Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs; Anforderungen an Verfahrensrüge
Leitsatz (NV)
1. Das FG hat die Pflicht, den Inhalt eines nachgereichten Schriftsatzes zur Kenntnis zu nehmen.
2. Zur ordnungsmäßigen Rüge unterlassener Beweisaufnahme gehört die Darlegung, weshalb die Vorentscheidung auf dem Mangel beruht.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 120 Abs. 2
Tatbestand
Mit Steuerbescheid vom 7. April 1981 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 1981 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) den Kläger und Revisionskläger (Kläger) für 1 212 084,90 DM Eingangsabgaben (457 524 DM Zoll und 754 560,90 DM Einfuhrumsatzsteuer) in Anspruch. Zur Begründung führte das HZA aus, der Kläger habe nach den Ermittlungen des Zollfahndungsamtes (ZFA) M im Jahre 1977 von den auf Formblättern AE 302 zur bleibenden Zollgutverwendung der amerikanischen Streitkräfte durch das Zollamt (ZA) E abgefertigten Steinkohlen insgesamt 24 419,560 t an deutsche Abnehmer verkauft und 21 332,847 t im deutschen Zollgebiet aufbereiten, d. h. brechen und sieben, lassen; dadurch gelte das Zollgut nach § 55 Abs. 8 des Zollgesetzes (ZG) als in den freien Verkehr entnommen und sei eine Zollschuld (Einfuhrumsatzsteuerschuld) entstanden. Mit Bescheid vom 20. Januar 1982 erließ das HZA auf den Antrag des Klägers nach § 57 a Abs. 4 ZG die Eingangsabgaben für die 21 332,847 t aufbereiteter Kohle in Höhe von 565 155,30 DM (213 328,40 DM Zoll und 351 826,90 DM Einfuhrumsatzsteuer) und erklärte dabei, daß insoweit der Steuerbescheid vom 7. April 1981 als geändert gelte.
Mit seiner Anfechtungsklage machte der Kläger geltend, das Formblatt AE 302 hätte von ihm bei der Einfuhr nicht benutzt werden dürfen. Im Rahmen des ihm bewilligten Verteilerverwendungsverkehrs sei ein Nämlichkeitsnachweis der eingeführten Ware nicht erforderlich. Mit der Ausladung der Schiffe in den Seehäfen sei das Eigentum an der Kohle auf die amerikanischen Armee übergegangen. Der spätere Transport mit der Aufbereitung und dem teilweisen Austausch sei auf Anweisung der amerikanischen Armee geschehen. Auch die Kohle aus den noch streitbefangenen Einfuhren sei lediglich bearbeitet und nicht veräußert worden.
Das Finanzgericht (FG) sah auf Grund der Erledigungserklärungen der Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich des Teilbetrages von 565 155,30 DM als erledigt an. Im übrigen wies es die Klage als unbegründet ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Revisionsbegründung läßt nicht deutlich erkennen, ob der Kläger ausschließlich Verfahrensrügen vorträgt oder auch die Verletzung materiellen Rechts geltend macht (§ 118 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Jedenfalls ist die Vorentscheidung materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfahrensrügen des Klägers können keinen Erfolg haben.
1. Mit seiner Rüge, das FG habe seinen nachgereichten Schriftsatz vom 29. März 1985 nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, will der Kläger offenbar die Verletzung seines Rechts auf Gehör rügen (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO). Diese Rüge ist aber nicht begründet.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet u. a. die Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Anm. 10, mit Hinweisen). Aus den Umständen ergibt sich, daß das FG dieser Pflicht nachgekommen ist. Das FG hat im ,,Tatbestand" der Vorentscheidung des wesentlichen Inhalt des Schriftsatzes referiert und auf ihn ausdrücklich Bezug genommen (S. 5 der Vorentscheidung). Auch in den ,,Entscheidungsgründen" (S. 10 der Vorentscheidung) ist das FG auf das Vorbringen des Klägers in diesem Schriftsatz unter dessen ausdrücklicher Nennung eingegangen. Daß das FG nicht auf alle Einzelheiten des Vorbringens des Klägers eingegangen ist, spricht nicht gegen die Berücksichtigung des Schriftsatzes. Denn das FG war nicht verpflichtet, sich mit allen Einzelheiten des Vorbringens des Klägers in seinem Urteil ausdrücklich zu befassen (vgl. Gräber/Ruban, FGO, 2. Aufl., § 119 Anm. 10, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -).
Gegen die Annahme, das FG habe den Inhalt des Schriftsatzes vom 29. März 1985 zur Kenntnis genommen, spricht nicht, daß die Vorentscheidung nach den Ausführungen auf ihrer S. 1 ,,auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 13. März 1985" ergangen ist und dieses Urteil nach einem Vermerk der Geschäftsstelle des erkennenden Senats des FG auf einem Stück des Urteils ,,am 26. 3. 1985" bei der Geschäftsstelle eingegangen ist (Bl. 165 der FG-Akten). Beides ist offensichtlich unrichtig. In der mündlichen Verhandlung am 13. März 1985 ist nach der Niederschrift des FG darüber der Beschluß verkündet worden, daß eine Entscheidung am 3. April 1985 verkündet werden würde (Bl. 119 - Rückseite - der FG-Akten). Zu diesem Zeitpunkt ist das Urteil dann auch verkündet worden (vgl. die Niederschrift auf Bl. 121 der FG-Akten). Die Unrichtigkeit des genannten Geschäftsstellenvermerks ergibt sich schon daraus, daß er auf einem Urteilsstück angebracht worden ist, das ausdrücklich auf den Schriftsatz vom 29. März 1985 hinweist; dieses Urteilsstück kann also entgegen dem Vermerk bei der Geschäftsstelle nicht bereits am 26. März 1985 eingegangen sein.
2. Die Rüge der Unterlassung einer durchzuführenden Beweisaufnahme (§ 76 FGO) im Zusammenhang mit den dem FG vom Kläger vorgetragenen Umständen über die Verkäufe und Wiederankäufe der aufbereiteten Kohle entspricht nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 FGO (vgl. im einzelnen Gräber/Ruban, a. a. O., § 120 Anm. 40, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -). Insbesondere fehlt die Darlegung, weshalb die Vorentscheidung auf diesem Mangel beruht. Diese Rüge steht überdies offenbar im Zusammenhang mit den 21 332,847 t aufbereiteter Kohle, in bezug auf die das HZA mit Bescheid vom 20. Januar 1982 die Eingangsabgaben erlassen hat, und mit der Ablehnung eines Erlasses auf der Grundlage des § 57 a Abs. 4 ZG durch den vom Kläger vorgelegten Bescheid des HZA vom 12. Juni 1985. Beides gehört aber nicht zum Gegenstand dieses Verfahrens und der Vorentscheidung.
3. Die Einwendungen des Klägers im Zusammenhang mit der Vorentscheidung, die noch streitbefangenen Kohlemengen seien aus dem gebundenen in den freien Verkehr entnommen worden, können ebenfalls keinen Erfolg haben. Es spricht vieles dafür, daß der Kläger auch insoweit Gründe geltend machen will, die für einen Erlaß der Eingangsabgaben nach § 57 a Abs. 4 ZG sprechen. Diese Frage ist aber, wie ausgeführt, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Überdies trägt der Kläger in diesem Zusammenhang neue Tatsachen vor, die in der Vorentscheidung keine Stütze finden. Da der Kläger insoweit keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben hat (§ 120 Abs. 2 FGO), kann er damit in der Revisionsinstanz nicht gehört werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
4. Das FG ist - ohne weitere Begründung - von der Richtigkeit der Berechnung der Eingangsabgaben im angefochtenen Steuerbescheid ausgegangen. Die Rüge des Klägers, diese Berechnung sei unrichtig, ist mit neuen Tatsachenbehauptungen begründet. Entsprechende Feststellungen fehlen in der Vorentscheidung. Da der Kläger keine Verfahrensrügen in dieser Hinsicht erhoben und auch nicht wenigstens dargelegt hat, er habe in der Vorinstanz Entsprechendes bereits vorgetragen (so daß die Vorinstanz insoweit unter Umständen an einem Begründungsmangel nach § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO litte), kann er mit seiner Rüge in der Revisionsinstanz keinen Erfolg haben. Überdies setzt sich der Kläger offenbar auch in diesem Zusammenhang lediglich mit der Frage auseinander, ob das HZA verpflichtet ist, ihm einen Billigkeitserlaß nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) zu gewähren oder eine Feststellung i. S. des § 57 a Abs. 4 ZG zu treffen. Das aber ist, wie ausgeführt, nicht Gegenstand des Verfahrens.
5. Mit seinem Vorbringen im Schriftsatz vom 12. November 1986 kann der Kläger nicht gehört werden, da die Revisionsbegründungsfrist bereits am 28. Juni 1985 abgelaufen war. Zulässige Wiederaufnahmegründe (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., § 118 Anm. 38) hat der Kläger damit offensichtlich nicht geltend gemacht (vgl. § 134 FGO i. V. m. § 580 Nr. 7 Buchst. b, § 586 der Zivilprozeßordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 415695 |
BFH/NV 1988, 721 |