Entscheidungsstichwort (Thema)
Option durch schlüssiges Verhalten - Nachwirkende Rechte eines Zwangsverwalters: Rechnungsausstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Verzicht auf eine Steuerbefreiung geschieht regelmäßig dadurch, daß der Steuerpflichtige den in § 9 UStG 1980 genannten Umsatz dem Leistungsempfänger unter besonderem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung stellt; der Verzicht kann auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden, soweit aus den Erklärungen und sonstigen Verlautbarungen, in die das gesamte Verhalten einzubeziehen ist, der Wille zum Verzicht eindeutig hervorgeht.
2. Ein Zwangsverwalter ist berechtigt, im Nachgang zu seinen Pflichten noch eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis auszustellen.
Orientierungssatz
1. Sprechen die abgegebenen Erklärungen und die begleitenden Umstände dafür, daß auf die Steuerbefreiung von Vermietungsumsätzen wirksam verzichtet wurde, steht der Option nicht entgegen, daß die vereinnahmte Umsatzsteuer nicht an das FA abgeführt wurde, wenn sich ein Zwangsverwalter verpflichtet glaubte, die gesamten Mieteinnahmen an die Gläubiger abführen zu müssen.
2. Hier: Verzicht auf die Steuerfreiheit von Mietumsätzen durch einen Zwangsverwalter.
Normenkette
AO 1977 § 36; UStG 1980 § 14 Abs. 2-3, § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1; ZVG § 152
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der als Fachanwalt für Steuerrecht tätige Kläger und Revisionskläger (Kläger) war vom 1. April 1985 bis zum 7. November 1986 Zwangsverwalter des Grundstücks W-Straße. Nach Verkauf des Grundstücks hob das Amtsgericht die Zwangsverwaltung auf.
Mit Vertrag vom 7. Mai 1985 hatte der Kläger das Grundstück an die Firma ...-GmbH (GmbH) für eine Jahresmiete von 168 000 DM "plus jeweils gültiger Mehrwertsteuer" vermietet. Die zuzüglich Umsatzsteuer vereinnahmte Miete führte er an die Grundpfandgläubiger ab, die die Zwangsverwaltung beantragt hatten.
Am 7. Juni 1990 erteilte der Kläger der GmbH auf deren Bitten um einen zum Vorsteuerabzug berechtigenden Beleg zwei Rechnungen, in denen er "als damaliger Zwangsverwalter" die Miete für 1985 und 1986 berechnete und dabei die auf die Miete entfallende Umsatzsteuer betragsmäßig offen auswies.
Auf Aufforderung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) reichte der Kläger in seiner Funktion als ehemaliger Zwangsverwalter am 11. Oktober 1990 Umsatzsteuererklärungen für die Besteuerungszeiträume 1985 und 1986 ein, in denen er steuerpflichtige Mietumsätze erklärte. Das FA richtete die entsprechenden Umsatzsteuerbescheide zunächst an den Kläger, hob die Bescheide im weiteren Verlauf des Verfahrens aber wieder auf, da nach Aufhebung der Zwangsverwaltung die Bescheide nicht mehr an den Kläger hätten gerichtet werden dürfen.
Das FA nahm den Kläger unter Bezugnahme auf die oben erwähnten Rechnungen gemäß § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 in Anspruch und setzte gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) Zinsen fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 192 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts; er trägt im wesentlichen vor:
1. Im Jahr 1990 habe bei der GmbH eine Betriebsprüfung stattgefunden. Der Anwalt der GmbH habe den Kläger um Nachreichung von Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer gebeten; er --der Kläger-- sei dieser Bitte nachgekommen.
2. Der Kläger habe wirksam zur Umsatzsteuer optiert. Die nachträgliche Rechnungserteilung habe lediglich dem Zweck gedient, dem bereits abgeschlossenen Mietvertrag "Rechnungsqualität" zu verleihen. Im übrigen seien die Rechnungen nicht als Rechnungen, sondern als Quittungen zu qualifizieren.
3. Im Streitfall habe der Alt-Eigentümer nicht wieder die "Unternehmerrolle" übernehmen können, da das Grundstück veräußert worden sei. Im übrigen habe nur der ehemalige Zwangsverwalter die nachträgliche Rechnungskorrektur vornehmen können, weil dieser auch derjenige gewesen sei, der den Leistungsaustausch bewirkt habe.
4. Die Nachwirkungspflichten ergäben sich nicht nur aus den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Zwangsverwaltung, sondern auch unmittelbar aus § 14 Abs. 1 UStG 1980. Nur der am Leistungsaustausch Beteiligte könne eine Abrechnung vornehmen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil sowie den Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 1990 und den Zinsbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Mietvertragsklausel enthalte wegen Unbestimmtheit keine wirksame Option; erst mit der Erteilung eines Abrechnungspapiers mit offenem Umsatzsteuerausweis habe der Kläger auf die Umsatzsteuerbefreiung verzichtet. Zu diesem Zeitpunkt sei er nicht mehr Zwangsverwalter gewesen.
2. Es handele sich hier nicht um den Fall einer Rechnungskorrektur oder Rechnungsvervollständigung, weil keine Rechnung vorgelegen habe, die hätte korrigiert werden können.
II.
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage.
Die von dem Kläger bewirkten Vermietungsumsätze waren dem Inhaber der Vermögensmasse zuzurechnen; das FA war nicht berechtigt, den Kläger nach § 14 Abs. 3 oder --so hilfsweise das FG-- nach § 14 Abs. 2 UStG 1980 in Anspruch zu nehmen.
1. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 UStG 1980 liegen nicht vor, da der Kläger zum gesonderten Ausweis der Steuer berechtigt war (zur umsatzsteuerrechtlichen Stellung des Zwangsverwalters im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner vgl. im einzelnen Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Juni 1988 V R 203/83, BFHE 154, 181, BStBl II 1988, 920; vom 12. Mai 1993 XI R 47/91, BFH/NV 1994, 77, und vom 10. April 1997 V R 26/96, BStBl II 1997, 552). Entgegen der Auffassung des FG hatte der Kläger bereits in den Jahren 1985 und 1986 zur Umsatzsteuer optiert.
Nach § 9 UStG 1967/1973 war der Verzicht auf Steuerbefreiung dem FA gegenüber zu erklären. Seit Einführung der Einzeloption durch das UStG 1980 kann der Unternehmer einen der in § 9 UStG 1980 genannten steuerfreien Umsätze "als steuerpflichtig behandeln". Dies geschieht regelmäßig dadurch, daß er den in § 9 UStG 1980 genannten Umsatz dem Leistungsempfänger unter besonderem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung stellt (Urteil des BFH vom 1. Dezember 1994 V R 126/92, BFHE 176, 491, BStBl II 1995, 426; Klenk in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 9, Bem. 32 f.). Allerdings kann der Verzicht auch in anderer Weise (durch schlüssiges Verhalten) erklärt werden, soweit aus den Erklärungen und sonstigen Verlautbarungen, in die das gesamte Verhalten einzubeziehen ist, der Wille zum Verzicht eindeutig hervorgeht (vgl. BFH in BFHE 176, 491, BStBl II 1995, 426; Wenzel in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 8. Aufl., Oktober 1995, § 9 Anm. 47 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, 19. Aufl., 1996, 395).
Im Streitfall sprechen die vom Kläger abgegebenen Erklärungen und die begleitenden Umstände dafür, daß der Kläger auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze verzichtet hat. Bereits in dem Mietvertrag wurde eine Jahresmiete von 168 000 DM "plus jeweils gültiger Mehrwertsteuer" vereinbart. Dementsprechend entrichtete die GmbH die monatliche Miete zuzüglich Mehrwertsteuer, ohne daß sich der Kläger dem widersetzt hätte. Alle Umstände sprechen daher für eine Option. Der Umstand, daß der Kläger die vereinnahmte Umsatzsteuer nicht an das FA abführte, beruhte nicht auf einer unterbliebenen Option, sondern allein darauf, daß er sich verpflichtet glaubte, die gesamten Einnahmen an die Gläubiger abführen zu müssen. Bestätigt wird diese Beurteilung durch das nachfolgende Verhalten des Klägers, der sich ohne weiteres für berechtigt hielt, eine Abrechnung mit gesondertem Steuerausweis nachzureichen. Selbst das FA ging davon aus, daß der Kläger zur Umsatzsteuer optiert hatte.
Der Streitfall unterscheidet sich insoweit auch von dem Fall, der dem Urteil des FG des Saarlandes vom 2. April 1992 2 K 50/88 (Umsatzsteuer-Rundschau 1993, 124) zugrunde lag. Hier war lediglich ein Kaufpreis "zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer" vereinbart worden; weitere die Option konkretisierende Umstände, wie sie im Streitfall vorliegen, waren in jenem Fall nicht gegeben; insbesondere wurde in jenem Fall auch nur ein Netto-Kaufpreis entrichtet.
2. Da der Kläger noch zu der Zeit zur Umsatzsteuer optiert hatte, als er Zwangsverwalter gemäß § 152 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung war, war er berechtigt, im Nachgang zu seinen Pflichten, für die damalige Vermietung noch eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis auszustellen. Auch § 36 AO 1977 geht davon aus, daß die vor dem Erlöschen der Vertretungsmacht begründeten Pflichten fortbestehen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Stand Oktober 1996, § 36 AO 1977 Tz. 1). In anderen Fällen wird in Rechtsprechung und Schrifttum ebenfalls einhellig angenommen, daß der Zwangsverwalter bereits eingeleitete und durchgeführte Geschäfte nach Aufhebung der Zwangsverwaltung noch abwickeln kann (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Oktober 1992 XII ZR 125/91, Zeitschrift für Wirtschaft 1992, 1781, m.w.N.; Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. Juli 1974 10 U 53/74, Neue Juristische Wochenschrift 1975, 265; Zeller/Stöber, Kommentar zum Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung, 15. Aufl., 1996, § 161 Rz. 5 --5.1--; 6 --6.1--).
3. Hatte der Kläger optiert, so war er zur Ausstellung der Rechnungen mit gesondertem Ausweis der auf die Mieten entfallenden Umsatzsteuer berechtigt; auch ein Fall des § 14 Abs. 2 UStG 1980 liegt nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 66319 |
BFH/NV 1997, 497 |
BStBl II 1997, 670 |
BFHE 183, 301 |
BFHE 1998, 301 |
BB 1997, 2093-2094 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1997, 2363-2364 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1997, 1606-1607 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 844-845 (Leitsatz) |
DStZ 1997, 867-868 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 45 |
StE 1997, 660-661 (Leitsatz) |