Leitsatz (amtlich)
Zahlen die Aktionäre Dividenden zurück, ohne daß sie dazu rechtlich oder tatsächlich verpflichtet sind, entstehen keine sogenannten negativen Erträge aus Kapitalvermögen. Eine Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer kommt daher nicht in Betracht.
Normenkette
KapStDV § 13
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine AG mit Sitz im Inland, deren Aktionäre beschränkt steuerpflichtig sind. Der Jahresabschluß der Klägerin zum 31. Dezember 1972 wurde im Januar und Februar 1973 aufgestellt, am 28. März 1973 testiert und am 9. April 1973 vom Aufsichtsrat gebilligt. Am 3. Mai 1973 beschloß die Hauptversammlung, von dem ausgewiesenen Bilanzgewinn von 4 027 084 DM einen Betrag von 4 Mio DM auszuschütten und den Rest von 27 084 DM auf neue Rechnung vorzutragen.
Mitte Mai 1973 zeigte sich, daß die zum 31. Mai 1973 bilanzierende H-GmbH, an der die Klägerin mit 50,1 v. H. beteiligt war und deren Geschäftsanteile in der Bilanz der Klägerin nach einer Teilwertabschreibung von 8,5 Mio DM noch mit 19 Mio DM ausgewiesen waren, mit einem wesentlich höheren Jahresfehlbetrag abschließen werde, als zunächst angenommen wurde. Ohne rasche Zuführung neuer Mittel drohte eine Zahlungseinstellung der H-GmbH.
Nachdem sich die Aktionäre der Klägerin bereiterklärt hatten, die ausbezahlte Dividende zurückzuzahlen, wurde durch Beschluß der außerordentlichen Hauptversammlung vom 4. Juli 1973 der Gewinnverwendungsbeschluß vom 3. Mai 1973 aufgehoben. Die Bilanz wurde geändert, der neue Bilanzgewinn von 88 584 DM wurde auf neue Rechnung vorgetragen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte es mit Bescheid vom 15. Oktober 1973 ab, die aufgrund der Kapitalertragsteueranmeldung abgeführte Kapitalertragsteuer in Höhe von 1 Mio DM samt Ergänzungsabgabe von 30 000 DM zurückzuerstatten.
Die Sprungklage blieb ohne Erfolg.
Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1974, 548, veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die Gewinnausschüttung einer AG könne, was ihre steuerlichen Wirkungen angehe, nur rückgängig gemacht werden, wenn die Beschlußfassung gegen zwingende handelsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nichtig, unwirksam oder anfechtbar sei. Selbst wenn die Beteiligung an der H-GmbH irrtümlich zu hoch bewertet worden sei, ergebe sich daraus nicht ohne weiteres die Nichtigkeit des Jahresabschlusses, schon gar nicht die Nichtigkeit des Beschlusses über die Verwendung des Bilanzgewinns. Außerdem sei die Klägerin in der Lage gewesen, freie Rücklagen zur Ausschüttung zu verwenden. Die Rückgewähr der Dividende laufe in Wirklichkeit auf eine Kapitaleinlage hinaus.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der Verletzung der §§ 152 Abs. 2 Nr. 1, 131 AO, § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG und § 13 KapStDV gerügt wird.
Die Klägerin meint, aktienrechtlich sei es möglich, den Gewinnverwendungsbeschluß nachträglich aufzuheben. Dieser Rechtslage habe auch das Steuerrecht zu folgen. Die Klägerin habe es für unvertretbar gehalten, einen Gewinn auszuweisen, der tatsächlich nicht erzielt worden sei. Ebenso sei es widersinnig gewesen, eine Dividende von 4 Mio DM auszuschütten, obgleich erhebliche Mittel zur Stabilisierung der Lage bei der H-GmbH dringend benötigt worden seien. Die Bilanzberichtigung habe zwingend vorausgesetzt, daß die ausgeschüttete Dividende an die Klägerin zurückgewährt werde. Zur Annahme einer Kapitaleinlage fehle es an den formellen Voraussetzungen der §§ 182 ff. AktG. Das FA und das FG hätten wenigstens prüfen müssen, ob nicht eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO in Betracht komme. Denn es sei unbillig, daß Kapitalerträge, die effektiv nicht erzielt worden seien, mit Kapitalertragsteuer belastet würden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und das FA zur Erstattung von 1 Mio DM Kapitalertragsteuer zuzüglich 30 000 DM Ergänzungsabgabe zu verurteilen. Hilfsweise beantragt die Klägerin, das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kapitalertragsteuer (§ 13 Abs. 1 KapStDV).
1. Im Streitfall hat die Klägerin den Steuerabzug vom Kapitalertrag beschränkt steuerpflichtiger Aktionäre vorgenommen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5, § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG). In diesem Fall gilt die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer durch den Steuerabzug als abgegolten (§ 50 Abs. 5 EStG, § 19 Abs. 7 KStG). Das hat zur Folge, daß insoweit keine Veranlagung stattfindet und deshalb der Abzug von Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben und Steuern endgültig unterbleibt (Urteil des BFH vom 10. April 1975 I R 261/72, BFHE 115, 389, BStBl II 1975, 586). Nicht ausgeschlossen ist dagegen ein Antrag auf Erstattung der Kapitalertragsteuer nach § 13 Abs. 1 KapStDV, wenn sich herausstellt, daß eine Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer nicht bestand.
2. Die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer besteht, wenn Kapitalerträge vorliegen, die zu bestimmten Einkunftsarten gehören (§§ 43, 44 Abs. 3 Satz 2 EStG; BFH-Urteil vom 18. Februar 1970 I R 97/66, BFHE 98, 482, BStBl II 1970, 464). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Durch Beschluß der Hauptversammlung der Klägerin vom 3. Mai 1973, einen Betrag von 4 Mio DM auszuschütten (§ 174 Abs. 1, 2 Nr. 2 AktG), entstand für die Aktionäre ein Anspruch auf Ausschüttung. Durch die Erfüllung dieses Anspruchs flossen den Aktionären beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen zu (§ 20 Abs. 1 Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 5, § 11 EStG).
Damit war der Tatbestand erfüllt, an den das Gesetz die Steuerschuld knüpft (§ 3 Abs. 1, 5 Nr. 1 a StAnpG).
3. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kapitalertragsteuer bestünde, wenn der Jahresabschluß der Klägerin und damit auch der Beschluß über die Verwendung des Bilanzgewinns wegen Überbewertung der Beteiligung der Klägerin an der H-GmbH nichtig wäre (§§ 253, 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AktG). Denn diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Die Frage, ob eine Bilanz richtig oder unrichtig ist, bestimmt sich nach dem Erkenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns bei Aufstellung der Bilanz (BFH-Urteil vom 18. Juli 1973 I R 11/73, BFHE 110, 226, BStBl II 1973, 860). Nach den Feststellungen des FG und nach den Ausführungen der Beteiligten bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß die Klägerin bereits bei Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses gewußt habe oder hätte wissen müssen, daß der Wert der Beteiligung der Klägerin an der H-GmbH zum 31. Dezember 1972 unter dem Buchwert von 19 Mio DM gelegen habe. Das FG hat ausgeführt, erst Mitte Mai 1973 habe sich gezeigt, daß die H-GmbH mit einem höheren Jahresfehlbetrag als erwartet abschließen werde. Ein Vorstandsmitglied der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 11. Juni 1974 erklärt, im Zeitpunkt der Bilanzerstellung sei nicht zu erkennen gewesen, daß der Verlust der H-GmbH so hoch werde. Gegen eine Nichtigkeit des Jahresabschlusses spricht schließlich, daß der Jahresabschluß der Klägerin mit dem Bestätigungsvermerk der Abschlußprüfer versehen wurde (§ 167 AktG).
War somit der Jahresabschluß der Klägerin nicht nichtig, so gilt das auch für den Beschluß über die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 253 AktG). Die Wirksamkeit des Beschlusses, einen Betrag von 4 Mio DM auszuschütten, wird auch nicht dadurch berührt, daß die Klägerin - wie sie vorträgt - finanzielle Mittel gebraucht habe, um die H-GmbH zu unterstützen.
4. Es kann auf sich beruhen, ob die Klägerin berechtigt war, den gültigen Jahresabschluß und den darauf beruhenden gültigen Beschluß über die Verwendung des Bilanzgewinns zu ändern. Denn eine Erstattung der Kapitalertragsteuer käme allenfalls in Betracht, wenn durch die Änderung des Jahresabschlusses und des Gewinnverwendungsbeschlusses sogenannte negative Einnahmen entstanden wären. Negative Einnahmen sind keine Werbungskosten (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184). § 44 Abs. 4 EStG, § 3 Abs. 2 KapStDV stünden daher einer Berücksichtigung im Steuerabzugsverfahren nicht im Wege. Negative Einnahmen setzen voraus, daß der Steuerpflichtige Einnahmen zurückzahlen muß (vgl. BFH-Urteile VI 22/61 S und vom 2. April 1974 VIII R 76/69, BFHE 112, 348, BStBl II 1974, 540). Das ist der Fall, wenn eine rechtliche oder tatsächliche Verpflichtung zur Zurückzahlung besteht.
An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Die Änderung des Jahresabschlusses und des Beschlusses über die Verwendung des Bilanzgewinns war nur möglich, weil sich die Aktionäre bereiterklärt hatten, die empfangene Dividende zurückzuzahlen. Die Aktionäre waren dazu nicht verpflichtet. Ohne ihre Zustimmung konnte ihnen der Anspruch auf die beschlossene und ausgezahlte Dividende nicht entzogen werden (Lutter in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 58 Anm. 52 ff.). Auch in tatsächlicher Hinsicht bestand kein Zwang für die Aktionäre, ihre Bereitschaft zur Zurückzahlung der Dividende zu erklären. Die Klägerin konnte versuchen, sich die Mittel, die sie brauchte, um die H-GmbH zu unterstützen, auch auf andere Weise zu beschaffen, z. B. durch Zuschüsse der Aktionäre (verdeckte Einlagen).
5. Aus den gleichen Gründen kommt auch kein Erstattungsanspruch nach § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO in Betracht.
6. Über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 72480 |
BStBl II 1977, 847 |
BFHE 1978, 124 |