Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Erschließungskosten als Erhaltungsaufwand
Leitsatz (NV)
Erschließungsbeiträge für den endgültigen Ausbau einer bislang provisorisch angelegten Straße, mit der ein Grundstück an das öffentliche Straßennetz angebunden war, stellen sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand dar, wenn die Nutzbarkeit des Grundstücks durch den Ausbau der Straße nicht verändert wird. Für die steuerrechtliche Beurteilung der Erschließungskosten kommt es weder auf eine Substanz- oder Zustandsverbesserung der ausgebauten Straße noch darauf an, ob die Ausbaumaßnahme zu einer Wertsteigerung des anliegenden Grundstücks geführt hat (Anschluß an Senatsurteil vom 19. Dezember 1995 IX R 5/95, BFHE 179, 133; BStBl II 1996, 134).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 2; HGB § 255 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind seit 1960 Eigentümer des Grundstücks A-Straße in B. Auf dem Grundstück errichteten sie in den Jahren 1973/1974 ein Mehrfamilienhaus, das sie seither vermieten.
Für die Grundstücke an der A-Straße waren schon seit 1938, im wesentlichen seit 1953, Baugenehmigungen erteilt worden. In den folgenden Jahren war der ursprüngliche Feldweg durch die Anlieger und die Unterhaltungsabteilung des zuständigen Tiefbauamtes durch das Aufbringen von Schotter und provisorischen Asphaltdecken befahrbar gemacht worden. In den Jahren 1972 bis 1974 war eine Entwässerung angelegt worden, zu deren Kosten die Anlieger heran gezogen worden sind. Ab 1979 hat die Gemeinde mit der "erstmaligen endgültigen Herstellung" der A-Straße durch den Bau einer Fahrbahn und von Gehwegen sowie das Anlegen einer Beleuchtung und von Grünanlagen begonnen. Zu den Kosten dieses Ausbaus der Straße wurden die Kläger im Jahre 1985 (Streitjahr) in Höhe von 22 759,42 DM herangezogen.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger die Erschließungskosten als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) behandelte hingegen die strittigen Aufwendungen als nachträgliche Anschaffungskosten des Grund und Bodens. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen: Für die steuerrechtliche Beurteilung von Erschließungskosten sei darauf abzustellen, aus welchem Anlaß von den Anliegern einer Straße Beitragsleistungen erhoben würden; hierbei sei die planungsrechtliche Einordnung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme i. S. des Bundesbaugesetzes maßgebend. Da die Kläger zu den durch den erstmaligen Ausbau der A- Straße entstandenen Kosten herangezogen worden seien, lägen im Streitfall nachträgliche Aufwendungen auf Grund und Boden vor.
Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Bei den strittigen Erschließungskosten handele es sich um Erhaltungsaufwendungen, da ihr Grundstück bereits vor der städtischen Baumaßnahme durch eine private Straße an das öffentliche Straßennetz angeschlossen gewesen und lediglich diese private Anbindung durch eine öffentliche Straße ersetzt worden sei.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung der Einspruchsentscheidung vom 2. März 1993 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Erschließungskosten in Höhe von 22 759,42 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist der Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils stattzugeben. Zu Unrecht hat das FG die strittigen Erschließungskosten nicht als Werbungskosten bei den Einkünften der Kläger aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt.
1. Werbungskosten bilden bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung grundsätzlich alle Aufwendungen, bei denen objektiv ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung besteht und die subjektiv zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 IX R 68/89, BFHE 170, 134, BStBl II 1993, 434). Als Werbungskosten abziehbar sind grundsätzlich auch Aufwendungen, die den Grund und Boden betreffen; denn bei der Vermietung von Gebäuden gehört die damit verbundene Nutzungsüberlassung von Grund und Boden zum Einkünftetatbestand des § 21 Abs. 1 EStG (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1991 IX R 30/89, BFHE 164, 364, BStBl II 1991, 761 zu Schuldzinsen für die Finanzierung eines unbebauten Grundstücks).
2. Zu den Werbungskosten zählen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 EStG auch öffentliche Abgaben, soweit sie sich auf Gebäude oder auf Gegenstände beziehen, die dem Steuerpflichtigen zur Einnahmeerzielung dienen. Sofort als Werbungskosten abziehbare Aufwendungen sind nach dieser Vorschrift auch Erschließungsbeiträge, sofern sie nicht als nachträgliche Anschaffungskosten auf den Grund und Boden anzusehen sind (Senatsurteil vom 22. März 1994 IX R 52/90, BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842).
Beiträge zur Finanzierung erstmals durchgeführter Erschließungsmaßnahmen sind nach ständiger Rechtsprechung den Anschaffungskosten von Grund und Boden zuzurechnen, da sie dazu dienen, das Grundstück baureif zu machen und es damit i. S. von § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen (z. B. Senatsurteil vom 14. März 1989 IX R 138/88, BFH/NV 1989, 633; Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 2. Mai 1990 VIII R 198/85, BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29). Werden hingegen vorhandene Erschließungseinrichtungen ersetzt oder modernisiert, so führen Erschließungsbeiträge nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten, es sei denn, das Grundstück wird durch die Maßnahme in seiner Substanz oder in seinem Wesen verändert (BFH-Urteil in BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29). Der Charakter eines Grundstücks wird durch grundstücksbezogene Kriterien bestimmt, ins besondere durch Größe, Lage, Zuschnitt, Erschließung und Grad der Bebaubarkeit. Solange diese unverändert bleiben, werden Substanz oder Wesen des Grundstücks nicht berührt. Nicht entscheidend ist, ob die Maßnahme aus anderen Gründen zu einer Werterhöhung des Grundstücks geführt hat (Senatsurteil in BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842).
Mit Urteil vom 7. November 1995 IX R 99/93 (BFHE 179, 96, BStBl II 1996, 89) hat der Senat entschieden, daß nach diesen Grundsätzen Erschließungsbeiträge für eine öffentliche Straße, durch die eine bisherige private Anbindung eines Grundstücks an das öffentliche Straßennetz ersetzt wird, sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand darstellen, wenn die Nutzbarkeit des Grundstücks durch die öffentliche Erschließungsmaßnahme nicht verändert wird. Mit Urteil vom 19. Dezember 1995 IX R 5/95 (BFHE 179, 133, BStBl II 1996, 134) hat er ferner klargestellt, daß es im Falle eines Ausbaus einer bislang vorhandenen Straße unbeachtlich ist, ob die bisherige Straße von der Gemeinde lediglich als Provisorium betrachtet und der Grundstückseigentümer zu deren Herstellungskosten herangezogen worden war. Damit hat der Senat die steuerrechtliche Qualifizierung der Erschließungskosten von der Frage der öffentlich-rechtlichen Beitragspflicht gelöst. Maßgebend ist allein, ob die erstmalige Anbindung des Grundstücks an das öffentliche Straßennetz dazu gedient hat und geeignet war, das Grundstück baureif und damit nutzbar zu machen. Soweit durch eine nachfolgende Erschließungsmaßnahme die Nutzbarkeit des bislang durch eine vorherige Maßnahme erschlossenen Grundstücks nicht verändert wird, weil sich die neue Erschließungsanlage insoweit nicht wesentlich von der bisherigen Anlage unterscheidet, stellen die Beiträge für die nachfolgende öffentliche Erschließung sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand dar.
3. Hiernach sind im Streitfall die Erschließungskosten als Erhaltungsaufwendungen zu beurteilen. Nach den Feststellungen des FG war die A-Straße vor ihrem endgültigen Ausbau durch das Aufbringen von Schotter und provisorischen Asphaltdecken befahrbar. Sie diente damit über viele Jahre der Anbindung der bebauten Grundstücke an das öffentliche Straßennetz. Hieran hat sich -- unstreitig -- durch die Baumaßnahme der Gemeinde nichts geändert, so daß das Grundstück der Kläger durch den Ausbau der A-Straße in seiner Nutzbarkeit und seinen wesentlichen Merkmalen nicht verändert worden ist. Entgegen der Ansicht des FA kommt es nach den oben dargestellten Grundsätzen für die steuerrechtliche Beurteilung der Erschließungskosten weder auf eine Substanz- oder Zustandsverbesserung der ausgebauten Straße noch darauf an, ob die betreffende Maßnahme aus anderen Gründen als den genannten grundstücksbezogenen Kriterien zu einer Wertsteigerung des Grundstücks geführt hat.
4. Die Sache ist spruchreif. Die strittigen Erschließungskosten sind als zusätzliche Werbungskosten der Kläger bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 66146 |
BFH/NV 1997, 178 |
HFR 1997, 145 |