Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Rückgriffsmöglichkeiten bei der Bildung einer Garantierückstellung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bemessung von Rückstellungen wegen ungewisser Verbindlichkeiten (hier Garantierückstellung wegen Gewährleistungsverpflichtungen eines Bauträgers) kann die Möglichkeit eines Rückgriffs gegen Dritte (hier gegen Subunternehmer) betragsmindernd zu berücksichtigen sein.
Orientierungssatz
1. Ausführungen zur Aktivierung der Freistellungsansprüche gegenüber den Subunternehmern und zu den Voraussetzungen, unter denen wirtschaftlich noch nicht entstandene Rückgriffsansprüche zur Kompensation mit der Garantierückstellung heranzuziehen sind, unter Berücksichtigung des Einzelbewertungsgrundsatzes, des Saldierungsverbots und dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip (vgl. Rechtsprechung; Literatur).
2. Gewährleistungsverpflichtungen des Baugewerbes können dann in eine Garantierückstellung (Definition) eingestellt werden, wenn am Bilanzstichtag Mängelrügen zu berücksichtigen sind. Auch noch nicht gerügte Mängel sind zu berücksichtigen, wenn nach den Erfahrungen der Vergangenheit mit einer Inanspruchnahme zu rechnen ist (Anschluß an BFH-Rechtsprechung). Dabei ist ein Bauunternehmer gegenüber dem Erwerber eines Eigenheims aufgrund eines Bauträgervertrags (Werkvertrag trotz Bezeichnung als Kaufvertrag) zur Gewährleistung verpflichtet, unabhängig davon, daß der Erwerber die Beseitigung nachträglich erkannter und gerügter Mängel wegen Abtretung der Ansprüche "zunächst" gegen die Subunternehmer geltend zu machen hat (keine Freistellungsmöglichkeit des Bauträgers, vgl. BGH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3; HGB § 249 Abs. 1 S. 1, § 253 Abs. 1 S. 2, § 252 Abs. 1 Nr. 3; AktG § 152 Abs. 8
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1980 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger (Ehemann) betreibt ein im Handelsregister eingetragenes Bauträgerunternehmen. Gegenstand des Unternehmens ist die Beschaffung und Veräußerung von Bauland sowie die Errichtung und Veräußerung von Eigenheimen und damit zusammenhängenden Tätigkeiten. Er nimmt Lieferungen und Leistungen von Subunternehmern (Handwerker usw.) in Anspruch.
Der Kläger haftete den Erwerbern von Eigenheimen "für die Behebung aller Mängel, sowohl der bei Abnahme festgestellten als auch der später auftretenden ... nach § 13 der Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B)". Die Ansprüche der Erwerber waren "zunächst auf Nachbesserung beschränkt". "Bei Fehlschlagen der Nachbesserung (hatte) der Käufer Anspruch auf Herabsetzung des Kaufpreises (Minderung)". Wandlung war ausgeschlossen.
Bei der Übergabe gerügte Mängel wurden in einem Übergabeprotokoll festgehalten, das der Kläger den beteiligten Subunternehmern zur Behebung der Mängel oder zur Vereinbarung einer Wertminderung weiterreichte. Mängel, die nicht im Übergabeprotokoll festgehalten worden waren, hatte der Erwerber "zunächst gegen die am Bau beteiligten und gewährleistungspflichtigen Handwerker, Lieferanten und sonstigen Dritten geltend zu machen". Der Kläger trat insoweit die ihm zustehenden "gesetzlichen und vertraglichen Gewährleistungsansprüche" an die Erwerber ab; von der Abtretung ausgenommen war der Anspruch auf Kaufpreisminderung. Der Kläger hatte die Erwerber "bei der Geltendmachung der Gewährleistungsansprüche (zu) unterstützen". Der einzelne Subunternehmer leistete nach den "Vorbemerkungen zum Vertragsangebot", das Gegenstand der Subunternehmerverträge war, dem Kläger "auf seine Lieferung oder Leistung Gewährleistung im Rahmen der Bestimmungen der VOB" (Nr.7 der Vorbemerkungen). Der Kläger behielt 10 % der dem Subunternehmer geschuldeten Rechnungssumme ein, die zu 5 % nach Abnahme und Anerkennung der Schlußabrechnungssumme und zu 5 % nach einem weiteren Jahr ausgezahlt wurde (Nr.9 der Vorbemerkungen).
Der Kläger wies in seiner Bilanz zum 31.Dezember 1980 eine Garantierückstellung von 3 006 000 DM aus. Diese setzte sich aus einer Pauschalrückstellung von 1 849 000 DM und einer Einzelgarantierückstellung von 1 157 000 DM zusammen. Der Kläger hat auch späterhin an der Garantierückstellung in Höhe von 3 006 000 DM festgehalten, sie jedoch im finanzgerichtlichen Verfahren anders als bisher auf die Pauschal- und die Einzelrückstellung verteilt. Die Einzelrisiken wurden nunmehr mit 2 640 339 DM und das Pauschalrisiko nur noch mit 365 661 DM bemessen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gelangte nach einer Betriebsprüfung zu der Auffassung, daß eine Garantierückstellung lediglich in Höhe von 324 500 DM anzusetzen sei. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte aus: Die Garantierückstellung sei nach Maßgabe der zu erwartenden Einzelinanspruchnahme oder pauschal entsprechend den Erfahrungen der Vergangenheit nur mit dem Nettobetrag (Erfüllungsbetrag abzüglich Ersatzansprüchen) zu bewerten (§ 252 Abs.2 des Handelsgesetzbuches --HGB-- n.F.). Das FA habe danach die Rückstellung mit 324 500 DM ausreichend bemessen. Die Garantiefälle hätten in den späteren Jahren lediglich einen Aufwand von ca. 170 000 DM erfordert (darunter 54 000 DM für zwei Konkursfälle von Subunternehmern). Der Kläger habe nicht dargelegt, daß seine Ersatzansprüche gegen die Subunternehmer generell gefährdet gewesen seien. Ihm sei auch entgegenzuhalten, daß er von seiner ursprünglichen Risikobewertung abgerückt sei und im Klageverfahren die Einzel- und Pauschalrisiken grundlegend neu gewichtet habe, ohne darzulegen, daß dafür neue Erkenntnisse maßgeblich gewesen wären.
Die Kläger machen mit der Revision geltend: Ein Ansatz der Garantierückstellung lediglich mit dem Nettobetrag widerspreche vernünftiger kaufmännischer Beurteilung, dem Teilwertgedanken und dem Verrechnungsverbot. Eine "wirtschaftliche" Verrechnung bzw. Saldierung sei jedenfalls wegen der Personenverschiedenheit des Gläubigers (Käufer) und des Schuldners (Subunternehmer) nicht anzuerkennen. Vielmehr seien die Gewährleistungsverpflichtungen (Rückstellung) und die Ersatzansprüche gegen die Subunternehmer getrennt anzusetzen (Bruttoansatz). Die erforderlichen Garantieleistungen seien unter Angabe der einzelnen Mängel spezifiziert worden. Diese Mängel seien bis zum Bilanzstichtag entstanden und nur berücksichtigt worden, soweit sie bis zum Bilanzerstellungstag gerügt worden seien. Die Annahme des FG, es seien auch spätere Erkenntnisse verwertet worden, sei unrichtig. Insoweit habe das FG seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Auf der anderen Seite müßten die Rückgriffsforderungen gegen die Subunternehmer unaktiviert bleiben. Sie seien nicht hinreichend konkretisiert und damit bloße Forderungsanwartschaften. Da bei einem Regreß "normalerweise mit Widerstand der in Anspruch Genommenen zu rechnen" sei, sei es sogar geboten, "zunächst nicht bestrittene Forderungen erst anzusetzen, wenn sie anerkannt" worden seien. Auch sei am Bilanzstichtag nicht ohne weiteres feststellbar gewesen, welcher Subunternehmer für die entstandenen Mängel verantwortlich gemacht werden könne. Sichere Rückgriffsforderungen seien in dem Zeitpunkt der Bilanzerstellung nur ausnahmsweise vorhanden gewesen. Dies aufzuklären, habe das FG unterlassen. Schließlich habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es den Rückstellungsansatz des Betriebsprüfers und des FA von 324 500 DM übernommen habe, der trotz ihrer wiederholten Aufforderungen --zuletzt in der mündlichen Verhandlung-- nicht erläutert worden sei.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1980 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.Juni 1985 dahin zu ändern, daß von einem um 2 681 500 DM ermäßigten Gewinn aus Gewerbebetrieb, vermindert um die Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung, ausgegangen werde.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör beachtet. Es hat erkennen lassen, daß es einen noch niedrigeren Rückstellungsansatz als den des FA (324 500 DM) für gerechtfertigt gehalten und sich lediglich wegen des Verböserungsverbots gehindert gesehen hat, einen solchen niedrigeren Ansatz vorzunehmen. Das FG weist darauf hin, daß dem Kläger in den Folgejahren lediglich Aufwendungen in Höhe von ca. 170 000 DM zur Erfüllung der am Bilanzstichtag bestehenden Garantierisiken entstanden seien. Es hat sich nicht mit dem FA-Ansatz identifiziert, sondern dargelegt, es könne keine Garantierückstellung über den FA-Ansatz "hinaus" gebildet werden.
Die sonstigen Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch. Der Senat sieht insoweit gemäß Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) von einer Begründung ab.
2. Auch in der Sache läßt das angefochtene Urteil einen Rechtsfehler nicht erkennen. Dem FG ist darin beizupflichten, daß die vom FA zugebilligte Rückstellung ausreichend bemessen ist.
a) Garantierückstellungen sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten. Sie sind gemäß § 5 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 249 Abs.1 Satz 1 HGB (früher § 152 Abs.7 des Aktiengesetzes --AktG-- 1965) für Gewährleistungsverpflichtungen zu bilden, die dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiß sind, wenn und soweit eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist. Sie geben das Risiko künftiger Erlösminderungen an, das einzeln, pauschal oder gemischt erfaßt werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1.April 1958 I 60/57 U, BFHE 67, 47, BStBl III 1958, 291; für Bauleistungen BFH-Urteile vom 18.Oktober 1960 I 198/60 U, BFHE 71, 659, BStBl III 1960, 495; vom 7.Oktober 1982 IV R 39/80, BFHE 137, 25, BStBl II 1983, 104; vom 30.Juni 1983 IV R 41/81, BFHE 140, 30, BStBl II 1984, 263; vom 23.Oktober 1985 I R 230/82, BFH/NV 1986, 490).
Für die Einstellung von Gewährleistungsverpflichtungen des Baugewerbes in eine Garantierückstellung bedeutet dies zunächst, daß am Bilanzstichtag bereits erhobene Mängelrügen zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus sind nach der angeführten Rechtsprechung, an der der Senat im Ergebnis festhält, auch noch nicht gerügte Mängel zu berücksichtigen, wenn nach den Erfahrungen der Vergangenheit mit einer Inanspruchnahme zu rechnen ist.
b) Der Kläger war gegenüber sämtlichen Erwerbern der Eigenheime zur Gewährleistung verpflichtet, unabhängig davon, daß die Erwerber die Beseitigung nachträglich erkannter und gerügter Mängel "zunächst" gegen die Subunternehmer geltend zu machen hatten; der Kläger hatte ihnen seine Ansprüche gegen die Subunternehmer abgetreten. Bauträgerverträge der vorliegenden Art sind unbeschadet ihrer Bezeichnung als Kaufverträge hinsichtlich des zu errichtenden oder schon fertiggestellten Bauwerks nach Werkvertragsrecht zu beurteilen (Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 5.April 1979 VII ZR 308/77, BGHZ 74, 204; vom 21.November 1985 VII ZR 366/83, BGHZ 96, 275). Der Bauträger kann sich zivilrechtlich nicht gegenüber den Erwerbern freizeichnen (BGH-Urteil vom 12.Juli 1984 VII ZR 268/83, BGHZ 92, 123, 127).
c) Der Senat geht davon aus, daß am Bilanzstichtag Gewährleistungsverpflichtungen gegenüber den Erwerbern in der vom Kläger behaupteten Höhe zu erwarten waren. Gleichwohl kommt eine Garantierückstellung allenfalls in der vom FA zugebilligten Höhe in Betracht.
3. Der Kläger muß sich entgegenhalten lassen, daß ihn die Subunternehmer von der Baumängelbeseitigung durch Nachbesserung oder von einer "Kaufpreis"-Minderung freizustellen hatten. Die Freistellungsansprüche des Klägers waren unabhängig davon zu berücksichtigen, ob Baumängel bereits gerügt oder wahrscheinlich waren und ob die Gewährleistungsansprüche der Erwerber einzeln oder pauschal erfaßt wurden.
a) Der Kläger möchte seine Gewährleistungsverpflichtungen gegenüber den Erwerbern und seine Freistellungsansprüche gegenüber den Subunternehmern gesondert ansetzen. Die Verpflichtung soll in voller Höhe in der Garantierückstellung passiviert, die Ansprüche sollen hingegen nicht aktiviert werden, weil diese noch nicht hinreichend konkretisierte Schadensersatzforderungen seien.
Der erkennende Senat kann offenlassen, ob die von den Klägern angeführte Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 11.Oktober 1973 VIII R 1/69, BFHE 110, 532, BStBl II 1974, 90; vom 26.April 1989 I R 147/84, BFHE 157, 121) eine Aktivierung der Freistellungsansprüche ausschließt. Diese Rechtsprechung betrifft bestrittene Schadensersatzforderungen. Die Subunternehmer haben nach den Feststellungen des FG ihre Regreßverpflichtungen mit wenigen Ausnahmen, die vor allem zwei Konkursfälle betrafen, vertragsgemäß erfüllt. Hieraus läßt sich entnehmen, daß sie ihre Verpflichtungen durchweg nicht bestritten haben. Allerdings ist in dem Urteil in BFHE 157, 121, 124 weiterhin ausgesprochen, auch eine zunächst nicht bestrittene Forderung aus Vertragsverletzung usw. sei erst nach rechtskräftiger Feststellung oder Anerkennung anzusetzen, sofern "normalerweise mit Widerstand des in Anspruch Genommenen zu rechnen" sei. Aber ein Widerstand der Subunternehmer hat sich angesichts der eindeutigen Rechtslage offenbar nicht geregt.
Diese Fragen brauchen indessen nicht vertieft zu werden. Sollten aktivierungsfähige Regreßansprüche des Klägers am Bilanzstichtag bestanden haben, würde die Revision auch nach Auffassung der Kläger keinen Erfolg haben können, weil die begehrte Erhöhung der Garantierückstellung durch entsprechende Aktivierungen ausgeglichen würde (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 13.Juli 1933 VI A 1413/32, RStBl 1933, 1085). Sollten Freistellungsansprüche des Klägers nicht zu aktivieren sein, sind sie bei der Rückstellungsbildung als rückstellungsbegrenzende Merkmale nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten zu berücksichtigen. Einer derartigen Kompensation steht weder der Einzelbewertungsgrundsatz (§ 252 Abs.1 Nr.3 HGB) noch das Saldierungsverbot (§ 246 Abs.2 HGB) noch der Teilwertgedanke entgegen.
b) Rückstellungen sind handelsrechtlich nur in Höhe des Betrags anzusetzen, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist (§ 253 Abs.1 Satz 2 HGB, vorher § 156 Abs.4 AktG 1965). Steuerrechtlich wird angenommen, daß eine Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten wie eine Verbindlichkeit gemäß § 6 Abs.1 Nr.3 EStG anzusetzen ist, also in sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs.1 Nr.2 EStG grundsätzlich mit den "Anschaffungs- oder Herstellungskosten" (Erfüllungsbetrag) oder mit dem "höheren Teilwert". Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob sich die beiden Bewertungsmaßstäbe unterscheiden (so möglicherweise BFH-Urteil vom 7.Juli 1983 IV R 47/80, BFHE 139, 154, 156, BStBl II 1983, 753). Jedenfalls darf auch steuerrechtlich nicht über den Maßstab vernünftiger kaufmännischer Beurteilung hinausgegangen werden (BFH-Urteil vom 12.Dezember 1990 I R 153/86, BFHE 163, 146, 155, BStBl II 1991, 479).
Vernünftiger kaufmännischer Beurteilung entspricht es, den rückstellungsbegründenden Sachverhalt nicht nur in seinen negativen Aspekten zu erfassen, sondern auch die positiven Merkmale zu berücksichtigen, die die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme mindern oder --günstigstenfalls-- aufheben, weil der Kaufmann insoweit wirtschaftlich und rechtlich nicht belastet ist. Auch die Risikominderung infolge einer zu erwartenden Regreßforderung gegenüber einem Dritten kann zu berücksichtigen sein. Eine Rückstellung wegen eines Wechselobligos wird nur insoweit für zulässig erachtet, als Regreßmöglichkeiten gegenüber anderen Wechselverpflichteten nicht bestehen (BFH-Urteil vom 19.Januar 1967 IV 117/65, BFHE 88, 204, 205, BStBl III 1967, 336). Das FG Nürnberg hat angenommen, daß eine bestehende Produkthaftpflichtversicherung die Höhe von Gewährleistungsrückstellungen mindert (Urteil vom 1.Juli 1981 V 160/77, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1982, 15). Der VIII.Senat des BFH hat der Rechtsfrage, ob bei der Bewertung von sog. Sprungrückstellungen mit noch nicht verwirklichten Rückgriffsansprüchen "saldiert" werden dürfe, grundsätzliche Bedeutung beigelegt (Beschluß vom 14.April 1992 VIII B 74/91, BFH/NV 1993, 11).
Im Schrifttum wird die Frage, ob Rückgriffsmöglichkeiten gegen Dritte die Rückstellungsbildung beeinflussen, gegensätzlich beantwortet. Teilweise wird eine Kompensation --insbesondere mit einem Versicherungsschutz-- verneint (Grubert, Rückstellungsbildung in der Ertragsteuerbilanz, Diss. Münster 1978, S.196 ff.; Milatz, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1983, 571; Pößl, DStR 1984, 428, 433; Perlet, Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle in Handels- und Steuerbilanz, 1986, S.64 ff.). Zumeist wird unterschieden zwischen entstandenen Rückgriffsansprüchen, die zu aktivieren sind, und noch nicht entstandenen Rückgriffsansprüchen, mit deren Entstehung zu rechnen ist; die letzteren sollen rückstellungsmindernd berücksichtigt werden, soweit ihre Durchsetzbarkeit nicht in Frage steht (Eifler, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Rückstellungen, 1976, S.60 f.; Bordewin, Betriebs-Berater --BB-- 1979, 413; Kottke, Finanz-Rundschau --FR-- 1980, 510; Scheidle/Scheidle, BB 1980, 719; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 5 EStG, Lfg. Juni 1985, Anm.639, 1522; Groh, BB 1988, 27, 29; Jacobs, DStR 1988, 238, 241; Kupsch, Der Betrieb --DB-- 1989, 53, 59; derselbe, BB 1992, 2320, 2328; Liedmeier, DB 1989, 2133; Naumann, Die Bewertung von Rückstellungen, 1989, S.223 ff.; Herzig, DB 1990, 1341, 1353; Herzig/Köster, DB 1991, 53, 57; Herzig/Hötzel, BB 1991, 99, 103 f.; Möhler, Absicherung des Wechselkurs-, Warenpreis- und Erfüllungsrisikos im Jahresabschluß, 1992, S.86 ff.).
Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung mit der Maßgabe an, daß wirtschaftlich noch nicht entstandene Rückgriffsansprüche dann zur Kompensation heranzuziehen sind, wenn
- sie derart in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der drohenden Inanspruchnahme stehen, daß sie dieser wenigstens teilweise spiegelbildlich entsprechen,
- sie in rechtlich verbindlicher Weise der Entstehung oder Erfüllung der Verbindlichkeit zwangsläufig nachfolgen; die rechtliche Verbindlichkeit kann sich aus einer vorweg abgeschlossenen Vereinbarung (z.B. einen Versicherungsvertrag) oder aus gesetzlichen Haftungstatbeständen (z.B. einer unerlaubten Handlung) ergeben,
- sie vollwertig sind, d.h. vom Rückgriffsschuldner nicht bestritten werden; dieser muß von zweifelsfreier Bonität sein.
c) Der Einzelbewertungsgrundsatz (§ 252 Abs.1 Nr.3 HGB, § 40 Abs.2 HGB a.F.) ist nicht berührt. Es geht um die Bewertung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten. Rückgriffsforderungen, die zwar wirtschaftlich noch nicht entstanden sind, die aber rechtlich so sicher sind, daß eine endgültige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen unwahrscheinlich ist, begrenzen den Wert der Rückstellung. Auch ein vorsichtig bilanzierender Kaufmann wird eine wahrscheinliche Regreßmöglichkeit nicht vernachlässigen. Einer Anwendung des § 252 Abs.2 HGB, der im Streitjahr noch nicht galt, bedarf es entgegen der Auffassung des FG nicht.
d) Das Saldierungsverbot wird nicht verletzt. Dieses Verbot besagt, daß Forderungen nicht mit Verbindlichkeiten (§ 152 Abs.8 AktG 1965) und allgemein Posten der Aktivseite nicht mit Posten der Passivseite verrechnet werden dürfen (§ 246 Abs.2 HGB). Da davon auszugehen ist, daß die Rückgriffsforderungen des Klägers gegenüber den Subunternehmern wirtschaftlich noch nicht entstanden sind (oben a), ist keine Forderung (Aktivposten) vorhanden, die mit der ungewissen Verbindlichkeit (Passivposten) verrechnet werden könnte.
e) Das kaufmännische Vorsichtsprinzip erfordert es, im Bewertungsprozeß den Faktoren ein größeres Gewicht beizulegen, die geeignet sind, den Wertansatz von Vermögenspositionen zu ermäßigen bzw. von Schuldposten zu erhöhen (BFHE 157, 121, 124). Hieraus kann mit dem Kläger zu folgern sein, daß sich der Kaufmann im Zweifelsfall ärmer machen muß, als er tatsächlich ist. Diesem Zweck dienen die oben (unter b) herausgestellten Voraussetzungen für eine Kompensation. Eine in der Entstehung begriffene Rückgriffsforderung darf nur dann zur Kompensation verwandt werden, wenn sie bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung die Inanspruchnahme ausschließen oder mindern würde. Sie muß daher rechtlich so strukturiert sein, daß sie der drohenden Inanspruchnahme entgegenwirkt und alle Rückgriffsrisiken --insbesondere auch eine mangelnde Bonität des Rückgriffsschuldners-- berücksichtigt. Eine gänzliche Vernachlässigung der Rückgriffsmöglichkeiten mit einer entsprechend hohen Bildung stiller Reserven wird entgegen der Auffassung des Klägers durch das Vorsichtsprinzip nicht gefordert. Würde die Rückstellung zunächst brutto angesetzt und blieben später entstehende Rückgriffsansprüche generell außer Betracht, so wird mehr zurückgestellt, als der Unternehmer wirtschaftlich zu tragen hat.
f) Der Kompensation steht nicht entgegen, daß eine Rückstellung wegen einer ungewissen Verbindlichkeit grundsätzlich mit dem Betrag anzusetzen ist, der für die Erfüllung der gewiß gewordenen Verbindlichkeit erforderlich sein wird (Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, 2.Aufl. 1990, § 253 HGB Anm.151 bis 153). Die Gewährleistungsverpflichtungen des Klägers sind hauptsächlich Sachleistungsverpflichtungen, teils auch Geldleistungsverpflichtungen. In beiden Fällen braucht der Kläger, soweit seine Subunternehmer eintreten, nur einen etwaigen Differenzbetrag in Höhe der von ihm selbst zu erbringenden Aufwendungen bzw. des von ihm selbst zu tragenden Geldbetrags zu erfüllen. Verbindlichkeiten, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erfüllen sind, dürfen weder in der Handels- noch in der Steuerbilanz passiviert werden (BFH-Urteil vom 22.November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359).
g) Der Teilwert der ungewissen Verbindlichkeit wird nicht unterschritten (§ 6 Abs.1 Nr.3 und 2 EStG). Ein den Betrieb fortführender Erwerber (§ 6 Abs.1 Nr.1 Satz 3 EStG) wird bei der Gesamtkaufpreisbemessung nicht außer acht lassen, daß gesicherte Rückgriffsmöglichkeiten gegeben sind. Die Alternative, eine Erhöhung des Geschäftswertansatzes zuzugestehen, entfällt, weil die Regreßmöglichkeit erkennbar mit der auszuweisenden ungewissen Verbindlichkeit zusammenhängt. Kein Unterschied ergibt sich gegenüber der vom Kläger behaupteten Praxis, Rückstellungen bei einem Betriebserwerb nach der späteren tatsächlichen Inanspruchnahme zu bemessen. In diesem Fall wirken sich die Rückgriffsmöglichkeiten spätestens im Zeitpunkt ihrer Erfüllung als Kaufpreisrückzahlung aus.
Die Behandlung der Regreßmöglichkeit als rückstellungsbegrenzendes Merkmal darf allerdings nicht zu einer Verlustminderung führen, die einen Aktivausweis der Regreßforderung übersteigen würde. Ist zu erwarten, daß ein Regreß mangels ausreichender Bonität des haftenden Dritten ausfallen wird, kommt es in demselben Umfang, in dem eine Teilwertabschreibung der (entstandenen) Regreßforderung möglich wäre, nicht zu einer Rückstellungsbegrenzung.
4. Der erkennende Senat befindet sich mit seiner Auffassung nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung anderer BFH-Senate.
a) Der IV.Senat des BFH hat es in dem Urteil vom 27.Mai 1964 IV 352/62 U (BFHE 80, 8, 14 f., BStBl III 1964, 478) für unzulässig angesehen, eine Prozeßkostenrückstellung mit der einzuklagenden Forderung zu verrechnen. Der Prozeßkostenrückstellung liegt die Annahme eines Prozeßverlustes zugrunde, was den Ausfall der einzuklagenden Forderung einschließt. Im Streitfall ist dagegen in der Regel von einer Durchsetzbarkeit der Regreßforderung auszugehen.
b) Der I.Senat hat es bei kongruenter Deckung einer Versorgungsverpflichtung durch einen Versicherungsanspruch abgelehnt, von einer Bilanzierung der einander gleichwertigen Ansprüche abzusehen (Urteil vom 1.Februar 1966 I 90/63, BFHE 85, 108, BStBl III 1966, 251). Der I.Senat geht davon aus, daß der Anspruch aus der Rückdeckungsversicherung entstanden ist. Entstandene Deckungsansprüche sind auch nach Auffassung des erkennenden Senats zu aktivieren. Hieraus folgt andererseits, daß die Gewährleistungsrückstellung ab Entstehung eines Regreß-, Deckungs- oder Freistellungsanspruchs brutto auszuweisen, d.h. im Ausmaß der aktivierten Forderungen anzuheben ist.
c) Mit Urteil vom 16.September 1970 I R 184/67 (BFHE 100, 443, 446 f., BStBl II 1971, 85) hat der I.Senat entschieden, daß Einnahmen (Kippgebühren), die anläßlich der Auffüllung ausgebeuteter Kiesgruben anfallen werden, keine niedrigere Bewertung der Rückstellung wegen der Auffüllverpflichtung rechtfertigen. Auch diese Entscheidung steht der Auffassung des erkennenden Senats nicht entgegen (ebenso Naumann, a.a.O., S.226). Die Kippgebühren sind nicht schon anläßlich der (rückstellungsbegründenden) Ausbeutung der Kiesgruben, sondern --wenn überhaupt-- erst anläßlich der (rückstellungsbeendenden) Auffüllung der Kiesgruben zu erwarten. Demgegenüber tritt die rückstellungsbegrenzende Wirkung zu erwartender Regreß-, Freistellungs- oder Deckungsansprüche zugleich mit der Begründung bzw. Erfüllung der ungewissen Verbindlichkeit ein. Derartige Ansprüche mindern die wirtschaftliche Belastung des Unternehmers von vornherein.
d) Für die drohende Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft hat der I.Senat ausgeführt, die Bürgschaftsverpflichtung sei zu passivieren, gleichzeitig sei aber der Regreßanspruch gegen den Hauptschuldner zu aktivieren (Urteil vom 19.März 1975 I R 173/73, BFHE 115, 359, 360, BStBl II 1975, 614). Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob er dieser Auffassung folgen könnte. Der Ausspruch des I.Senats war nicht tragend, weil nach dem mitgeteilten Sachverhalt in der Übernahme der Bürgschaft ein nichtbetrieblicher Vorgang gesehen wurde.
5. Im Streitfall entstanden die Freistellungsansprüche des Klägers rechtlich zugleich mit den Gewährleistungsverpflichtungen. Die vertragliche Gestaltung ließ den Subunternehmern im Innenverhältnis zum Kläger keinen Raum, sich der Nachbesserung zu entziehen. Auch eine Kaufpreisminderung hatten sie zu tragen. Der Kläger war durch den Einbehalt eines Teils der den Subunternehmern geschuldeten Vergütung bis zu einem Jahr nach Abnahme weitgehend gesichert. Dem Subunternehmer mußte, wollte er die Restvergütung erhalten, an einer zügigen und sachgerechten Erledigung von Mängelrügen gelegen sein, abgesehen davon, daß hiervon Anschlußaufträge des Klägers abhängig gewesen sein dürften. Erfahrungswerte, die eine abweichende Belastung des Klägers belegen könnten, sind nicht ersichtlich.
Andererseits ist zu bedenken, daß der Kläger gelegentlich ein Ausfallrisiko für Subunternehmer zu tragen hatte. Das FG führt hierzu aus, der Kläger habe die am Bilanzstichtag zu erwartenden Gewährleistungsverpflichtungen in Höhe von ca. 170 000 DM selbst erfüllen müssen. Ein solcher Blick auf die künftige Zahlungsentwicklung ist zwar im allgemeinen unzulässig. Eine Rückstellung ist vielmehr nach den Erwartungen des Bilanzstichtags zu bemessen, wie sie bis zum Tag der Aufstellung der Bilanz erkennbar werden. Da der Kläger indessen trotz Aufforderung nicht dargelegt hat, in welchem Ausmaß er in der Vergangenheit wegen Gewährleistungsverpflichtungen persönlich in Anspruch genommen worden ist, hatte das FG keinen anderen Anhalt für eine Schätzung des Ausfallrisikos. Angesichts der fehlenden Mitwirkung des Klägers konnte das FG nach der gegebenen Prozeßlage auch auf die tatsächliche Inanspruchnahme des Klägers abstellen. Danach war das Risiko einer Inanspruchnahme des Klägers mit dem vom FA zugestandenen Betrag von 324 500 DM mehr als ausreichend berücksichtigt.
Fundstellen
Haufe-Index 64647 |
BFH/NV 1993, 38 |
BStBl II 1993, 437 |
BFHE 170, 397 |
BFHE 1993, 397 |
BB 1993, 1115 |
BB 1993, 1115-1118 (LT) |
DB 1993, 1396-1398 (LT) |
DStR 1993, 870 (KT) |
DStZ 1993, 439 (KT) |
HFR 1993, 436 (LT) |
StE 1993, 315 (K) |
WPg 1993, 514-515 (ST) |
StRK, Rückst. R. 60 (LT) |
FR 1993, 500 (KT) |
Information StW 1993, 426 (KT) |
BuW 1993, 585 (K) |
BBK, Fach 17 1493 (13/1993) (KT) |
WiR 1993, 339 (S) |