Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezeichnung des Klagebegehrens
Leitsatz (NV)
Die Bezeichnung des Klagebegehrens kann (auch nach Fristsetzung durch das Gericht) grundsätzlich durch Hinweis auf eine dem FA eingereichte Steuererklärung erfolgen (Bestätigung der BFH-Urteile vom 13. Juni 1996 III R 93/95, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483; vom 2. Juli 1997 I R 82/96, 27--28/97, BFH/NV 1998, 175).
Normenkette
FGO § 65 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat jeweils wegen Umsatzsteuer und Einkommensteuer Klage erhoben mit dem Antrag, gegen ihn aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung ergangene Bescheide aufzuheben. Die Klagebegründung versprach er nachzureichen; sie sollte nach Abschluß eines anhängigen Steuerverfahrens erfolgen. Nach dessen Abschluß legte der Kläger für das ihm zugerechnete Einzelunternehmen Firma S. Bilanzen und Steuererklärungen vor, die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) nicht berücksichtigt wurden, da sie dem Ergebnis der Steuerfahndungsprüfung nicht entsprachen. Eine Begründung der Klagen erfolgte nicht. Das Finanzgericht (FG) setzte dem Kläger darauf gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlußfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens. Vor deren Ablauf gingen beim FG jeweils Schreiben des Klägers ein, in denen er beantragte, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und entsprechend den eingereichten Steuererklärungen zu entscheiden. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, die betrieblichen steuerlichen Unterlagen vollständig dem FA vorgelegt zu haben, auch die Einkommensteuererklärungen müßten vorliegen. Das FA bestreitet das Vorliegen der Einkommensteuererklärungen.
Das FG wies beide Klagen als unzulässig ab. Es fehle jeweils an der Bezeichnung des Klagebegehrens (§65 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu dessen Bezeichnung sei erforderlich, daß der Kläger dem Gericht substantiiert den Sachverhalt unterbreite, in dessen steuerlicher Behandlung er eine Rechtsverletzung erblicke. Diesen Voraussetzungen werde ein Antrag wie vorliegend, die Bescheide gemäß den vorgelegten Steuererklärungen zu ändern, nicht gerecht. Zwar möge dies in einfach gelagerten Fällen mit übersichtlichem Sachverhalt ausreichend sein (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 16. März 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895). Keinesfalls könne dies aber für Sachverhalte gelten, die nach einer Betriebs- oder Steuerfahndungsprüfung umstritten seien. Es genüge daher nicht, dem FA unmittelbar Gewinnermittlungen und Steuererklärungen zuzusenden. Nach Ablauf der gesetzten Ausschlußfrist sei eine Nachholung der versäumten Prozeßhandlung auch nicht mehr möglich.
Mit seinen Revisionen rügt der Kläger Verletzung des §65 Abs. 1 FGO durch die Vorinstanz.
§65 Abs. 1 Satz 1 FGO regele die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Sachentscheidung ergehen könne. Dazu gehöre, daß der Kläger einen ausreichend bestimmten Klageantrag stelle oder in sonstiger Weise das Ziel der Klage hinreichend deutlich zum Ausdruck bringe. Der Kläger habe die Bescheide für die Streitjahre angefochten und beantragt, die Steuer entsprechend den eingereichten Steuererklärungen festzusetzen. Diese Angaben seien für die Bezeichnung des Klagebegehrens ausreichend. Bei dessen Auslegung habe das FG die (auch nur dem FA) bekannten oder erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Natur zu berücksichtigen. Es sei grundsätzlich auch zulässig, den sich aufgrund eines Schätzungsbescheides ergebenden Streitgegenstand durch Bezugnahme auf eine nachträglich eingereichte Steuererklärung ausreichend zu bezeichnen. Der Kläger beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben und die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
Es verweist im wesentlichen auf die Gründe der Vorentscheidung und führt weiter aus, bei Fallgestaltungen, deren Schwierigkeiten rechtlicher und tatsächlicher Art wie vorliegend auf der Hand lägen, sei die schlichte Bezugnahme auf später eingereichte Unterlagen nicht ausreichend, um den Streitgegenstand mit der notwendigen Bestimmtheit zu bezeichnen. Es sei vielmehr erforderlich anzugeben, worin im einzelnen eine Rechtsverletzung erblickt werde. Hierzu hätte es einer Auseinandersetzung mit den Prüfungsfeststellungen bedurft. Zumindest hätte der Kläger erkennen lassen müssen, inwieweit einzelne Prüfungsfeststellungen angegriffen werden sollten. Diese seien nicht offenkundig unzutreffend gewesen, wie auch der Ausgang des Strafverfahrens (Einstellung gegen Zahlung einer Geldbuße) erweise.
Der Kläger habe bis zur mündlichen Verhandlung steuerliche Unterlagen lediglich bezüglich der Firma S., nicht dagegen auch Einkommensteuererklärungen vorgelegt. Da er auch über andere Einkünfte verfügt habe, seien die Jahresabschlüsse der Firma für die Festsetzung der Einkommensteuer nicht ausreichend.
Entscheidungsgründe
II. Die (gemäß §73 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen) Revisionen sind begründet. Sie führen jeweils zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Maßgabe der nachstehenden Gründe (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Zu Unrecht hat das FG die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide als unzulässig abgewiesen. Auch das die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide abweisende Prozeßurteil beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung durch das FG. Die Feststellungen des FG erlauben insoweit jedoch keine eigene Entscheidung des Senats.
1. Nach §65 Abs. 1 Satz 1 FGO muß eine Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens, bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt bezeichnen. Außerdem soll sie einen bestimmten Antrag enthalten. Nach §65 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende oder der von ihm bestimmte Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern, wenn die Klage diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang entspricht.
Bereits aus der in §65 Abs. 2 FGO vorgesehenen Möglichkeit, nachträgliche Ergänzungen der Klageschrift vorzunehmen, ergibt sich, daß nicht sämtliche in §65 Abs. 1 FGO genannten Bestandteile bis zum Ablauf der Klagefrist vorzuliegen brauchen. Bis dahin müssen lediglich die Erfordernisse erfüllt sein, die ein Schriftstück überhaupt als Klageschrift qualifizieren (BFH- Urteile vom 2. Juli 1997 I R 82/96, 27--28/97, BFH/NV 1998, 175; vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532, m. w. N.). Darüber hinaus besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die fehlenden Angaben nachzuholen und zu konkretisieren. Dies kann auch noch in der mündlichen Verhandlung geschehen. Insoweit besteht für das FG eine -- wenn im Einzelfall auch eingeschränkte -- Amtsermittlungspflicht (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242, unter 2. e).
Inhaltlich kann der Gegenstand des Klagebegehrens (bei Anfechtungsklagen) durch Bezeichnung der anderweitig anzusetzenden Besteuerungsgrundlagen (z. B. Umsatz, Gewinn) dem Betrag nach hinreichend bestimmt werden (BFH-Urteil vom 17. April 1996 I R 91/95, BFH/NV 1996, 900). Insoweit kommt -- selbst bei Schätzungsbescheiden -- auch eine Bezugnahme auf eine beim FA nach Erlaß des angefochtenen Steuerbescheides eingereichte Steuererklärung mit den erforderlichen Angaben oder Anlagen in Frage (BFH-Urteile in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895; in BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242; vom 7. Februar 1995 VIII R 48/92, BFH/NV 1996, 43, 44; in BFH/NV 1998, 175; a. A. von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §65 Anm. 49). Dabei kann der Hinweis auf Erklärungen, die eine andere Festsetzung oder Steuerart betreffen, ebenfalls genügen, soweit deren Inhalt Grundlage für die Entscheidung über den Streitgegenstand ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 900, unter 1. a. E.). Betrifft der Rechtsstreit ausschließlich gewerbliche Einkünfte, ist für die Bezeichnung des Klagebegehrens zur Einkommensteuer somit der Hinweis auf vorliegende Erklärungen zur Gewinnfeststellung oder Gewerbesteuer ausreichend.
Über die bezeichneten Anforderungen hinausgehende Erfordernisse lassen sich der gesetzlichen Regelung des §65 Abs. 1 FGO nicht entnehmen. Die Frage der hinreichenden Bezeichnung des Klagebegehrens ist unabhängig von der Frage zu beurteilen, ob die Klage auch ausreichend begründet worden ist. Das Maß der prozessualen Anforderungen zur Bestimmung des Klagebegehrens kann entgegen der Vorentscheidung und der Ansicht des FA grundsätzlich auch nicht davon abhängig sein, welchen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeitsgrad der Streitstoff aufweist (BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 175).
2. Ist dem Kläger wie im Streitfall durch richterliche Verfügung gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 FGO eine Frist zur Ergänzung seiner Angaben gesetzt worden, muß die Konkretisierung des Klagebegehrens innerhalb der gesetzten Frist gegenüber dem FG erfolgen. Denn die Anwendung dieser Präklusionsvorschrift soll die zeitnahe Sachprüfung und Entscheidung durch das Gericht ermöglichen. Die Ausschlußfrist wird nicht gewahrt, wenn das Klagebegehren lediglich gegenüber dem FA konkretisiert wird. Diese Rechtsfolge tritt indessen nicht ein, wenn gegenüber dem Gericht innerhalb der Ausschlußfrist auf die dem FA gegenüber erfolgte Konkretisierung entsprechend der richterlichen Verfügung hingewiesen wird (BFH-Urteil vom 13. Juni 1996 III R 93/95, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483), insbesondere, wenn auf eingereichte Steuererklärungen Bezug genommen wird (BFH- Urteil in BFH/NV 1998, 175). Denn das FA hat die den Streitfall betreffenden Akten und damit auch die dazu gehörenden Steuererklärungen nach §71 Abs. 2 FGO nach Empfang der Klageschrift von Amts wegen an das FG zu übersenden.
Im Streitfall enthalten die innerhalb der Ausschlußfrist an das FG gerichteten Schreiben des Klägers jeweils eine Bezugnahme auf die zuvor vorgelegten Steuererklärungen. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die richterlich gesetzte Ausschlußfrist ohnehin gegenstandslos war, weil das Klagebegehren zuvor bereits hinreichend bezeichnet worden war.
3. Nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers lagen die betrieblichen Steuererklärungen der Firma S -- einschließlich der Umsatzsteuererklärungen -- dem FA vor. Insoweit war -- jedenfalls aufgrund des rechtzeitigen Hinweises gegenüber dem FG -- das Klagebegehren die Umsatzsteuer betreffend i. S. von §65 Abs. 1 FGO hinreichend bezeichnet. Da das Prozeßurteil des FG auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, war es aufzuheben. Die Sache ist an das FG zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zurückzuverweisen.
4. Die Zulässigkeit der Klage gegen die Einkommensteuerbescheide ist nach denselben Grundsätzen zu beurteilen. Insoweit ist der Senat jedoch an einer eigenen Entscheidung gehindert, da das FA die vom Kläger behauptete Einreichung der Einkommensteuererklärungen bestreitet. Das FG hat dazu infolge seiner abweichenden Rechtsauffassung keine Feststellungen getroffen. Sollten Einkommensteuererklärungen nicht vorgelegt worden sein, kann das Klagebegehren dennoch aus den vorliegenden betrieblichen Steuererklärungen (zur Gewinnfeststellung oder Gewerbesteuer) bestimmbar sein, wenn die angefochtenen Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung ausschließlich die gewerblichen Einkünfte des Klägers betreffen und andere Einkünfte (etwa aus Kapitalvermögen aufgrund von Beteiligungen) in anderen Verfahren mit Bindungswirkung für die Veranlagung des Klägers festgestellt werden. Aufgrund der nachzuholenden Feststellungen wird das FG erneut über die Zulässigkeit der Klage und, sollte diese nach den aufgezeigten Grundsätzen zu bejahen sein, über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 422405 |
BFH/NV 1998, 1245 |
DStRE 1998, 897 |