Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsfrist bei Zustellung an mehrere Prozeßbevollmächtigte gegen Empfangsbekenntnis
Leitsatz (NV)
1. Zum Beginn der Revisionsfrist bei Zustellung des FG-Urteils an mehrere Prozeßbevollmächtigte.
2. Zur Vertretung bei der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis durch einen Büroangestellten.
3. Der auf einem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelltag ist dann nicht maßgebend, wenn er nachgewiesenermaßen unzutreffend ist.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 1 S. 1; VwZG § 5 Abs. 2; ZPO § 418 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte wegen erheblicher Zuschätzungen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) zu den von ihm erklärten Einkünften aus Gewerbebetrieb nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Er war im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) durch den Rechtsanwalt A und den Steuerberater B vertreten. Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es stellte sein Urteil beiden Prozeßbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis zu. A bestätigte den Empfang der Entscheidung am 11. April 1985. Das für B bestimmte Empfangsbekenntnis weist als Tag des Urteilsempfangs den 6. April 1985 (Ostersamstag) aus; es ist beim FG am 10. April 1985 (wieder) eingegangen.
Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Revision eingelegt. Die von A verfaßte Revisionsschrift ist am 9. Mai 1985 beim FG eingegangen.
Der Vorsitzende des erkennenden Senats sah (zunächst) den 6. April 1985 als maßgebend für die Zustellung des angefochtenen Urteils an und wies A auf den demnach verspäteten Eingang der Revisionsschrift sowie auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) hin.
Die nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers haben daraufhin mehrere eidesstattliche Versicherungen sowie Kopien der ersten Seite der für B bestimmten Urteilsausfertigung nebst des dazugehörigen Begleitschreibens des FG und einer Rechnung des Reisebüros R vorgelegt und führen - soweit für die Entscheidung des Senats von Bedeutung - aus: Das für B bestimmte Empfangsbekenntnis habe nicht dieser selbst unterschrieben. Das habe vielmehr dessen langjähriger Bürovorsteher und Bevollmächtigter K getan. Dieser sei auch zur Entgegennahme von Empfangsbekenntnissen bevollmächtigt gewesen; er habe darüber hinaus Vollmacht gehabt, mit B`s Namen zu unterzeichnen. B selbst habe erst am 19. April 1985 vom Urteil des FG Kenntnis erhalten. Er sei in der Zeit vom 4. bis zum 18. April 1985 zusammen mit seiner Ehefrau auf einer Urlaubsreise (auf Mallorca) gewesen. Auch K habe sich während der Osterfeiertage nicht in den Kanzleiräumen (des B) aufgehalten. Er habe diese nach dem 4. April 1985 (Gründonnerstag) erstmals wieder am 9. April 1985 betreten. An Samstagen ausgetragene, für die Kanzlei des B bestimmte Postsendungen würden entweder im Hausflur vor der Bürotür abgelegt oder von der im selben Haus wohnenden Frau C entgegengenommen und ins Bürosekretariat gelegt. Die Samstagspost erhalte dann am folgenden ersten Arbeitstag das Posteingangsdatum vom Samstag. So erkläre es sich auch, daß das für B bestimmte Empfangsbekenntnis das Datum vom 6. April 1985 trage.
Der Kläger hat mit dem FA wegen einer außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits verhandelt, ohne daß (bisher) eine Einigung erzielt werden konnte. Er hat noch keinen Antrag in der Sache selbst gestellt.
Der Kläger regt nunmehr an, vorab über die Zulässigkeit seiner Revision zu entscheiden.
Das FA hat beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist fristgemäß eingelegt worden und mithin insoweit zulässig.
1. Der Senat hält es für zweckmäßig, darüber, ob die Revision des Klägers fristgerecht eingelegt wurde, vorab zu entscheiden (§§ 121, 124, 97 FGO; vgl. auch das Zwischenurteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1975 II R 159/73, BFHE 115, 302, BStBl II 1975, 516). Auf diese Weise wird die zwischen den Verfahrensbeteiligten insoweit bestehende Ungewißheit beseitigt.
2. Die Revision des Klägers ist am 9. Mai 1985 (noch) fristgemäß beim FG eingegangen.
a) Das Rechtsmittel der Revision ist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Wird die anzufechtende Entscheidung - wie im Streitfall - mehreren Prozeßbevollmächtigten zugestellt, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) für den Beginn der Rechtsmittelfrist die zeitlich erste Zustellung maßgebend (siehe aus jüngerer Zeit die Beschlüsse vom 21. Dezember 1983 1 B 152/83, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 2115, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1985, 45, und vom 29. Januar 1980 2 B 76/79, NJW 1980, 2269, HFR 1981, 387). Von dieser Rechtsauffassung geht auch der VI. Senat des BFH aus (siehe Beschluß vom 29. Juli 1983 VI R 46 /80, NV). Ob ihr der erkennende Senat ebenfalls zustimmen könnte, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Denn die Revision des Klägers ist auch dann noch fristgemäß eingelegt worden, wenn - entgegen der Auffassung des Klägers - die erste wirksame Zustellung als die maßgebende angesehen wird.
b) Als erste wurde im Streitfall die Zustellung an B wirksam. Dies geschah (aber erst) am 9. April 1985.
aa) Das FG hatte die angefochtene Entscheidung nach § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) gegen Empfangsbekenntnis zugestellt (siehe auch das der Urteilsausfertigung beigefügte Begleitschreiben). Das für B bestimmte Empfangsbekenntnis war von dessen Bürovorsteher K unterzeichnet worden.
K war nach eigenem Bekunden und jenem des B (siehe die eidesstattlichen Versicherungen beider vom 4. März 1986) ermächtigt, in Abwesenheit des B Zustellungen entgegenzunehmen und die betreffenden Empfangsbekenntnisse für B (mit dessen Namen) zu unterzeichnen. Der Senat hat keinen Anlaß, an der Richtigkeit dieser Darstellung zu zweifeln. Sie erscheint schon deshalb überzeugend, weil sich B zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistung auf einer Urlaubsreise im Ausland befand (siehe dazu noch näher unten, Abschn. bb).
Es bestehen auch keine Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit einer derartigen Vertretung. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein Rechtsanwalt rechtlich nicht gehindert, einen Dritten, etwa einen Büroangestellten, in einem Verfahren, in dem eine Vertretung durch Anwälte nicht geboten ist, zur Entgegennahme von Zustellungen nach § 5 Abs. 2 VwZG zu ermächtigen (siehe insbesondere die Urteile vom 10. Juni 1976 IX ZR 51/75, HFR 1977, 36, und vom 21. April 1982 IV a ZB 20/81, HFR 1982, 583). Der erkennende Senat sieht kein Hindernis, das einer Übertragung dieser Grundsätze auf das finanzgerichtliche Verfahren entgegenstehen könnte. Das gilt auch insoweit, als - wie im Streitfall - eine Vertretung durch Steuerberater stattfindet (im selben Sinne auch Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 53 Anm. 54). Ob eine Vertretung bei der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis durch Büroangestellte auch in Verfahren mit Vertretungszwang zulässig ist (so etwa Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 5 VwZG Tz. 3), kann hier offenbleiben. Denn die Zustellung des FG-Urteils gehört noch zum FG-Verfahren; Vertretungszwang besteht (in Steuerstreitigkeiten) erst vor dem BFH (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).
Nach alledem wurde die Zustellung des Urteils an B zu dem Zeitpunkt wirksam als K es als zugestellt entgegennahm (vgl. insoweit z. B. den BFH-Beschluß vom 20. August 1982 VIII R 58/82, BFHE 136, 348, BStBl II 1983, 63).
bb) Dies war nach Auffassung des Senats - entgegen dem auf dem Empfangsbekenntnis angegebenen Datum - aber erst am 9. April 1985 der Fall.
Ein Empfangsbekenntnis liefert zwar grundsätzlich den vollen Beweis für die Richtigkeit des auf ihm angegebenen Empfangsdatums (vgl. § 418 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -); doch ist der schriftlich fixierte Zustelltag dann nicht maßgebend, wenn er nachgewiesenermaßen unzutreffend ist (so u. a. auch die BFH-Entscheidungen vom 23. Juni 1971 I B 12/71, BFHE 102, 457, BStBl II 1971, 723, und in BFHE 136, 348, BStBl II 1983, 63).
Im Streitfall hat der frühere Prozeßbevollmächtigte B des Klägers zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, daß das auf dem Empfangsbekenntnis vermerkte Datum (6. April 1985) nicht mit dem Tag des Empfangs des angefochtenen Urteils übereinstimmt.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß B dieses Datum nicht selbst angebracht hat. Er befand sich zur fraglichen Zeit auf einer Urlaubsreise. Dies belegen überzeugend die eidesstattlichen Versicherungen von ihm selbst, seiner Ehefrau und K sowie die Rechnung des Reisebüros R. Hinzu kommt, daß B das Empfangsbekenntnis nicht selbst unterschrieben hat. Das beweist außer dem Inhalt der oben genannten Versicherungen vor allem ein Vergleich der Unterschriften auf dem Empfangsbekenntnis und auf den von B persönlich unterzeichneten Schriftstücken (siehe insbesondere das Schreiben vom 20. Juli 1985 und die eidesstattliche Versicherung vom 4. März 1986).
Der Senat ist weiter davon überzeugt, daß K, als Bürovorsteher und Bevollmächtigter des B, das Urteil des FG erst am Dienstag nach Ostern, dem 9. April 1985, entgegengenommen und an diesem Tag auch das Empfangsbekenntnis mit dem Datum vom 6. April 1985 versehen und unterzeichnet hat. Die entsprechende Sachverhaltsdarstellung durch K in dessen eidesstattlichen Versicherungen vom 19. Juli 1985 und vom 4. März 1986 ist in sich schlüssig und glaubhaft. Es ist insbesondere nicht ungewöhnlich, daß in einer Steuerberaterkanzlei auf den an Samstagen eingegangenen Postsendungen - am ersten darauffolgenden Arbeitstag - noch das auf den jeweiligen Samstag lautende Eingangsdatum angebracht wird. Auf diese Weise läßt sich z. B. Mandantenpost zeitlich zutreffend, ggf. auch nach der Dringlichkeit der Bearbeitung einordnen. Bei der von K - im übrigen ebenfalls glaubhaft - geschilderten Ablage der Samstagspost war es auch ohne weiteres möglich, diese getrennt von den am nächsten Werktag eingehenden Sendungen der Eingangsbearbeitung zuzuführen.
Der Senat ist schließlich auch davon überzeugt, daß K das Empfangsbekenntnis erst am 9. April 1985, dem Dienstag nach Ostern, unterzeichnet hat. K hat eidesstattlich versichert, erstmals an diesem Tag - nach dem 4. April 1985 (Gründonnerstag) - wieder in der Kanzlei gewesen zu sein. Diese Einlassung ist glaubhaft, da an den Osterfeiertagen (einschließlich des Ostersamstags) in Steuerberaterkanzleien üblicherweise der Geschäftsbetrieb ruht. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die darauf hindeuten, daß es im Streitfall ausnahmsweise anders gewesen sein könnte.
c) Nach alledem ist die Zustellung des angefochtenen Urteils an B (erst) am 9. April 1985 wirksam geworden.
Die Revision ist mithin am 9. Mai 1985 fristgemäß eingelegt worden.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 416220 |
BFH/NV 1989, 646 |