Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
überläßt ein Pflanzenzüchter einem anderen Unternehmer Samen, damit dieser auf seinem Grundstück für ihn (den Pflanzenzüchter) aus dem Samen Pflanzen zieht, so stellt die Hingabe des Samens durch den Pflanzenzüchter an den anderen Unternehmer eine Lieferung im Sinne des Umsatzsteuerrechts dar.
überläßt ein Pflanzenzüchter einem anderen Unternehmer Sämlinge (aus Samen gezogene Pflanzen), damit dieser die Sämlinge auf seinem Grundstück einpflanzt, pflegt und dem Pflanzenzüchter auf Abruf - regelmäßig nach ein bis drei Jahren - zurückgibt, so stellt die Hingabe der Sämlinge durch den Pflanzenzüchter keinen umsatzsteuerbaren Vorgang, also auch keine Lieferung dar.
Normenkette
UStG § 1 Ziff. 1; UStDB § 2 Abs. 1; UStG § 3/1
Tatbestand
Der Bf., der neben Pflanzenzucht den Handel mit Pflanzen betreibt, gab in den Jahren 1951 bis 1955 Samen und Pflanzen anderen Unternehmern "in Kost". Diese Unternehmer (im folgenden als "Kostnehmer" bezeichnet) hatten sich gegenüber dem Bf. verpflichtet, den Samen und die Pflanzen auf ihren Grundstücken auszusäen bzw. einzusetzen, die heranwachsenden Pflanzen zu pflegen und nach Abruf, den der Bf. in der Regel nach einem bis drei Jahren vornahm, ihm auszuhändigen. Für jede übergebene Pflanze erhielten die Kostnehmer 30 v. H. des von Wiederverkäufern zu zahlenden Listenpreises.
Streit besteht in der Rb. allein darüber, ob das überlassen des Samens und der Pflanzen an die Kostnehmer steuerpflichtige Lieferungen des Bf. darstellen. Das Finanzamt bejahte das Vorliegen von steuerpflichtigen Lieferungen und unterwarf dementsprechend die Hingabe des Saatguts und der Pflanzen an die Kostnehmer der Umsatzsteuer. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht bestätigte dem Grunde nach die Auffassung des Finanzamts, ermäßigte jedoch die Höhe der hier in Betracht kommenden Umsätze aus in der Rb. nicht mehr streitigen Gründen.
Mit der Rb. rügt der Bf. unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er hält an seiner bereits in den Vorinstanzen vertretenen Ansicht fest, daß die Hingabe des Samens und der Pflanzen an die Kostnehmer umsatzsteuerrechtlich nicht als Lieferung behandelt werden könne. Er habe den Kostnehmern den Samen und die Pflanzen nur zur Durchführung von Bearbeitungsmaßnahmen überlassen. Die Kostnehmer hätten sich ihm gegenüber verpflichtet, den überlassenen Samen und die überlassenen Pflanzen nach den von ihm gegebenen Weisungen zu behandeln. Er, der Bf., habe die Bearbeitungsmaßnahmen der Kostnehmer laufend überwacht. Ferner habe er die Kostpflanzen bei den Kostnehmern vereinbarungsgemäß gedüngt, Spritzmittel und Personal für die Schädlingsbekämpfung gestellt und ggf. für die Abdeckung der Pflanzen bei Frostgefahr gesorgt. Wenn man nun weiter noch berücksichtige, daß die Kostnehmer verpflichtet gewesen seien, ihm alle herangewachsenen Pflanzen herauszugeben, dann könne dem Finanzamt nicht gefolgt werden, wenn es annehme, daß er den Kostennehmern die Verfügungsmacht an dem Samen und an den Pflanzen verschafft habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Senat schließt sich der Vorentscheidung insoweit an, als das Finanzgericht in der Hingabe des Samens an die Kostnehmer steuerpflichtige Lieferungen gesehen hat. Soweit jedoch das Finanzgericht das Vorliegen von Lieferungen auch für die Hingabe von Pflanzen bejaht hat, vermag der Senat ihr nicht zu folgen.
Für die Beurteilung der Frage, ob der Bf. den Kostnehmern den Samen geliefert hat, kommt nach der Auffassung des Senats dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, daß die Kostnehmer Samen erhalten und Pflanzen zurückgegeben haben. Bei den dem Bf. ausgehändigten Pflanzen handelt es sich um Erzeugnisse, die die Kostnehmer auf ihren Grundstücken gewonnen haben. Die Kostnehmer sind bei dem Gewinnen der Pflanzen, das nicht als ein Bearbeiten des von dem Bf. überlassenen Samens angesehen werden kann, im wesentlichen als landwirtschaftliche Urproduzenten tätig geworden. Hieraus folgt, daß im Verhältnis zwischen dem Bf. und dem einzelnen Kostnehmer das Vorliegen einer sonstigen Leistung nicht mehr angenommen werden kann. Es muß vielmehr angenommen werden, daß der Kostnehmer, der die Pflanzen in seinem landwirtschaftlichen Betrieb erzeugt, zuvor die Verfügungsmacht über den Samen erlangt hat. Diese Betrachtungsweise entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, nach dem die Pflanzen aus dem Samen gewonnen werden. Der Samen geht in den Pflanzen auf. Die auf den Grundstücken der Kostnehmer herangezüchteten Pflanzen werden als Erzeugnisse der Kostnehmer angesehen. Beachtliche Gesichtspunkte, die gegen diese Verkehrsauffassung sprechen und eine hierzu im Gegensatz stehende umsatzsteuerliche Beurteilung rechtfertigen könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Umstände, die der Bf. in der Begründung seiner gegenteiligen Auffassung als entscheidend ansieht, berühren den hier maßgebenden Vorgang der originären Gewinnung der Pflanzen durch den Kostnehmer nicht. Sein Hinweis, daß er den Kostnehmern den Samen überlassen habe und daß diese verpflichtet gewesen seien, ihm auf Abruf sämtliche herangezüchteten Pflanzen auszuhändigen, vermag nichts daran zu ändern, daß die Kostnehmer die Pflanzen erzeugt haben.
Soweit jedoch der Bf. den Kostnehmern bereits Pflanzen "in Kost" gegeben hat, hält der Senat für maßgebend, daß hier - im Gegensatz zu dem eben erörterten Sachverhalt - die Kostnehmer nicht erst die Pflanzen gewonnen haben. Die Kostnehmer haben nach Ablauf der Pflegezeit dem Bf. dieselben Pflanzen ausgehändigt, die er ihnen überlassen hat. Zwar sind auch diese Pflanzen in der Zeit, in der sie auf den Feldern der Kostnehmer ausgepflanzt waren, gewachsen; dennoch sind sie nach wie vor die Pflanzen geblieben, die der Bf. den Kostnehmern überlassen hat. Die Verhältnisse liegen hier in den entscheidenden Punkten nicht anders als in dem Fall, in dem ein Händler bei einem Landwirt Vieh in Pflege gibt. Die zwischen dem Bf. und den Kostnehmern abgeschlossenen Verträge haben wirtschaftlich gesehen die übernahme von Pflegemaßnahmen durch den einzelnen Kostnehmer an den ihm überlassenen Pflanzen zum Gegenstand. Diese Beurteilung kann nicht dadurch eine änderung erfahren, daß die überlassenen Pflanzen spätestens mit dem Einpflanzen in das Grundstück des Kostnehmers in dessen Eigentum übergegangen sind (ß 946 BGB). Den sachenrechtlichen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts kann für die Beurteilung der Frage, ob der Kostnehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts die Verfügungsmacht über die ihm überlassenen Pflanzen erhalten hat, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Die Entscheidung kann insbesondere nicht davon abhängen, ob der Kostnehmer Eigentümer des Grundstücks ist, in das er die Pflanzen einsetzt, oder ob er es lediglich gepachtet hat. Der Senat vermag sich daher nicht der in der Vorentscheidung vertretenen Auffassung anzuschließen, daß der Bf. die Pflanzen an die Kostnehmer geliefert habe. Die Pflegemaßnahmen an den überlassenen Pflanzen stellen vielmehr sonstige Leistungen im Sinne des Umsatzsteuerrechts dar.
Fundstellen
Haufe-Index 410522 |
BStBl III 1962, 543 |
BFHE 1963, 762 |
BFHE 75, 762 |