Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Vereinsvorsitzenden
Leitsatz (NV)
1. Der Vorsitzende eines Vereins muß im Haftungsverfahren wegen nicht abgeführter Lohnsteuer die unanfechtbar gewordenen Lohnsteueranmeldungen des Vereins gegen sich gelten lassen, weil er als Vertreter des Vereins in der Lage gewesen wäre, sie anzufechten.
2. Allein das Bemühen des Vereinsvorsitzenden, die zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Vereins benötigten Geldmittel zu beschaffen, schließt eine grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. des §69 AO 1977 nicht aus. Auch ein Vereinsvorsitzender muß notfalls die auszuzahlenden Löhne kürzen, um das FA wegen Lohnsteuer anteilig befriedigen zu können.
Normenkette
AO 1977 § 34 Abs. 1, §§ 35, 69, 166; BGB § 26
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit 1988 erster Vorsitzender eines karitativen Vereins, der mehrere Personen -- unter anderem auch einen Geschäftsführer -- beschäftigte. Der Verein wurde im wesentlichen durch Zuschüsse der Stadt A finanziert. Nachdem der Kläger Anfang Juni 1990 sein Amt niedergelegt hatte, wurde er im Juli 1990 bis zur Neuwahl des Vorstandes im September 1990 zum kommissarischen Vorsitzenden bestellt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) nahm den Kläger wegen angemeldeter, aber nicht abgeführter Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer, Säumniszuschlägen und Verspätungszuschlägen für die Haftungszeiträume Juli und Oktober 1989, Januar und Februar 1990 und April bis Dezember 1990 als Haftungsschuldner gemäß §69 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch. Nachdem bereits im Einspruchsverfahren die Haftungsschuld ohne eine Veränderung der Haftungszeiträume herabgesetzt worden war, führte die Klage des Klägers zur Aufhebung des Haftungsbescheids in der Fassung der Einspruchsentscheidung.
Das Finanzgericht (FG) führte aus, für die Monate Mai und Juni 1990 sowie ab dem Zeitpunkt der Neuwahl des Vereinsvorstandes im September 1990 komme eine Haftung des Klägers schon deshalb nicht in Betracht, weil er während dieser Zeiträume weder gesetzlicher Vertreter noch Verfügungsberechtigter des Vereins gewesen sei. Auch für die restlichen Haftungszeiträume sei der Haftungsbescheid aufzuheben, da dem Kläger ein grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln nicht anzulasten sei; insoweit wird wegen der Begründung des FG auf den Urteilsabdruck in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1274 Bezug genommen.
Mit seiner auf die Haftung für die Monate Juli und Oktober 1989 sowie Januar, Februar, April, Juli und August 1990 beschränkten Revision, die der erkennende Senat insoweit zugelassen hat (Beschluß vom 25. Februar 1997 VII B 190/96) rügt das FA eine Verletzung der §§166 und 69 AO 1977, weil das FG die Drittwirkung der Lohnsteueranmeldungen übersehen und eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers zu Unrecht verneint habe. Soweit das FG es als zweifelhaft angesehen habe, ob die angemeldeten Steuern überhaupt in der angemeldeten Höhe entstanden seien, habe es die sich aus §166 AO 1977 ergebende Drittwirkung der unanfechtbar gewordenen Lohnsteueranmeldungen nicht beachtet.
Das FG habe auch verkannt, daß die Steuerabzugsbeträge Teil des vom Arbeitgeber geschuldeten Bruttoarbeitslohns seien, die dieser bei der Lohnzahlung treuhänderisch einzubehalten und bei Fälligkeit an das FA abzuführen habe. Liquiditätsprobleme könnten den Arbeitgeber von dieser Verpflichtung nicht befreien. Falls die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht ausreichten, dürfe er nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder als Teilbetrag auszahlen, und er müsse aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen. Wenn der Vertreter des Arbeitgebers dieser Verpflichtung nicht nachkomme und darauf vertraue, er werde die Steuerrückstände später ausgleichen können, so gehe er damit bewußt das Haftungsrisiko ein; die Nichtrealisierung dieser Erwartung liege in seiner Risikosphäre. Entgegen der Auffassung des FG habe somit das Bemühen um weitere Zuschüsse für den Verein den Kläger nicht entlasten können. Im Hinblick auf die permanenten finanziellen Schwierigkeiten des Vereins habe er sich nicht auf noch eingehende Gelder verlassen können, um mit diesen die Steuerabzugsbeträge zu entrichten. Erschwerend komme hinzu, daß laufend weitere Löhne ausgezahlt worden seien, bevor die rückständigen Beträge an das FA abgeführt wurden. Die Tatsache laufender weiterer Lohnzahlungen zeige, daß dem Verein auch Gelder zur Verfügung gestanden hätten.
Das FA beantragt, das Urteil des FG hinsichtlich der Lohnsteuerhaftung für die Monate Juli und Oktober 1989, Januar, Februar, April, Juli und August 1990 aufzuheben und insoweit die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er beruft sich auf die Entscheidung des FG. Ergänzend trägt er vor, er habe als ehemaliger Kreisvorsitzender dem Kreisverband Darlehen gegeben, damit darlehensweise Auszahlungen an die Mitarbeiter hätten geleistet werden können, die später wieder an den Darlehensgeber hätten zurückgezahlt werden sollen, sobald die zugesagte Förderung überwiesen und damit die Gehälter ordnungsgemäß hätten bezahlt werden können. Im Rahmen der städtischen Förderrichtlinien seien die Zuschüsse, auf die der Verein angewiesen gewesen sei, als Vorschüsse gegeben worden. Dies habe zu permanenten Verhandlungen mit den Zuschußgebern geführt, da z. B. jede Lohnerhöhung für die Mitarbeiter zu einer Erhöhung des Zuschußbedarfs geführt habe. Im Rahmen der Aufgabenverteilung seien die Lohnsteueranmeldungen fast ausschließlich von dem Kreisgeschäftsführer und dem Stellvertreter des Klägers erstellt worden. Nach seinem Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden habe er (der Kläger) keine Möglichkeit mehr gehabt, die zugesagten Zuschüsse der Stadt einzufordern. Von den Steuerrückständen für die Anmeldungszeiträume Juli und Oktober 1989 habe er keine Kenntnis gehabt, da ihm diese von dem Geschäftsführer des Vereins verschwiegen worden seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang des Rechtsmittels des FA zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie hinsichtlich der das Jahr 1990 betreffenden Haftungszeiträume zur Abweisung der Klage und hinsichtlich der Haftung für die Steuerrückstände für Juli und Oktober 1989 zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß für die Zeit bis zum Rücktritt des Klägers vom Amt des Vereinsvorsitzenden (Anfang Juni 1990) eine Haftung als gesetzlicher Vertreter des Vereins nach §69 i. V. m. §34 Abs. 1 AO 1977, §26 des Bürgerlichen Gesetzbuches und für die Zeit ab seiner Bestellung als kommissarischer Vorsitzender (Anfang Juli 1990) bis zur Neuwahl des Vorstandes (27. September 1990) jedenfalls eine Haftung des Klägers als Verfügungsberechtigter nach §69 i. V. m. §35 AO 1977 in Betracht kommt. Auch als nur kommissarisch bestellter Vorsitzender ist der Kläger als Verfügungsberechtigter für den Verein aufgetreten, und er war rechtlich und tatsächlich in der Lage, die steuerlichen Pflichten des Vereins zu erfüllen (§35 AO 1977). Der Senat hat nicht zu prüfen, ob im Hinblick auf die Fälligkeitszeitpunkte der abzuführenden Lohnsteuer -- spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums (§41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) -- der Haftungsbescheid für die Monate Mai und Juni 1990 zu Recht aufgehoben worden ist, weil -- wie das FG meint -- der Kläger zu diesen Zeitpunkten weder gesetzlicher Vertreter des Vereins noch Verfügungsberechtigter i. S. des §35 AO 1977 war; denn die Haftung des Klägers für die Lohnsteueranmeldungszeiträume Mai und Juni 1990 ist nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens.
Soweit das FG für die übrigen streitbefangenen Haftungszeiträume die Haftung nach §69 i. V. m. §34 Abs. 1 bzw. §35 AO 1977 mit der Begründung verneint hat, dem Kläger sei keine grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Pflichtverletzung i. S. des §69 AO 1977 vorzuwerfen, und soweit es Zweifel geäußert hat, ob die von dem Verein angemeldeten Steuern bezogen auf die ausgezahlten Löhne in der angegebenen und dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Höhe tatsächlich entstanden sind, vermag der Senat der Vorentscheidung nicht zu folgen.
2. Zu einer Überprüfung der Höhe der in dem Haftungsbescheid i. d. F. der Einspruchsentscheidung festgesetzten Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer ist der Senat nicht befugt, weil die festgesetzte Haftungsschuld auf den Lohnsteueranmeldungen des Vereins beruht. Der Kläger muß die unanfechtbar gewordenen Lohnsteueranmeldungen, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (§168 AO 1977), gemäß §166 AO 1977 gegen sich gelten lassen, weil er als Vertreter des Vereins in der Lage gewesen wäre, sie anzufechten (vgl. Urteil des Senats vom 23. März 1993 VII R 38/92, BFH/NV 1994, 71, 73 re. Sp.). Da es allein auf die rechtliche Befugnis des Klägers zur Anfechtung der Lohnsteueranmeldungen als Vorsitzender des Vereins ankommt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §166 AO 1977 Tz. 4), ist es unerheblich, ob dieser die Anmeldungen selbst erstellt oder unterschrieben hat und ob er ihren Inhalt gekannt hat. Eine Änderung der Lohnsteueranmeldungen für die Jahre 1989 und 1990 nach §§168, 164 Abs. 2 AO 1977 ist nicht mehr möglich, weil die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§164 Abs. 4, §169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, §170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977).
Die Zweifel des FG an der zutreffenden Höhe der angemeldeten und dem Haftungsbescheid zugrunde gelegten Steuern wegen möglicher Stundung der Lohnzahlungen sind daher rechtlich unerheblich. Dasselbe gilt hinsichtlich des Vorbringens des Klägers in seiner Revisionserwiderung, es seien zunächst teilweise nur Darlehensbeträge an die Mitarbeiter des Vereins ausgezahlt worden.
3. Die Auffassung des FG, daß allein das Bemühen des Klägers, die den Verein betreffenden Pflichten zu erfüllen, indem er -- zumindest zeitweise -- Gelder dem Verein zur Begleichung der Schulden zur Verfügung gestellt, gegenüber der X-Bank Bürgschaften für den Verein übernommen und sich auch jeweils rechtzeitig darum bemüht habe, weitere Zuschüsse, z. B. von der Stadt, zu erlangen, eine grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. des §69 AO 1977 ausschließe, steht -- wie die Revision zutreffend dargelegt hat -- im Widerspruch zu der Rechtsprechung des erkennenden Senats.
a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß finanzielle Schwierigkeiten der juristischen Person oder Gesellschaft (Arbeitgeber) den für die Abführung der Lohnsteuer verantwortlichen Vorstand oder Geschäftsführer nicht ohne weiteres entlasten können. Der gesetzliche Vertreter darf vielmehr, wenn infolge eines Liquiditätsengpasses die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichen, die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder Teilbetrag auszahlen, so daß er aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen kann. Wenn der Vertreter dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist und darauf vertraut hat, er werde die Steuerrückstände später nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten -- etwa aufgrund neuer Kredite oder der Einziehung von Außenständen -- ausgleichen können, so ist er damit bewußt das Haftungsrisiko eingegangen, und die Nichtrealisierung dieser Erwartungen liegt in seiner Risikosphäre (vgl. Urteil des Senats vom 20. April 1993 VII R 67/92, BFH/NV 1994, 142, 143, m. w. N.). Nach der vorstehend zitierten Entscheidung ist der gesetzliche Vertreter des Arbeitgebers indes dann nicht zur Kürzung der auszuzahlenden Löhne und zur abgesonderten Bereithaltung der darauf entfallenden Steuern verpflichtet, wenn zwischen den Zeitpunkten der Lohnzahlung und der Lohnsteuerfälligkeit eine unvorhergesehene Verschlechterung der Liquidität eingetreten ist.
b) Nach den Feststellungen des FG -- und nach den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung -- befand sich der von ihm vertretene Verein jedenfalls seit Beginn des Jahres 1990 in Zahlungsschwierigkeiten; das folgt schon daraus, daß der Kläger dem Verein Gelder zur Begleichung seiner Schulden zur Verfügung gestellt, Bürgschaften für den Verein gegenüber der X-Bank übernommen und sich ständig um Zuschüsse für den Verein seitens der öffentlichen Hand bemüht hat. Auch hat der Kläger eingeräumt, daß der Verein auf die Finanzierung durch die öffentliche Hand angewiesen war, was zu permanenten Verhandlungen mit den Zuschußgebern geführt habe, und daß die Löhne z. T. nur aus Darlehensmitteln, die er selbst zur Verfügung gestellt hatte, gezahlt werden konnten. Bei dieser Sachlage konnte der Kläger jedenfalls hinsichtlich der in das Jahr 1990 fallenden Lohnsteueranmeldungszeiträume nicht damit rechnen, daß er nach jeweiliger Auszahlung der ungekürzten Löhne zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten die darauf entfallenden Steuern werde rechtzeitig an das FA abführen können. Das folgt insbesondere auch aus der langen Dauer des Haftungszeitraums im Streitfall, in dem es immer wieder zu Zahlungsrückständen hinsichtlich der abzuführenden Steuerabzugsbeträge gekommen ist. Der Kläger hätte somit entsprechend den Anforderungen der vorstehenden Senatsrechtsprechung erforderlichenfalls durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne die Abführung der darauf entfallenden Steuerabzugsbeträge zu den Fälligkeitszeitpunkten an das FA sicherstellen müssen. Seine Bemühungen um die Erlangung städtischer Finanzierungszuschüsse zum Zwecke der späteren Tilgung bereits entstandener Steuerrückstände konnten die Pflichtverletzung nicht ausschließen, da bereits die nicht rechtzeitige Erfüllung der Steuerabführungspflicht den Haftungstatbestand gemäß §69 Satz 1 AO 1977 erfüllt. Daß im Streitfall die nicht rechtzeitige Abführung der Steuerabzugsbeträge an das FA in ihrer Gesamtbeurteilung nicht auf eine unvorhersehbare Verschlechterung der Liquiditätslage des Vereins zwischen den Zeitpunkten der Lohnzahlung und der Fälligkeit der Steuern zurückzuführen ist, folgt aus der langen Dauer des Haftungszeitraums, in dessen Verlauf für zahlreiche Monate jeweils neue Steuerrückstände entstanden sind.
Entgegen der Auffassung des FG hat der Kläger die vorstehend dargestellten steuerlichen Pflichten -- notfalls Kürzung der auszuzahlenden Löhne zum Zwecke der anteiligen Befriedigung auch des FA wegen der Steuern -- im Jahre 1990 auch vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig verletzt. Ihm waren die für das Verschulden maßgebenden tatsächlichen Umstände bekannt. Als Vorsitzender eines Vereins, der mehrere Arbeitnehmer beschäftigte, sowie aufgrund seiner Vorbildung und Berufstätigkeit als Rechtsanwalt mußte ihm auch die Pflicht zur Abführung der Steuern zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten bekannt sein, so daß ihn die Bemühungen um die Beschaffung von Finanzierungsmitteln zur nachträglichen Tilgung der entstandenen Steuerrückstände nicht entlasten können. Sollte sich der Kläger um die ihm als Vereinsvorsitzenden obliegenden steuerlichen Pflichten nicht gekümmert haben, so läge jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vor. Wie der Senat bereits entschieden hat, geht der gesetzliche Vertreter des Arbeitgebers, der im Vertrauen auf eine später möglich werdende Tilgung der Steuerrückstände die Steuerabzugsbeträge nicht rechtzeitig an das FA abführt, bewußt das Haftungsrisiko ein, so daß die Nichtrealisierung dieser Erwartung in seiner Risikosphäre liegt (BFH/NV 1994, 142, 143). Für die vorsätzliche Erfüllung des Haftungstatbestandes gemäß §69 AO 1977 reicht die bewußte nicht fristgerechte Abführung der Steuerabzugsbeträge, die jedenfalls im Wege der Kürzung der Löhne möglich gewesen wäre, aus. Eine spätere Tilgung der Rückstände mittels nachträglich beschaffter Finanzierungsmittel hätte lediglich die Haftungsfolge, nicht aber die Erfüllung des gesetzlichen Haftungstatbestandes, auf den sich der Vorsatz bezieht, beseitigen können.
Aus der Tatsache, daß -- wie im Streitfall -- über mehrere Monate hinweg die Löhne immer wieder ungekürzt ausgezahlt worden sind, folgt ferner, daß der gesetzliche Vertreter bzw. der Verfügungsberechtigte jedenfalls über ausreichende Mittel verfügte, um jeweils die für den vorangegangenen Kalendermonat angemeldete und rückständige Lohnsteuer in voller Höhe an das FA zu entrichten. Wer in Kenntnis der für den Vormonat entstandenen, noch nicht abgeführten Lohnsteuer die Löhne für den laufenden Monat in vollem Umfang auszahlt, handelt -- wie der Senat im Urteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87 (BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, 861, m. w. N.) entschieden hat -- vorsätzlich seiner steuerlichen Verpflichtung zuwider und haftet insoweit nach §69 AO 1977 unbeschränkt. Dieses Ergebnis folgt auch daraus, daß sich das Maß des Verschuldens und damit die Berechnung der Haftungssumme nicht (nur) nach den Umständen der einzelnen Lohnzahlungszeitpunkte, sondern nach den Verhältnissen während des gesamten Haftungszeitraums bestimmt. Denn der gesetzliche Vertreter ist verpflichtet, während dieses Zeitraums die Gläubiger des Arbeitgebers -- hier die Arbeitnehmer und das FA -- gleichmäßig zu befriedigen.
4. a) Der Kläger ist damit zu Recht wegen der rückständigen Steuerabzugsbeträge, die auf die Anmeldungszeiträume des Jahres 1990 entfallen, als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden, weil er seiner Verpflichtung als Vereinsvorsitzender bzw. als Verfügungsberechtigter zur rechtzeitigen Abführung der einbehaltenen Steuerabzugsbeträge (§69 i. V. m. §34 Abs. 1, §35 AO 1977, §41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig -- falls er sich um die ihm obliegenden steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht gekümmert haben sollte --, nicht nachgekommen ist. Die Haftung des Klägers umfaßt nach §69 Satz 2 AO 1977 auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge. Diese Vorschrift erweitert die Haftung auf solche Säumniszuschläge, die infolge von Pflichtverletzungen nach §240 AO 1977 entstanden sind, weil die (gesetzlichen) Vertreter der juristischen Personen oder Gesellschaften pflichtwidrig nicht dafür sorgten, daß die Steuern bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wurden. Es kommt hier also nur auf die Pflichtverletzung beim Entstehen von Säumniszuschlägen und nicht darauf an, ob die Verwirklichung des Anspruchs des Staates auf Zahlung der Säumniszuschläge durch Pflichtwidrigkeiten dieser Personen verhindert oder verzögert wurde (vgl. Senat in BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, 862, m. w. N.). Über die Haftung des Klägers für Verspätungszuschläge braucht der Senat nicht zu entscheiden, da solche in dem angefochtenen Haftungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung nur hinsichtlich der Lohnsteueranmeldungen für November und Dezember 1990 festgesetzt worden sind; diese Lohnsteueranmeldungszeiträume sind nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens.
b) Da die Vorentscheidung der vorstehend dargestellten Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, war sie im Umfang der Revision des FA -- Haftung für die Monate Juli und Oktober 1989 sowie Januar, Februar, April, Juli und August 1990 -- aufzuheben.
Die Sache ist hinsichtlich der auf das Jahr 1990 entfallenden Steuerabzugsbeträge und Säumniszuschläge spruchreif (§126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Der Kläger hat, abgesehen von den Einwendungen gegen die Höhe der als Haftungsschuld festgesetzten Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer, deren Berücksichtigung bereits die Drittwirkung der bestandskräftig gewordenen Lohnsteueranmeldungen entgegensteht (vgl. oben 2.), nichts vorgetragen, wonach die in der Anlage zur Einspruchsentscheidung als Haftungsschulden aufgeführten Steuern und Säumniszuschläge vom FA fehlerhaft berechnet und festgesetzt worden sind. Die Klage gegen den Haftungsbescheid i. d. F. der Einspruchsentscheidung war damit hinsichtlich der Haftung für die Monate Januar, Februar, April, Juli und August 1990 abzuweisen.
c) Hinsichtlich der Lohnsteueranmeldungszeiträume Juli und Oktober 1989 soll die nicht rechtzeitige Abführung der noch offenen Steuerabzugsbeträge nach dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht auf fehlenden Zahlungsmitteln, sondern darauf beruhen, daß dem Kläger diese Steuerrückstände nicht bekannt gewesen sind. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, der für die Steuerangelegenheiten zuständige Geschäftsführer des Vereins habe ihm diese Steuerrückstände verschwiegen, und er habe davon auch bei Wahrnehmung der ihm zumutbaren Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen keine Kenntnis erlangen können, so daß es jedenfalls insoweit an einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung (§69 AO 1977) fehle.
Das FG hat zu diesem Sachverhalt keine Feststellungen getroffen, da es der Klage auch hinsichtlich der Haftung für 1989 aus anderen Gründen stattgegeben hat. Die Sache ist deshalb hinsichtlich der Haftung des Klägers für die Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer für Juli und Oktober 1989 und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nicht spruchreif. Der Rechtsstreit wird insoweit an das FG zurückverwiesen (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), damit dieses unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers Feststellungen zur Wahrnehmung der gebotenen und zumutbaren Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen durch den Kläger hinsichtlich der das Jahr 1989 betreffenden Steuerrückstände treffen und auf dieser tatsächlichen Grundlage erneut über die Erfüllung des Haftungstatbestandes durch den Kläger entscheiden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 67307 |
BFH/NV 1998, 814 |
DStRE 1998, 605 |