Entscheidungsstichwort (Thema)
Handelsvertretung für das Gebiet der ehemaligen DDR; zur Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 63 EStG
Leitsatz (amtlich)
Ein in der Bundesrepublik Deutschland (altes Bundesgebiet) unbeschränkt steuerpflichtiger, selbständiger Handelsvertreter hatte keinen "ständigen Vertreter" in der ehemaligen DDR oder im ehemaligen Berlin (Ost), wenn er dort nur in eigener Person für sein Unternehmen tätig wurde.
Orientierungssatz
Da § 3 Nr. 63 EStG eine doppelte Besteuerung vermeiden und damit ein DBA ersetzen wollte, war diese Vorschrift i.V.m. § 49 EStG nach den für DBA geltenden Regeln auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 21.8.1985 VI R 12/82).
Normenkette
EStG 1983 § 3 Nr. 63, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; AO 1977 § 13
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist selbständiger Handelsvertreter. Im Streitjahr unterhielt er in Berlin (West) ein Büro mit zwei Angestellten. Er vertrat u.a. die Fa. C. Diese Vertretung war auf das Gebiet der ehemaligen DDR und des ehemaligen Berlin (Ost) beschränkt. Der Kläger mußte sich nach seinen eigenen Angaben "häufig" in der ehemaligen DDR aufhalten. Im Streitjahr verfügte er dort noch nicht über ein Büro oder, so die Feststellung des Finanzgerichts (FG), "eine andere feste Einrichtung".
In seiner Einkommensteuererklärung für 1985 vertrat der Kläger die Auffassung, der Gewinn aus der Handelsvertretung für die Fa. C in Höhe von 36 000 DM sei nach § 3 Nr.63 des Einkommensteuergesetzes 1985 (EStG) steuerfrei. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) nicht. Das FG hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a EStG sei zwar nicht nach seinem Wortlaut, so doch nach seinem Sinn und Zweck und bei verfassungskonformer Auslegung erfüllt, wenn der Kläger in eigener Person in der (ehemaligen) DDR für sein Unternehmen tätig geworden sei.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a, 3 Nr.63 EStG.
Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, der keinen ausdrücklichen Antrag gestellt hat, ist der Revision mit dem Hinweis entgegengetreten, § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a EStG setze eine Beziehung zwischen einem Subjekt (Vertreter) zu einem Objekt (Unternehmen) voraus, so daß der Unternehmer durchaus ständiger Vertreter seines eigenen Gewerbebetriebs sein könne.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Dem Kläger steht die begehrte Steuerfreiheit nicht zu.
1. Nach § 3 Nr.63 EStG waren steuerfrei Einkünfte der in § 49 EStG bezeichneten Art, wenn sie in der (ehemaligen) DDR oder im (ehemaligen) Berlin (Ost) bezogen worden waren. Maßgebend war, ob die betreffenden Einkünfte dann, wenn sie in der (bisherigen) Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) erzielt worden wären, bei einem hier beschränkt Steuerpflichtigen zu den inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG gehört hätten. Die Vorschrift stellte Einkünfte steuerfrei nach Art der Freistellungsmethode, wie sie in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gebräuchlich ist. Ohne § 3 Nr.63 EStG wären die in der (ehemaligen) DDR bezogenen Einkünfte ―unbeschadet einer Anrechnung nach § 34c EStG― unbeschränkt steuerpflichtig gewesen (von Beckerath in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 3 Rdnr.B 63/1). Da § 3 Nr.63 EStG eine doppelte Besteuerung vermeiden und damit ein DBA ersetzen wollte, war diese Vorschrift i.V.m. § 49 EStG nach den für DBA geltenden Regeln auszulegen (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21.August 1985 VI R 12/82, BFHE 144, 556, BStBl II 1986, 64).
2. Nach § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Steuerpflicht Einkünfte aus Gewerbebetrieb, "für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist". Der Kläger unterhielt keine Betriebsstätte in der (ehemaligen) DDR. Die Auffassung des FG, der Kläger sei sein eigener "ständiger Vertreter" im Sinne der genannten Vorschrift, trifft nicht zu.
Ständiger Vertreter i.S. des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a EStG ist nach der Legaldefinition des § 13 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. § 13 Satz 2 AO 1977 bestimmt hierzu ergänzend, daß ständiger Vertreter insbesondere eine Person ist, die für ein Unternehmen nachhaltig Verträge abschließt oder vermittelt oder Aufträge einholt oder einen Bestand von Gütern oder Waren unterhält und davon Auslieferungen vornimmt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vertreter ―insoweit in Übereinstimmung mit § 164 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)― derjenige ist, der rechtsgeschäftliche Handlungen für einen anderen vornimmt oder ob eine tatsächliche wirtschaftliche Repräsentanz ausreicht (vgl. hierzu Gebbers, Die steuerliche Betriebsprüfung ―StBp― 1989, 78, 79 m.w.N.). Jedenfalls setzt der Begriff der Vertretung voraus, daß der Vertretene anstelle des Unternehmers Handlungen vornimmt, die in dessen Betrieb fallen (vgl. BFH- Urteil vom 27.November 1963 I 335/60 U, BFHE 78, 189, BStBl III 1964, 76; insoweit aufrechterhalten im BFH-Urteil vom 28.Juni 1972 I R 35/70, BFHE 106, 206, 209, BStBl II 1972, 785; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 49 EStG Anm.8). Nach dem insoweit maßgeblichen Wortlaut kann der Unternehmer selbst weder "Vertreter" sein, der den Sachweisungen seines Unternehmens unterliegt, noch kann er sich selbst als solchen "bestellen".
3. Dieses Auslegungsergebnis entspricht dem historisch gewachsenen Begriff des "ständigen Vertreters" als Anknüpfungsmerkmal der beschränkten Steuerpflicht (vgl. auch § 121 Abs.2 Nr.3 des Bewertungsgesetzes ―BewG―). Bei der Einführung dieses Merkmals in das deutsche Steuerrecht (Gesetz zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes vom 8.April 1922, RGBl I 1922, 351, RTDrucks 1921 Nr.2867, S.5) ging es darum, neben dem Betriebsstättengewinn auch solche Einkünfte zu erfassen, die durch Vermittlung von Generalagenten oder sonstigen Agenten oder "durch einen zwar unselbständigen, aber regelmäßig sich im Inland aufhaltenden Vertreter" erzielt wurden. Anläßlich der Übernahme des Begriffs in das EStG 1925 hat die Reichsregierung im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen, daß Vertreter sei, wer ein Rechtsgeschäft für einen anderen und an dessen Stelle vornehme; entscheidend sei freilich, daß die Tätigkeit des Vertreters für die ausländische Firma von einer gewissen Dauer sei (RTDrucks 1924/25 Nr.1229, S.33). In § 13 AO 1977 wurde der Begriff des "ständigen Vertreters" gegenüber dem Betriebsstättenbegriff (vgl. § 16 Abs.2 Nr.2 des Steueranpassungsgesetzes ―StAnpG―) verselbständigt; nach der Regierungsbegründung zum Entwurf einer AO steht er gleichwohl "in enger Parallele zu dem Konzept der … Betriebsstätte, das er in subsidiärer Zuordnung ergänzt". Weiterhin wird dort vermerkt, daß sich die Fassung des Wortlauts unter Berücksichtigung der neueren internationalen Rechtsentwicklung an Abschn.222 der Einkommensteuer- Richtlinien (EStR) anlehne (BTDrucks VI/1982, S.104; ausführlich zur Entwicklung der Vorschrift BFHE 106, 206, BStBl II 1972, 785).
4. Zu Recht weist das FA darauf hin, daß, wie sich aus einem Vergleich des § 49 Abs.1 Nr.2 EStG mit dessen Nummern 3 und 4 ergibt, die Tätigkeit des ausländischen Unternehmers in eigener Person im Inland dessen beschränkte Steuerpflicht nicht begründet: Die Ausübung oder Verwertung der Tätigkeit im Inland reicht für eine Anknüpfung der Besteuerung gewerblicher Einkünfte im Inland nicht aus. Der ausländische Unternehmer wird erst ―sodann unbeschränkt― steuerpflichtig, wenn er ―etwa infolge seiner Tätigkeit im Inland― hier seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat (§ 1 Abs.1 Satz 1 EStG).
Unzutreffend ist die Auffassung des FG, jede Tätigkeit eines Dritten erfülle den Tatbestand des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a EStG, während die nach Art und Umfang gleichgeartete nachhaltige Tätigkeit des Steuerpflichtigen selbst die beschränkte Steuerpflicht nicht begründen solle. Nicht jeder Vertreter, der für das Unternehmen tätig wird, ist bereits "ständiger" Vertreter. So ist § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.a EStG nicht schon dann erfüllt, wenn sich ein Reisender vorübergehend im Inland aufhält, jedoch hernach in das Ausland zurückkehrt. Denn dann fehlt es an einer "ständigen" Einrichtung, welche eine rechtliche Parallele zur Betriebsstätte rechtfertigen würde (vgl. Bescheid des Reichsfinanzhofs vom 29.Juni 1934 I A 56/33, RStBl 1934, 1125; Blümich/Krabbe, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Kommentar, § 49 EStG Rz.66). Dieses Anknüpfungsmerkmal einer dauernden Beziehung zum Inland liegt ebensowenig vor, wenn der Steuerpflichtige selbst nach Ende einer Geschäftsreise das betreffende Besteuerungsgebiet wieder verläßt.
Fundstellen
Haufe-Index 63470 |
BFH/NV 1991, 25 |
BStBl II 1991, 395 |
BFHE 163, 360 |
BFHE 1991, 360 |
BB 1991, 755 (T) |
DB 1991, 1154 (KT) |
HFR 1991, 406 (LT) |
StE 1991, 143 (K) |