Leitsatz (amtlich)
Ein Beteiligter, der keinen Prozeßbevollmächtigten bestellt hat, war im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten, wenn er zur mündlichen Verhandlung, aufgrund deren das FG entschieden hat, nicht ordnungsgemäß zur Verhandlung geladen worden ist.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4
Tatbestand
Das FG hat die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) in der Lohnsteuer-Jahresausgleichssache 1970 als unbegründet abgewiesen, mit der er Erstattung zuviel entrichteter Lohnsteuer begehrt hat. Vom FG wurde über die Klage am 24. August 1973 mündlich verhandelt; der Kläger war zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Nach Auffassung des FG war der Kläger zur Verhandlung ordnungsgemäß geladen. Das FG folgte in seinem Urteil der Auffassung des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA).
Das Urteil wurde beim Postamt A niedergelegt.
Am 14. Mai 1974 ging beim FG ein Schreiben des Klägers ein, in dem dieser erklärte, daß er wegen schwerwiegender Verfahrensmängel Einspruch einlege. Zur Begründung machte er geltend, er sei zur Verhandlung des FG entgegen dessen Annahme im Urteil nicht geladen worden. Darlegungen zur Sache seien ihm daher nicht möglich gewesen. Der Kläger wies in seinem Schreiben ferner darauf hin, daß ihn ein Brief des FG vom 17. Februar 1972 in B sowie die Rechnung über die Verfahrenskosten am 9. Mai 1974 in C erreicht hätten. Seine Adressen seien also dem FG nicht unbekannt gewesen. Bei jedem Umzug habe er bei der Host entsprechende Nachsendeanträge gestellt. Ergänzend wies der Kläger darauf hin, daß er zu der Zeit, als das FG sein Urteil nach A gesandt habe, schon seit längerer Zeit in C gewohnt habe. Aus dem Schriftwechsel mit dem FA und dem FG könne entnommen werden, daß er seinen Wohnsitz nach B und später nach C verlegt habe. Weder die Ladung zur Verhandlung noch die Ausfertigung des Urteils hätten ihn zu Hause erreicht, wohl aber die Festsetzung der Prozeßkosten.
Entscheidungsgründe
Die fälschlich als Einspruch bezeichnete Revision, deren Streitwert 862 DM beträgt, ist zulässig und begründet.
Nach § 115 Abs. 1 FGO steht den Beteiligten gegen ein Urteil des FG die Revision zu, wenn der Streitwert 1 000 DM übersteigt oder das FG sie zugelassen hat. Keine dieser Voraussetzungen liegt im Streitfall vor. Nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO bedarf es einer Zulassung zur Einlegung der Revision aber nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschruten des Gesetzes vertreten war. Diese Verfahrensrüge greift hier durch. Nach § 90 Abs. 1 FGO entscheidet das FG grundsätzlich aut Grund mündlicher Verhandlung. Nach § 91 Abs. 1 und 2 FGO sind die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen zu laden, wobei in der Ladung darauf hinzuweisen ist, daß bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann. Die Revisionsrüge des Klägers, er sei nicht ordnungsmäßig geladen, ist entgegen der Urteilsteststellung des FG nach den dem Senat vorliegenden FG-Akten begründet. Bei Einreichung der Klage hatte der Kläger eine Anschrift in D angegeben. Diese entsprach auch seinen Angaben im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970. Er hat damals diese Anschrift als zweiten Wohnsitz bezeichnet. Der weitere Schriftwechsel mit dem FA und die Einspruchsentscheidung ergaben ebenfalls die Anschrift in D. Erst in einer Anfrage des Klägers vom 25. Januar 1972 beim FG nannte er nunmehr eine Anschrift in B. Das FG hat auch die Anfrage an diese Anschrift beantwortet. Mit Schreiben vom 6. Juni 1973 hat das FG dem Kläger unter seiner Anschrift in D mitgeteilt, daß seine Steuerakten beim FG eingegangen seien und dort auf der Geschäftsstelle eingesehen werden könnten. Dieses Schreiben ging an das FG mit dem Vermerk des Postamts zurück, daß der Empfänger unbekannt verzogen sei. Auf Weisung des Senatsvorsitzenden des FG vom 19. Juni 1973 wurden die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 24. August 1973 geladen, und zwar der Kläger unter der Anschrift: A. Die Ladung erfolgte mit Postzustellungsurkunde am 28. Juni 1973 im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung beim Postamt A.
Die Ladung ging am 28. September 1973 an das FG zurück mit dem Vermerk des Postamts, daß die Lagerfrist abgelaufen, der Brief aber nicht abgefordert worden sei.
Nach dem vorstehend festgestellten Sachverhalt beruht das Urteil des FG nach § 119 Nr. 4 FGO auf der Verletzung von Bundesrecht, und zwar darauf, daß der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen ist. Die §§ 116 Abs. 1 Nr. 3 und 119 Nr. 4 FGO sind dem § 551 Nr. 5 der Zivilprozeßordnung nachgebildet. Nach der Entscheidung des BGH vom 16. Juli 1965 I a ZB 3/64 - BPatG - (Neue Juristische Wochenschrift 1965 S. 2252) ist ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten, wenn er nicht zum Termin geladen worden war (vgl. auch Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., Anm. 4 zu § 116 FGO). Hat eine Prozeßpartei einen Prozeßbevollmächtigten bestellt, so ist der Beteiligte nicht ordnungsmäßig vertreten, wenn sein Prozeßbevollmächtigter nicht ordnungsgemäß zum Verfahren geladen worden ist. Hat ein Beteiligter, wie im Streitfall der Kläger, keinen Prozeßbevollmächtigten, so ist er selbst nicht vorschriftsmäßig im Verfahren vertreten gewesen, wenn er zu der durchgeführten mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist.
Da die Revision des Klägers auf Verfahrensmängel gestützt und nicht zugleich die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO vorliegen, war nach § 118 Abs. 3 FGO nur über den geltend gemachten Verfahrensmangel zu entscheiden. Da ein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 119 FGO vorliegt, war das angefochtene Urteil des FG gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71294 |
BStBl II 1975, 335 |
BFHE 1975, 457 |