Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Steuerpflichtige, die wegen ihrer Körperbehinderung erheblich geh- und stehbehindert sind, können die anteiligen Kraftfahrzeugkosten als außergewöhnliche Belastung geltend machen, die ihnen durch eine Mehrbenutzung des Pkw gegenüber gesunden Steuerpflichtigen entstehen.
Die Mehrbelastung kann für den Regelfall auf 750 DM jährlich geschätzt werden.
Der Betrag von 750 DM ist - abzüglich der zumutbaren Eigenbelastung nach § 33 EStG - neben dem Pauschbetrag für Körperbehinderte (ß 33 a Abs. 6 EStG 1963, § 26 LStDV 1962) anzusetzen.
Normenkette
EStG §§ 33, 33a/6; EStDV § 65; LStDV §§ 25-26
Tatbestand
Der Bg. ist durch Amputation des linken Oberschenkels dauernd gehbehindert und deshalb zu 70 % erwerbsbeschränkt. Im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1963 gewährte ihm das Finanzamt (FA) einen Pauschbetrag für Körperbehinderte (ß 33 a Abs. 6 EStG 1963, § 26 LStDV) von 960 DM und berücksichtigte von den Kraftfahrzeugkosten, die der Bg. bei einer Fahrtstrecke von ca. 12.000 km mit insgesamt 2.682 DM berechnete, 953 DM als Werbungskosten für beruflich bedingte Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die übrigen Kraftfahrzeugkosten wollte der Bg. nach § 33 EStG (ß 25 LStDV) als außergewöhnliche Belastung abgesetzt haben. Das FA erkannte gemäß dem Erlaß der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22. Oktober 1964 - siehe den gleichlautenden Erlaß des Finanzministers Nordrhein-Westfalen vom 14. Oktober 1964 in "Der Betrieb" (DB) 1964 S. 1572 - nur (3.000 km mal 0,25 DM =) 750 DM abzüglich 536 DM für zumutbare Eigenbelastung als außergewöhnliche Belastung an.
Die Sprungberufung hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus: In dem Erlaß werde offenbar eine Fahrtstrecke von 3.000 km angesetzt, weil der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil IV 344/58 U vom 23. November 1961 (BStBl 1962 III S. 123, Slg. Bd. 74 S. 321) die Kosten für eine Strecke von 3.000 km nach § 33 EStG begünstigt habe. Dabei werde aber übersehen, daß der Steuerpflichtige im Fall des BFH das Kraftfahrzeug nur ein halbes Jahr benutzt hatte. Der Bg. habe den Wagen aber das ganze Jahr gefahren. Da er täglich und besonders im Urlaub auf das Kraftfahrzeug mehr angewiesen sei als gesunde Steuerpflichtige, seien die Treibstoffkosten für 6.000 km als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen; außerdem die gesamten fixen Kosten, soweit sie nicht auf Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entfielen.
Der Vorsteher des FA rügt unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er will die Grundsätze des BFH-Urteils IV 344/58 U (a. a. O.) nicht ohne weiteres auf das Jahr 1963 übertragen. Der BFH habe damals für das Jahr 1955 durch eine großzügige Auslegung des Gesetzes die Nachteile ausgleichen wollen, die sich aus den niedrigeren Pauschbeträgen für Körperbehinderte ergeben hätten. Im übrigen sei es zweifelhaft, ob die Kraftfahrzeugkosten für den Bg. überhaupt eine außergewöhnliche Belastung seien; denn bei einem Einkommen von 15.154 DM sei zu vermuten, daß der Bg. sich auch ohne seine Körperbehinderung einen PKW halten würde.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Aufwendungen im Sinne des § 33 EStG (ß 25 LStDV) dürfen das Einkommen nur mindern, wenn sie dem Steuerpflichtigen zwangsläufig entstehen und soweit sie außergewöhnlich und der Höhe nach notwendig und angemessen sind. Kauft ein Körperbehinderter für private Zwecke einen PKW, so sind nicht ohne weiteres die gesamten Anschaffungs- und Unterhaltungskosten für ihn eine außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 EStG; denn diese Kosten entstehen ihm nicht zwangsläufig, wenn er auf die Benutzung des PKW zur Fortbewegung nicht unbedingt angewiesen ist, wie es etwa bei einem Doppelbeinamputierten der Fall sein kann. Der Kauf eines Wagens beruht dann vielmehr auf seinem freien Willensentschluß.
Die gesamten Anschaffungs- und Unterhaltungskosten sind für einen Körperbehinderten auch nicht außergewöhnlich, wenn sie ihn wirtschaftlich nicht stärker belasten als andere Steuerpflichtige. Kraftfahrzeugkosten sind für Körperbehinderte mit einem Einkommen und Vermögen, bei dem sich Steuerpflichtige üblicherweise einen PKW anschaffen, zusätzliche Krankheitskosten im Sinne des § 33 EStG und damit eine außergewöhnliche Belastung nur, soweit die Körperbehinderten wegen ihrer Körperbehinderung den PKW mehr benutzen müssen als gesunde Steuerpflichtige. Dabei sind neben den anteiligen Betriebskosten nur die anteiligen fixen Kosten anzusetzen. Körperbehinderte, die in der Fortbewegung behindert sind, müssen ihren Wagen zwangsläufig mehr fahren als gesunde Steuerpflichtige; sie können nicht im gleichen Masse auf private Fahrten mit dem Wagen verzichten und statt dessen zu Fuß gehen. Diese Mehrausgaben sind für sie außergewöhnlich; ohne daß die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dabei eine Rolle spielen. Soweit aus dem Urteil des Senats VI 224/63 U vom 6. März 1964 (BStBl 1964 III S. 307, Slg. Bd. 79 S. 208) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, hält der Senat daran nicht fest.
Das FG hat nach diesen Grundsätzen zu Recht die Kosten der Mehrbenutzung des PKW ohne Rücksicht auf das Einkommen des BG. als zwangsläufig und außergewöhnlich bezeichnet, weil der Bg. durch die Amputation des linken Oberschenkels erheblich geh- und stehbehindert und zu 70 % erwerbsbeschränkt ist.
In der Schätzung des notwendigen und angemessenen Mehraufwandes vermag der Senat dem FG jedoch nicht zu folgen. Notwendig und angemessen sind nur die Mehrkosten, die nicht auf typische Kosten der allgemeinen Lebensführung entfallen. Ausscheiden müssen daher - wie auch das FG hervorgehoben hat - die Fahrtkosten zu Vergnügungszwecken, z. B. bei Ausflugsfahrten oder zum Besuch von Kinos oder Gaststätten; ebenso die Kraftfahrzeugkosten wegen mittäglicher Heimfahrten von der Arbeitsstätte zur Wohnung (vgl. Urteile des Senats VI 38/62 U vom 22. November 1963, BStBl 1964 III S. 139, Slg. Bd. 78 S. 360; VI 98/61 S vom 7. Dezember 1962, BStBl 1963 III S. 134, Slg. Bd. 76 S. 363). Entgegen der Auffassung des FG ist aber auch nicht der Mehraufwand zu berücksichtigen; der Körperbehinderten im Urlaub durch Fahrten in der weiteren Umgebung des Erholungsortes entsteht. Diese Mehrkosten dienen, wie bei gesunden Steuerpflichtigen, nur der individuellen Lebensgestaltung.
Die Höhe der nach diesen Grundsätzen gemäß § 33 EStG anzuerkennenden Mehrkosten kann nur geschätzt werden. Das FG ist in Anlehnung an das BFH-Urteil IV 344/58 U (a. a. O.) von den Treibstoffkosten für eine Fahrtstrecke von 6.000 km und von den gesamten fixen Kosten, soweit sie nicht auf beruflich bedingte Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entfallen, ausgegangen. Diese Berechnung ist unzutreffend, weil, wie gesagt, nicht die gesamten, sondern nur die anteiligen fixen Kosten anzusetzen sind. Auch die Schätzung der Fahrtkilometer ist zu hoch, weil das FG zu Unrecht auch die Mehrkosten im Urlaub mit berücksichtigt und nicht beachtet hat, daß das BFH-Urteil IV 344/58 U (a. a. O.) einen anderen Sachverhalt betraf. Damals ging es um einen doppelt Beinamputierten, der zur Fortbewegung stets einen Wagen benötigte, während der Bg. sicher oft kleinere Wege noch zu Fuß machen kann und wird.
Für den Regelfall hält der Senat die Schätzung der Mehrkosten in dem in allen Ländern einheitlich geltenden Erlaß der Finanzbehörde Hamburg vom 22. Oktober 1964 für eine Fahrtstrecke von 3.000 km jährlich, vervielfacht mit einem Kilometersatz von 0,25 DM (750 DM), für angemessen. Eine solche allgemeine Schätzung dient der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und ist anzuwenden, soweit sie nicht im Einzelfall zu einem offensichtlich willkürlichen Ergebnis führt (vgl. BFH-Urteile VI 28/64 U vom 13. März 1964, BStBl 1964 III S. 342, Slg. Bd. 79 S. 306). Im Streitfall liegen keine besonderen Umstände zu einer Abweichung von der allgemeinen Schätzung vor.
Der Betrag bis zu 705 DM ist - nach Abzug der zumutbaren Eigenbelastung - neben dem Pauschbetrag für Körperbehinderte (ß 33 a Abs. 6 EStG 1963, § 26 LStDV) nach § 33 EStG zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile VI 38/62 U, a. a. O.; VI 292/62 vom 26. April 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 9 Sätze 1 und 2, Rechtsspruch 225). Die Pauschbeträge berücksichtigen allgemeine zusätzliche Aufwendungen für Wäsche, Hilfeleistungen, Medikamente usw. bei allen Arten von Körperbehinderungen. Sie stehen z. B. auch den Behinderten zu, deren Erwerbsfähigkeit wegen innerer Krankheiten zu mehr als 50 % gemindert ist oder deren Erwerbsfähigkeit wegen typischer innerer Berufskrankheiten zu mehr als 25 % herabgesetzt ist (Abschn. 194 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1963). Erheblich geh- und stehbehinderten Steuerpflichtigen erwachsen durch die Benutzung des PKW jedoch darüber hinaus Kosten. Diese Sonderkosten werden durch die allgemeinen Pauschbeträge des § 65 EStDV (ß 26 LStDV) nicht mit abgegolten. Dies zeigt sich darin, daß die Pauschbeträge zu einer Zeit festgesetzt wurden, als die Benutzung von Kraftfahrzeugen für die meisten Körperbehinderten noch nicht in Betracht kam.
Da das FG bei der Schätzung von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da, wie gesagt, keine besonderen Umstände vorliegen, auf Grund deren beim Bg. eine Fahrtstrecke von mehr als 3.000 km als notwendig und angemessen anzusetzen wäre, ist ein Betrag von (750 DM abzüglich 536 DM zumutbare Eigenbelastung =) 214 DM als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wie es das FA im Lohnsteuer-Jahresausgleich auch getan hat. Die Berufung war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 411912 |
BStBl III 1966, 208 |
BFHE 1966, 574 |
BFHE 84, 574 |