Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung - Gerichtliche Überprüfungspflicht gegenüber Vorbehaltsfestsetzung
Leitsatz (NV)
1. Zur notwendigen Beiladung bei einer Klage gegen einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid über die Feststellung des nicht ausgleichs- oder abzugsfähigen Verlusts eines Kommanditisten.
2. Zur gerichtlichen Überprüfungspflicht in bezug auf einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Feststellungsbescheid.
3. Zur Abzugsfähigkeit von sog. Konzeptionskosten als Betriebsausgaben.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1, § 60 Abs. 3, § 48 Abs. 1 Nr. 2; AO 1977 § 164; EStG § 15a Abs. 4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde durch Vertrag vom 24. Januar 1986 zwischen dem Kapitän X und seiner Ehefrau gegründet. Im Laufe des Streitjahres traten der Klägerin weitere . . . Mitreeder mit Einlagen zwischen 1000 DM und 100000 DM bei. Die Mitreeder leisteten einen Teil der Einlage im Streitjahr, den Rest im Jahre 1987. Die Einzahlungsansprüche aus den ausstehenden Einlagen wurden zu Zwischenfinanzierungszwecken an die Bank abgetreten.
Ebenfalls am 24. Januar 1986 schloß die Klägerin mit X einen Korrespondentreedervertrag und am 24. Februar 1986 zudem einen Dienstleistungsvertrag. Auf diese beiden Verträge ist in dem Reedereivertrag Bezug genommen worden. Nach dem Dienstleistungsvertrag war X u.a. zur Beschaffung der Fremdfinanzierung und zur Übernahme der persönlichen Haftung für die erste Hypothek verpflichtet.
Mit Vertrag vom 14. April 1986 erwarb die Klägerin das Schiff MS ,,X" für einen Kaufpreis von . . . DM. In dem zur Finanzierung des Kaufpreises bei der Bank aufgenommenen ersten Hypothekendarlehen war eine Freistellung der Mitreeder von ihrer proratarischen Haftung nicht vereinbart.
Ende November 1986 ließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bei der Klägerin eine Außenprüfung durchführen, bei der der Gründungsvorgang und der voraussichtliche Verlust für das Streitjahr geprüft wurden.
Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, daß als Anlaufkosten behandelte Aufwendungen für Projektberatung/Marketing und Projektierung/Prospektkosten in Höhe von 65000 DM als Konzeptionskosten zu bilanzieren und auf die Laufzeit des Konzepts bis 1999 abzuschreiben seien. Außerdem sah er die Voraussetzungen des § 15a Abs. 5 Nr.5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als erfüllt an. Daher ging er davon aus, daß die im Streitjahr anfallenden Verluste den Mitreedern nur in Höhe ihrer jeweiligen Kapitalkonten als ausgleichsfähige Verluste zuzurechnen seien.
Bei den Akten der Klägerin hatte der Prüfer folgende Erklärung des Korrespondentreeders vom 26. Mai 1986 vorgefunden:
,,Ich, der Unterzeichnete, X, gebe in meiner Eigenschaft als Korrespondentreeder der Partenreederei MS ,,X" folgende Erklärung ab:
1) Ich garantiere für die ersten 2 Kalenderjahre, daß die im Prospekt kalkulierte Charter (Reisecharter minus Schiffskosten) eingefahren wird. Andernfalls werde ich auf meine Bereederungsgebühr soweit verzichten, als dieses Ergebnis nicht eintritt.
2) Ich stelle im Innenverhältnis die Partenreeder von der direkten Schiffshypothekenhaftung frei. Sollte der Partenreeder in Anspruch genommen werden, so trete ich für ihn persönlich ein.
3) Sofern der Mitreeder seine Schiffsparten veräußern will, verpflichte ich mich, diese nach schriftlicher Aufforderung zu erwerben. Als Übernahmetermin sind der 01.01. 1992 mit 55% des Nominalwertes und 01.01. 1993 mit 50% des Nominalwertes vorgesehen. Die übrigen Bestimmungen des Reedereivertrages gelten auch für diese Erklärung."
Die Klägerin nahm auf das Schiff eine degressive Absetzung für Abnutzung (AfA) von 25 v.H. vor und wies für das Streitjahr einen Verlust in Höhe von . . . DM aus, den sie entsprechend der Beteiligung auf die Mitreeder verteilte (Verlustanteil 149,9 v.H.).
Entsprechend den Prüfungsfeststellungen kürzte das FA u.a. den von der Klägerin geltend gemachten Verlust um 65000 DM und ließ lediglich von dem in entsprechendem Umfang zu bildenden Aktivposten eine Abschreibung in Höhe von 4643 DM zu. Außerdem sah es die auf die jeweiligen Mitreeder entfallenden Verlustanteile nur insoweit als ausgleichsfähig bzw. abzugsfähig an, als sie betragsmäßig nicht über die tatsächlich geleisteten Einlagen hinausgingen. Dementsprechend stellte das FA mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Bescheid vom 20. Juli 1987 die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. . . . DM und in einer diesem Bescheid beigefügten besonderen Anlage die für die Mitreeder nach § 15a EStG nicht ausgleichsfähigen bzw. abzugsfähigen Verlustanteile fest. Dieser Bescheid wurde aus Gründen, die die vorliegenden Streitfragen nicht berühren, mit Bescheid vom 29. Juni 1988 geändert und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. . . . DM festgestellt. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde in dem Änderungsbescheid sowie in der den erhobenen Einspruch zurückweisenden Einspruchsentscheidung vom 21. Dezember 1988 beibehalten.
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg.
Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§§ 5 Abs. 2, 15a Abs. 5 Nr.5 EStG und § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Das FA hat den angefochtenen Bescheid abermals geändert und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Bescheid vom 3. März 1992 auf ./. . . . DM heraufgesetzt. Dabei ging es davon aus, daß statt der 65000 DM, die seinen Feststellungen nach nicht gezahlt worden waren, ein Betrag in Höhe von 45600 DM für die Erstellung eines Steuergutachtens bzw. Konzepts zu aktivieren und die Betriebsausgaben unter entsprechender Berücksichtigung von Absetzungsbeträgen zu kürzen seien.
Diesen Bescheid hat die Klägerin nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr.2 FGO). Das FG hätte diejenigen Mitreeder zum Verfahren beiladen müssen, deren ausgleichbare Verluste das FA wegen angeblichen Bestehens eines negativen Kapitalkontos gekürzt hat. Diese Personen sind nach § 48 Abs. 1 Nr.2 FGO selbst klagebefugt. Der gesonderte Bescheid über die Versagung der Ausgleichs- und Abzugsfähigkeit nach § 15a Abs. 4 Satz 1 EStG, den das FA zu Recht mit der einheitlichen Gewinnfeststellung für die Klägerin verbunden hat (§ 15a Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG), richet sich seinem Inhalt nach gegen die betroffenen Mitunternehmer. Daraus folgt, daß diese Personen nach § 60 Abs. 3 FGO zu dem von der Klägerin angestrengten Klageverfahren notwendig beigeladen werden müssen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Juni 1989 IV R 19/88, BFHE 157, 181, BStBl II 1989, 1018; vom 24. August 1989 IV R 124/88, BFH/NV 1990, 638; vom 14. Mai 1991 VIII R 68/87, BFH/NV 1991, 824).
Die Beiladung ist auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sich die Klage gegen einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977) erlassenen Bescheid richtet. Zwar ermächtigt § 164 AO 1977 das FA, Steuern ohne (abschließende) tatsächliche und rechtliche Prüfung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festzusetzen und diese Steuerfestsetzung jederzeit aufzuheben oder zu ändern, solange der Vorbehalt wirksam ist. Sie ist weder mit einer vorläufigen Steuerfestsetzung vergleichbar noch gar mit einer Entscheidung des FA nach § 361 AO 1977 in einem auf Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids gerichteten Verfahren. Die Nebenbestimmung des Nachprüfungsvorbehalts ist ebenso wie die Steuerfestsetzung selbst mit der Anfechtungsklage gegen den gesamten Verwaltungsakt angreifbar (vgl. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1980 IV R 168-170/79, BFHE 132, 5, BStBl II 1981, 150), woraus sich ergibt, daß in dem gerichtlichen Verfahren die Vorschriften der FGO über die Beiladung, insbesondere die notwendige Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO), zu beachten sind.
Die unterbliebene Beiladung stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt.
Aus Gründen der Prozeßökonomie, ohne Bindungswirkung für das FA, weist der Senat auf folgendes hin:
1. Aus § 100 Abs. 1 FGO ist zu entnehmen, daß das Gericht verpflichtet ist, angefochtene Bescheide darauf zu überprüfen, ob sie mit Recht und Gesetz in Einklang stehen und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Diese Überprüfungspflicht besteht auch gegenüber einer Vorbehaltsfestsetzung. Die Vorschriften der FGO enthalten keine Einschränkung der gerichtlichen Prüfungspflicht für die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Dementsprechend hat der BFH mit Urteil vom 7. Februar 1990 I R 145/87 (BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032, 1034) entschieden, daß das Gericht sich nicht auf eine summarische oder kursorische Überprüfung des unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Steuerbescheides beschränken dürfe. Wendet sich der Kläger folglich dagegen, daß das FA in bestimmten Punkten von der Steuererklärung abgewichen ist, so muß das Gericht die Steuerfestsetzung jedenfalls nach Maßgabe der Klagebegründung unter Ausnutzung der ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten abschließend prüfen und den Streitfall insoweit endgültig entscheiden (vgl. BFH in BFHE 161, 387, BStBl II 1990, 1032, 1034; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 164 AO 1977 Tz.10).
2. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das FG abschließend zu entscheiden, ob die sog. Konzeptionskosten als Betriebsausgaben sofort abzugsfähig sind.
Das FG wird die Tatsachen festzustellen haben, die eine endgültige Entscheidung der Frage ermöglichen, ob das FA zu Recht unter entsprechender Kürzung der von der Klägerin als Betriebsausgaben geltend gemachten Anlauf- bzw. Gründungskosten die Kosten für die Erstellung eines Steuergutachtens bzw. Konzepts aktiviert und davon anteilige AfA als Betriebsausgaben abgezogen hat. Dabei hat das FG insbesondere den von der Klägerin mit den Aufwendungen tatsächlich verfolgten Zweck zu ermitteln. Danach richtet sich maßgeblich die steuerrechtliche Beurteilung (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1983 IV R 160/78, BFHE 139, 273, BStBl II 1984, 101; BFH-Beschluß vom 19. August 1986 IX S 5/83, BFHE 147, 453, BStBl II 1987, 212). Die Sachaufklärung kann auch nicht deshalb unterbleiben, weil es sich bei den streitigen Aufwendungen nur um solche für ein nach § 5 Abs. 2 EStG nicht aktivierbares immaterielles Wirtschaftsgut oder um als Betriebsausgaben abziehbare allgemeine Rechtsberatungskosten handeln könnte. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht den Schluß, daß für die steuerrechtliche Beurteilung der streitigen Aufwendungen lediglich die vorgenannten Alternativen in Betracht kommen. Je nach dem Zweck der Aufwendungen kann es sich auch um aktivierungspflichtige Anschaffungs- oder Herstellungskosten für das Schiff MS ,,X" handeln (vgl. BFH in BFHE 147, 453, BStBl II 1987, 212).
Eine weitergehende Stellungnahme, insbesondere dazu, ob die auf die Mitreeder entfallenden Verlustanteile - wie vom FA angenommen - nur beschränkt ausgleichsfähig sind (§ 15a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Nr.5 EStG), hält der Senat beim gegenwärtigen Verfahrensstand nicht für zweckmäßig.
Fundstellen
Haufe-Index 418498 |
BFH/NV 1993, 296 |