Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Einheit des Umsatzes bleibt grundsätzlich auch dann gewahrt, wenn der Unternehmer den Auftrag über die Lieferung und den Auftrag über den Transport des Gegenstandes der Lieferung je in verschiedenen Betriebsabteilungen (Flußbaggerei und Flußschiffahrt) entgegennimmt und getrennte Rechnungen ausstellt. Auch die Klausel "frei Bagger" im Kaufvertrag und - im Rahmen eines Reihengeschäfts - die Erteilung des Transportauftrags durch den Kunden des ersten Abnehmers vermögen in der Regel diese Einheit nicht aufzuheben.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 9, § 4/6
Tatbestand
Die Bfin. fördert mit Strombaggern Kies und Sand und verkauft dieses Material teilweise an eine Zentrale für Kies und Sand (kurz: Kieszentrale) und teilweise an andere Kunden (kurz: eigene Kunden). Sie befördert das verkaufte Material mit eigenen oder gecharterten Schiffen zu den eigenen Kunden bzw. unmittelbar zu den Abnehmern der Kieszentrale.
Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1956, ob die Bfin. für die auf die Beförderung des Materials entfallenden Entgelte Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 9 UStG in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB beanspruchen kann.
Das Finanzamt versagte die Steuerfreiheit, weil die Lieferung des Materials und dessen Beförderung wirtschaftlich als einheitlicher Vorgang anzusehen seien. Die Bfin. hingegen ist unter Berufung auf die Urteile des Reichsfinanzhofs V A 682/29 vom 30. Mai 1930 (Steuer und Wirtschaft 1930 II Nr. 1154) und V 63/39 vom 17. Mai 1940 (RStBl 1940 S. 678) der Auffassung, es lägen zwei voneinander unabhängige Umsätze vor: eine Lieferung des Materials und eine Beförderung des Materials. Die Unabhängigkeit beider Vorgänge zeige sich nicht nur in der getrennten Auftragserteilung und in der getrennten Erstellung der Rechnungen, sondern auch darin, daß die Aufträge von zwei organisatorisch getrennten Betriebsabteilungen, der Baggerei und der Reederei, ausgeführt wurden. Auch beginne die Beförderung erst, nachdem die Lieferung beendet sei, weil dem Abnehmer die Verfügungsmacht schon mit dem Einfüllen des "frei Bagger" zu liefernden Materials in das am Strombagger liegende Transportschiff verschafft werde. In den Fällen, in denen das Material unmittelbar zu den Abnehmern der Kieszentrale befördert werde, komme hinzu, daß die Kunden der Baggerei und die Kunden der Reederei verschiedene Personen seien: Kunde der Baggerei sei die Kieszentrale, Kunde der Reederei sei ein Dritter.
Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht stützt seine Auffassung, die Verfügungsmacht an den Baustoffen sei in allen Fällen erst am Ausladeort verschafft worden und die Beförderung sei eine Teilleistung im Rahmen des Lieferungsgeschäftes vor allem auf das nichtveröffentlichte, aber den Beteiligten bekannte Urteil des Senats V 21/57 vom 9. Juli 1959, in dem der Senat die Steuerfreiheit einer Transportleistung auf Wasserstraßen abgelehnt hat, wenn die Beförderung nur Teil einer Warenlieferung ist, die als Reihengeschäft durchgeführt wird.
Mit der Rb. rügt die Bfin. unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Im übrigen macht sie geltend, daß dem Abnehmer die Verfügungsmacht auch dann am Standort des Baggers verschafft werde, wenn man im Widerspruch zu ihrer Rechtsauffassung ein Versendungsgeschäft im Sinn von § 5 UStDB annehme. Sie meint, daß auch in den Fällen, in denen sie Kies an die Abnehmer der Kieszentrale befördert und die Warenlieferung unstreitig als Reihengeschäft im Sinne von § 2 Abs. 3 UStDB abgewickelt habe, die Verfügungsmacht an die Abnehmer der Kieszentrale bereits am Standort des Baggers übergegangen sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Nach § 4 Ziff. 9 UStG in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB sind Beförderungen auf Wasserstraßen steuerfrei. Die Beförderung muß aber nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und Bundesfinanzhofs entweder den alleinigen Gegenstand des Umsatzgeschäfts bilden oder bei Zusammentreffen mit anderen Leistungen eine selbständige Hauptleistung darstellen. Ist die Beförderung nur ein Teil oder nur eine Nebenleistung einer Warenlieferung, dann liegt wirtschaftlich ein einheitlicher Vorgang vor und die Beförderung teilt umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung. Die Beförderungskosten sind dann ein Teil des Lieferungsentgelts. § 4 Ziff. 9 UStG kann nicht angewendet werden.
Im Streitfall bildet die Beförderung nicht die alleinige Leistung der Bfin., sondern trifft mit der Lieferung des Materials zusammen. Dabei hat sie, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, weder in den Fällen, in denen die Bfin. ihre eigenen Kunden beliefert noch in den Fällen, in denen sie das Material unmittelbar zu den Abnehmern der Kieszentrale gebracht hat, das Gewicht einer selbständigen Hauptleistung, sondern ist stets nur ein Teil oder eine Nebenleistung der Materiallieferung. Denn die Abnehmer wollen von der Bfin. in erster Linie Kies. Die ihr obliegende Beförderung dient lediglich der Erfüllung des Vertragszwecks. Selbst wenn Lieferungen und Beförderungsleistungen entsprechend den Behauptungen der Bfin. in den Betrieben der Bfin. getrennt entgegengenommen worden sein sollten und wenn für die beiden Arten der Geschäftsvorfälle getrennte Rechnungen erteilt wurden, so haben diese Maßnahmen nur eine innerbetriebliche Bedeutung. Sie können an der für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung maßgebenden Einheit des wirtschaftlichen Vorgangs nichts ändern. Dies gilt auch für die Fälle, in denen die Bfin. das Material zu den Abnehmern der Kieszentrale befördert hat. Denn diese Abnehmer knüpfen, soweit sie unmittelbar mit der Bfin. über die Beförderung überhaupt Abmachungen treffen, ihre Abreden an den mit der Kieszentrale bestehenden Vertrag an und verlangen nichts weiter, als eine im Lieferungsvertrag mit der Kieszentrale sinngemäß schon vorgesehene Ergänzung der Hauptleistung. Ein wirtschaftlicher Unterschied zwischen diesen Umsatzgeschäften und den Lieferungen an die eigenen Kunden der Bfin. ist deshalb nicht zu erkennen. Das Finanzgericht hat zutreffend die beiden Sachverhalte auf ihren wirtschaftlichen Gehalt untersucht und ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß sie wirtschaftlich gleich zu beurteilen sind. Die Beförderung des Materials stellt daher bei wirtschaftlicher Würdigung der Sachverhalte nur einen Teil oder eine Nebenleistung zur Materiallieferung dar. Somit sind die für die Beförderung vereinnahmten Beträge Teile des Lieferungsentgelts und wie dieses dem vollen Steuersatz zu unterwerfen.
An dieser Beurteilung kann auch das weitere Vorbringen der Bfin. nichts ändern:
Daß Baggerei und Reederei bei der Bfin. in der Form getrennter Betriebsabteilungen geführt worden sind, ist für die rechtliche und wirtschaftliche Beurteilung der Vorgänge bedeutungslos. Denn nicht die Betriebsabteilungen sind aus den Rechtsgeschäften berechtigt oder verpflichtet worden und kommen umsatzsteuerrechtlich als Leistende in Betracht, sondern die Bfin. als Rechtsperson und Unternehmer.
Im Gegensatz zur Meinung der Bfin. kommt auch der mit den Kunden getroffenen Abrede, "frei Bagger" zu liefern, keine entscheidende Bedeutung zu. Nach dem Text der schriftlichen Aufträge der Firma R. AG, der diese Klausel enthält und von der Bfin. als typisch für alle derartigen Verträge vorgelegt wurde, bezieht sich die Klausel nämlich nur auf die Preisvereinbarung. Aber selbst wenn mit ihr zugleich der Erfüllungsort des Liefergeschäfts hätte bezeichnet werden sollen, so wäre hierdurch der für die Umsatzsteuer ausschlaggebende tatsächliche Zusammenhang der Lieferung mit der Beförderung nicht gelöst. Die Lieferung wäre dann zwar bürgerlich-rechtlich mit dem Verladen abgeschlossen gewesen und die Beförderung könnte deshalb nicht mehr als Bestandteil der Lieferung beurteilt werden. Sie wäre aber dann jedenfalls als Nebenleistung zur Lieferung aufzufassen, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats gegeben ist, wenn eine Verrichtung im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr in engem Zusammenhang steht und in ihrem Gefolge regelmäßig vorkommt (Urteil des Bundesfinanzhofs V 22/58 U vom 14. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 147, Slg. Bd. 70 S. 394). Soweit die Urteile des Reichsfinanzhofs V A 682/29 und V 63/39 a. a. O. eine abweichende Rechtsauffassung vertreten, kann der Senat daran nicht festhalten. Die bürgerlich-rechtliche Bedeutung der Abrede, auf die sich die Bfin. stützt, ist also für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung nicht entscheidend. Für die Umsatzsteuer, deren Aufgabe es ist, wirtschaftliche Vorgänge zu erfassen, setzt die bürgerlich-rechtliche Gestaltung dieser Vorgänge keine zwingenden Zäsuren.
Im übrigen ist dem Finanzgericht auch insoweit zuzustimmen, als es angenommen hat, daß in allen Fällen die Verfügungsmacht erst im Zeitpunkt der Löschung an der Ausladestelle und nicht schon am Standort des Baggers auf den Abnehmer übergegangen ist. Das Finanzgericht hat sich hierbei zu Recht der Auffassung des Senats im Urteil V 21/57 a. a. O. angeschlossen. Denn das Material wurde in keinem Fall am Standort des Baggers tatsächlich übergeben. Auch die Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses hat das Finanzgericht nicht festgestellt. Die Meinung der Bfin., jedem Frachtvertrag wohne notwendig ein Besitzmittlungsverhältnis inne, ist irrig. Eine solche Lage entsteht vielmehr nur dann, wenn der Absender des Beförderungsgutes schon unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer des Gegenstandes war und nunmehr einem von ihm beauftragten Frachtführer (§§ 425 ff. HGB bzw. §§ 26 ff. des Gesetzes betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt vom 15. Juni 1895, RGBl S. 301) mit der übergabe des Beförderungsgutes den Besitz überträgt. Sind aber "Absender" und "Frachtführer" eine Person, so findet keine änderung der Besitzverhältnisse statt.
Nach alledem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 411666 |
BStBl III 1965, 497 |
BFHE 1965, 695 |
BFHE 82, 695 |