Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugrundelegung eines anderen als im Steuerbescheid erfassten Sachverhalts durch das FG als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens; Erkundigungspflichten bei leichtfertiger Steuerverkürzung
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidet das FG über einen anderen als im Steuerbescheid erfassten Sachverhalt, verstößt es gegen den Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), was auch ohne Rüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt.
2. Der subjektive Tatbestand einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) kann nicht mit dem bloßen Unterlassen einer Anzeige nach § 19 GrEStG verneint werden. Den Steuerpflichtigen treffen vielmehr Informations- und Erkundigungspflichten auch über seine Erklärungs- und Anzeigepflichten, die aus der Steuerpflicht folgen.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2 S. 2, § 378 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 2; GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 5 Abs. 2, § 19
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, wurde mit "Vertrag über die Errichtung einer Kommanditgesellschaft" vom 30. September 1996 zwischen der S-GmbH und der B-KG gegründet. Die S-GmbH verpflichtete sich darin zur Einlage aller ihrer Vermögenswerte, wozu u.a. eigene Grundstücke sowie alle Anteile der K-GmbH, die ihrerseits über inländischen Grundbesitz verfügte, gehörten. In dem "Vertrag über eine Unternehmenseinbringung" ebenfalls vom 30. September 1996 übertrug die S-GmbH ihre Vermögenswerte auf die Klägerin. Beide Verträge wurden von einem Schweizer Notar in Zürich öffentlich beurkundet. Aus ihnen geht nicht hervor, dass zum Vermögen der K-GmbH Grundstücke gehörten.
Die Klägerin reichte beide Verträge zusammen mit dem Eröffnungsfragebogen im Oktober 1996 bei der Körperschaftsteuerstelle des Finanzamts S ein, die diese jedoch nicht an die dortige --zu dieser Zeit für die Grunderwerbsteuer zuständige-- Grunderwerbsteuerstelle weiterleitete. In der Bilanz zum 31. Dezember 1996 bildete die steuerlich beratene Klägerin eine Rückstellung in Höhe der durch die Vorgänge entstandenen Grunderwerbsteuer.
Nach einer Außenprüfung setzte der --nach Zuständigkeitswechsel nunmehr zuständige-- Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit hier streitigem Bescheid vom 28. Oktober 2004 gegen die Klägerin wegen ihres Erwerbs aller Anteile an der grundstücksbesitzenden K-GmbH Grunderwerbsteuer fest. Das FA ging dabei von einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO--) aus, da die vertretungsberechtigten Personen der Klägerin ihre Anzeigepflichten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) verletzt hätten. Wegen der Einbringung der Grundstücke der S-GmbH erging gegen die Klägerin ein gesonderter Bescheid.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, die sich ausschließlich gegen die Steuerfestsetzung wegen des Erwerbs aller Anteile an der grundstücksbesitzenden K-GmbH richtete, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) legte seiner Entscheidung die Einbringung der Grundstücke der S-GmbH in die Klägerin zugrunde und verneinte eine leichtfertige Steuerverkürzung. Die Klägerin habe die Verträge über die Einbringung der Grundstücke an das FA übersandt und es nur versäumt, eine ausdrückliche Anzeige für Grunderwerbsteuerzwecke zu erstatten.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 169 Abs. 2 Satz 2 und des § 378 AO.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Das FG hat § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verletzt. Es hat seiner Entscheidung einen anderen Lebenssachverhalt zugrunde gelegt als der angefochtene Verwaltungsakt, gegen den sich die Klage gerichtet hat. Darin liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren, dessen Einhaltung das Revisionsgericht auch ohne ausdrückliche Rüge zu beachten hat; ein solcher Verstoß führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Juli 1998 II R 82/96, BFHE 186, 147, BStBl II 1998, 630; vom 18. August 2005 II R 68/03, BFH/NV 2006, 360, m.w.N.).
Nach dem eindeutigen und klaren Inhalt des mit der Klage angefochtenen Bescheids vom 28. Oktober 2004 wurde gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer für den Erwerb aller Anteile der grundstücksbesitzenden K-GmbH gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG festgesetzt. Ausweislich der in der Klageschrift genannten Steuernummer hat die Klägerin diesen Steuerbescheid zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gemacht. Das FG hat demgegenüber seiner Entscheidung die Einbringung der Grundstücke der S-GmbH zugrunde gelegt und ist fehlerhaft von einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerbaren und gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG anzeigepflichtigen Vorgang ausgegangen.
2. Die Sache ist nicht spruchreif und wird deshalb an das FG zurückverwiesen, um diesem Gelegenheit zu geben, auf der Grundlage des dem streitigen Steuerbescheid zugrundeliegenden Lebenssachverhalts zu prüfen, ob die Vertretungsberechtigten der Klägerin die Grunderwerbsteuer leichtfertig verkürzt haben. Bei dieser Prüfung wird das FG Folgendes zu beachten haben:
a) Für eine nachvollziehbare Tatsachenwürdigung reicht nicht allein der Hinweis, die zur Vertretung der Klägerin berechtigten Personen hätten es lediglich unterlassen, neben der Übersendung der Verträge an die Körperschaftsteuerstelle eine ausdrückliche Anzeige für Grunderwerbsteuerzwecke zu erstatten. Denn bloße Untätigkeit schließt Leichtfertigkeit nicht ohne Weiteres aus. Vielmehr hat sich der Steuerpflichtige bei rechtlichen Zweifeln über seine steuerlichen Pflichten bei qualifizierten Auskunftspersonen zu erkundigen (BFH-Urteil vom 24. April 1996 II R 73/93, BFH/NV 1996, 731; Urteil des Oberlandesgerichts --OLG-- Celle vom 1. Oktober 1997 22 Ss 198/97, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht --wistra-- 1998, 196; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. 2005, § 378 Rz 39; Rüping in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 378 AO Rz 37; Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 378 AO Rz 65 ff.). Darüber hinaus sind an die Erfüllung der Erkundigungspflichten bei einem Kaufmann jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen (vgl. Urteile des OLG Hamm vom 28. Juni 1963 I Ss 655/63, Betriebs-Berater --BB-- 1963, 1004; vom 14. Februar 1964 I Ss 1495/63, BB 1964, 1032). Die Erkundigungspflichten beschränken sich zudem nicht auf die Steuerpflicht einer Tätigkeit, sondern umfassen auch die an die Steuerpflicht anknüpfenden Verfahrenspflichten. Wer die Steuerpflicht seines Verhaltens kennt, ist umso mehr gehalten, sich um die damit verbundenen Erklärungs- und Anzeigepflichten zu kümmern.
Nach den bisherigen Feststellungen kann davon ausgegangen werden, dass den zur Vertretung der Klägerin berechtigten Personen der Anfall von Grunderwerbsteuer für den mit dem angefochtenen Bescheid erfassten Lebenssachverhalt bekannt gewesen ist, weil sie in der Bilanz entsprechende Rückstellungen gebildet haben. Ferner kann davon ausgegangen werden, den vertretungsberechtigten Personen wäre auf Nachfrage bei einer qualifizierten Auskunftsperson bekannt geworden, mit welchem Inhalt und in welcher Form die Klägerin ihre Anzeigepflichten zu erfüllen hatte, insbesondere dass der Erwerb bei der Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts anzuzeigen ist (BFH-Urteil vom 21. Juni 1995 II R 11/92, BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802). Zu berücksichtigen wird ferner sein, dass die Klägerin steuerlich beraten war, die Einholung einer Auskunft über das Bestehen einer Anzeigepflicht ("Ob") und die Modalitäten ihrer Erfüllung ("Wie") also leicht möglich gewesen wäre. Das FG wird schließlich zu würdigen haben, dass der der streitigen Steuerfestsetzung zugrunde liegende Erwerbsvorgang nicht aus den der Körperschaftsteuerstelle des Finanzamts S eingereichten Verträgen ersichtlich ist und das Übersenden der Verträge damit den Mindestanforderungen an den Inhalt einer Anzeige i.S. des § 20 GrEStG nicht genügte (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BFHE 208, 456, BStBl II 2005, 492).
b) Sollte das FG zu dem Ergebnis gelangen, dass die Vertreter der Klägerin zumindest leichtfertig Steuern verkürzt haben, wird es --was das FA übersehen hat-- zu beachten haben, dass bei einem Erwerb nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG die Befreiungsvorschriften der §§ 5, 6 GrEStG anwendbar sind (BFH-Urteile vom 16. Januar 2002 II R 52/00, BFH/NV 2002, 1053; vom 2. April 2008 II R 53/06, BFHE 220, 550, BFH/NV 2008, 1268). Die Grunderwerbsteuer wäre danach gemäß § 5 Abs. 2 GrEStG in dem Umfang nicht zu erheben, zu dem die S-GmbH im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile der grundstücksbesitzenden K-GmbH am Vermögen der Klägerin beteiligt war. Die Steuerbefreiung wäre jedoch zu versagen, wenn und soweit sich die vermögensmäßige Beteiligung der S-GmbH an der Klägerin entsprechend eines im Einbringungszeitpunkt bereits bestehenden Plans wieder verringerte (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil vom 10. Dezember 2008 II R 55/07, Deutsches Steuerrecht 2009, 530).
Fundstellen
Haufe-Index 2181194 |
BFH/NV 2009, 1291 |
BFH/PR 2009, 393 |
BStBl II 2009, 932 |
BFHE 2010, 1 |
BFHE 225, 1 |
BB 2009, 1795 |
DB 2009, 2362 |
DStRE 2009, 877 |
HFR 2009, 897 |