Leitsatz (amtlich)
Einkünfte aus "gewerbsmäßiger Unzucht" sind Einkünfte aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG.
Normenkette
StAnpG § 5 Abs. 2; EStG § 22 Nr. 3
Tatbestand
Die Klägerin hat sich als Prostituierte betätigt. Sie ist aufgrund einer Steuerfahndung bereits für die Jahre 1961 bis 1963 zur Einkommensteuer herangezogen worden. Die Steuerschulden sind ihr jedoch mit Rücksicht auf die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Prostituierten in den Bundesländern nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO erlassen worden.
Für die Veranlagungszeiträume 1964 und 1965 gab die Klägerin trotz mehrfacher Anforderungen keine Einkommensteuererklärungen ab. Das FA veranlagte sie, indem es ihre Einkünfte aus § 22 Nr. 3 EStG für 1964 auf 15 000 DM und für 1965 auf 12 000 DM schätzte. Die Veranlagung für 1964 wurde durch Rücknahme der Klage rechtskräftig. Der Einspruch gegen die Veranlagung für 1965 blieb ohne Erfolg.
Die Klage wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das FG, dessen Entscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1969 S. 17 im Auszug veröffentlicht ist, führte unter Hinweis auf das Urteil des Großen Senats des BFH Gr. S. 1/64 S vom 23. Juni 1964 (BFH 80, 73, BStBl III 1964, 500) aus: Die Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG bestehe darin, daß sich die Klägerin einem unbestimmten Kreis von Partnern angeboten und aus den Einnahmen ihren Lebensunterhalt bestritten habe. Es verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn in anderen Fällen Einkünfte dieser Art steuerlich nicht erfaßt würden. Es sei schwierig, den hier in Betracht kommenden Personenkreis zur Besteuerung heranzuziehen. Die Nichtverfolgung des Steueranspruchs in anderen Fällen schließe aber die Besteuerung im Streitfall nicht aus. Ebenso hindere die Gesetz- und Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Klägerin nicht, von ihren Einkünften Steuern zu erheben, sofern der Tatbestand des Steuergesetzes erfüllt sei. Die Klägerin sei zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen sowie zur Erteilung von Auskünften kraft gesetzlicher Vorschriften verpflichtet. Sie könne sich ihrer Mitwirkungspflicht bei der Besteuerung nicht mit dem Hinweis entziehen, sie werde dadurch in ihren persönlichen Freiheitsrechten berührt. Zu Unrecht habe sie keine Aufzeichnungen geführt. Aus dem Erlaß der rechtskräftigen Steuern für die Jahre 1961 bis 1963 habe sie nicht folgern können, daß das FA künftig keine Steuern mehr von ihr erheben werde. Die Besteuerung der Einkünfte aus gewerbsmäßiger Unzucht scheitere auch nicht daran, daß bei diesen Einkünften angeblich der Abzug von Werbungskosten nicht anerkannt würde. Die Ermittlung der Einkünfte gehe bei den Einkunftsarten der Nrn. 4 bis 7 des § 2 Abs. 3 EStG von dem Abzug der Werbungskosten von den Einnahmen aus. Gegen die Höhe der vom FA vorgenommenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bestünden keine Bedenken.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht. Sie macht geltend: Die Vorschrift des § 22 Nr. 3 EStG könne nicht die Rechtsgrundlage für die Besteuerung der Einkünfte aus geschlechtlicher Betätigung bilden. Die Interpretation des Wortes "Leistung" sowie die Fassung des Gesetzes ließen die Einreihung der Unzuchtseinkünfte unter diese Vorschrift nicht zu. Nach der Systematik des EStG würden nur spezifisch wirtschaftliche Vorgänge besteuert. Die körperliche Hingabe finde im Wirtschaftsleben keine Analogie. Ein Vorgang sei nicht schon deshalb wirtschaftlich zu nennen, weil er eine wirtschaftliche Folge (Entgelt) auslöse und diese Folge auch gewollt sei. Die Entgeltlichkeit könne kein Indiz für einen Wirtschaftsvorgang sein. Alle Einkunftsarten setzten die Entgeltlichkeit voraus. Für den wirtschaftlichen Charakter einer Leistung komme es darauf an, daß sich Leistung und Gegenleistung unmittelbar gegenüberstünden und daß die Leistung einen wirtschaftlichen Faktor darstelle oder zumindest für den Leistungsempfänger einen wirtschaftlichen Wert repräsentiere. Bei der geschlechtlichen Hingabe fehle es an einer wirtschaftlichen Leistung, man könne nur von einem Zerrbild einer sonstigen Leistung sprechen. Wenn der Gesetzgeber die Unzuchtseinkünfte steuerlich erfassen wollte, hätte er dazu bei den häufigen Änderungen des EStG genügend Gelegenheit gehabt. Die Anführung der Beispiele in der Fassung des Gesetzes deute darauf hin, daß der Gesetzgeber die Anwendung des § 22 Nr. 3 EStG auf ähnliche Leistungen habe beschränken wollen. Insbesondere komme dem Wort "gelegentliche" eine charakterisierende Bedeutung zu. Einkünfte aus Tätigkeiten im Sinne dieser Vorschrift seien nur solche, die wegen fehlender Wiederholungsabsicht unter keine der anderen Einkunftsarten fielen. An diesem Merkmal fehle es gerade bei der gewerbsmäßigen Unzucht. Andererseits sei § 22 Nr. 3 EStG auch keine Ergänzungsklausel, die ohne weiteres zum Zuge komme, wenn die anderen Einkunftsarten versagten. Außerdem stoße die Verwirklichung der gleichmäßigen Besteuerung der Dirnen auf größte Schwierigkeiten. Schätzungen des FA müßten deshalb stets willkürlich, also ungesetzlich sein. Resigniere der Gesetzgeber gegenüber der Besteuerung des Einkommens der Dirnen, so dürfe die Rechtsprechung die Steuerwürdigkeit nicht im Wege der extensiven Auslegung feststellen. Im übrigen habe das FG die Sache nicht genügend aufgeklärt. Alle Personen, die der gewerbsmäßigen Unzucht nachgingen, seien bei den Polizeibehörden namentlich registriert. Die Namenslisten seien den FÄ zugänglich, so daß auch alle anderen namentlich erfaßten Personen zur Steuer herangezogen werden könnten. In der Nichtheranziehung liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Einkünfte, die mit der Ausübung der "gewerbsmäßigen Unzucht" erzielt werden, sind einkommensteuerpflichtig. Unsittliches oder strafbares Verhalten schließt die Besteuerung nicht aus, wenn das Verhalten einen steuerpflichtigen Tatbestand erfüllt (§ 5 Abs. 2 StAnpG). Diese Voraussetzung ist hier gegeben.
Es sind zwar, weil es an einer ausdrücklichen Regelung über die einkommensteuerliche Einordnung der "Gewinne" der Dirnen fehlt, in der Rechtsprechung und der Literatur immer wieder Zweifel geäußert worden, ob die Unzuchtseinkünfte überhaupt einer Einkunftsart zugeordnet werden können und bejahendenfalls welcher Einkunftsart. In dem Urteil Gr. S. 1/64 S (a. a. O.) hat der Große Senat des BFH es in Übereinstimmung mit dem Urteil des RFH VI A 16/31 vom 4. März 1931 (RStBl 1931, 328) abgelehnt, das Verhalten der Dirnen als eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr im Sinne des § 1 GewStDV zu werten und ihre Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb anzuerkennen. Er hat aber, wie schon der RFH im Urteil IV 33/43 vom 8. April 1943 (Steuer und Wirtschaft Teil II 1943 Nr. 213), in der entgeltlichen Hingabe der Straßendirnen eine Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG gesehen. Der Begriff der Leistung umfasse nach der Rechtsprechung des BFH jedes Tun, Unterlassen und Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein könne. Die Straßendirne, die sich einem unbestimmten Kreis von Partnern anbiete und aus den Einnahmen ganz oder zum wesentlichen Teil ihren Lebensunterhalt bestreite, erbringe eine derartige Leistung.
Der erkennende Senat hat sich bereits in dem Urteil VI R 128/68 vom 28. November 1969 (BFH 97, 378, BStBl II 1970, 185) der Auffassung des Großen Senats angeschlossen. Die Ausführungen, die die Revisionsklägerin in der mündlichen Verhandlung hat vortragen lassen, geben dem Senat keinen Anlaß, diese Rechtsmeinung aufzugeben.
Der BFH hat mehrfach ausgeführt, daß der Begriff der Leistung im § 22 Nr. 3 EStG sich gewandelt hat (BFH-Urteil VI 243/62 U vom 22. Januar 1965, BFH 82, 184, BStBl III 1965, 313). Wenn § 22 Nr. 3 EStG "gelegentliche" Vermittlungen als Beispiel anführt, so kann daraus entgegen der Auffassung der Revisionsklägerin nicht gefolgert werden, daß nur gelegentlich erbrachte Leistungen, nicht aber auch auf Wiederholung angelegte Leistungen unter § 22 Nr. 3 EStG fielen. Wie das hier ebenfalls angeführte Beispiel "Vermietung beweglicher Gegenstände" zeigt, kann auch ein auf Wiederholung angelegtes Tun unter § 22 Nr. 3 EStG fallen. Voraussetzung ist nur, daß es sich nicht um eine Tätigkeit handelt, deren Ergebnisse schon, wie es etwa bei nichtgelegentlicher Vermittlung der Fall wäre, unter eine der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 6 EStG zu rechnen sind. Diese Voraussetzung ist aber, wie bereits dargelegt, bei den Einkünften der Revisionsklägerin gegeben.
In dem Fall der Revisionsklägerin von einer Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG zu sprechen, wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß von ihr kein wirtschaftlicher Erfolg erbracht wird. Die Ausübung der "gewerbsmäßigen Unzucht" dient der Erzielung von Einkommen und Vermögen. Die Leistung der Dirnen ist deshalb auf einen wirtschaftlichen Erfolg gerichtet. Das aber ist entscheidend. Es gibt, wie ohne weiteres einsichtig ist, auch sonst zahlreiche Fälle, in denen Personen, die Leistungen nicht wirtschaftlicher Art erbringen, einkommensteuerlich um deswillen erfaßt werden, weil sie für ihre Leistungen Entgelt empfangen und dieses unter eine der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG eingeordnet werden kann.
Die bisher nur lückenhafte steuerliche Erfassung der Dirnen kann verschiedene Ursachen haben. Eine Ursache könnte darin liegen, daß die Frage der Einordnung der Einkünfte zweifelhaft war. Die gefestigte Rechtsprechung wird die Unsicherheit beseitigen. Jedenfalls kann aber aus der noch unvollkommenen Überwindung der Schwierigkeiten bei der steuerlichen Erfassung dieses Personenkreises nichts gegen die dargelegte Auslegung des § 22 Nr. 3 EStG gefolgert und insbesondere für den Streitfall nicht geschlossen werden, daß von seiner Besteuerung abgesehen werden müsse.
Gegen die Höhe der vom FA geschätzten Einkünfte sind Revisionsgründe nicht vorgetragen worden. Der BFH ist deshalb nicht in der Lage zu prüfen, ob, wie die Revisionsklägerin ohne weitere Begründung vortragen läßt, die Schätzungen stets willkürlich sein müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 69064 |
BStBl II 1970, 620 |
BFHE 1970, 200 |