Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung der Haftung für Abgabenrückstände bei wesentlicher Beteiligung nach §§ 17, 20 EStG
Leitsatz (NV)
- Im Falle der Auflösung einer Kapitalgesellschaft durch Eröffnung eines Konkursverfahrens ist noch nicht von einem endgültigen Verlust der Einkunftsquelle im Sinne der Rechtsprechungsgrundsätze zur Nichtabziehbarkeit nachträglicher Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen auszugehen.
- Führt die Inanspruchnahme eines Gesellschafter-Geschäftsführers als Haftender für Gesellschaftsschulden zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung, entsteht ein Verlust aus der Auflösung der Kapitalgesellschaft regelmäßig erst mit Abschluss des Konkursverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1-2, § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war mit 99 v.H. am Stammkapital einer GmbH beteiligt. Außerdem war sie bis Oktober 1990 unentgeltlich als alleinige Geschäftsführerin für diese GmbH tätig. Im Oktober 1991 wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Im Schlusstermin vom 10. April 1996 wurde das Konkursverfahren aufgehoben; der noch vorhandene Überschuss wurde dem Konkursverwalter als Nachtragshonorar und Kostenersatz zugewiesen.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 1994 nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) die Klägerin gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftende für die Abgabenrückstände der GmbH in Anspruch.
Die Haftungsschuld in Höhe von 104 306 DM tilgt die Klägerin seitdem in monatlichen Raten von 1 000 DM.
Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für 1993 machte die Klägerin einen Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von insgesamt 172 463,50 DM geltend und beantragte, den verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 1993 gesondert festzustellen. Der Betrag setzt sich zusammen aus den Anschaffungskosten für die Beteiligung und den Auflösungskosten in Höhe von zusammen 61 989,85 DM sowie nachträglichen Anschaffungskosten aufgrund des Haftungsbescheides in Höhe von 110 473,65 DM.
Das FA berücksichtigte bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 1993 zwar den Betrag von 61 989,85 DM, nicht aber den Haftungsbetrag. Dadurch ergab sich eine Einkommensteuer von 0 DM, aber kein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte. Das FA lehnte deshalb den Antrag der Klägerin, den Restbetrag als verbleibenden Verlustabzug gemäß § 10d Abs. 3 EStG gesondert festzustellen, ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 309 veröffentlichten Urteil statt. Die Haftungsbeträge seien dem Grunde nach Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, weil davon auszugehen sei, dass unentgeltliche Dienstleistungen eines Gesellschafters an seine Kapitalgesellschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang mit diesen Einkünften stünden. Da nach Auflösung der Gesellschaft aber ein Abzug als Werbungskosten nicht mehr in Betracht komme, erhöhe der Haftungsbetrag die Anschaffungskosten auf die Beteiligung und damit den im Streitjahr zu berücksichtigenden Auflösungsverlust.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1 und Abs. 4, § 19, § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 11 Abs. 2 EStG). Die Haftungsbeträge seien dem Grunde nach Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit. Denn sie sei als Geschäftsführerin und nicht als Gesellschafterin in Haftung genommen worden. Die Berücksichtigung als Werbungskosten scheitere jedoch daran, dass die Klägerin unentgeltlich tätig geworden sei und zudem im Streitjahr noch keine Zahlungen auf die Haftungsschuld geleistet habe.
Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FA hat zu Recht zum 31. Dezember 1993 keinen verbleibenden Verlustabzug festgestellt (§ 10d Abs. 3 EStG in der für 1993 geltenden Fassung).
1. Verluste, die im Entstehungsjahr bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, sind bis zu einem Betrag von insgesamt 10 Mio. DM in den folgenden Veranlagungszeiträumen wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, soweit sie nicht in den zwei dem Verlustentstehungsjahr vorangegangenen Veranlagungszeiträumen abgezogen werden konnten (§ 10d Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung). Zu den rücktrags- und vortragsfähigen Verlusten zählt auch ein Verlust, den ein wesentlich beteiligter Gesellschafter anlässlich der Auflösung der Kapitalgesellschaft erleidet (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Dezember 2000 VIII R 22/92, BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385, unter I. der Gründe, m.w.N.).
Da die Einkommensteuer für das Streitjahr mit 0 DM festgesetzt wurde und die streitigen Rechtsfragen im Einspruchsverfahren gegen diesen Bescheid mangels Beschwer nicht geprüft werden konnten, war über sie im Rahmen des beantragten Feststellungsbescheides zu entscheiden (§ 10d Abs. 3 Satz 5 EStG und dazu BFH-Urteile vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97, BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3; vom 14. Juni 2000 XI R 4/00, BFH/NV 2000, 1465; vom 12. Dezember 2000 VIII R 36/97, BFH/NV 2001, 761, unter I. der Gründe; vom 9. Mai 2001 XI R 25/99, BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817, und BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2000 IX B 91/00, BFH/NV 2001, 795).
2. Die Klägerin kann den Haftungsbetrag im Streitjahr 1993 weder als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehen noch erhöht er den vom FA für dieses Jahr anerkannten Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG.
a) Die auf die Haftungsschuld geleisteten Zahlungen sind (noch) nicht als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus Kapitalvermögen abziehbar (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
Selbst wenn man mit der Klägerin und dem FG davon ausgehen wollte, dass die Inanspruchnahme des Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft als Haftender gemäß § 69 i.V.m. §§ 34, 35 AO 1977 zu Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen führt (vgl. demgegenüber ―zur Inanspruchnahme des Gesellschafters als Haftender für Gesellschaftsschulden― BFH-Urteil vom 3. Juni 1993 VIII R 81/91, BFHE 172, 407, BStBl II 1994, 162, sowie BFH-Beschluss vom 8. Mai 2000 VIII B 78/99, BFH/NV 2000, 1201, und ―zum fehlenden wirtschaftlichen Zusammenhang von Aufwendungen zur Tilgung von Steuerschulden einer GmbH durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer mit den Einkünften aus Kapitalvermögen― BFH-Urteil vom 9. Februar 1993 VIII R 83/91, BFH/NV 1993, 644, m.w.N.; ebenso ―für die Übernahme von Steuerschulden der Gesellschaft durch Gesellschafter― BFH-Urteile vom 12. Oktober 1999 VIII R 46/98, BFH/NV 2000, 561, und vom 27. November 2001 VIII R 36/00, BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, sowie ―allgemein für Zahlungen von Gesellschaftsschulden an Gesellschaftsgläubiger― BFH-Urteile vom 26. Januar 1999 VIII R 32/96, BFH/NV 1999, 922; in BFHE 194, 108, BStBl II 2001, 385, unter II.3. der Gründe und ―für freiwillige oder geschuldete Zahlungen an die Gesellschaft selbst nach deren Auflösung zur Begleichung ihrer Gesellschaftsschulden― u.a. BFH-Beschluss vom 9. Februar 1998 VIII B 2/97, BFH/NV 1998, 955, m.w.N.), wäre der Abzug als Werbungskosten deshalb ausgeschlossen, weil die Haftungsbeträge im Streitjahr noch nicht abgeflossen sind (§ 11 Abs. 2 EStG).
Auf die vom FG bejahte Frage, ob der Abzug als Werbungskosten hier ausgeschlossen ist, weil mit der Eröffnung des Konkursverfahrens die GmbH aufgelöst wurde, kommt es deshalb für die Entscheidung des Streitfalles nicht mehr an. Der erkennende Senat hat jedoch bereits entschieden, dass im Falle der Auflösung einer Kapitalgesellschaft durch Eröffnung des Konkursverfahrens noch nicht von einem endgültigen Verlust der Einkunftsquelle im Sinne der Rechtsprechungsgrundsätze zur Nichtabziehbarkeit nachträglicher Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen auszugehen ist (zu diesen Grundsätzen vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 27. November 1995 VIII B 16/95, BFH/NV 1996, 406, unter 2.c der Gründe, m.w.N., und vom 2. Mai 2001 VIII R 32/00, BFHE 195, 302, BStBl II 2001, 668, unter 2.a bb der Gründe, m.w.N.); vielmehr lässt sich in diesem Zeitpunkt die künftige Entwicklung der Gesellschaft noch nicht zweifelsfrei absehen (BFH-Urteil vom 25. Januar 2000 VIII R 63/98, BFHE 191, 115, BStBl II 2000, 343, und ―zur Abgrenzung gegenüber der freiwilligen Auflösung der Gesellschaft durch Gesellschafterbeschluss― BFH-Urteil in BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731, und BFH-Beschluss vom 28. Januar 2002 VIII B 63/01, BFH/NV 2002, 646).
b) Die Klägerin kann den Haftungsbetrag im Streitjahr aber auch dann (noch) nicht geltend machen, wenn er zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung führen und damit den Auflösungsverlust erhöhen sollte (§ 17 Abs. 2 und 4 EStG).
Zu nachträglichen Anschaffungskosten kann es grundsätzlich erst kommen, wenn das Konkursverfahren abgeschlossen ist (BFH-Urteil in BFHE 191, 115, BStBl II 2000, 343). Das war hier erst im Veranlagungszeitraum 1996 der Fall. Ein Rücktrag des Verlustes aus dem Veranlagungszeitraum 1996 in den Veranlagungszeitraum 1993 kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil er nur bis zum zweiten, dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum möglich ist (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG).
Diesem Ergebnis steht im Streitfall nicht entgegen, dass der erkennende Senat in seinen Urteilen in BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731 (dort unter II.2.c der Gründe zur konkursfreien Liquidation) und in BFH/NV 2001, 761 (unter II.4. der Gründe für die Liquidation durch Konkurs) ausgeführt hat, dass eine Kapitalgesellschaft trotz vorhandener Aktivwerte auch dann als vermögenslos und damit ggf. als aufgelöst angesehen werden kann, wenn der wesentlich beteiligte Gesellschafter mit einer Auskehrung von Gesellschaftsvermögen im Rahmen der Vermögensverteilung nach § 72 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) nicht mehr rechnen konnte (zur Streitfrage, ob Vermögenslosigkeit ohne Löschung im Handelsregister zur Auflösung einer GmbH führen kann, vgl. Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 17. Aufl., § 60 Rz. 6). Diese Beurteilung beruht auf der besonderen Zwecksetzung des § 17 EStG. Denn nach dieser Zwecksetzung ist eine Kapitalgesellschaft ―anders als nach Gesellschaftsrecht― bereits dann vermögenslos, wenn die Aktiva zwar für eine Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger, nicht aber auch für eine Verteilung unter die Gesellschafter ausreichen.
Ob diese Voraussetzung im Streitfall erfüllt ist, kann offen bleiben. Denn die Entstehung eines Auflösungsverlustes setzt weiter voraus, dass absehbar ist, ob und in welcher Höhe dem Gesellschafter noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG berücksichtigungsfähige Veräußerungs- oder Aufgabekosten anfallen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 25. März 2003 VIII R 24/02, BFH/NV 2003, 1305, m.w.N.). Daran fehlt es hier. Das Einspruchsverfahren gegen den Haftungsbescheid wurde erst 1994 abgeschlossen. Ein Rücktrag des Verlustes nach 1993 ist ausgeschlossen, weil sich der Verlust bei der Einkommensteuerveranlagung dieses Jahres nicht auswirken würde.
3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; sein Urteil war deshalb aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Der Bescheid über die Ablehnung der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1993 war deshalb zu bestätigen.
Fundstellen
Haufe-Index 1140041 |
BFH/NV 2004, 947 |
HFR 2004, 863 |