Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unterlassenem Hinweis nach § 68 Satz 3 FGO - Keine Begrenzung der außerordentlichen Einkünfte
Leitsatz (amtlich)
1. Bei unterlassenem Hinweis nach § 68 Satz 3 FGO kann gemäß § 56 Abs.1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein.
2. Die Anwendung des § 34 Abs.1 EStG i.d.F. des StRG 1990 ÄndG kann nicht auf Teile der außerordentlichen Einkünfte begrenzt werden.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 68 S. 3; EStG 1990 § 34 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Münster (Entscheidung vom 27.08.1993; Aktenzeichen 16 K 2307/92 E) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte aus der Veräußerung eines Anteils an einer GmbH & Co. KG einen Gewinn in Höhe von X DM. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhielt als Entschädigung gemäß § 24 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) infolge der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses einen Betrag von Y DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ermittelte die darauf entfallende Einkommensteuer unter vollständiger Einbeziehung der außerordentlichen Einkünfte gemäß § 34 Abs.1 EStG 1990 nach einem ermäßigten Steuersatz. Wegen des insoweit günstigeren Tarifverlaufs begehren die Kläger demgegenüber, einen Teil der außerordentlichen Einkünfte in Höhe von Z DM nach der Splitting-Tabelle zu besteuern. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, daß gemäß dem klaren Wortlaut des § 34 Abs.1 EStG 1990 nach Wegfall der Antragsvoraussetzung eine Begrenzung der Ermäßigung nicht mehr vorgenommen werden könne. Eine am Sinn und Zweck orientierte Auslegung des § 34 EStG 1990 verbiete, über den eindeutigen Wortlaut hinaus die Steuerbegünstigung zu erweitern. Basis für den halben durchschnittlichen Steuersatz sei das gesamte zu versteuernde Einkommen (§ 34 Abs.1 Satz 2 EStG 1990). Bestehe das zu versteuernde Einkommen wie im Streitfall nur aus außerordentlichen Einkünften, fehle es an einem verbleibenden Einkommen, auf das die Einkommensteuer-Tabelle anwendbar wäre.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 34 EStG 1990. § 34 EStG 1990 sei eine Tarifvorschrift mit Billigkeitscharakter, deren Anwendung nicht dazu führen dürfe, daß der Steuerpflichtige für Einkommensteile mit einer höheren Steuer belastet werde als bei einer Besteuerung nach dem normalen Steuertarif. Dieser Grundsatz für die Besteuerung außerordentlicher Einkünfte sei nicht davon abhängig, ob das Besteuerungsverfahren durch einen Antrag des Steuerpflichtigen oder von Amts wegen durch das FA eingeleitet werde. Den Materialien zur Begründung der Neufassung des § 34 EStG 1990 lasse sich nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber mit dem Wegfall der Worte "auf Antrag" eine sachliche Änderung bezweckt habe. Der Steuerpflichtige müsse auch weiterhin das Recht haben, auf die scheinbare Vergünstigung zu verzichten, wenn diese ihn schlechter stelle. Den Klägern könne es nicht verwehrt sein, lediglich einen Teil ihrer Einkünfte aus Gewerbebetrieb als nach § 34 Abs.1 EStG 1990 tariflich zu begünstigenden Gewinn zu bezeichnen.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den angefochtenen Bescheid in der Weise zu ändern, daß aus dem zu versteuernden Einkommen ein Teilbetrag von Z DM nach der Einkommensteuer-Tabelle (Splittingtarif) versteuert wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung widerspreche die wörtliche Auslegung des § 34 EStG 1990 nicht dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. In jedem Fall ergebe sich aus der Anwendung des § 34 EStG 1990 eine erhebliche Minderung der Steuerbelastung gegenüber der Tarifbesteuerung.
Gegenstand des Klageverfahrens war der zum Gegenstand des Verfahrens gemachte Änderungsbescheid vom 6. Mai 1993. Dieser Bescheid wurde durch den Bescheid vom 3. Dezember 1993 und den Bescheid vom 27. Januar 1994 geändert. Nur der Bescheid vom 27. Januar 1994 enthält den Hinweis nach § 68 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Den Antrag nach § 68 FGO bezüglich beider Bescheide haben die Kläger mit Schriftsatz vom 17. Februar 1994 gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Zwar ist das angefochtene Urteil gemäß § 127 FGO aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat. Einer Zurückverweisung der Sache an das FG bedarf es im Streitfall aber nicht. Da die Sache aufgrund der fortwirkenden Feststellungen des FG spruchreif ist, entscheidet der Senat in der Sache selbst (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Dezember 1992 XI R 34/91, BFHE 170, 149, BStBl II 1994, 158).
1. Der nach Ablauf der Monatsfrist gestellte Antrag, den Bescheid vom 3. Dezember 1993 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, ist wirksam. Gemäß § 68 Satz 2 FGO ist der Antrag, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsakts zu stellen. Hierauf ist --so § 68 Satz 3 FGO-- in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen. Der Senat kann offenlassen, ob bei fehlendem Hinweis die Frist beginnt und ob ggf. die Vorschriften des § 55 Abs.2 FGO und des § 356 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend anzuwenden sind. In jedem Fall ist den Klägern gemäß § 56 Abs.1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (zu dieser Möglichkeit vgl. BFH-Beschluß vom 18. Februar 1994 IX B 1/94, BFHE 173, 305; ferner Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl. 1993, § 68 Rz.6; zur Rechtslage nach § 68 FGO a.F. vgl. BFH-Urteil vom 5. Mai 1992 IX R 9/87, BFHE 168, 213, BStBl II 1992, 1040). Wegen fehlenden Hinweises waren die Kläger ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Frist des § 68 Satz 2 FGO einzuhalten (vgl. auch § 126 Abs.3 AO 1977).
2. Das FG hat eine Begrenzung der außerordentlichen Einkünfte zu Recht abgelehnt.
Gemäß § 34 Abs.1 EStG 1990 ist die auf außerordentliche Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen, dessen Berechnung sich aus Satz 2 ergibt. Auf das verbleibende zu versteuernde Einkommen ist vorbehaltlich des Absatzes 3 die Einkommensteuer-Tabelle anzuwenden. Im Unterschied zu der vor Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes 1990 (StRG 1990) geltenden Regelung ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht antragsabhängig. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung ("ist ... zu bemessen") ist die einheitliche Anwendung des nach § 34 Abs.1 Satz 2 EStG 1990 berechneten ermäßigten Steuersatzes auf die gesamten außerordentlichen Einkünfte zwingend (vgl. Schmidt/Seeger, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 12.Aufl. 1993, § 34 Anm.13; Blümich/Lindberg, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 34 Rz.34; Erhard, Der Betrieb 1990, 197, 199; Schulze zur Wiesche, Finanz-Rundschau 1989, 445, 448). Der Steuerpflichtige hat nicht die Möglichkeit, dessen Anwendung auf Teile der außerordentlichen Einkünfte zu begrenzen.
Diese Auslegung ist mit dem Begünstigungszweck des § 34 EStG 1990 vereinbar. Der Steuerpflichtige kommt in voller Höhe in den Genuß des ermäßigten Steuersatzes; ihm ist nur verwehrt, eine weitere Begünstigung dadurch zu erlangen, daß er durch Aufteilung der außerordentlichen Einkünfte zusätzlich die insoweit niedrigeren Steuersätze des allgemeinen Tarifs in Anspruch nimmt und die Vorteile aus dem ermäßigten Steuersatz und aus den niedrigeren Steuersätzen des allgemeinen Tarifs kumuliert. Daß in den Materialien zu der Neuregelung des § 34 EStG in Zusammenhang mit dem Wegfall des Antragserfordernisses diese Auswirkung nicht ausdrücklich hervorgehoben wird, steht einer Gesetzesauslegung in dem dargelegten Sinne nicht entgegen, zumal es sich --wie der Streitfall zeigt-- im Verhältnis zu der gewährten Vergünstigung um eine eher marginale Belastung handelt.
Fundstellen
Haufe-Index 65152 |
BFH/NV 1994, 72 |
BStBl II 1994, 706 |
BFHE 174, 370 |
BFHE 1995, 370 |
BB 1994, 1557 |
BB 1994, 1557 (L) |
DB 1994, 1653-1654 (LT) |
DStR 1994, 1311 (KT) |
DStZ 1994, 565-566 (KT) |
HFR 1994, 608 (LT) |
StE 1994, 462 (K) |