Leitsatz (amtlich)
1. Der Steuerpflichtige ist durch die Festsetzung einer zu niedrigen Einkommensteuer nicht beschwert, wenn sich die Festsetzung nach seinem eigenen Vortrag lediglich bei der Gewerbesteuer zu seinen Ungunsten auswirken kann (Anschluß an das BFH-Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 39/67, BFHE 108, 278, BStBl II 1973, 323).
2. Auch in diesem Fall ist der Streitwert für die Zulässigkeit der Revision erreicht, wenn der Steuerpflichtige eine Erhöhung der Einkommensteuer von mehr als 1 000 DM anstrebt (Anschluß an das BFH-Urteil vom 26. Januar 1970 IV 204/64, BFHE 99, 4, BStBl II 1970, 493).
AO a. F. § 232 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 1; GewStG § 35 b.
Normenkette
AO a.F. § 232 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 1; GewStG § 35b
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Bauunternehmer; als Vollkaufmann ermittelt er seinen Gewinn seit 1955 durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG. Der Kläger hatte in den Jahren 1955 und 1957 Mietwohnhäuser als gewillkürtes Betriebsvermögen aktiviert und die damit in Zusammenhang stehenden Schulden passiviert; Einnahmen und Ausgaben behandelte er als betrieblich veranlaßt. Im Jahre 1966 reichte der Kläger für die Veranlagungszeiträume 1962 bis 1964 geänderte Einkommensteuererklärungen beim Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) ein und beantragte die Berichtigung der vorläufigen Steuerbescheide; er buchte die Grundstücke zum 31. Dezember 1962 mit dem Buchwert aus und begründete dies damit, daß die Grundstücke von Anfang an notwendiges Privatvermögen gewesen seien. Einnahmen und Ausgaben setzte er ab dem Jahre 1962 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung an. Diese Würdigung legte er auch seiner Einkommensteuererklärung 1965 zugrunde.
FA und FG lehnten die Ausbuchung zum Buchwert ab. Sie nahmen an, die Grundstücke seien ursprünglich (gewillkürtes) Betriebsvermögen gewesen und könnten nur zum Teilwert entnommen werden. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag,
"das Urteil aufzuheben und festzustellen, daß die Grundstücke ... nicht Betriebsvermögen, sondern Privatvermögen sind; die Einkünfte aus der Vermietung dieser Grundstücke nicht Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind, sondern Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; die Bilanzen ab 1962 zu berichtigen waren und die Steuerbescheide über die Einkommensteuer und Gewerbesteuer ab 1962 zu berichtigen sind".
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig; der Revisionsstreitwert von mehr als 1 000 DM (§ 115 Abs. 1 FGO) ist erreicht, da der Kläger eine Heraufsetzung der Einkommensteuer 1962 in Höhe von 378 DM, 1963 in Höhe von 402 DM und 1965 in Höhe von 738 DM begehrt, die sich aus der Auflösung der Gewerbesteuerrückstellungen ergibt. Das für die Ermittlung des Streitwerts maßgebliche steuerliche Interesse des Klägers liegt damit bei 1 518 DM. Da das FG für die Streitjahre eine einheitliche Entscheidung erlassen hat, ergibt sich der Streitwert aus der Summe der streitigen Einkommensteuerbeträge (Beschluß des BFH vom 18. Juni 1969 I B 8/69, BFHE 96, 153, BStBl II 1969, 587). Auch für die Ermittlung der Revisionsgrenze ist der gesamte Erhöhungsbetrag anzusetzen ohne Berücksichtigung etwaiger gegenläufiger Auswirkungen bei der Einkommensteuer in den Folgejahren bzw. bei der Gewerbesteuer (BFH-Urteil vom 26. Januar 1970 IV 204/64, BFHE 99, 4, BStBl II 1970, 493). Die Vorschrift des § 115 Abs. 1 FGO verlangt nicht, daß der Kläger in Höhe von 1 000 DM durch die angegriffene Steuerfestsetzung beschwert sein muß.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da der Kläger durch die Einkommensteuerbescheide nicht beschwert war; damit war bereits der Einspruch unzulässig (§ 231 AO).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH und schon des RFH, daß ein Steuerpflichtiger auch durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt sein kann, wenn nach seiner Darlegung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden muß, daß ihm der Vorgang, auf dem die Festsetzung beruht, bei der gleichen Steuer für spätere Steuerabschnitte oder bei einer anderen Steuerart steuerliche Nachteile verursachen wird, die den durch die angefochtene zu niedrige Steuerfestsetzung bewirkten Vorteil überwiegen (zuletzt ausführlich BFH-Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 39/67, BFHE 108, 278, BStBl II 1973, 323). Auf die entsprechende Anfrage des Senats hat sich der Kläger zur Darlegung seiner Beschwer lediglich auf den Ansatz von Einkünften aus Gewerbebetrieb anstelle von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und auf die darauf beruhende höhere Gewerbesteuerbelastung im Streitjahr berufen. Eine um mehr als 1 518 DM höhere Einkommensteuerbelastung in den Folgejahren ist nicht geltend gemacht und nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger eine nach § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu erwartende Gewerbesteuerherabsetzung verfolgt, ist er nicht durch die angefochtenen Einkommensteuerbescheide, sondern durch die Gewerbesteuermeßbescheide in seinen Rechten verletzt. Wenn der VIII. Senat des BFH in seinem Urteil VIII R 39/67 in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung steuerliche Nachteile bei einer anderen Steuerart unter Umständen als ausreichende Rechtsverletzung angesprochen hat, bezieht sich das nicht auf das Verhältnis der Einkommensteuer zur Gewerbesteuer. Bereits der RFH hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß grundsätzlich der belastende Verwaltungsakt angegriffen werden müsse und sich eine Beschwer durch Auswirkungen bei anderen Steuern nur dann ergeben kann, wenn eine Bindungswirkung zwischen den beiden Steuerarten besteht (so ausdrücklich RFH-Urteil vom 20. Februar 1935 I A 270/34, RStBl 1935, 460, vom BFH in ständiger Rechtsprechung bestätigt, z. B. Urteil vom 2. März 1961 IV 185/59, HFR 1962, 108, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 232, Rechtsspruch 22; Gräber in Deutsches Steuerrecht 1967 S. 271; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, 1964, Randnote 1850 zu § 232 AO).
Eine derartige Bindungswirkung besteht zwischen der Einkommensteuer und der Gewerbesteuer nicht. Dies hat schon der RFH zum früheren Rechtszustand verneint (Urteil I A 270/34), und der BFH hat mehrfach bestätigt, daß sich hieran durch die Einfügung des § 35b in das GewStG nichts geändert hat (z. B. Urteil IV 185/59). Trotz der Berichtigungsmöglichkeit nach § 35b GewStG handelt es sich um zwei selbständige Steuerbescheide, die getrennt anfechtbar sind (BFH-Urteile vom 30. Juli 1964 IV 403/61 U, BFHE 80, 166, BStBl III 1964, 534; vom 22. April 1971 I R 16/71, BFHE 102, 214, BStBl II 1971, 586). Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind demzufolge unabhängig voneinander zu prüfen; der Kläger kann den Einkommensteuerbescheid nur dann anfechten, wenn sich eine Beschwer bei der Einkommensteuer ergibt; verweist er zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung nur auf den Gewerbesteuermeßbescheid, ist der Rechtsbehelf unzulässig (BFH-Urteile I R 16/71; vom 24. April 1968 I 101/65, nicht veröffentlicht).
Fundstellen
BStBl II 1975, 37 |
BFHE 1975, 340 |