Entscheidungsstichwort (Thema)
Frist zur Darlegung der Wiedereinsetzungsgründe
Leitsatz (NV)
1. Wiedereinsetzungsgründe sind innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 S. 1 AO darzulegen, soweit sie nicht offenkundig oder amtsbekannt sind.
2. Auch wenn Wiedereinsetzung ohne Antrag gewährt werden kann (§ 110 Abs. 2 S. 4 AO) bleibt die Verpflichtung, (innerhalb der Antragsfrist) einen Wiedereinsetzungsgrund vorzubringen, unberührt.
3. Ein - nach Ablauf der Einspruchsfrist - angefochtener nichtiger Bescheid ist auch dann aufzuheben, wenn Wiedereinsetzung nicht gewährt werden kann.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Nachdem der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Streitjahr keine Steuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die Besteuerungsgrundlagen. Gegen die entsprechenden Bescheide, und zwar den Gewerbesteuermeßbescheid vom 30. November 1981 und den Umsatzsteuerbescheid vom 7. Dezember 1981 legte der Kläger mit Schreiben vom 31. Dezember 1981 Einspruch ein. Der Einkommensteuerbescheid wurde dem Kläger erst am 7. Januar 1982 übersandt.
Am 16. Februar 1982 reichte der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Steuererklärungen 1979 persönlich an Amtsstelle ein. In dem beigefügten Schreiben beantragte er Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuermeßbescheids, des Umsatzsteuerbescheides und des Einkommensteuerbescheids. Mit Schreiben vom 22. Februar 1982 wies das FA den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer nicht entsprochen werden könne, weil gegen den Einkommensteuerbescheids nicht ausdrücklich Einspruch eingelegt worden sei. Selbst wenn die am 16. Februar 1982 eingereichte Steuererklärung als Einspruch behandelt werde, könne ihm nicht stattgegeben werden, da er verspätet eingegangen sei. Der Bevöllmächtigte wurde um Mitteilung gebeten, ob die Einkommensteuererklärung als Einspruch gewertet werden solle und Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen würden.
Mit Schreiben vom 17. Mai 1982 an das FA beantragte die jetzige Prozeßbevollmächtigte u. a., ,,wegen des Einkommensteuerbescheids 1979 vom 7. 1. 1982 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" zu gewähren. Ihr Vorgänger im Mandat sei irrtümlich der Meinung gewesen, sein Einspruch vom 31. Dezember 1981 gegen den Gewerbesteuermeßbescheid habe sich auch gegen die Folgen der Schätzung des Gewinns in einkommensteuerlicher Hinsicht gerichtet.
Die nach Ablehnung der Wiedereinsetzung erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, der Kläger habe die Einspruchsfrist versäumt. Wiedereinsetzung könne ihm nicht gewährt werden. Nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Dezember 1977 VI R 179/75 (BFHE 124, 141, BStBl II 1978, 240) seien die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) anzugeben.
Für den Kläger habe diese Frist spätestens mit der Bekanntgabe des Schreibens des FA vom 22. Februar 1982 zu laufen begonnen, in dem er auf die Versäumnis der Einspruchsfrist hingewiesen worden sei. Damit sei aber das Schreiben vom 17. Mai 1982, mit dem erstmals Gründe für eine Wiedereinsetzung vorgetragen worden seien, verspätet gewesen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung des § 110 AO 1977. Das Erfordernis, die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 vorzubringen, sei im Gesetz nicht enthalten. Nach § 110 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 bestehe sogar die Möglichkeit, ohne Antrag - und damit ohne Begründung - Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt werde. Ein solcher Fall sei hier gegeben. Im übrigen verletze die Schätzung den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit und sei deshalb nichtig. Insbesondere habe das FA die ihm aus einer vorangegangenen Betriebsprüfung bekannten Verhältnisse des Klägers nicht ausreichend berücksichtigt. Außer der Schätzung hätten andere - mildere - Mittel zur Verfügung gestanden. Außerdem könne der Einspruch gegen den Gewerbesteuermeßbescheid und den Umsatzsteuerbescheid auch als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid ausgelegt werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat zutreffend entschieden, daß im Einspruch vom 31. Dezember 1981 gegen den Gewerbesteuermeßbescheid kein (rechtzeitig eingelegter) Einspruch gegen den erst am 7. Januar 1982 versandten Einkommensteuerbescheid liegen konnte (BFH-Urteil vom 8. April 1983 VI R 209/79, BFHE 138, 154, BStBl II 1983, 551).
2. Einen Anspruch des Klägers auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist hat das FG zu recht abgelehnt.
a) War jemand ohne Verschulden verhindert, die Einspruchsfrist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 110 AO 1977 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Nach der BFH-Rechtsprechung zu § 86 der Reichsabgabenordnung (AO) muß der Antragsteller innerhalb der Antragsfrist diejenigen Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, daß ihn hinsichtlich der Versäumung der Rechtsbehelfsfrist ein Verschulden nicht trifft (Urteil in BFHE 124, 141, BStBl II 1978, 240). Nur die Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe kann noch im weiteren Verlauf des Verfahrens erfolgen. Diese Rechtsauffassung hat sich der BFH auch für § 110 AO 1977 zu eigen gemacht, der insoweit im Wortlaut mit der bisherigen Regelung des § 86 AO übereinstimmt (Urteil des erkennenden Senats vom 30. Januar 1981 III R 51/79, nicht veröffentlicht). Sie wird auch vom Schrifttum überwiegend geteilt (Buchstab in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl., § 110 Rdnr. 66; Hübschmann / Hepp /Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 110 AO 1977 Anm. 131; Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 110 AO 1977 Anm. 6 a; Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 110 Anm. 14; Ziemer / Haarmann / Lohse /Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 1935; a. A. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 110 AO 1977 Tz. 26). Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
Ist die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Die Verpflichtung (innerhalb der Antragsfrist) einen Wiedereinsetzungsgrund vorzubringen, bleibt auch in diesen Fällen unberührt. Denn durch die Nachholung der versäumten Handlung wird nur der Wiedereinsetzungsantrag ersetzt. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Gründe offenkundig oder amtsbekannt sind (BFH-Urteil vom 26. November 1976 III R 125/74, BFHE 121, 15, BStBl II 1977, 246).
b) Der Kläger hat Wiedereinsetzungsgründe nicht innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 AO 1977 vorgetragen. Maßgebend für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt, in dem Zweifel an der Fristwahrung hätten auftauchen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 352/83, BFH / NV 1986, 644). Im Streitfall war damit für den Kläger das Hindernis mit Erhalt des Schreibens des FA vom 22. Februar 1982 weggefallen. Erstmals mit Schreiben vom 17. Mai 1982 - und damit nach Ablauf der Monatsfrist - hat er Gründe für eine Wiedereinsetzung geltend gemacht. Für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist, die grundsätzlich möglich wäre, ergeben die Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte.
3. Mit ihrer Geltendmachung der Nichtigkeit des Bescheids kann die Revision keinen Erfolg haben.
a) Wird die Nichtigkeit eines Steuerbescheids im Rahmen der Anfechtungsklage erst durch das FG oder im Revisionsverfahren durch den BFH erkannt, so ist der nichtige Bescheid zur Beseitigung des Scheins der Rechtswirksamkeit nach § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben (vgl. BFH-Urteil vom 7. August 1985 I R 309/82, BFHE 145, 7, BStBl II 1986, 42. Dies gilt auch dann, wenn die Anfechtung dieses Bescheids mit dem Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist erfolgt ist und Wiedereinsetzung nicht gewährt werden kann (BFH-Urteil vom 17. Juli 1986 V R 96/85, BFHE 147, 211, BStBl II 1986, 834).
b) Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor.
Das FA war - nachdem der Kläger keine Steuererklärung abgegeben hatte - gemäß § 162 AO 1977 zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt. Daß die Schätzung unter besonders schweren Mängeln gelitten hätte, die für jedermann ohne weiteres ersichtlich gewesen wären (§ 125 AO 1977), ist nach den Feststellungen des FG nicht erkennbar. Feststellungen hinsichtlich der Schätzungsgrundlagen hat das FG zwar nicht getroffen, weil es die Schätzung - im Hinblick auf die Versäumung der Einspruchsfrist - auf ihre Rechtmäßigkeit nicht nachgeprüft hat. Da nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen die Nichtigkeit eines Bescheids in Betracht kommen kann, waren - ohne bestimmten Anlaß - diesbezügliche Feststellungen auch nicht erforderlich (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. Mai 1968 VI R 7/66, BFHE 92, 333, BStBl II 1968, 589). Damit handelt es sich bei den nunmehr von der Revision vorgebrachten Umständen, aus denen sich die Nichtigkeit des Steuerbescheids ergeben soll, um neues tatsächliches Vorbringen. Mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen kann es nicht berücksichtigt werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 415325 |
BFH/NV 1988, 681 |