Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Vorbehaltsfestsetzung nach einer Außenprüfung
Leitsatz (NV)
Hebt das FA den Vorbehalt der Nachprüfung nach einer Außenprüfung nicht auf, ist die mit dieser Nebenbestimmung versehene Steuerfestsetzung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist selbst dann nach § 164 Abs. 2 AO 1977 in vollem Umfang änderbar, wenn das FA dem Steuerpflichtigen gemäß § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 mitgeteilt hat, die Außenprüfung habe zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt.
Normenkette
AO 1977 § 164 Abs. 1-2, § 173 Abs. 1-2, § 202 Abs. 1 S. 3, § 204; BGB § 242
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Sie haben ein ihnen zu je 1/2 gehörendes Grundstück an eine GmbH vermietet, an der der Kläger zu 60 v. H. und die Klägerin zu 40 v. H. beteiligt sind.
Die gegenüber den Klägern unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre (1984 bis 1986) wurden aufgrund der Feststellungen einer bei ihnen durchgeführten Außenprüfung nicht geändert. Im Prüfungsbericht des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt -- FA --) vom 16. Februar 1988 ist hierzu ausgeführt, die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerfestsetzungen erführen durch die Außenprüfung keine Änderung. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob das FA in der Folgezeit nicht auf.
Im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung für 1987 gelangte das FA zu der Auffassung, zwischen den Klägern und der GmbH bestehe eine Organschaft. Es änderte die gegenüber den Klägern ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre mit Bescheiden vom 27. November 1989. Die Umsätze und Vorsteuern der GmbH faßte es mit denen der Kläger zusammen, wodurch bei den Klägern in allen Streitjahren der Steuerabzugsbetrag für Kleinunternehmer entfiel.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG), von dem die GmbH beigeladen worden ist, hob die Umsatzsteueränderungsbescheide auf. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen verstoße gegen Treu und Glauben. Die zur Änderungssperre des § 173 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) entwickelten Grundsätze seien auch im Rahmen des § 164 Abs. 2 AO 1977 zu beachten. Das FA könne sich daher, wenn es das Gebot der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht beachte, nicht später auf diesen Vorbehalt berufen. Auf die Frage, ob eine Organschaft vorliege, komme es daher nicht an.
Dagegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Ansicht, eine Änderung der unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen sei uneingeschränkt möglich gewesen. Dem habe der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegengestanden. Solange ein Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe, könne beim Steuerpflichtigen kein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand vorliegen.
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.
Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Zu Unrecht hat das FG die Befugnis des FA zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1984 bis 1986 verneint. Diese Befugnis ergibt sich aus § 164 Abs. 2 AO 1977.
1. Die ursprünglichen Umsatzsteuerfestsetzungen standen, als sie durch die angefochtenen Bescheide geändert wurden, noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977). Dieser Vorbehalt entfällt, vom Fall des Ablaufs der Festsetzungsfrist (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977) abgesehen, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (vgl. Urteil vom 14. September 1993 VIII R 9/93, BFH/NV 1994, 519, unter 1. b, m. w. N.) regelmäßig erst durch ausdrückliche Aufhebung. Solange die Wirkung des Vorbehalts besteht, sind die mit dieser Nebenbestimmung versehenen Steuerfestsetzungen nach § 164 Abs. 2 AO 1977 in vollem Umfang änderbar. Dies gilt auch im Streitfall.
a) Durch die Außenprüfung bei den Klägern war keine Änderungssperre eingetreten. Auch wenn die Mitteilung des FA im Prüfungsbericht hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen 1984 bis 1986 mit der vom FG vertretenen rechtlichen Beurteilung als Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 anzusehen ist, hindert dies nur eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 AO 1977, aber nicht nach § 164 Abs. 2 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 1987 I R 118/83, BFHE 149, 508, BStBl II 1988, 168). Aus dem vom FG herangezogenen BFH-Urteil vom 31. August 1990 VI R 78/86 (BFHE 161, 539, BStBl II 1991, 537) folgt für den Streitfall nichts anderes. Zwar wird darin ausgeführt, daß eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, die Außenprüfung habe zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt, gemäß § 173 Abs. 2 AO 1977 eine allgemeine Änderungssperre bewirke. Änderungen gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 werden hiervon jedoch ausdrücklich ausgenommen.
b) Die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1984 bis 1986 war dem FA auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) verwehrt. Entgegen der Ansicht des FG hatte das FA gegenüber den Klägern keine besondere Vertrauenslage geschaffen, aufgrund derer es treuwidrig wäre, daß sich das FA auf die bestehende Möglichkeit der Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO 1977 beruft.
Eine verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO 1977) oder eine verbindliche Auskunft, aufgrund derer die Kläger auf die Endgültigkeit der ursprünglichen Bescheide hätten vertrauen können, hat das FA nicht erteilt. Auch der Prüfungsbericht gab zu einem solchen Vertrauen keinen Anlaß. Das FA teilte den Klägern hierin lediglich mit, daß die Umsatzsteuerfestsetzungen 1984 bis 1986 nicht aufgrund der Feststellungen der Außenprüfung geändert werden. Auf künftige Änderungen dieser Steuerfestsetzungen aus anderen Gründen hat es hingegen weder ausdrücklich noch stillschweigend verzichtet.
Allein die Erwartung der Kläger, das FA werde den Vorbehalt der Nachprüfung pflichtgemäß aufheben, führte nicht dazu, daß dem FA eine spätere Änderung der unter wirksamem Vorbehalt stehenden Festsetzungen trotz nicht vorhandener gesetzlicher Änderungssperre (vgl. unter II.1. a) untersagt war. Ein wirksamer Vorbehalt der Nachprüfung verhindert grundsätzlich das Entstehen eines für die Bindung an Treu und Glauben notwendigen Vertrauenstatbestandes (vgl. Senatsentscheidung vom 11. November 1991 V B 45/91, BFH/NV 1992, 492, unter 2. b). Soweit das FA seiner Pflicht zur Aufhebung des Vorbehalts nicht nachkam, hatten die Kläger zudem die Möglichkeit, hierauf durch entsprechende Anträge hinzuwirken.
2. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden. Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob zwischen den Klägern und der GmbH ein Organschaftsverhältnis bestand. Das Urteil des FG war daher aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die fehlenden Feststellungen nachholen kann.
Fundstellen