Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Umfang der Hinweispflichten des Gerichts; Verletzung rechtlichen Gehörs; Sanierungsgewinn bei Beteiligung der öffentlichen Hand
Leitsatz (NV)
1. Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden gerichtlichen Hinweispflichten richten sich nach der Sach- und Rechtslage des Einzelfalles, nach der Mitwirkung der Beteiligten und deren individuellen Möglichkeiten. Die Hinweispflichten sind zwar bei fachkundig vertretenen Beteiligten beschränkt, sie entfallen indessen auch bei ihnen nicht von vornherein.
2. Verletzung rechtlichen Gehörs wegen unterlassenen Hinweises auf mangelnden Beweiswert eines amtlichen Schreibens zur Sanierungsabsicht.
3. Steuerfreier Sanierungsgewinn bei Beteiligung der öffentlichen Hand: Erlaß einer Rückgriffsforderung - Sanierungsabsicht - Sanierungsbedürftigkeit.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1-2, § 81 Abs. 1, § 119 Nr. 3, § 120 Abs. 2 S. 2, § 126 Abs. 4; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 106 Abs. 3, Art. 108 Abs. 3; EStG § 3 Nr. 66; BGB § 271 Abs. 2, §§ 397, 774
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt seit 1982 in der Rechtsform einer KG den Bau und Erwerb von Frachtmotorschiffen sowie deren Bereederung. Ende 1983 übernahm sie das Motorschiff A von der ... Werft in X. Es handelte sich um das vorletzte Schiff aus einer Serie von Containerschiffsneubauten, die Einzelschiff-Gesellschaften - insgesamt weitere fünf -, jeweils mit Z als persönlich haftendem Gesellschafter der Reedereigruppe Z, bei dieser Werft hatten bauen lassen.
Anstelle von Z trat 1986 die vermögensmäßig nicht beteiligte Z Verwaltungsgesellschaft mbH als persönlich haftende Gesellschafterin in die Klägerin ein. Das Kommanditkapital wird von zahlreichen Gesellschaftern nach Art einer Publikumsgesellschaft gehalten. Es betrug seit Gründung ... DM und wurde 1987 im Rahmen einer Sanierung der Gesellschaft um bis zu ... DM erhöht. 1987 bestanden außerdem stille Beteiligungen an der KG in Höhe von insgesamt ... DM.
Die Klägerin erlitt seit ihrer Gründung erhebliche Verluste, und zwar 1982 ... DM, 1983 ... DM, 1984 ... DM (festgestellter Verlust), 1985 ... DM, 1986 ... DM.
In der Bilanz der KG auf den 31. Dezember 1986 stehen einem Aktivvermögen von ... DM durch Schiffshypotheken gesicherte Fremdverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt ... DM gegenüber. Diese setzten sich zusammen aus erststelligen langfristigen Verbindlichkeiten in Höhe von ... DM mit Tilgungsaussetzungen sowie rückständigen Tilgungsraten. Für das zweitstellige Konsortialdarlehen über ... DM hatte die Stadt X eine Ausfallbürgschaft bis zur Höhe von 80 v.H., höchstens bis zu einem Betrag von ... DM, zuzüglich Zinsen, übernommen.
Infolge des in den 80er Jahren eingetretenen starken Verfalls der Charterraten konnte die Klägerin 1986 die Tilgungsraten nicht mehr erwirtschaften. Bei den fünf übrigen zur Unternehmensgruppe Z gehörenden Gesellschaften war die Fortführung noch gefährdeter und ohne umfassende Sanierungsmaßnahmen nicht möglich. Die Bankkonsortien erklärten sich zur Sanierung dieser Gesellschaften nur unter Einbeziehung der Klägerin in ein Gesamtkonzept bereit, um auch bei ihr einer Insolvenzgefahr rechtzeitig zu begegnen.
Der Sanierungsplan der Reederei des Z sah einerseits zur Gewinnung liquider Mittel eine Kapitalerhöhung und andererseits eine Entschuldung hinsichtlich der zweitstelligen Darlehen vor.
Die an der Sanierung beteiligten Personen einigten sich schließlich auf nachstehende Maßnahmen:
- Erhöhung des Gesellschaftskapitals bei der Klägerin um bis zu ... DM und
- ein Rahmenabkommen zwischen der Stadt X als Bürgin, einem Bankenkonsortium unter Führung der ... Bank AG, der Z-Reedereigesellschaft einschießlich der Klägerin und Z als deren persönlich haftender Gesellschafter bzw. Geschäftsführer.
Die Gesellschafter der Klägerin beschlossen die Kapitalerhöhung am 29. Juni 1987, die je hälftig zum 15. September 1987 und zum 30. Juni 1988 einzuzahlen war. Das am 3. Juli 1987 abgeschlossene Rahmenabkommen legt u.a. fest, daß die Bank und die Bürgin den Ausfall hinsichtlich des zweitstelligen Darlehens als eingetreten ansehen, sobald und soweit die KG etwaige Zinsrückstände ausgeglichen und - anteilig - eine ausschließlich auf den verbürgten Betrag anzurechnende Sondertilgung in Höhe von ... DM geleistet habe.
Die Bürgin ihrerseits hatte auf das Restdarlehen Ausfallzahlungen an die Bank zu leisten. Sie verzichtete auf einen Rückgriff gegen die Reedereigesellschaften und den Reeder, und zwar bezüglich der anderen Reedereigesellschaften unter der weiteren Voraussetzung, daß diese sog. Besserungsschein-Vereinbarungen zeichneten.
Der Regreßverzicht der Bürgin sollte mit Unterzeichnung des Rahmenabkommens wirksam werden, jedoch unter der auflösenden Bedingung der rechtzeitigen Zahlung der Sondertilgung, des Ausgleichs von Zinsrückständen und der Zeichnung der jeweiligen Besserungsscheine. Außerdem behielt sich die Bürgin ein Rücktrittsrecht für den Fall vor, daß nicht sämtliche Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 1987 erfüllt worden seien.
Die Stadt X hatte bereits zum 16. März 1987 einen Betrag von ... DM an die ... Bank AG überwiesen. Den darin enthaltenen Zinsanteil in Höhe von ... DM zahlte die Bank zurück, weil die Klägerin diesen Betrag bereits beglichen hatte. Die Klägerin leistete außerdem an die Stadt X zum 29. Oktober 1987 die vereinbarte Sondertilgung über ... DM.
Mit Schreiben vom 3. Juni 1987 bestätigte die Stadt X, daß sie den Schulderlaß gegenüber der Reedereigruppe Z in Sanierungsabsicht i.S. von § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewähren werde. Die Sanierungsmaßnahme der Stadt X verfolge den Zweck, die Reedereigesellschaften zu erhalten und ihnen eine Überlebenschance zu geben. In einem Schreiben vom 9. Juni 1987 an die Klägerin führt die ... Bank AG u.a. aus, ein wesentlicher Sanierungsbeitrag liege darin, daß die Banken wiederholt die Tilgungen ausgesetzt und weitere Erleichterungen eingeräumt hätten. Nach weiteren Verlusten in den Jahren 1987 (... DM) und 1988 (... DM) ermittelte die Klägerin für 1989 erstmals einen Überschuß von ... DM. Die langfristigen Verbindlichkeiten waren auf ... DM zurückgeführt worden.
Die Klägerin wies in der Bilanz auf den 31. Dezember 1987 (Streitjahr) einen Sanierungsgewinn in Höhe von ... DM aus (Erlaß des zweitstelligen Darlehens in Höhe von ... DM ./. anteiliger Sondertilgung von ... DM und Gebühren in Höhe von ... DM). Anstelle des erklärten Verlustes von ... DM stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf + ... DM fest (Feststellungsbescheid vom 7. Februar 1989). Es anerkannte lediglich in Höhe des nicht verbürgten Darlehensanteils von ... DM einen steuerbefreiten Schulderlaß.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision macht die Klägerin Verletzung formellen (§ 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und materiellen Rechts (§ 3 Nr. 66 EStG) geltend.
Das Finanzgericht (FG) hätte darauf hinweisen müssen, daß es das Schreiben der Stadt X vom 3. Juni 1987 zum Nachweis der Sanierungsabsicht i.S. des § 3 Nr. 66 EStG für unzureichend halte (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 19. April 1983 VI ZR 253/81, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP - 1983, 738).
Die Klägerin hätte dann Zeugenbeweis durch Benennung eines sachkundigen Vertreters der Stadt X zur Sanierungsabsicht angetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Die Verfahrensrüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -, § 96 Abs. 2 FGO) durch unterlassene Hinweise gemäß § 76 Abs. 2 FGO ist begründet.
a) Die Rüge ist schlüssig erhoben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Mai 1990 V R 17/85, BFH/NV 1991, 201; Beschluß vom 14. Juni 1988 V B 38/88, BFH/NV 1989, 373, 374). Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf das angefochtene Urteil dargetan, daß das FG die schriftliche Erklärung der Stadt X vom 3. Juni 1987 als nicht ausreichend konkrete Darlegung der Sanierungsabsicht i.S. des § 3 Nr. 66 EStG angesehen hat, ohne indessen die Klägerin auf den aus seiner Sicht unzureichenden Beweiswert des amtlichen Schreibens hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu weiterem Tatsachenvortrag, insbesondere zu Beweisantritten für eine Einvernahme kompetenter Vertreter der Stadt X, zu geben. Ausführungen zur Ursächlichkeit sind entbehrlich, da ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 119 Nr. 3 FGO gerügt wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Tz. 2 m.w.N.).
b) Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende u.a. darauf hinzuwirken, daß sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
Das Gericht ist deshalb nicht gehalten, Rechtsrat zu erteilen und die Streitsache umfassend rechtlich zu erörtern, insbesondere eine Beweiswürdigung vorwegzunehmen (vgl. BFH-Urteile vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711, 713; vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409, 412). Die Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO betrifft weniger die eigene Aufklärung durch das Gericht als vielmehr die aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben eines fairen Verfahrens, einer effektiven Rechtsschutzgewährung und in Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen abzuleitenden Verpflichtung des Gerichts, den Beteiligten Schutz und Hilfestellung zu geben (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1991 XI R 13/90, BFH/NV 1992, 609 m.w.N.; Gräber/von Groll, a.a.O., Tz. 7 vor § 76; § 76 Tz. 40).
Inhalt und Umfang dieser Hinweispflichten sind von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles abhängig (BFH-Urteil vom 12. Februar 1985 IX R 114/83, BFHE 143, 431, BStBl II 1985, 690, 692), von der Mitwirkung der Beteiligten (BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, 42, BStBl II 1989, 462, 464) und von deren individuellen Möglichkeiten (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1989 II R 147/85, BFHE 158, 462, BStBl II 1990, 188). Die Hinweispflicht entfällt auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten nicht von vornherein, selbst wenn insoweit der Umfang eingeschränkt sein kann (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 29. März 1968 IV C 27/67, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1968, 1842; vom 22. Februar 1980 4 C 61.77, Deutsches Verwaltungsblatt - DVBl - 1980, 598, 599).
c) Die Besonderheiten des Streitfalls hätten das Gericht veranlassen müssen, die Klägerin auf die seiner Ansicht nach nicht ausreichenden Darlegungen zum Merkmal der Sanierungsabsicht i.S. von § 3 Nr. 66 EStG aufmerksam zu machen und ihr Gelegenheit zu ergänzendem Tatsachenvortrag mit weiteren Beweisantritten zu geben.
Es trifft zu, daß die Frage der Sanierungsabsicht bereits im Rechtsbehelfsverfahren streitig war und vom FA das Schreiben der Stadt X vom 3. Juni 1987 in der Einspruchsentscheidung vom 27. August 1990 - freilich ohne eigenständige Würdigung - nicht als ausreichender Beleg für die Sanierungsabsicht angesehen worden ist. Wie dem der Klagebegründung vom 13. Dezember 1990 als Anlage II beigefügten Schreiben der klägerischen Prozeßbevollmächtigten an den Finanzminister des Landes Y vom 17. September 1987 zu entnehmen ist, hat auch dieser offenbar das vorgenannte Schreiben der Bürgin nicht als ausreichenden Beleg akzeptiert. Schließlich hatte die steuerlich beratene Klägerin die höchstrichterliche Rechtsprechung zu berücksichtigen, daß bei einem Schulderlaß nur einzelner Gläubiger im Einzelfall zu prüfen ist, ob dabei die Gesundung des Unternehmens bzw. die Abwendung eines bevorstehenden Zusammenbruchs vom Gläubiger zumindest maßgeblich mitbeabsichtigt war (vgl. BFH-Urteile in BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711, 713 m.w.N.; vom 20. Februar 1986 IV R 172/84, BFH/NV 1987, 493; vom 26. November 1980 I R 52/77, BFHE 132, 72, 75, BStBl II 1981, 181). In einem solchen Fall ist die Sanierungsabsicht besonders darzulegen.
Mit dem Schreiben vom 3. Juni 1987 bestätigte der Vertreter der Stadt X mit eigener Unterschrift, daß diese den Schulderlaß gegenüber der Reedereigruppe Z in Sanierungsabsicht i.S. von § 3 Nr. 66 EStG gewähren werde und deren Sanierungsmaßnahmen den Zweck verfolgten, die Reedereigesellschaften zu erhalten und ihnen eine Überlebenschance zu geben. Dieses Schreiben muß im Zusammenhang mit dem gesamten Sachverhalt, vor allem der Vorgeschichte, gewürdigt werden, der dem FG durch weitere, der Klagebegründung beigefügte Schriftstücke unterbreitet worden war. Insbesondere in dem Rahmenabkommen vom 3. Juli 1987, in welchem die Bürgin beteiligt war, sind unter Ziff.4 und 8 verbindlich die Voraussetzungen niedergelegt worden, unter denen der Regreßverzicht der Bürgin wirksam werden sollte. Die Ausfallzahlungen der Bürgin vom 16. März 1987 an das Bankenkonsortium sind überhaupt nur vor dem Hintergrund der Sanierungsverhandlungen erklärbar, die schon in das Jahr 1986 zurückreichen. Wenn der nicht nur für die Wirtschaftsförderung, sondern ebenso für die Steuerverwaltung zuständige Vertreter der Stadt X ausdrücklich eine Sanierungsabsicht bestätigt, kann nicht davon ausgegangen werden, daß die steuerrechtliche Bedeutung und Tragweite dieses Begriffs verkannt und deshalb wegen unzutreffender Würdigung des Sachverhalts eine von vornherein nicht aussagekräftige Bescheinigung erteilt wird. Selbst wenn das Land Y an die rechtliche Würdigung durch ein anderes Bundesland nicht gebunden war (vgl. Art. 108 Abs. 3, 106 Abs. 3 GG), konnte die Klägerin gleichwohl von der Beweiskraft dieses Schriftstückes auch im Klageverfahren ausgehen. Der in Aussicht gestellte Schulderlaß war keineswegs völlig offen, wie das FA meint, sondern bereits gesicherter Bestandteil des Sanierungskonzepts. Wollte das FG von dieser fachkompetenten Aussage abweichen und nicht von Amts wegen den Sachverhalt erforschen (§ 76 Abs. 1 FGO), so war es unter diesen Umständen jedenfalls gehalten, die Klägerin zu ergänzendem Vortrag und weiterer Beweisführung aufzufordern (vgl. auch die BGH-Urteile vom 15. Januar 1981 VII ZR 147/80, NJW 1981, 1378; vom 19. April 1983 VI ZR 253/81, Versicherungsrecht - VersR - 1983, 667, jeweils zu der vergleichbaren Vorschrift des § 139 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 51. Aufl., § 139 Tz. 54). Hinzu kommt, daß der Klägerin die internen Erwägungen des Vertreters der Stadt X keineswegs in vollem Umfang bekannt sein mußten, selbst wenn sie wiederholt mit diesem verhandelt hatte. In dieser Situation war unmittelbarer Zeugenbeweis unumgänglich, auch um eine Beweiswürdigung nicht unzulässig vorwegzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1985 II R 12/84, BFH/NV 1985, 41). Weder der Sitzungsniederschrift vom 10. Dezember 1991 noch dem angefochtenen Urteil läßt sich entnehmen, daß das FG seiner Hinweispflicht nachgekommen ist.
2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der BFH als Revisionsgericht auf die Prüfung des Verfahrensfehlers beschränkt, wenn ein solcher geltend gemacht wird und durchgreift. Hier ist der absolute Revisionsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs nach § 119 Nr. 3 FGO gegeben. In diesem Fall muß die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden, ohne daß dem BFH eine Entscheidung der materiellen Streitfrage gestattet wäre (vgl. BFH-Urteile vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242, 244; vom 17. Januar 1986 VI R 181/82, BFH/NV 1986, 422; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Tz. 3).
Im Streitfall liegen auch keine Gründe vor, die ausnahmsweise eine Entscheidung entsprechend § 126 Abs. 4 FGO erlauben würden (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juli 1989 IX R 192/85, BFH/NV 1990, 229, 230; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Tz. 14); denn das FG hält nach seiner maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 201, 202, ständige Rechtsprechung) einen ergänzenden Vortrag für erforderlich und ggf. entscheidungserheblich.
3. Der Senat gibt ohne Bindung des FG aus prozeßökonomischen Gründen zur Sache folgende Hinweise:
a) Unbedenklich ist die Annahme eines wirksamen Erlasses der Rückgriffsforderung gemäß § 397 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Zivilrechtlich entsteht der Rückgriffsanspruch aufschiebend bedingt bereits mit der Übernahme der Bürgschaft. Bedingung ist die Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen (BGH-Urteil vom 1. Juli 1974 II ZR 115/72, NJW 1974, 2000, 2001; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 51. Aufl., § 774 Rz. 5). Dem Bürgen stehen alle Rechte eines Schuldners zu. Deshalb kann er nach § 271 Abs. 2 BGB auch vorzeitig leisten. Der gesetzliche Übergang der Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner gemäß § 774 BGB ist allein an die Erfüllung der Bürgschaft geknüpft. Leistet der Bürge freiwillig, so ist es unerheblich, ob der Gläubiger auch schon die Leistung von ihm hätte fordern können.
b) Zu den Voraussetzungen der Sanierungsbedürftigkeit verweist der Senat auf sein Urteil in BFH/NV 1991, 806 m.w.N., zur Sanierungseignung auf das Urteil in BFH/NV 1991, 821, 822. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob der Schulderlaß allein oder zusammen mit anderen - auch nicht steuerbefreiten - Maßnahmen das Überleben des Betriebes zu sichern geeignet war (vgl. BFH-Urteile vom 19. März 1993 III R 79/91, BFH/NV 1993, 536, 537; in BFH/NV 1987, 493; vom 22. Januar 1985 VIII R 37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501). Zu derartigen Sanierungsmaßnahmen zählt insbesondere auch die Zuführung neuen Eigenkapitals (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 1986 IV R 282/84, BFHE 146, 549, BStBl II 1986, 672; Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Tz. 65p).
c) Zum Merkmal der Sanierungsabsicht nimmt der Senat auf die folgenden Entscheidungen Bezug: BFH-Urteile in BFH/NV 1993, 536; vom 22. Januar 1991 VIII R 12/88 (BFH/NV 1991, 806, 807); in BFH/NV 1987, 493; in BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181.
Eine Sanierungsabsicht ist verneint worden, wenn der Gläubiger Forderungen erläßt, weil er erkennbar besonders an der Fortführung seiner Geschäftsbeziehungen mit dem Schuldner interessiert ist (BFH-Urteil in BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711, 714; vom 22. November 1983 VIII R 14/81, BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472, 474; in BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181) oder er durch den Teilerlaß den Erhalt der Restforderung sichern wollte, weil er wirtschaftlich darauf angewiesen war (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 12. Oktober 1938 VI 321/38, RStBl 1939, 86; BFH-Urteil in BFH/NV 1989, 436).
Insoweit kommt es allein auf die Vorstellungen des Gläubigers an (BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 806, 807; in BFH/NV 1987, 493; vom 24. April 1986 IV R 31/85, BFH/NV 1987, 635).
In der Rechtsprechung ist auch bei einem Erlaß von Steuerschulden durch die öffentliche Hand eine steuerbefreite Sanierungsmaßnahme für möglich angesehen worden (vgl. RFH-Urteil vom 14. Februar 1939 I 321/38, RStBl 1939, 761; BFH-Urteil vom 27. Mai 1964 I 190/62 U, BFHE 79, 553, BStBl III 1964, 434 m.w.N.; Scholtz, a.a.O., § 3 Tz. 65 m.w.N.) und bei sonstigen Verbindlichkeiten jedenfalls keine Einschränkungen gegenüber Privatgläubigern vorgenommen worden.
Fundstellen
Haufe-Index 64575 |
BFH/NV 1994, 790 |