Leitsatz (amtlich)
Der Dreitageszeitraum des § 17 Abs. 2 VwZG ist keine prozessuale Frist im Sinne der Finanzgerichtsordnung, so daß er sich nicht verlängert, wenn sein letzter Tag auf einen Sonnabend fällt.
Normenkette
AO § 82; VwZG § 17 Abs. 2; FGO § 54; ZPO § 222 Abs. 2; BGB § 193
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hat im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren den Antrag des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger), die ihm 1967 zugeflossenen Nachtarbeitszuschläge von insgesamt 624 DM steuerfrei zu belassen, abgelehnt, weil nach seiner Ansicht die Voraussetzungen des § 34a EStG nicht vorlagen. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Die Einspruchsentscheidung wurde laut Absendevermerk am 25. Juni 1969 zur Post gegeben. Der Postabsendevermerk wurde vom zuständigen Sachbearbeiter gefertigt.
Die Klage ging am 29. Juli 1969 beim FA ein. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) hat der Kläger nicht gestellt. Das FG bejahte die Zulässigkeit der Klage mit der Begründung, daß die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO nicht ordnungsgemäß in Lauf gesetzt worden sei, weil es an der Beurkundung des Datums der Aufgabe der Rechtsbehelfsentscheidung zur Post durch einen Bediensteten der Postabsendestelle fehle. Die Einspruchsentscheidung sei aufzuheben, weil das FA verpflichtet gewesen sei, seine Rechtsbehelfsentscheidung in analoger Anwendung des § 244 AO so lange auszusetzen, bis der Gesetzgeber § 34a EStG geändert habe.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des Bundesrechts, nämlich des § 17 Abs. 2 und 4 VwZG. Die Entscheidung weiche von dem Urteil des BFH vom 9. August 1966 I 199/65 (BFHE 87, 233, BStBl III 1967, 134) ab. Nach der für die Versendung von Schriftstücken beim FA bestehenden Anordnung sei der Sachbearbeiter der zentralen Rechtsbehelfsstelle für die sofortige Übergabe der Einspruchsentscheidung an die Poststelle des Amtes zuständig. Dieser habe die Entscheidungen bis zu einer bestimmten Uhrzeit abzugeben, so daß die Ablieferung der Postsache noch an demselben Tag durch die Poststelle erfolgen könne. Den Absendevermerk auf der in den Akten verbleibenden Urschrift habe der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle anzubringen. Bei der überaus großen Zahl von Schriftstükken, die allein von den 34 Veranlagungs- und den 10 Lohnsteuerbezirken des Amtes täglich abgesandt würden, sei es schlechthin unmöglich, daß der Absendevermerk jeweils in der Poststelle gemacht werde. Dieses würde zusätzliche Aktenumläufe und weitere ganz erhebliche Erschwernisse im Arbeitsablauf zur Folge haben.
Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO ist nicht gewahrt. Dabei hat der Senat berücksichtigt, daß die für die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung maßgebende Frist des § 17 Abs. 2 VwZG am Sonnabend, den 28. Juni 1969, endete. § 82 AO bestimmt zwar, daß für die Berechnung einer Frist die Vorschriften des BGB gelten. § 193 BGB in der Fassung des Gesetzes über den Fristablauf am Sonnabend vom 10. August 1965 (BGBl I 1965 S. 753) gilt aber nicht für die uneigentliche Frist des § 17 Abs. 2 VwZG (BFH-Urteil vom 21. Januar 1971 IV 93/65 (BFHE 101, 204, BStBl II 1971, 286). Eine analoge Anwendung des § 193 BGB, die im Fall des Klägers dazu führen würde, daß die Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage auf den nächsten Werktag (Montag) hinausgeschoben und die Klage rechtzeitig erhoben wäre, ist nach den überzeugenden Gründen des BFH-Urteils IV 93/65 abzulehnen.
Die Klage wäre allerdings dann zulässig, wenn § 54 Abs. 2 FGO und § 222 Abs. 2 ZPO auf § 17 Abs. 2 VwZG anwendbar wäre. Wenn § 222 Abs. 2 ZPO auch für die uneigentlichen Fristen gilt, so gilt § 54 FGO aber nur für die Fristen des Steuerprozesses (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 54 FGO Anm. 1). Die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ist zwar mittelbar von Bedeutung für die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO. Das reicht aber nicht aus, um die Frist des § 17 Abs. 2 VwZG als eine solche des finanzgerichtlichen Verfahrens zu bestimmen.
Dem FG kann nicht darin gefolgt werden, daß die vereinfachte Zustellung des § 17 VwZG nicht ordnungsmäßig durchgeführt wurde. Dabei war im Streitfall noch von § 17 Abs. 4 VwZG in der alten, vor dem 20. Mai 1972 geltenden Fassung auszugehen. Aus den BFH-Entsoheidungen I 199/65 und vom 14. Mai 1970 IV R 74/69 (BFHE 100, 3, BStBl II 1970, 772) ergibt sich, daß der Absendevermerk auf dem Berechnungsbogen nicht von dem Versendungsdienst des FA (§ 8 Abs. 4 der Geschäftsordnung für die Finanzämter) stammen muß, um die Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 VwZG als erfüllt anzusehen. Entscheidend ist vielmehr, wer nach der innerdienstlichen Regelung die Versendung vorzunehmen hat. Dabei ist unter "absenden" das Trennen der für den Empfänger bestimmten Ausfertigung der Verfügung von der in den Akten befindlichen Urschrift unter Beachtung des behördlich vorgesehenen weiteren Versendungswegs zu verstehen. Der Beweiswert des Absendevermerks wird auch nicht dadurch eingeschränkt, daß er erst einen in der Zukunft liegenden Vorgang betrifft.
Nach den Feststellungen im finanzgerichtlichen Urteil ist der Absendevermerk von dem dafür zuständigen Sachbearbeiter gefertigt worden. Zwar fehlt in dem entscheidenden Satz des FG-Urteils das Wort "dafür". Da aber auf die Mitteilung des FA zu der entsprechenden Anfrage des Gerichts Bezug genommen wird und diese erkennen läßt, daß das FA bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf die innerbehördliche Befugnis des Sachbearbeiters zur Ausfertigung des Postabsendevermerks hingewiesen hat, war davon auszugehen. Danach können aber keine Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit des Postabsendevermerks erhoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 70782 |
BStBl II 1974, 226 |
BFHE 1974, 230 |