Leitsatz (amtlich)
Zur Ermittlung der Überschuldung einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 können nur die Vermögensgegenstände und Schulden angesetzt werden, die zum Bilanzstichtag bereits entstanden waren. Dazu gehören nicht die im Falle einer nur gedachten Abwicklung entstehenden Verbindlichkeiten aufgrund eines dann aufzustellenden Sozialplanes.
Orientierungssatz
1. Beschließen die Gesellschafter einer GmbH & Co. KG eine Erhöhung der Kommanditeinlagen und wird die Erhöhung durch Verrechnung mit Forderungen der Kommanditisten gegen die GmbH & Co. KG bewirkt, so ist der Besteuerungstatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 2 und nicht der des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 erfüllt (Anschluß an BFH-Urteil vom 14.6.1978 II R 3/71).
2. Bei der Ermittlung einer Überschuldung einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 ist das Aktivvermögen nicht mit den Buchwerten der Handelsbilanz oder Steuerbilanz, sondern mit den "wahren" Werten anzusetzen (Anschluß an BFH-Urteil vom 27.8.1968 II R 82/67). Der Ansatz des "wahren" Werts läßt keinen Raum für einen Abschlag wegen schlechter Ertragsaussichten. Sollte das BFH-Urteil vom 11.7.1973 II R 148/72 in anderer Weise zu verstehen sein, so hielte der Senat an der damals vertretenen Auffassung nicht fest. Der Einzelveräußerungspreis bildet als Substanzwert immer die Untergrenze des "wahren" Werts. Auch für einen Abschlag gemäß Abschn. 77 Abs. 5, 78 Abs. 5 oder 79 Abs. 3 VStR 1980 ist bei der Aufstellung der von § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 geforderten Überschuldungsbilanz kein Raum.
Normenkette
KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 2 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1; VStR 1980 Abschn. 77 Abs. 5, Abschn. 78 Abs. 5, Abschn. 79 Abs. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, an der die W-OHG mit einem Kommanditanteil in Höhe von 5 Mio DM beteiligt war.
Am 29.Dezember 1980 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin zum Zwecke der Sanierung des Unternehmens:
1. Das Kommanditkapital wird um DM 3 100 000 auf DM 1 900 000
herabgesetzt. Der Betrag von DM 3 100 000, um den sich damit die
Pflichteinlage der Kommanditistin ermäßigt, wird von ihr ausschließlich
zur teilweisen Abdeckung der eingetretenen Verluste verwendet.
2. Das Kommanditkapital wird mit sofortiger Wirkung wieder auf DM 5 000
000 erhöht. Die Kommanditistin übernimmt zu diesem Zweck außer ihrer auf
DM 1 900 000 ermäßigten Pflichteinlage eine weitere Pflichteinlage von DM
3 100 000.
Weiter heißt es dann:
Die Kommanditistin erfüllt ihre Pflichteinlage zu Ziff.2, indem sie
hiermit gegen Gewährung der neuen Gesellschaftsrechte auf DM 3 100 000
ihrer lt. Verrechnungskonto gegenüber der Kommanditgesellschaft
bestehenden Forderungen verzichtet. Damit ist die Kapitalerhöhung
vollzogen und die Pflichteinlagen der Kommanditistin entsprechen wieder
ihrer Hafteinlage von DM 5 000 000 ...
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah in diesem Rechtsvorgang eine Kapitalerhöhung um 3,1 Mio DM und setzte durch Bescheid vom 12.Juni 1981 eine Gesellschaftsteuer in Höhe von 15 500 DM (0,5 v.H. von 3,1 Mio DM) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.
Aufgrund einer Außenprüfung ging das FA später davon aus, daß die Klägerin zum 29.Dezember 1980 nur in Höhe von 436 331 DM überschuldet war (Verlustvortrag: 4 972 781 DM; stille Reserven: 4 536 450 DM). Deshalb änderte das FA den Bescheid vom 12.Juni 1981 am 15.April 1982 und setzte die Gesellschaftsteuer auf 28 817 DM fest (0,5 v.H. von 436 331 DM + 1 v.H. von 2 663 669 DM).
Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es setzte die Gesellschaftsteuer auf 15 500 DM fest.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs.2 Nr.1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972.
Die Beteiligten beantragen übereinstimmend, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG hat zutreffend in der Erhöhung des Kommanditkapitals (Pflichteinlage) von 1,9 Mio DM auf 5 Mio DM zum 29.Dezember 1980 eine gemäß § 2 Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 5 Abs.2 Nr.3 und § 6 KVStG 1972 steuerpflichtige Leistung gesehen.
a) Nach § 2 Abs.1 Nr.2 KVStG 1972 unterliegen der Gesellschaftsteuer Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden. Nach dem Klammerzusatz in § 2 Abs.1 Nr.2 Satz 1 KVStG 1972 zählen dazu insbesondere weitere Einzahlungen, Nachschüsse und Zubußen. § 5 Abs.2 Nr.3 KVStG 1972 bestimmt ergänzend zu § 2 Abs.1 Nr.2 KVStG 1972, daß auch Kommanditgesellschaften (KG), zu deren persönlich haftenden Gesellschaftern eine der in § 5 Abs.1 KVStG 1972 bezeichneten Gesellschaften gehört, als Kapitalgesellschaften gelten.
b) Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in einer den erkennenden Senat bindenden Weise (§ 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß die Klägerin am 29.Dezember 1980 eine KG mit einer GmbH als persönlich haftenden Gesellschafterin war. Damit war sie inländische Kapitalgesellschaft i.S. des § 2 Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 5 Abs.2 Nr.3 KVStG 1972. Die Gesellschafter der Klägerin beschlossen am 29.Dezember 1980 eine Erhöhung der Kommanditeinlagen um 3,1 Mio DM. Dies begründete die Verpflichtung der Kommanditisten, ihren Gesellschafterbeitrag um den genannten Betrag zu erhöhen. Die Erhöhung wurde durch Verrechnung mit Forderungen der Kommanditisten gegen die Klägerin bewirkt. Damit war der Besteuerungstatbestand des § 2 Abs.1 Nr.2 KVStG 1972 erfüllt.
c) Entgegen der Auffassung des FG ist allerdings nicht der Besteuerungstatbestand des § 2 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972 erfüllt. Die Erhöhung der Kommanditeinlagen war nicht mit dem Erwerb neuer Gesellschaftsrechte verbunden. Dazu verweist der Senat auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14.Juni 1978 II R 3/71 (BFHE 125, 303, BStBl II 1978, 527). Der dort vertretenen Auffassung schließt er sich an.
2. Das FG hat unzutreffenderweise zugunsten der Klägerin ausschließlich den ermäßigten Steuersatz gemäß § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 angesetzt. Die dazu vom FG in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Feststellungen tragen dessen Entscheidung nicht.
a) Nach § 9 Abs.1 Nr.2 KVStG 1972 beträgt der Steuersatz für die Gesellschaftsteuer grundsätzlich 1 v.H. des Steuermaßstabes. Nach § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ermäßigt er sich allerdings um 50 v.H., wenn der steuerpflichtige Rechtsvorgang entweder zur Deckung einer Überschuldung oder zur Deckung eines Verlustes an dem gezeichneten Kapital erforderlich ist. Im Streitfall läßt sich revisionsrechtlich nicht abschließend feststellen, ob eine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt ist.
b) Eine Überschuldung i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 ist nur gegeben, wenn die Schulden der Kapitalgesellschaft den Wert ihres Aktivvermögens übersteigen. Dazu hat der II.Senat im Urteil vom 27.August 1968 II R 82/67 (BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781) entschieden, daß bei der Ermittlung einer Überschuldung das Aktivvermögen nicht mit den Buchwerten der Handels- oder Steuerbilanz, sondern mit den "wahren" Werten anzusetzen sei. Dieser Auffassung pflichtet der erkennende Senat bei. Sie ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift. § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 dient dem Ziel, die Sanierung notleidend gewordener Kapitalgesellschaften durch Kapitalaufnahme beim Gesellschafter zu begünstigen. Ein entsprechendes Sanierungsbedürfnis besteht schon bzw. nur dann, wenn die Kapitalgesellschaft rechnerisch überschuldet ist, d.h. wenn sich im Falle ihrer gedachten Abwicklung für die Gläubiger eine Quote von unter 100 v.H. ergeben würde. In diesem Fall ist die Fortführung der Kapitalgesellschaft rechtlich nur möglich, wenn sie entweder saniert oder aber das Insolvenzverfahren eröffnet wird. In einem solchen Fall begünstigt § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 die Zuführung neuen Eigenkapitals durch den oder die Gesellschafter. Aus Gründen des § 209 Abs.1 Satz 2 der Konkursordnung (KO) sind die Voraussetzungen des Begünstigungstatbestandes nur erfüllt, wenn das Aktivvermögen, müßte es für Zwecke der Gläubigerbefriedigung verwertet werden, nicht ausreichen würde, um alle Schulden zu tilgen. Deshalb ist die Überschuldung des Unternehmens anhand der Werte zu ermitteln, wie sie in einer Überschuldungsbilanz anzusetzen wären. Allerdings dient die Überschuldungsbilanz nur der Feststellung der Überschuldung, nicht jedoch der tatsächlichen Abwicklung oder Zerschlagung des Unternehmens. Deshalb sind in der Überschuldungsbilanz nur die Vermögensgegenstände und Schulden (§ 247 Abs.1 des Handelsgesetzbuches --HGB-- n.F.) anzusetzen, die am Bilanzstichtag bereits entstanden waren. Dagegen können in der Bilanz keine Schulden angesetzt werden, die sich als Folge einer Überschuldung ergeben würden, wenn das Unternehmen hypothetisch abgewickelt oder zerschlagen würde.
c) Der Ansatz der "wahren" Werte besagt nichts darüber, ob im Einzelfall von dem gemeinen Wert (§ 9 des Bewertungsgesetzes --BewG--) oder dem Teilwert (§ 10 BewG) auszugehen ist. Dies hängt wesentlich davon ab, in welcher Weise das Aktivvermögen hypothetisch verwertet werden könnte. In der Regel können jedoch die Beteiligten von den vermögensteuerlichen Werten des Aktivvermögens ausgehen. Es ist dann Sache des Beteiligten, der diese Werte nicht gegen sich gelten lassen will, darzulegen, daß der "wahre" Wert in Wirklichkeit höher oder niedriger liegt. Der Ansatz des "wahren" Wertes läßt jedenfalls keinen Raum für einen Abschlag wegen schlechter Ertragsaussichten. Sollte das BFH-Urteil vom 11.Juli 1973 II R 148/72 (BFHE 110, 305, BStBl II 1973, 855 --am Ende--) in anderer Weise zu verstehen sein, so hielte der Senat an der damals vertretenen Auffassung nicht fest. Der Einzelveräußerungspreis bildet als Substanzwert immer die Untergrenze des "wahren" Wertes.
d) Für einen Abschlag gemäß Abschn.77 Abs.5, 78 Abs.5 oder 79 Abs.3 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1980 ist bei der Aufstellung der von § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 geforderten Überschuldungsbilanz kein Raum. Der Abschlag gemäß Abschn.77 Abs.5 VStR 1980 hat seinen Grund darin, daß das Vermögen der Gesellschaft oder einzelne Teile davon für den Anteilseigner nicht denselben Wert wie für das Unternehmen selbst haben müssen. Darum geht es jedoch bei der Aufstellung der Überschuldungsbilanz nicht. Dort ist der Wert zu ermitteln, der als Einzelveräußerungspreis für den Vermögensgegenstand mindestens erzielt werden könnte. Steht dieser Preis fest, so kommt es nicht mehr auf den Wert an, den der Vermögensgegenstand für den Anteilseigner hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Abschlag gemäß Abschn.78 Abs.5 VStR 1980. Dieser Abschlag wird mit Rücksicht darauf vorgenommen, daß bei der Schätzung des Jahresertrages die Betriebsergebnisse der letzten drei Jahre herangezogen werden und es unsicher ist, ob entsprechende Erträge auch in der Zukunft erzielt werden. Solange jedoch in der Überschuldungsbilanz nur der Einzelveräußerungspreis jedes Vermögensgegenstandes angesetzt wird, kann es auf die Ertragsaussichten nicht ankommen. Der in Abschn.79 Abs.3 VStR 1980 vorgesehene Abschlag betrifft Bewertungsrisiken, die sich auf den Anteil an der Kapitalgesellschaft beziehen und ihren Grund in der geringen Verzinslichkeit des eingesetzten Kapitals haben. Auch dieser Gesichtspunkt kommt bei der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz nicht zum Tragen. Bei der Nichtanwendung der Abschn.77 Abs.5, 78 Abs.5 und 79 Abs.3 VStR 1980 ist auch zu berücksichtigen, daß das Stuttgarter Verfahren den Erfordernissen eines Massenverfahrens für Besteuerungszwecke Rechnung tragen muß. Dies geschieht in der Weise, daß Unsicherheiten in der Bewertung durch Risikoabschläge einheitlich zugunsten der Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 knüpft dagegen an einen Insolvenztatbestand der KO an. Dort gelten andere Erfordernisse. Die Begünstigung nach § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 soll nur gewährt werden, wenn tatsächlich eine Überschuldung des Unternehmens i.S. des § 209 Abs.1 Satz 2 KO eingetreten ist. In diesem Fall ist für den Ansatz von Risikoabschlägen kein Raum.
e) Zu Unrecht macht die Klägerin in der Form der Gegenrüge geltend, in der Überschuldungsbilanz seien auch die Verpflichtungen aus einem Sozialplan anzusetzen. Derartige Verpflichtungen waren an dem maßgeblichen Bilanzstichtag noch nicht entstanden (§ 112 des Betriebsverfassungsgesetzes). Sie können deshalb auch bei einer gedachten Abwicklung nicht berücksichtigt werden.
3. Das FG hat die vom FA ermittelten "wahren" Werte des Aktivvermögens in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt. Der Vorentscheidung ist auch nicht zu entnehmen, daß die angesetzten Werte von den Beteiligten übereinstimmend als die Einzelveräußerungs- oder Substanzwerte behandelt wurden. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache --dem Antrag beider Beteiligten entsprechend-- an das FG zurückzuverweisen. Es ist dessen Aufgabe, die "wahren" Werte zu ermitteln. Ggf. wird das FG anhand der "wahren" Werte auch ermitteln müssen, ob der im Streitfall steuerpflichtige Rechtsvorgang zur Deckung eines Verlustes an dem gezeichneten Kapital i.S. des § 9 Abs.2 Nr.1 KVStG 1972 erforderlich war.
Fundstellen
Haufe-Index 62756 |
BFH/NV 1989, 34 |
BStBl II 1989, 662 |
BFHE 157, 232 |
BFHE 1990, 232 |
BB 1989, 1969-1971 (LT1) |
DB 1989, 1655-1656 (LT) |
HFR 1989, 627 (LT) |