Entscheidungsstichwort (Thema)
Spediteur als Schuldner von Einfuhrumsatzsteuer; Auslegung von Willenserklärungen
Leitsatz (NV)
1. Ob eine Spedition eine Steueranmeldung im eigenen oder fremden Namen abgegeben hat, ist der Anmeldung durch Auslegung zu entnehmen. Bei der Auslegung hat das übereinstimmend Gewollte den Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung.
2. Das Revisionsgericht kann die Vorentscheidung dahin überprüfen, ob dem FG bei der Auslegung einer Willenserklärung Rechtsfehler unterlaufen sind.
Normenkette
ZG § 10 Abs. 3, § 40a; AO 1977 § 168; FGO § 118; BGB §§ 133, 157
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ließ im September und Oktober 1977 zwei Sendungen aus Italien durch die Spedition T einführen. Die Spedition überführte die Waren im Rahmen der ihr bewilligten Zollbehandlung ohne Abfertigung durch Anschreibung in den freien Verkehr. Die Steueranmeldungen gab sie am 3. und 21. Oktober 1977 ab. Da sie inzwischen in Konkurs gefallen war und die mit der Anschreibung entstandene Einfuhrumsatzsteuer nicht gezahlt hatte, forderte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) den Kläger mit zwei Schreiben vom 24. Oktober 1977 auf, insgesamt 2 458,86 DM Einfuhrumsatzsteuer und 4 DM Säumniszuschlag zu entrichten.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger, den Bescheid vom 24. Oktober 1977 und die Beschwerdeentscheidung vom 21. Dezember 1978 aufzuheben. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
Die Zahlungsaufforderungen seien als Leistungsgebot zu werten. Ein Leistungsgebot nach § 254 der Abgabenordnung (AO 1977) setze nach § 249 AO 1977 einen Verwaltungsakt voraus, der auf eine entsprechende Leistung gerichtet sei. Ein solcher Verwaltungsakt fehle hier. Im Streitfall sei das Zollgut nach § 40 a des Zollgesetzes a. F. (ZG; im folgenden stets in der damals geltenden Fassung zitiert) durch Anschreibung ohne Abfertigung in den freien Verkehr überführt worden. Dabei habe sich die Spedition als Zollbeteiligte eingetragen. Sie habe auch den Abgabenbetrag selbst berechnet, so daß die Zollanmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehe (§ 40 a Abs. 2 ZG i. V. m. § 168 AO 1977). Diese Steuerfestsetzung wirke nicht gegenüber dem Kläger. Denn nach dem Inhalt der Zollanmeldung sei nicht der Kläger, sondern die Spedition selbst Zollbeteiligte und damit Zollschuldner nach § 40 a Abs. 2 ZG.
Zu Unrecht mache das HZA geltend, daß der Spedition nur die Anschreibung in fremdem Namen bewilligt gewesen sei und der Wille der Spedition, in fremdem Namen anzuschreiben, sich daraus ergebe, daß sie in der Anmeldung ,,im Auftrag der Zollbeteiligten" versichert habe, daß die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht worden seien. Diese Versicherung lasse keinen sicheren Schluß darauf zu, daß die Spedition die Anschreibungen nicht im eigenen Namen habe vornehmen wollen. Die Versicherung könne auch so verstanden werden, daß der einzelne Bearbeiter im Auftrag der Spedition als Zollbeteiligter die Richtigkeit der Angaben versichere. In den einzelnen Spalten der Anmeldung sei die Spedition jeweils ausdrücklich als Zollbeteiligte eingetragen worden.
Unerheblich sei auch, daß der Spedition nur die Bewilligung zur Anschreibung in fremdem Namen erteilt worden sei. Auch wenn die Anschreibung fehlerhaft gewesen sei, folge daraus keinesfalls, daß die Anschreibung sich gegen den einzelnen Importeur als Zollbeteiligten richte. Die Bezeichnung des Steuerschuldners sei ein wesentliches Kriterium eines Steuerbescheides. Sie müsse eindeutig sein. Die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Mit seiner Revision macht das HZA folgendes geltend: Das FG habe den Rechtsgrundsatz der ,,falsa demonstratio" außer acht gelassen. Es komme nicht nur darauf an, was objektiv erklärt werde, sondern daneben auch, was der Erklärende gemeint habe und habe erklären wollen und wie der Erklärungsempfänger dies aufgefaßt habe. Das gemeinsam Gewollte sei maßgebend. Die Spedition habe die Anschreibung in fremdem Namen beantragt. Entsprechend habe es, das HZA, das Verfahren zugelassen. Die auf der Grundlage dieser Zulassung abgegebenen monatlichen Sammelzollanmeldungen enthielten dann allerdings auch eine ,,falsa demonstratio"; denn die Spedition habe zwar die zutreffenden Vordrucksätze verwendet, in diese jedoch den eigenen Namen in der Spalte ,,Zollbeteiligter" eindrucken lassen. Da sich sowohl der Erklärende als auch der Erklärungsempfänger darüber einig gewesen seien, daß diese Zollanmeldung in fremdem Namen abgegeben sein sollte, habe dieses gemeinsam Gewollte gegolten. Dafür spreche auch, daß die Spedition den Vordruck 0510 verwendet habe, in dessen ,,Anleitung zur Ausfüllung des Vordrucks" unter Nr. 1 ausdrücklich darauf hingewiesen werde, daß dieser Vordruck nur von ,,Spediteuren und anderen Beauftragten" der Einführer verwendet werden dürfe.
Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er führt u. a. aus: Der zivilrechtliche Grundsatz der falsa demonstratio könne nicht für das Steuerrecht gelten, da sich hier die Beteiligten nicht auf gleicher Ebene gegenüberstünden. Eine Umdeutung verbiete sich im öffentlichen Recht auch deshalb, weil eine Zollanmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehe. Ein Verwaltungsakt müsse denjenigen bezeichnen, den es angehe. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Spedition nicht als Beteiligte habe darstellen wollen. Dazu habe sie Anlaß gehabt. Denn zu dieser Zeit sei sie bereits zahlungsunfähig gewesen, habe aber von dem Kläger den Zollbetrag bereits kassiert gehabt, aber nicht mehr abführen können. Die Bezeichnung des Steuerschuldners sei ein wesentliches Kriterium eines Steuerbescheides. Sie müsse sich eindeutig aus diesem ergeben. Sofern gegen den Kläger ein Anspruch bestanden habe, sei dieser verjährt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Der Spedition war die Zollabfertigung ohne Abfertigung i. S. des § 40 a ZG bewilligt worden. Diese Vorschrift für Zölle galt für die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß (§ 21 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -). Nach § 40 a Abs. 1 Satz 2 ZG war die Spedition verpflichtet, das Zollgut unverzüglich zum freien Verkehr anzuschreiben. Sie konnte das in fremdem Namen - also auch im Namen des Klägers - tun, da ihr eine solche Anschreibung, wie der Vorentscheidung mittelbar zu entnehmen ist, ausdrücklich bewilligt worden war (§ 40 a Abs. 1 Satz 3 ZG). Mit der Anschreibung entstand eine Einfuhrumsatzsteuerschuld (vgl. § 40 a Abs. 2 Satz 1 ZG). Schuldner war der Zollbeteiligte (§ 40 a Abs. 2 Satz 4 ZG). Das war derjenige, in dessen Namen das Zollgut angeschrieben worden war (§ 40 a Abs. 1 Satz 5 ZG). Die Anmeldungen in diesem Verfahren standen nach § 40 a Abs. 2 Satz 5 ZG i. V. m. § 168 Satz 1 AO 1977 entsprechenden Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
Hatte also die Spedition die Anmeldungen im Namen des Klägers abgegeben, so lagen entsprechende Steuerfestsetzungen gegen diesen vor. Unter dieser Voraussetzung sind dann die Bescheide vom 24. Oktober 1977 zu Recht ergangen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Steuerbescheide aufgrund der Anmeldungen bereits entsprechende Leistungsgebote an den Kläger enthielten.
War das der Fall, so sind die beiden Bescheide vom 24. Oktober 1977 als klarstellende Zweitbescheide anzusehen. Andernfalls waren sie die erstmaligen Leistungsgebote an den Kläger. In beiden Fällen konnte sie der Kläger mit seiner Anfechtungsklage angreifen.
2. Entgegen der Auffassung des FG hat die Spedition die Steueranmeldungen im Namen des Klägers abgegeben. Das ergibt die Auslegung dieser Steueranmeldungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
a) Die Steueranmeldungen i. S. des § 40 a Abs. 2 Satz 5 ZG i. V. m. § 168 AO 1977 enthalten eine Art von Steueranerkennung (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 168 AO 1977 Anm. 1). Deswegen und weil sich aus ihnen auch die Person des Steuerpflichtigen ergibt, setzen sie einen auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichteten Willen voraus, sind also insoweit Willenserklärungen (vgl. auch Tipke / Kruse, a.a.O., Vor § 149 AO 1977 Anm. 3 und 5). Das gleiche gilt für die Anschreibungen i. S. des § 40 a Abs. 1 ZG, auf die aber schon deswegen nicht weiter eingegangen zu werden braucht, da die Spedition für Anschreibungen und Anmeldungen identische Formulare mit identischem Inhalt verwendet hat. Nach allgemeiner Meinung sind für die Auslegung von Willenserklärungen auch des öffentlichen Rechts die Vorschriften des BGB ergänzend heranzuziehen (vgl. § 62 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG -).
b) Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften; die Willenserklärung ist nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen (vgl. auch Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 47. Aufl., § 133 Anm. 1). Diese Grundsätze hat das FG bei der Würdigung der genannten Willenserklärungen der Spedition außer acht gelassen. Der Senat als Revisionsgericht ist zu einer entsprechenden Überprüfung der Vorentscheidung befugt (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Anm. 17).
Der Senat geht dabei von den in der Vorentscheidung erwähnten Urkunden (Anmeldungen vom 3. und 21. Oktober 1977 und Zulassungsverfügung des HZA vom 1. Juli 1975 in der Fassung der Änderung vom 10. Januar 1977) aus, die er als durch das FG in der Vorentscheidung in Bezug genommen betrachtet (§ 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Auslegung der Steueranmeldungen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB ergibt, daß die Spedition sie im Namen des Klägers abgegeben hat.
c) Die Anmeldungen sind ihrem Wortlaut nach nicht eindeutig und daher auslegungsbedürftig. Zwar ist den Feldern, die den Vordruck tragen ,,Zollbeteiligter, Name und Postanschrift", Name und Adresse der Spedition eingedruckt, während nur in den Feldern ,,Einführer, Name und Anschrift" der Name des Klägers eingetragen ist. Das spricht dafür, daß Zollbeteiligte die Spedition ist. Ein Indiz dagegen ist der Text der Felder der Anmeldung, die die Unterschrift des Bediensteten der Spedition tragen. Dort heißt es: ,,Ich versichere im Auftrag der Zollbeteiligten, daß ich die Angaben nach bestem Wissen . . . gemacht habe." Das deutet darauf hin, daß die Spedition, eine juristische Person, davon ausgegangen ist, eine andere Person als sie selbst sei Zollbeteiligter. Das FG meint zwar, diese Versicherung könne auch so verstanden werden, daß der einzelne Bearbeiter im Auftrag der Spedition als Zollbeteiligter die Richtigkeit der Angaben versichere. Dagegen spricht aber, daß der genannte Text von Zollbeteiligten im Plural spricht und überdies in solchen Fällen kein Unterschied zwischen dem Unternehmen als juristischer Person und dem Bediensteten des Unternehmens, der für dieses unterschreibt, gemacht zu werden pflegt.
d) Im Hinblick auf ihre mangelnde Eindeutigkeit bedürfen die Steuererklärungen der Auslegung, wobei der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist (vgl. § 133 BGB). Besteht ein übereinstimmender Wille der Beteiligten - hier also der Spedition einerseits und des HZA als Adressaten der Anmeldung andererseits -, so ist dieser rechtlich auch dann maßgebend, wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat; das übereinstimmend Gewollte hat den Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (vgl. Palandt, a.a.O., § 133 Anm. 4 b mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Wesentlich für die Beurteilung der Steueranmeldungen, die die Spedition im Rahmen der ihr bewilligten Zollbehandlung ohne Abfertigung abgegeben hat, ist der Inhalt der zollamtlichen Zulassung vom 1. Juli 1975 in Verbindung mit dem Zusatzschreiben des HZA vom 10. Januar 1977. Durch diese Zulassung hat das HZA die Spedition ausdrücklich verpflichtet, in fremdem Namen anzuschreiben, die Anmeldungen ,,für die einzelnen Zollbeteiligten" abzugeben und die Abgaben für diese zu entrichten. Erfahrungsgemäß kann davon ausgegangen werden, daß sich der Begünstigte einer solchen Zulassung im Rahmen der Zulassungsbedingungen hält. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, daß die Spedition die Anmeldungen unter Verletzung der Zulassungsbedingungen im eigenen Namen hat abgeben wollen. Die Anmeldungen müssen daher dahin ausgelegt werden, daß sie Anmeldungen im Namen der jeweiligen Einfuhrumsatzsteuerschuldner, d. h. hier des Klägers, waren, der als Einführer in den Anmeldungen namentlich genannt war. Damit aber ist die streitbefangene Einfuhrumsatzsteuer als gegen den Kläger festgesetzt anzusehen (§ 168 Satz 1 AO 1977).
3. Der Kläger wäre allerdings nicht als Steuerschuldner anzusehen, wenn die Spedition ohne Vertretungsmacht gehandelt hätte (vgl. § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. § 10 Abs. 3 ZG; Senatsurteil vom 2. April 1987 VII R 60/84, BFHE 150, 93). Das ist aber vom Kläger selbst nicht behauptet worden und das FG hat auch nichts Entsprechendes festgestellt.
4. Den Erwägungen der Vorinstanz und den Einwendungen des Klägers folgt der Senat nicht. Die Bezeichnung des Steuerschuldners ist zwar in der Tat ein wesentliches Kriterium eines Steuerbescheides. Dieser Umstand schließt aber jedenfalls dann, wenn wie hier die Bezeichnung nicht eindeutig ist, nicht aus, daß der richtige Schuldner durch Auslegung ermittelt wird. Überdies ist im vorliegenden Fall nach den obigen Ausführungen davon auszugehen, daß für die Beteiligten, d. h. für die Spedition in Vertretung des Klägers und für das HZA, eindeutig war, wer allein als Steuerschuldner in Betracht kam. Aus der mangelnden Eindeutigkeit der Anmeldungen für Dritte - der Kläger war von der Spedition vertreten und daher nicht Dritter - konnten sich Schwierigkeiten im Vollstreckungsverfahren nicht ergeben; denn das HZA hatte durch die angefochtenen Bescheide, die den Kläger als Steuerschuldner eindeutig bezeichnen, solche Schwierigkeiten gerade vermieden.
5. In seiner Revisionserwiderung beruft sich der Kläger ohne nähere Begründung auf die Verjährung. In Frage kommt im vorliegenden Fall allenfalls die Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt 5 Jahre (§ 228 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Sie ist im vorliegenden Fall offensichtlich selbst dann nicht verstrichen, wenn man den Zeitpunkt, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, gleichsetzt mit dem Zeitpunkt des Ergehens der Steuerfestsetzung nach § 168 AO 1977.
Da die angefochtenen Zahlungsaufforderungen auch sonst keinen rechtlichen Bedenken begegnen (vgl. auch Senatsurteil vom 30. April 1980 VII R 57/77, BFHE 131, 6), war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415624 |
BFH/NV 1988, 814 |