Leitsatz (amtlich)
1. Wer lediglich als Haftender in Betracht kommt, jedoch nicht Beteiligter im Sinne von § 57 FGO ist, kann vom FG nur als Zeuge oder als Sachverständiger, nicht aber als Beteiligter vernommen werden.
2. Das FG darf sich für die Glaubwürdigkeit eines Zeugen auf im Verwaltungsvorverfahren erstellte Urkunden beziehen.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 3; AO § 97 Abs. 2; FGO § 57
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Kläger und Revisionskläger) war in den Jahren 1962 und 1963 als kaufmännischer Angestellter tätig. Er erhielt neben einem Festgehalt eine Provision und eine Umsatzbeteiligung. Auf die Provision und die Umsatzbeteiligung behielt der Arbeitgeber keine Lohnsteuer ein.
Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) forderte von dem Steuerpflichtigen die nicht einbehaltene Lohnsteuer durch zwei „Haftungsbescheide” nach. Die Einsprüche, mit denen der Steuerpflichtige geltend machte, hinsichtlich der Provision und der Umsatzbeteiligung habe er mit seinem Arbeitgeber eine Nettolohnvereinbarung getroffen, hatten keinen Erfolg.
Die Klage blieb ebenfalls erfolglos. Das FG führte im wesentlichen folgendes aus: Die Provision und die Umsatzbeteiligung rechneten zum Arbeitslohn. Sie unterlägen der Lohnsteuer. Weder der Inhalt der „Gehalts- und Provisionsvereinbarung” noch die Aussagen der vom FG gehörten Zeugen hätten ergeben, daß eine Nettolohnvereinbarung bestehe. Die Ausführungen des Zeugen K., daß die mit dem Steuerpflichtigen vereinbarten Zahlungen von 50 DM „netto” als monatlich auszuzahlende Abschlagszahlungen auf die Provisionsforderungen aufzufassen seien, seien glaubhaft. Dabei sei zu berücksichtigen, daß der Zeuge im Verwaltungsvorverfahren seine inhaltlich gleiche Aussage an Eides Statt bekräftigt habe. Fehle es demnach an einer Nettolohnvereinbarung, so sei der Steuerpflichtige zur Entrichtung der Lohnsteuer verpflichtet, weil der Arbeitgeber die Provision und Umsatzbeteiligung nicht um die Lohnsteuer vorschriftsmäßig gekürzt habe (§ 38 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 EStG, § 46 Abs. 2 Nr. 1 LStDV).
Mit der Revision macht der Steuerpflichtige geltend, das FG habe die Zeugenaussagen nicht zutreffend gewürdigt und gegen anerkannte Grundsätze der Beweiserhebung verstoßen. Außerdem sei ihm kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Steuerpflichtige bei nachgewiesener Nettolohnvereinbarung nicht nach § 38 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 EStG (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 LStDV) hätte in Anspruch genommen werden dürfen. Zwar ist nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG (§ 46 Abs. 1 Satz 1 LStDV) auch bei einer Nettolohnvereinbarung der Arbeitnehmer Steuerschuldner (vgl. die Urteile des BFH VI 92/60 U vom 19. Dezember 1960, BFH 72, 465, BStBl III 1961, 170; VI 261/64 vom 10. Juni 1966, BFH 86, 642, BStBl III 1966, 607). Er kann in diesen Fällen jedoch nur unter den Voraussetzungen der Nummern 2 bis 4 des § 38 Abs. 3 Satz 3 EStG (§ 46 Abs. 2 LStDV) in Anspruch genommen werden. Denn die „vorschriftsmäßige Kürzung” des Arbeitslohnes aus der Sicht des Arbeitnehmers ist gegeben, wenn er den Arbeitslohn mit dem Nettobetrag, auf den er Anspruch hat, erhalten hat (vgl. Öftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Aufl., § 2 Bl. 49, 1; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 41 EStG, Anm. 20, vorletzter Absatz). Will der Arbeitnehmer wegen einer behaupteten Nettolohnvereinbarung einer Inanspruchnahme für die vom Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig einbehaltene Lohnsteuer entgehen, muß er den Ausnahmefall – das Vorliegen dieser Vereinbarung – beweisen (vgl. die Urteile des BFH VI 111/55 U vom 18. Januar 1957, BFH 64, 307, BStBl III 1957, 116; VI 155/59 vom 21. Oktober 1960, HFR 1961, 230).
Ist demnach der Arbeitnehmer Steuerschuldner und der Arbeitgeber nur Haftender (§ 38 Abs. 3 Satz 2 EStG, § 46 Abs. 1 Satz 2 LStDV), so war es formell unzutreffend, daß das FA den Steuerpflichtigen durch „Haftungs”-Bescheide in Anspruch genommen hat. Diese unrichtige Bezeichnung schadet jedoch nicht, zumal das FA im Text der Bescheide das vorgedruckte Wort „haften” ausgestrichen und durch „in Anspruch genommen werden” ersetzt hat. Es hat damit selbst schon darauf hingewiesen, daß es nicht von einem „Haftungs”-Anspruch ausgeht. Im übrigen ist der Steuerpflichtige durch die falsche Bezeichnung nicht in seinen Rechten geschmälert.
2. Die gegen die tatsächlichen Feststellungen des FG erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
a) Soweit der Steuerpflichtige beanstandet, ihm sei im Einspruchsverfahren kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden, weshalb auch die Vorentscheidung unrichtig sei, folgt ihm der Senat nicht. Das Recht auf rechtliches Gehör besteht inhaltlich im wesentlichen darin, daß den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden muß, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen vor Erlaß einer Entscheidung zu äußern. Zum rechtlichen Gehör rechnet deshalb entgegen der Ansicht des Steuerpflichtigen nicht, daß er auch bei der Beeidigung von Zeugen und bei der Abnahme von eidesstattlichen Erklärungen zugegen sein darf.
Das Recht auf rechtliches Gehör setzt ein aktives Mithelfen des Betroffenen voraus (vgl. Maunz-Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1 Anm. 6). Obwohl dem Steuerpflichtigen im Einspruchsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Zeugenaussagen gegeben wurde, verzichtete er hierauf. Es kommt noch hinzu, daß ein – für das Einspruchsverfahren unterstellter – Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Streitfall im Verfahren vor dem FG geheilt worden wäre (vgl. Beschluß des BVerfG 1 BvR 128/56 vom 25. Mai 1956, BVerfGE 5, 22 [24]; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.- 3. Aufl., § 204 AO Anm. 13 und § 96 FGO Anm. 20). Der Steuerpflichtige hatte bei der Beweisaufnahme vor dem FG Gelegenheit, zu den Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und die Zeugen selbst zu befragen.
b) Gegen die Vorentscheidung bestehen auch sonst keine verfahrensrechtlichen Bedenken. Das FG hat den Arbeitgeber des Steuerpflichtigen – den Zeugen K. – als Zeugen vernommen. Der Senat hält dieses Verfahren für zutreffend. Zwar gelten nach § 97 Abs. 2 AO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen sinngemäß für die, die nach den Steuergesetzen neben den Steuerpflichtigen oder an deren Stelle persönlich für die Steuer haften. Nach § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG haftet der Arbeitgeber des Steuerpflichtigen, wie ausgeführt, auch für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer. Dennoch war der Arbeitgeber im finanzgerichtlichen Verfahren nicht als Beteiligter, sondern als Zeuge zu vernehmen.
Nach dem Urteil des BFH II 249/59 vom 9. August 1961 (HFR 1961, 278) ist allerdings Steuerpflichtiger im Sinne des § 175 AO nicht nur der tatsächlich in Anspruch Genommene, sondern jeder, den das FA als möglichen Steuerschuldner in Anspruch nehmen darf (ebenso v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, § 97 AO Anm. 5; Kühn, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 97 AO Anm. 3). Der Senat hat Bedenken, dem zu folgen; er hält es für möglich, die Vorschriften über den Steuerpflichtigen nur auf den Haftenden, der als solcher in Anspruch genommen worden ist – also auf den Steuerpflichtigen im formellen Sinn –, sinngemäß anzuwenden. Diese Frage braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls ist der Arbeitgeber des Steuerpflichtigen im Streitfall nicht Beteiligter im finanzgerichtlichen Verfahren, da er weder Kläger, Beklagter noch Beigeladener ist (§ 57 FGO). War der Arbeitgeber aber nicht Beteiligter, so konnte er im Streitfall nicht als solcher, sondern nur als Zeuge oder – was hier nicht von Belang ist – als Sachverständiger vernommen werden.
Das FG hat sich für die Glaubwürdigkeit des Zeugen K. u. a. darauf bezogen, daß er im Verwaltungsvorverfahren seine Bekundung durch Versicherung an Eides Statt bekräftigt habe. Das war zulässig. Denn das FG mußte den Zeugen nicht beeidigen. Eine eventuelle Beeidigung stand in seinem pflichtgemäßen Ermessen (vgl. Tipke-Kruse, a. a. O., § 82 FGO Anm. 28). Eine Versicherung an Eides Statt wäre allerdings nach § 174 Abs. 1 AO nicht zulässig gewesen, wenn der Arbeitgeber des Steuerpflichtigen im Verwaltungsvorverfahren als Auskunftsperson und nicht als Steuerpflichtiger anzusehen gewesen wäre (vgl. das Urteil des RFH V A 571/31 vom 11. November 1932, RStBl 1932, 1087; Tipke-Kruse, a. a. O. § 174 AO Anm. 2). Auch in diesem Zusammenhang braucht aber nicht entschieden zu werden, ob auf den Arbeitgeber, solange er als Haftender noch nicht in Anspruch genommen worden war, die Vorschriften für die Steuerpflichtigen anwendbar waren. Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob eine Zeugenaussage, d. h. die Wiedergabe von Tatsachen durch den Zeugen, aus einem früheren Stadium desselben Verfahrens auf dem Weg des Urkundenbeweises benutzt werden kann. Denn das FG hat den Zeugen selbst gehört. Ihm war jedenfalls auch die Erhebung eines Urkundenbeweises darüber gestattet, ob eine frühere Aussage eidesstattlich versichert worden war. Das gilt selbst dann, wenn die eidesstattliche Versicherung vor einer Verwaltungsbehörde abgegeben worden war (vgl. Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, II. Band, 1. Teil, § 286 Anm. C III b 2 und 3). Insbesondere ist die Bezugnahme auf die vor dem FA abgegebene Versicherung an Eides Statt zulässig, weil das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Aus welchen Gründen es die Glaubwürdigkeit eines Zeugen bejaht – z. B. sicherer Eindruck vor dem FG, Beeidigung vor dem FG, kein Interesse am Ausgang des Verfahrens oder eidesstattliche Versicherung im Verwaltungsvorverfahren – ist seiner Überzeugung überlassen. Für die Glaubwürdigkeit eines Zeugen kann sich demnach das FG auch auf außerhalb der Beweisaufnahme sichtbar gewordene Tatsachen, insbesondere auf Urkunden – zumal wenn es, wie hier, öffentliche Urkunden sind – beziehen. Das FG konnte dabei zugunsten der Glaubwürdigkeit des Zeugen K. auch berücksichtigen, daß er seine Aussage im Verwaltungsvorverfahren durch Abgabe einer Versicherung an Eides Statt bekräftigt hat, selbst wenn diese Beteuerungsformel – wenn er Auskunftsperson gewesen wäre – unzulässig gewesen wäre. Das FG konnte davon ausgehen, daß in jedem Fall die Glaubwürdigkeit der unbeeideten Aussage des Zeugen durch die im Verwaltungsvorverfahren abgegebene Beteuerungsformel verstärkt worden war, zumal keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß der Zeuge bei seiner Aussage vor dem FA erkannt haben könnte, eine eidesstattliche Versicherung sei für ihn als – etwaige – Auskunftsperson unzulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
BStBl II 1969, 525 |
BFHE 1969, 2 |