrichtungen ist vom Gebäudebegriff auszugehen, weil Gebäude grundsätzlich zum Grundvermögen gehören und demgemäß ein Bauwerk, das als Gebäude zu betrachten ist, nicht Betriebsvorrichtung sein kann (Urteile des BFH vom 13. Juni 1969 III 17/65, BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517; vom 25. März 1977 III R 5/75, BFHE 122, 150, BStBl II 1977, 594, sowie vom 28. Mai 2003 II R 41/01, BFHE 202, 376, BStBl II 2003, 693). Als Gebäude ist ein Bauwerk anzusehen, das durch räumliche Umschließung Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestattet, fest mit dem Grund und Boden verbunden sowie von einiger Beständigkeit und standfest ist (BFH-Urteile in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, sowie in BFHE 202, 376, BStBl II 2003, 693). Alle Bauwerke, die sämtliche dieser Begriffsmerkmale aufweisen, sind ausnahmslos als Gebäude zu behandeln (BFH-Urteile in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, sowie vom 13. Juni 1969 III R 132/67, BFHE 96, 365, BStBl II 1969, 612, 614).
Nicht erforderlich ist, dass ein Bauwerk zum Aufenthalt von Menschen bestimmt ist. Ist der Aufenthalt von Menschen in dem Bauwerk aber nur möglich, wenn ein automatisch laufender Betriebsvorgang abgeschaltet ist, handelt es sich nicht um ein Gebäude (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 222/84, BFHE 150, 62, BStBl II 1987, 551). Andererseits steht es der Gebäudeeigenschaft nicht entgegen, wenn sich Menschen nur in entsprechender Schutzkleidung darin aufhalten können, um sich gegen gesundheitliche Schäden zu schützen (BFH-Urteile vom 14. November 1975 III R 150/74, BFHE 117, 492, BStBl II 1976, 198, sowie vom 30. Januar 1998 II 48/88, BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618). Sofern wegen extremer Bedingungen während des automatisch gesteuerten stetig laufenden Betriebsvorgangs der Aufenthalt von Menschen in einem Bauwerk auch in Schutzkleidung nur vorübergehend während weniger Minuten möglich ist, gestattet das Bauwerk nicht einen mehr als nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen. Das gilt nach dem BFH-Urteil in BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618 auch, wenn während des stetigen Betriebsablaufs wegen des Lärmpegels der Aufenthalt von Menschen in dem Bauwerk höchstens während weniger Minuten möglich ist. Der BFH hat zwar in diesem Urteil nicht allein auf den arbeitsschutzrechtlich zulässigen Schallpegel für Arbeitsplätze in Arbeitsräumen gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV abgehoben, sondern zusätzlich auf die unter dem Gefrierpunkt liegende Temperatur und damit auf ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren; unklar bleibt aber, ob den Höchstwerten gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV unabhängig von der Möglichkeit eines Gehörschutzes Bedeutung zukommen soll (vgl. neben der Vorentscheidung auch die Urteile des FG Berlin vom 27. November 1996 II 396/91, EFG 1997, 595; das FG des Landes Brandenburg vom 15. März 2001 2 K 355/99 BG, EFG 2001, 671, sowie des FG Rheinland-Pfalz vom 23. September 2003 2 K 3118/99, nicht veröffentlicht). Dies bedarf der nachfolgenden Klarstellung.
§ 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV kann nicht zum Maßstab für die Möglichkeit eines nicht nur vorübergehenden Aufenthalts von Menschen gemacht werden (zweifelnd auch Halaczinsky in Rössler/ Troll, Bewertungsgesetz, Kommentar, Stand Januar 2005, § 68 Anm. 75). Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV betrifft den Schutz gegen Lärm an Arbeitsplätzen, die den ganzen Arbeitstag über besetzt sind (vgl. amtliche Begründung zu § 15 ArbStättV, abgedruckt bei Ast, Verordnung über Arbeitsstätten, 13. Aufl., 1995, S. 22). Ihr könnte daher nur dann entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen, wenn unter einem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen ein Aufenthalt über einen ganzen Arbeitstag hin zu verstehen wäre. Das aber ist mit diesem Gebäudemerkmal nicht gemeint.
Abgesehen davon stellt die ArbStättV auf den Schallpegel in Arbeitsräumen ab, wie er auf das menschliche Ohr einwirkt und ggf. durch Maßnahmen an der Schallquelle oder durch bauliche und organisatorische Maßnahmen beeinflussbar ist (vgl. die amtliche Begründung zu § 15 ArbStättV, a.a.O.). Zu Recht hat daher das FA aus der Rechtsprechung, wonach das Erfordernis einer Schutzkleidung der Möglichkeit eines mehr als nur vorübergehenden Aufenthalts von Menschen nicht entgegensteht, gefolgert, dass dann, wenn die Verwendung von Gehörschutzstöpseln oder Kapselgehörschützern geeignet ist, die Schalleinwirkungen auf das menschliche Ohr unter die zulässige Höchstgrenze nach der ArbStättV zu drücken, der hohe Lärmpegel als solcher nicht entscheidendes Hindernis für die Gebäudeeigenschaft eines Bauwerks sein kann. Denn von der Funktion her kommt ein derartiger Gehörschutz einer Schutzkleidung gleich. Deshalb wird, soweit der Entscheidung des BFH in BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618 etwas anderes entnommen werden kann, daran nicht mehr festgehalten.
2. Für den Streitfall folgt daraus, dass dem die Steinmahlanlage umschließenden Bauwerk die Gebäudeeigenschaft nicht wegen des in ihm herrschenden Lärmpegels abgesprochen werden kann. Dem hohen Lärmpegel kann nämlich durch entsprechenden Gehörschutz entgegengewirkt werden.
Auch die vom FG während der Ortsbesichtigung wahrgenommenen Vibrationen schließen einen mehr als nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen in dem Bauwerk nicht aus. Dies zeigt bereits der Umstand, dass die Ortsbesichtigung während des laufenden Betriebes stattgefunden hat. Auch aus dem Vorhandensein des Aufzugs und der Arbeitsbühnen geht hervor, dass das Bauwerk einen derartigen Aufenthalt gestattet. Dabei ist ein mehr als nur vorübergehender Aufenthalt von Menschen möglich, wenn sie sich in dem Bauwerk aufhalten können, ohne jederzeit auf die Aufenthaltsdauer achten zu müssen.
Fundstellen