Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterziehungszinsen bei Hinterziehung von ESt durch Geschäftsführer einer Personengesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Auch nach § 4 a StSäumnG war Schuldner der Hinterziehungszinsen derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind.
2. Hinterziehen Geschäftsführer einer Personengesellschaft Einkommensteuer zum Vorteil der Gesellschafter, ist über die Frage, ob und in welchem Umfang der von den Gesellschaftern erlangte steuerliche Vorteil auf einer Hinterziehung beruht, im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung zu entscheiden.
3. Für den Adressaten eines auf der Rechtsgrundlage des § 155 Abs. 2 AO 1977 ergehenden Folgebescheids muß aus dem Bescheid selbst oder aus den Umständen eindeutig zu erkennen sein, daß eine bestimmte Besteuerungsgrundlage von der Regelung in einem Grundlagenbescheid abhängig ist.
Normenkette
AO 1977 § 235 Abs. 1, § 239 Abs. 1 S. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 155 Abs. 2; StSäumnG § 4a; FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Jahren 1975 bis 1977 als Kommanditist an der Firma A KG, einer sog. Abschreibungsgesellschaft, beteiligt. Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren B und C. Die für die Jahre 1975 bis 1977 von der A KG erklärten Buchverluste wurden vom zuständigen Finanzamt (FA) D vorläufig festgestellt. Auf den Kläger entfielen die folgenden Verlustanteile: 26 859 DM (1975), 16 642 DM (1976) und 18 642 DM (1977). Diese Verlustanteile wurden in den gegen den Kläger erlassenen Einkommensteuerbescheiden 1975 bis 1977 berücksichtigt.
Anläßlich einer steuerlichen und strafrechtlichen Überprüfung der A KG wurde bekannt, daß deren Geschäftsführer Einlagen der Kommanditisten veruntreut hatten. Die entsprechenden Buchverluste waren auch den Finanzbehörden vorgetäuscht worden. B wurde wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue und Urkundenfälschung sowie wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Aufgrund von Mitteilungen des FA D über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte für 1975 bis 1977 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das FA) nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Einkommensteuerbescheide, die zu einer Erhöhung der Steuerschuld führten. Durch Bescheid vom 14. Oktober 1983 setzte das FA Hinterziehungszinsen in Höhe von insgesamt 6 994 DM gegen den Kläger fest. Auf dessen Einspruch hin ermäßigte das FA den für den Veranlagungszeitraum 1975 festgesetzten Zinsbetrag von 4 750 DM auf 3 762 DM, da der Anteil des hinterzogenen Betrages an den Mehrsteuern 79 v. H. betrage; im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Das FA sei als Wohnsitz-FA nicht befugt gewesen, anstelle des Betriebs-FA eine abschließende Feststellung darüber zu treffen, inwieweit die im geänderten Gewinnfeststellungsbescheid des Betriebs-FA vorgenommenen Verlustkürzungen auf den durch die Außenprüfung aufgedeckten Hinterziehungshandlungen beruhten. Eine gesonderte Feststellung des Aufteilungsmaßstabes in einem Grundlagenbescheid sei rechtlich geboten. Ein auf der Rechtsgrundlage des § 155 Abs. 2 AO 1977 ergehender Folgebescheid müsse deutlich zu erkennen geben, daß und in welchem Umfang eine Regelung im Vorgriff auf den zu erwartenden Grundlagenbescheid getroffen werde. Hieran fehle es im Streitfall. Der angefochtene Zinsbescheid sei daher als rechtswidrig aufzuheben. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur Bestandskraft eines Grundlagenbescheides sei wegen der verfahrensrechtlichen Maßgeblichkeit des Grundlagenbescheides (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) nicht geboten.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision macht das FA geltend: Ein Grundlagenbescheid sei nicht erforderlich. § 155 Abs. 2 AO 1977 setze nicht die erkennbare Absicht des Wohnsitz-FA voraus, eine vorläufige Regelung zu treffen. Jedenfalls hätte das FG das Klageverfahren nach § 74 FGO aussetzen müssen, um den Ausgang eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abzuwarten.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 1987 hat das FA D die auf Hinterziehungshandlungen entfallenden Verlustkürzungen in folgender Höhe festgestellt: 19 523 DM (1975), 5 725 DM (1976) und 7 422 DM (1977). Hiergegen ist ein Klageverfahren anhängig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das angefochtene Urteil ist nicht bereits deswegen im Ergebnis zutreffend, weil das FA aus Rechtsgründen gehindert wäre, den Zinsanspruch gegen den Kläger geltend zu machen. Die Vorentscheidung ist fehlerhaft, weil sie im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides über gesondert festzustellende Grundlagen des Zinsanspruchs - Hinterziehung von Steuern durch die A KG bzw. deren Geschäftsführer - ergangen ist, ohne den bestandskräftigen Abschluß eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abzuwarten. Ein solches Zuwarten ist erforderlich, wenn der Folgebescheid - wie der angefochtene Zinsbescheid - keinen ,,vorläufigen" Ansatz einheitlich und gesondert festzustellender Grundlagen steuerlicher Nebenleistungen (§§ 3 Abs. 3, 235 AO 1977) enthält.
2. Das FG konnte ohne Rechtsfehler dahingestellt sein lassen, welche Zinsbeträge - unter Berücksichtigung des Art. 97 § 15 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) - nach § 4 a des Steuersäumnisgesetzes (StSäumnG) und welche nach § 235 AO 1977 zu beurteilen sind.
a) Im zeitlichen Anwendungsbereich der AO 1977 ist Zinsschuldner derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind (§ 235 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO 1977). Der Zinslauf beginnt nach näherer Maßgabe des § 235 Abs. 2 AO 1977 mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils und endet gemäß § 235 Abs. 3 AO 1977 mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern.
Die Regelung des § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 bezweckt, beim Nutznießer einer Steuerhinterziehung dessen Zinsvorteil abzuschöpfen. Einen Vorteil im Sinne dieser Bestimmung erlangt der Schuldner der hinterzogenen Steuer auch dann, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Mai 1982 VII R 97/81, BFHE 136, 182, BStBl II 1982, 689; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 235 AO 1977 Tz. 4). Dieser Vorteil liegt in der verspäteten Zahlung der geschuldeten Steuer.
Zu Unrecht meint der Kläger, er habe deswegen keinen ,,Vorteil" i. S. des § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 erlangt, weil er seine Kommanditeinlage verloren habe. Diese Vermögenseinbuße kann mit dem Zinsvorteil nicht verrechnet werden (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 235 AO 1977 Tz. 4).
b) Die gleiche Rechtslage ergibt sich für die im zeitlichen Anwendungsbereich des § 4 a StSäumnG entstandenen Zinsansprüche. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die subjektive Anknüpfung der Zinspflicht nach dieser Vorschrift anders zu beurteilen wäre als nach § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977. Von dieser Rechtslage geht auch das BFH-Urteil vom 7. November 1973 I R 92/72 (BFHE 111, 7, BStBl II 1974, 125) für einen Fall aus, in dem ein Angestellter des Steuerpflichtigen und Zinsschuldners eine Steuerhinterziehung zu dessen Vorteil begangen hatte (vgl. auch Urteil in BFHE 136, 182, 185, BStBl II 1982, 689). Das Urteil in BFHE 111, 7, BStBl II 1974, 125 führt aus, daß Hinterziehungszinsen ihrem Wesen nach Verzugszinsen seien; sie seien nach § 6 Abs. 2 StSäumnG Nebenleistungen zu der Steuer, zu der sie erhoben würden. Ihre Anforderung sei nicht davon abhängig, daß der Steuer- und Zinsschuldner selbst die Steuerhinterziehung begangen oder an ihr teilgenommen habe. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Das vom Kläger in Bezug genommene BFH-Urteil vom 6. November 1974 II R 18/72 (BFHE 113, 426, BStBl II 1975, 129) führt aus, daß die Grundsätze des Urteils in BFHE 111, 7, BStBl II 1974, 125 wegen der Besonderheiten der Grunderwerbsteuer auf diese Steuer nicht angewandt werden könne; ein an der Hinterziehung objektiv und subjektiv unbeteiligter Gesamtschuldner könne nicht auf Hinterziehungszinsen in Anspruch genommen werden. Hierum geht es im Streitfall nicht: Der Kläger wird zu Nebenleistungen herangezogen, weil seine eigene Steuerschuld zu seinem Vorteil verkürzt worden ist.
c) Bei der Inanspruchnahme des Klägers als Zinsschuldner hatte das FA keinen Ermessensspielraum (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1985 VI R 137/82, BFHE 144, 217, BStBl II 1985, 660; Tipke/Kruse, a. a. O., § 191 AO 1977 Tz. 6). Dies gilt ungeachtet des Umstandes, daß als Haftungsschuldner in Betracht kommende Personen die zu verzinsenden Steuerbeträge hinterzogen haben. Zwar ist die Inanspruchnahme eines Haftenden unter ermessensrechtlichen Gesichtspunkten regelmäßig gerechtfertigt, wenn dieser vorsätzlich zur Steuerverkürzung beigetragen hat (BFH-Urteil vom 24. Oktober 1979 VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 58). Indes wird hierdurch die unbedingte Pflicht des FA, eine kraft Gesetzes entstandene Steuer oder steuerliche Nebenleistung nach Maßgabe des Gesetzes beim Schuldner festzusetzen und zu erheben, nicht abgeschwächt.
Die Entscheidung des FA, den Kläger als Zinsschuldner zur Zahlung heranzuziehen, wäre auch dann nicht fehlerhaft, wenn aus dem Urteil des VII. Senats des BFH vom 12. April 1983 VII R 3/80 (BFHE 138, 157) zu entnehmen sein sollte, daß es ermessensfehlerhaft ist, den Hinterzieher von der Haftung freizustellen. Das FA hatte festgestellt, daß zugriffsfähiges Vermögen der Hinterzieher nicht zu ermitteln war. Konnte das FA den Zinsbetrag bei den Haftungsschuldnern nicht beitreiben, mußte es den Zinsbetrag beim Schuldner erheben (vgl. BFH-Urteile vom 28. Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573; vom 7. Juli 1983 V R 197/81, BFHE 139, 310, BStBl II 1984, 70). Der Kläger hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß das FA bei seinen Entscheidungen - Zinsbescheid und Einspruchsentscheidung - von einem fehlerhaft ermittelten Sachverhalt ausgegangen wäre.
3. a) Dem FG ist darin zuzustimmen, daß die Frage, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen gegen die Gesellschafter der A KG auf Hinterziehungshandlungen beruhen, im Verfahren einer einheitlichen und gesonderten Feststellung zu klären ist.
Nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind auf Zinsen die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Hierzu gehören insbesondere §§ 155 ff. AO 1977 betreffend die Steuerfestsetzung und §§ 179 ff. AO 1977, die sich mit der ,,gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen" (Überschrift zu diesem Unterabschnitt) befassen. Nach § 179 Abs. 1 AO 1977 werden abweichend von § 157 Abs. 2 AO 1977 die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt, soweit dies in diesem Gesetz oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist. Gesondert festgestellt werden nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 u. a. einkommensteuerpflichtige Einkünfte, ,,wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind". Die erstgenannte Voraussetzung liegt vor, wenn die beteiligten Personen in bezug auf das Erzielen von Einkünften gemeinschafts- oder gesellschaftsrechtlich verbunden und die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen Sachverhaltsmerkmale ein und derselben - gemeinsamen - Einkunftsquelle sind.
Die Voraussetzungen für eine ,,entsprechende" Anwendung dieser Regelung (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 i. V. m. den §§ 179 ff. AO 1977) sind im Streitfall erfüllt. ,,Festsetzungsgrundlagen" sind - in Entsprechung zu den in § 179 Abs. 1 AO 1977 definierten ,,Besteuerungsgrundlagen" - diejenigen Tatbestandsmerkmale, deren Verwirklichung den Zinsanspruch entstehen läßt (§ 38 AO 1977). Rechtsgrund für die Entstehung des Zinsanspruchs ist - neben der Verkürzung von Steuern oder der Erlangung eines Steuervorteils - das ,,Begehen der Steuerhinterziehung" (vgl. § 235 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Im Streitfall werden die Rechtsfolgen der nämlichen Hinterziehungshandlung dem Kläger wie auch den übrigen Anlegern nach § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zugerechnet.
Dieses Gesetzesverständnis entspricht, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, den mit der einheitlichen und gesonderten Feststellung verfolgten Zwecken einer Gleichmäßigkeit der Abgabenerhebung und der Verwaltungsvereinfachung (vgl. hierzu Tipke/Kruse, a. a. O., § 180 AO 1977 Tz. 79).
Das Urteil des BFH vom 27. April 1982 VIII R 131/80 (BFHE 136, 42, BStBl II 1982, 636) und der Beschluß des BFH vom 30. September 1986 IX B 47/86 (BFHE 147, 482, BStBl II 1987, 10), auf die sich das FA beruft, stehen der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Diese Entscheidungen sind ergangen zu § 180 Abs. 2 AO 1977 in der bis zur Neufassung durch Art. 1 Nr. 31 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) geltenden Fassung (§ 180 Abs. 2 AO 1977 a. F.); sie betreffen die auch für eine entsprechende Anwendung des § 180 AO 1977 nicht einschlägige Frage, wann mehrere Personen ,,an dem Gegenstand der Einkünfte beteiligt sind".
b) Soweit der angefochtene Zinsbescheid die einheitlich und gesondert zu treffende Feststellung vorwegnimmt, ist er nicht durch § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3 AO 1977 gedeckt.
Durch diese Vorschriften ist das Erfordernis der gesonderten Feststellung (§ 180 Abs. 1 AO 1977) nicht beseitigt, sondern nur modifiziert worden. Hieraus sowie aus dem Wortlaut des § 155 Abs. 2 AO 1977 folgt, daß die Erteilung des angefochtenen Zinsbescheides und die Schätzung der einheitlich und gesondert festzustellenden Festsetzungsgrundlagen nur als vorläufige Maßnahme unter der Voraussetzung zulässig ist, daß sich der Erlaß des Grundlagenbescheids zwar verzögerte, seine Erteilung aber beabsichtigt war (BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, 339, BStBl II 1984, 290). Die Maßnahme des Wohnsitz-FA muß ,,vorläufig" sein. Bei der Anwendung der genannten Vorschriften genügt es nicht, daß sich das FA intern der Notwendigkeit eines Grundlagenbescheides bewußt ist. Für den Adressaten des Folgebescheids muß aus diesem Bescheid selbst oder aber aus den Umständen eindeutig zu erkennen sein, daß eine bestimmte Besteuerungs- bzw. Festsetzungsgrundlage von der Regelung in einem Grundlagenbescheid abhängig ist. Insoweit gelten die zu § 165 AO 1977 entwickelten Rechtsgrundsätze (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 165 AO 1977 Tz. 7 m. w. N.). Der Adressat des Bescheides muß verläßlich beurteilen können, ob und in welchem Umfang der Bescheid materiell bestandskräftig wird, insbesondere, ob ihm ein endgültiger Rechtsverlust droht, wenn er den Bescheid nicht anficht. Dies erfordert das aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleitete Prinzip der Rechtsmittelklarheit (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluß vom 9. August 1978 2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, 163 ff.). Diesen Anforderungen des § 155 Abs. 2 AO 1977 genügt der angefochtene Bescheid nicht.
4. Das noch nicht abgeschlossene Feststellungsverfahren ist vorgreiflich im Sinne des § 74 FGO. Hat das Wohnsitz-FA nicht im Verfahren nach § 155 Abs. 2 AO 1977 einen (Zins-)Bescheid mit nach § 162 Abs. 3 AO 1977 geschätzten Festsetzungsgrundlagen erlassen, sondern beim Erlaß dieses Bescheides seine Zuständigkeit zur endgültigen Entscheidung zu Unrecht in Anspruch genommen, so muß das Gericht das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen, um den Ausgang eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abzuwarten (Urteil in BFHE 139, 335, 340, BStBl II 1984, 290; seither ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Urteile vom 5. März 1985 IX R 11/85, BFH/NV 1987, 341; vom 29. April 1987 I R 167/83, BFH/NV 1987, 629). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Die Sache geht an das FG zurück, das bei der hier gegebenen Verfahrenslage wegen der noch nicht bestandskräftigen gesonderten Feststellung der Festsetzungsgrundlagen das Verfahren nach § 74 FGO aussetzen muß.
Fundstellen